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Vierundfünfzigster Brief.
ОглавлениеPrairial im Jahre VIII. (ohne Datum.)
„Ach! da sind wir endlich, da sind wir endlich — nun wollen wir Athem holen! Wo denn? In Mailand! und wenn wir immer in dieser Weise fortgehen, so glaube ich, werden wir bald in Sicilien sein. Bonaparte hat aus einem ehrwürdigen Generalstabe die leichtfüßigste Avant-Garde gemacht. Er hat uns laufen lassen wie die Hasen und besser noch. Seit Verres genossen wir keinen Augenblick Ruhe. Gestern sind wir nun hier angekommen und ich benutze die Gelegenheit, um mit Dir zu plaudern. — Ich beginne die Beschreibung unseres Marsches von der Abreise aus dem schon genannten Verres. — Ich glaube, ich sagte Dir von dem Fort von Bard, das uns hinderte in Italien einzudringen. Bonaparte war kaum angekommen, als er befahl es zu stürmen. Er ließ sechs Compagnien die Revue passiren und sagte zu ihnen: „Grenadiere, wir müssen diese Nacht da hinauf steigen, und das Fort gehört uns.“ Einige Minuten später hatte er sich auf einen Felsblock gesetzt; ich stellte mich hinter ihn. Er wurde von allen Generalen der Division umringt, und Loison machte ihm Vorstellungen über die Schwierigkeiten den Felsen unter dem Feuer des Feindes zu erklimmen, der so gut verschanzt war, daß er, um unser Andringen zu verhindern, nichts zu thun hatte, als Bomben und Granaten anzuzünden und sie herunterrollen zu lassen. Bonaparte wollte nichts hören und indem, er zurückging, wiederholte er den Grenadieren, daß das Fort ihnen gehöre. Der Sturm wurde für zwei Uhr nach Mitternacht befohlen. Da ich nicht beritten war, und da sich das Fort zwei Meilen weit vom Hauptquartier befand, hatte ich keinen Befehl erhalten mich dahin zu begeben. Ich kehre also mit meinen Begleitern nach Verres zurück; wir soupiren zusammen, ich wünsche einem Jeden von ihnen gute Nacht und gehe dann ohne ein Wort zu sagen wieder nach Bard. Man erreicht dies Fort durch ein langes, von ungeheuern mit Cypressen bedeckten Felsen umschlossenes Thal. Die Nacht war dunkel und die Stille dieser rauhen Gegend war nur durch das Getöse eines Waldbaches unterbrochen, der in der Finsterniß dahinrauschte, und durch den tumpfen Kanonendonner des Forts. Ich gehe so rasch als möglich vorwärts, bald höre ich das Schießen mit größerer Deutlichkeit, bald erblicke ich auch das Feuer der Geschütze und nun gelange ich in die Nähe des Forts. Hinter einem Felsen sehe ich zwei Männer an einem Feuer liegen und da ich mir denke, daß sich der General Dupont bei dem Oberbefehlshaber befinden muß, frage ich: ob sie letztern nicht gesehen haben. „Hier ist er!“ sagte einer der Männer, indem er aufstand. Es war Berthier selbst. Ich sagte ihm, wer ich wäre und wen ich suchte und er beschrieb mir, wo ich den General Dupont finden würde. Er befand sich auf der Brücke der Stadt Bard; ich begebe mich dorthin und finde ihn von Grenadieren umgeben, welche den Augenblick des Angriffs erwarten. Nun dränge ich mich unter sein Gefolge, und als er den Kopf wendet, wünsche ich ihm guten Abend. „Wie“, sagt er ganz erstaunt, „Sie sind hier ohne Befehl und zu Fuße?“ — Wenn Sie mir's erlauben wollen, mein General! — »Wohlan, der Angriff beginnt, Sie kommen im rechten Augenblicke.“ Man brachte gerade sechs Geschütze und Munitionswagen an den Fuß des Forts. Die Adjutanten des Generals begleiteten sie und ich folgte ihnen so als Spaziergänger. Auf dem halben Wege zur Stadt kamen drei Granaten auf einmal. Wir traten in ein offenes Haus, ließen sie platzen, verfolgten dann unsern Weg und kehrten wieder zurück, immer von einigen Grenadieren und einigen Kugeln begleitet. Der Angriff war ohne Erfolg. Wir kletterten bis zur letzten Verschanzung; aber die Bomben und Granaten, welche der Feind auf uns schleuderte und zwischen die Felsen warf, zu kurze Leitern, falsche Maßregeln u.s.w. machten das Unternehmen mißlingen, und wir mußten uns mit Verlust zurückziehen.
