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Dreiundfünfzigster Brief.

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Im Hauptquartiere, Verres, den 4. prairial.

„Endlich bin ich hier! Es ist nichts Kleines ohne Pferde durch diese Berge, diese schrecklichen Einöden und zerstörten Dörfer zu reisen. Jeden Tag verfehlte ich den Generalstab um eine Tagereise. Endlich hat er dem Fort von Bard gegenüber Halt gemacht, das uns hindert in Italien einzudringen. Wir sind jetzt mitten zwischen den piemontesischen Abgründen. — Gestern stellte ich mich gleich bei meiner Ankunft dem General Dupont vor, der mich sehr gut empfing. Ich bin seinem Generalstabe beigegeben, werde diesen Morgen meine Ausfertigung und meinen Bestallungsbrief erhalten und theile Dir diese Thatsache vor allen mit, um Dich von der Unruhe und Ungeduld zu befreien, die Dir jede vorläufige Erzählung unerträglich gemacht hätte. — Da bin ich denn in einem Lande, wo wir Hungers sterben werden. — Die Gesichter, aus denen der Generalstab zusammengesetzt ist, scheinen mir, mit Ausnahme der drei Generäle, ziemlich albern. Ich bemerke indessen seit den vierundzwanzig Stunden meines Hierseins, daß mir die Adjutanten und der General-Adjutant mehr Rücksicht zeigen als allen Andern, die hier sind, und glaube zu wissen warum. Wenn ich genauer beobachtet habe, werde ich es Dir sagen.

„Ich habe den St. Bernhard überstiegen. Die Beschreibungen und Bilder, die davon existiren, bleiben hinter den Schrecken der Wirklichkeit zurück. Die Nacht vorher blieb ich in dem Dorfe St. Pierre am Fuße des Berges und den Morgen brach ich nüchtern auf, um nach dem Kloster zu gelangen, das drei Stunden höher liegt, d. h. in den Regionen des Eises und des ewigen Frostes. Dieser dreistündige Weg führt durch Schnee zwischen den Felsen hin; man erblickt keine Pflanze, keinen Baum; Höhlen und Abgründe öffnen sich bei jedem Schritte. Mehrere Lawinen, die Tags zuvor herabgestürzt waren, trugen dazu bei den Weg unbrauchbar zu machen. Mehrere Male sanken wir bis an den Gürtel in den Schnee. Und durch alle diese Hindernisse trug eine halbe Brigade ihre Kanonen und Munitionswagen auf den Schultern und zog sie von Felsen zu Felsen. — Die Thätigkeit und Entschlossenheit, das Schreien und Singen dieser Armee gaben das seltsamste Schauspiel, das man sich denken kann. — Es hatten sich zwei Divisionen in den Bergen vereinigt; sie wurden von General Harville kommandirt, der bei dieser Gelegenheit einmal recht tüchtig durchfror. — Bei den Mönchen angekommen, war er die erste Person, die mir begegnete. Er schien sehr erstaunt mich so hoch oben zu treffen und sagte mir zitternd vor Kälte viele Freundlichkeiten, ohne jedoch meinen ehemaligen Ungehorsam zu erwähnen und ohne Billigung oder Tadel auszusprechen. Vielleicht hätte er es in einem anderen Augenblicke gethan, aber in dem gegenwärtigen dachte er nur daran zu frühstücken und lud mich dazu ein. Aber ich wollte meine Reisegefährten nicht verlassen und dankte ihm. — Während der sehr frugalen Mahlzeit unterhielt ich mich mit dem Prior, welcher sie uns serviren ließ. Er sagte mir, daß sein Kloster der höchste bewohnte Ort in Europa sei und zeigte mir die großen Hunde, welche die von Lawinen verschütteten Reisenden aufsuchen helfen. Bonoparte hatte sie vor einer Stunde geliebkoset und ohne mich zu geniren that ich wie Bonaparte. — Als ich dem Prior mittheilte, daß man die Mönche vom St. Bernhard und ihre Gastfreundschaft bei uns auf das Theater gebracht habe, hörte ich mit Erstaunen, daß er das Stück kannte. — Nachdem wir freundschaftlich Abschied von ihm genommen hatten, stiegen wir sieben Stunden abwärts, um nach dem Thale von Aosta in Piemont zu gelangen. Ich marschirte zehn Stunden und ließ mein Gepäck durch Maulthiere tragen. — In Aosta angekommen, begab ich mich schnell nach dem Palaste des Consuls, um Leclerc zu sehen und die erste Person, die mir begegnete, war Bonaparte. Ich wollte ihm meinen Dank für die Bestallung aussprechen, aber er unterbrach mich barsch mit der Frage, wer ich sei. — Der Enkel des Marschalls von Sachsen. — Ah so — gut — bei welchem Regimente stehen Sie? — Beim 1. Jägerregimente. — Ganz wohl — aber es ist nicht hier. Sie sind also dem Generalstabe beigegeben? — Ja, General. — Es ist gut, desto besser, ich bin erfreut Sie zu sehen. — Und damit drehte er mir den Rücken. Gestehe, liebe Mutter, daß ich immer Glück habe. Ich konnte es nicht besser treffen, wenn ich mit Absicht gehandelt hätte. Ich bin ohne Weiteres Hülfsadjudant beim Generalstabe und zwar auf Wunsch Bonaparte's, ohne die drei berühmten, tödtlich langen Monate warten zu müssen.— Damit Deine Briefe mich mit Sicherheit treffen, so adressire sie an den Bürger Dupin, Hülfsadjutant beim Generalstabe der Reserve Armee, im Hauptquartiere, ohne den Ort anzugeben. Man wird sie uns dann nachschicken.

„Das Fort, welches wir vor uns haben, das Fort von Bard nämlich, hindert uns in Italien einzudringen, aber man hat beschlossen es zu umgehen, so daß das Hauptquartier morgen in Ivrea aufgeschlagen wird. Ich bin sehr froh darüber, denn hier sind wir auf halbe Ration gesetzt — und mein Teufel von Magen will sich nicht zu einer halben Ration Appetit verstehen. Du hast sehr wohl gethan mich in Paris gut auszufüttern, denn ich glaube nicht, daß es hier geschehen wird. Adieu, meine liebe Mutter, ich umarme Dich zärtlich und wünschte, daß diese neue Trennung Dir weniger schmerzlich wäre als die frühere. Bedenke, daß sie nicht lange währen und gute Folgen haben wird.“

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