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Zweiter Brief.

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Im Hauptquartier zu Torre di Garofolo,

27. prairial VIII.

„Geschichtsschreiber, schneidet Eure Federn; Dichter, besteigt den Pegasus; Maler, nehmt die Pinsel zur Hand, Zeitungsschreiber, lügt nach Herzenslust niemals ist Euch schönerer Stoff geboten! Was mich betrifft, meine liebe Mutter, so will ich Dir die Dinge erzählen, wie ich sie gesehen habe, wie sie gewesen sind.

„Nach der ruhmvollen Affaire von Montebello kommen wir am 23. nach Voghera. Am folgenden Morgen um zehn Uhr brechen wir wieder auf, geführt von unserm Helden und gelangen um vier Uhr Nachmittags in die Ebene von San-Giuliano. Hier treffen wir den Feind, greifen ihn an, schlagen ihn und treiben ihn nach Bormida unter die Mauern von Alessandria. Die Nacht trennt die Kämpfenden. Der erste Consul und der General-en-chef quartieren sich in einem Pächterhofe zu Torre di Garofolo ein; wir strecken uns ohne Abendessen auf die Erde hin und schlafen. Am folgenden Morgen greift uns der Feind an; wir begeben uns auf das Schlachfeld und finden den Kampf im vollen Gange. Die Schlachtlinie zog sich wohl zwei Stunden lang hin. Das war ein Kanonendonner und Flintenkrachen, um taub zu werden! Die ältesten Krieger sagten, daß man den Feind noch nie mit solcher Artillerie gesehen hätte. Gegen neun Uhr wurde das Blutbad so arg, daß sich auf der Straße von Marengo nach Torre di Garofolo zwei Colonnen gebildet hatten, welche die Verwundeten fortschafften. Schon waren unsere Bataillone von Marengo zurückgeschlagen! der rechte Flügel war vom Feinde umgangen, dessen Artillerie ein Kreuzfeuer mit dem Centrum unterhielt. Die Kugeln regneten von allen Seiten nieder. Der Generalstab war gerade versammelt; unter dem Bauche des Pferdes, das der Adjutant des Generals Dupont ritt, flog eine Kugel durch; eine andere streifte die Croupe meines Pferdes; eine Haubitzengranate fiel zwischen uns nieder, platzte, aber verletzte Niemand. Inzwischen wurde berathen, was zu thun sei. Der Oberbefehlshaber schickte einen Adjutanten, Namens Laborde, mit dem ich ziemlich befreundet bin, nach dem linken Flügel, aber er war noch nicht hundert Schritte weit, als sein Pferd erschossen wurde; der General«-Adjutant Stabenrath und ich übernahmen nun seine Misston. Unterwegs treffen wir ein Peloton des 1. Dragoner-Regiments; der Anführer kommt uns traurig entgegen, zeigt uns die zwölf Mann, die ihm folgen und von den fünfzig Soldaten, die am Morgen sein Peloton bildeten, allein übrig sind. Während er spricht, fliegt eine Kugel unter der Nase meines Pferdes durch und erschreckt es dermaßen, daß es sich überstürzt und wie todt daliegt. Ich arbeitete mich so schnell als möglich darunter hervor, hielt es für todt und war sehr erstaunt, als es sich wieder aufrichtete und nicht den geringsten Schaden genommen hatte. Ich besteige es wieder und der General-Adjutant und ich begeben uns nach dem linken Flügel, den wir zurückweichend finden. Wir thun unser Möglichstes, um das eine Bataillon zum Stehen zu bringen, aber kaum ist uns das gelungen, als wir noch weiter links eine ganze Colonne von Flüchtigen im vollen Lauf erblicken. Der General sendet mich nach, sie zurückzuhalten, aber das war ein Ding der Unmöglichkeit. Ich fand Infanterie und Cavalerie, Bagagewagen und Handpferde untereinander; die Verwundeten lagen verlassen auf dem Wege und wurden durch die Munitionswagen zermalt. Ueberall ein fürchterliches Geschrei — ein Staub, daß man nicht zwei Schritte weit sehen konnte. In dieser äußersten Noth sprenge ich vom Wege ab, eile vorwärts und rufe: „halt! halt! da vorn!“ — ich sprenge immer weiter, da war kein Chef, kein Offizier. Caulaincourt, der jüngere, kommt an mir vorüber; er war am Kopfe verwundet und sein Pferd trug ihn mit den Flüchtigen fort. Endlich begegnet mir ein Adjutant; wir vereinigen unsere Anstrengungen, um der Unordnung Einhalt zu thun; wir geben den Einen Hiebe mit der flachen Klinge, den Andern ertheilen wir Lobsprüche, denn unter den Verzweifelnden gab es noch manchen Braven. Ich steige dann vom Pferde, lasse ein Geschütz richten und bilde ein Peloton. Darauf will ich ein zweites herstellen, aber kaum habe ich damit begonnen, als das erste schon wieder zerstreut ist. So geben wir den Versuch endlich auf, kehren zum Oberbefehlshaber zurück und sehen, daß Bonaparte zum Rückzuge trommeln läßt.