„Am folgenden Morgen zogen wir nach Ivrea. Wir umgingen das Fort und kletterten, Menschen sowohl als Pferde, zwischen den Felsen hinauf, wo die Eingeborenen nicht einmal mit Maulthieren zu gehen wagen. Einige der Unserigen stürzten hinab; das Pferd Bonaparte's brach ein Bein. Als wir zu einem gewissen Punkte gekommen waren, machte Bonaparte Halt und betrachtete mit sehr übler Laune das Nest, an dem er gescheitert war. Nach tausend Anstrengungen erreichten wir die Ebene und da ich zu Fuß war, gab mir der General Dupont, der sich über meinen Spaziergang am Abend zuvor gefreut hatte, eins seiner Pferde. Ich ritt zwischen Dupont's, Bonaparte's und Berthier's Adjutanten, und in dieser glänzenden Schaar nahm ein Adjutant Dupont's, Namens Morin, das Wort und sagte: „Meine Herren, von den dreißig Hülfs-Adjutanten des Generalstabes ist Herr Dupin, der erst vorgestern Abend angelangt ist und der noch kein Pferd besitzt, der einzige, welcher sich beim Angriff des Forts neben dem General befunden hat. Die Anderen sind klüglich im Bette geblieben.“ — Nun muß ich Dir sagen, was ich beim ersten Blick errathen habe: der Generalstab ist die ordnungsloseste Gesellschaft, die man sich denken kann. Jeder, der ohne Corps und ohne Verdienst ist, wird darin aufgenommen und erhält den Titel eines Hülfs-Adjutanten. Acht oder zehn sind indessen darunter, die mehr taugen als die Uebrigen, und diese halten zusammen. Auch reinigt sich der Generalstab immer mehr, je weiter wir fortschreiten, denn man läßt die Schwätzer und die Feigen zum Dienst in den verschiedenen Waffenplätzen, durch die wir ziehen. Lacuée hat sich sehr geirrt, als er Dir von den großen Vortheilen meiner Stellung erzählte. Wir haben durchaus nicht so viel Ansehen wie die Adjutanten, wir werden wie Ordonnanzen verschickt, ohne zu wissen, welche Befehle wir überbringen. Auch sind wir nicht in der Gesellschaft des Generals und speisen nicht mit ihm.
„Als wir nach Ivrea kamen, sah ich wohl ein, daß ich, wenn wir so fortmarschirten, meine Pferde so bald nicht bekommen würde. Ich ging darum, leichtfüßig wie ich bin, zu den Vorposten, die am Tage zuvor Pferde erbeutet hatten, und ein Husaren-Offizier überließ mir eins derselben für 15 Louisd'or — in Paris würde man dreißig dafür geben. Es ist ein wilder Ungar, der einem feindlichen Rittmeister gehörte. Es ist ein grauer Apfelschimmel; seine Beine sind von unvergleichlicher Schönheit und Feinheit; der Blick ist feurig und zu allen diesen Vorzügen hat er das Benehmen eines wilden Thieres. Er beißt Alle, die er nicht kennt und läßt sich nur von seinem Herrn reiten. Ich bin nur mit großer Anstrengung dazu gelangt ihn zu besteigen, denn der Schurke wollte Frankreich durchaus nicht dienen. Durch Brod und Liebkosungen habe ich ihn endlich gezähmt, aber in den ersten Tagen bäumte er sich und biß wie ein Teufel.
Sobald man aber darauf sitzt, ist er sanft und ruhig; er läuft wie der Wind und springt wie ein Reh. Wenn meine beiden anderen Pferde ankommen, kann ich ihn wieder verkaufen. Aber da kommt die Post! Lebewohl, meine gute Mutter, ich habe nur noch Zeit Dich zu umarmen. Leb' wohl, leb' wohl!“