„Es war zwei Uhr; wir hatten schon zwölf Kanonen verloren, die theils demontirt, theils vom Feinde weggenommen waren. Die Bestürzung war allgemein; Menschen und Pferde waren von Anstrengung erschöpft und die Verwundeten versperrten die Straßen. Im Geiste sah ich uns schon über den Po zurückgehen und Tessin durcheilen, ein Land, dessen Einwohner uns sämmtlich feindlich gesinnt sind — als inmitten dieser traurigen Betrachtungen ein tröstendes Getöse unsern Muth wieder belebte. Die Division Desaix und Kellermann erschien mit dreizehn Geschützen. Nun kehren die Kräfte zurück, die Fliehenden werden zum Stehen gebracht. Die Divisionen rücken an; es wird zum Angriff getrommelt, wir kehren zurück, wir durchbrechen den Feind und schlagen ihn in die Flucht. Die Begeisterung erreicht ihren Höhepunkt; lachend werden die Gewehre geladen; wir erbeuten acht Fahnen, zwanzig Geschütze und nehmen sechstausend Mann und zwei Generäle gefangen — die Nacht allein rettet die Uebrigen vor unserer Wuth.

„Am folgenden Morgen sendet der General Melas einen Parlamentair; es war ein General. Man empfängt ihn im Hofe der Pachtung mit voller Musik; die Consular-Garde war in Parade aufmarschirt. Man macht uns die annehmbarsten Anträge: Genua, Mailand, Tortona, Alessandria, Acqui, Pizzighetone, das heißt, die Lombardei und ein Theil von Italien werden uns überlassen. Sie gestehen, daß sie besiegt sind! Heute werden wir in Alessandria mit ihnen speisen. Der Waffenstillstand ist abgeschlossen. Jetzt befehlen wir im Palaste des General Melas; die östreichischen Offiziere bitten mich, beim General Dupont für sie zu sprechen; das ist in Wahrheit gar zu lustig! Heute bilden die französische und östreichische Armee nur ein Heer. Die kaiserlichen Offiziere sind wüthend, daß sie sich in dieser Weise Gesetze geben lassen müssen — aber sie mögen noch so wüthend sein, sie sind geschlagen — vae victis!

„Der General Stabenrath, bei welchem ich mich am Morgen der Schlacht befand, ist zum Vollstrecker der Vertragsartikel ernannt; er drückte mir diesen Abend die Hand und sagte, daß er mit mir zufrieden wäre, daß ich mich wie ein wahrer Teufel gezeigt hätte und daß der General Dupont davon unterrichtet wäre. Und wirklich darf ich Dir, meine liebe Mutter, sagen, daß ich standhaft gewesen bin und mich den ganzen Tag im Feuer befunden habe. Wir haben eine ungeheuere Menge von Blessirten, und da sie fast Alle durch Kanonenkugeln verwundet sind, werden nur wenige von ihnen mit dem Leben davon kommen. Man brachte sie gestern zu Hunderten in's Hauptquartier und heute Morgen war der Hof voller Leichen. Die Ebene von Marengo ist in einem Umfange von zwei Stunden mit Todten bedeckt. Die Luft ist verpestet und die Hitze ist erstickend. Morgen gehen wir nach Tortona, das freut mich sehr, denn außer, daß man hier vor Hunger stirbt, wird der Geruch so arg, daß man es in zwei Tagen nicht mehr auszuhalten vermöchte. Und welch' ein Anblick! daran gewöhnt man sich nicht.

„Uebrigens sind wir Alle sehr guter Laune; so geht's im Kriege! — Der General hat sehr liebenswürdige Adjutanten, die mir viel Freundlichkeit erweisen. Und Du, mein Mütterchen, ängstige Dich nicht mehr — der Frieden ist da! schlafe nun ungestört; bald haben wir nichts mehr zu thun, als auf unseren Lorbeeren auszuruhen. Der General Dupont wird mich zum Lieutenant ernennen. Das hätte ich doch wahrhaftig beinah zu sagen vergessen — so sehr habe ich mich selbst seit einigen Tagen aus den Augen verloren! Da der Adjutant des Generals verwundet ist, versehe ich provisorisch dessen Dienst. Lebe wohl, meine liebe Mutter, ich bin ganz erschöpft und werde mich auf ein Bund Stroh legen. Ich umarme Dich aus voller Seele. Aus Mailand, wohin wir uns in diesen Tagen begeben, schreibe ich Dir mehr und werde auch einen Brief an meinen Onkel Beaumont schicken.“

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