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Moritz an seine Mutter:

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2. Oct. 1796.

„... Gestern bin ich in einem sehr schönen Concerte gewesen, das im Theater Louvois stattfand. Gunnin und der alte Garigny leiteten das Orchester.“

„Du erinnerst Dich unsers alten Garigny, der zur Zeit des „Devin du village“ mit meinem Vater und mit Rousseau so gut bekannt war, und der während meiner Verbannung nach Passy auf so sonderbare Weise meine Bekanntschaft gemacht hat? Nun wohl! das Publikum hat eine Wiederholung seines Liedes verlangt und er hat seine Sachen so gut gemacht, daß er im vollen Sinne des Wortes mit Beifall überschüttet wurde. Für einen Mann von fünfundsiebenzig Jahren ist das wirklich nicht übel und es hat mir große Freude gemacht.“

„Nun gebe ich Dir noch zu rathen, wen ich in diesem Concerte getroffen und erkannt habe. In einem ganz modernen Kleide, mit ausgeschnittenen Schuhen und großen Locken habe ich den Sansculotten S... gesehen und habe mit ihm gesprochen. Er ist jetzt ein Merveilleux — das sind Begegnungen, um vor Lachen zu sterben! er hat viel nach Dir gefragt; im Jahre zwei war er nicht so fein!“

„Leb wohl, mein Mütterchen! die Zeit drängt, ich gehe in die Oper. Du fehlst mir in jedem Augenblicke und alle Freuden, die ich fern von Dir genieße, sind unvollkommen. Ich umarme Dich tausendmal und schicke Dir tausend Grüße für das „gute Thierchen“, meine Wärterin.“

Den 3. Oct.

„Ich verließ Dich neulich, um in die Oper zu gehen. „Corisande“ sollte gegeben werden — aber man gab Renaud. Doch einem Provinzbewohner ist Alles recht — und vom Anfang bis zum Ende habe ich mit dem größten Vergnügen zugehört. Ich saß im Orchester; Herr Heckel kennt Ginguené, Direktor des Kunstausschusses, der ihm zu jeder Aufführung zwei Orchesterbillets schenkt. Das ist der Platz, zu dem sich Alles drängt, was man jetzt „die gute Gesellschaft“ zu nennen pflegt. Man sieht da reizende Frauen von wunderbarer Eleganz, aber thun sie den Mund auf, so ist Alles verloren. Da hörst Du: „Potztausend, das ist gut getanzt!“ oder: „das ist ja eine verteufelte Hitze!“ Gehst Du hinaus, so erblickst Du glänzende, lärmende Wagen, in welchen diese schöne Welt von dannen fährt, während die braven Leute zu Fuß gehen und sich durch Spöttereien rächen, wenn sie mit Koth bespritzt werden. Da wird gerufen: „Platz für den Herrn Lieferanten der Gefängnisse! — Platz für den Herrn Siegelabnehmer!“

„Aber man geht weiter und lacht darüber. Obwohl Alles verändert ist, kann man eben so gut wie früher sagen: „Der rechtschaffene Mann ist zu Fuß und der Schurke in einer Sänfte.“ — Es sind jetzt andere Schurken — das ist Alles!“

„Leb wohl, meine gute Mutter, ich gehe wieder in die Oper. Zum Mittagessen führt mich Heckel mit dem Herzoge zusammen. Ich umarme Dich, wie ich Dich liebe.“

Den 15.

„Obwohl zu Fuß, macht sich der rechtschaffene Mann in Paris nicht das Geringste aus schlechtem Wetter! Es giebt so viel zu thun und zu sehen! Morgens gehe ich in die Gemäldeausstellung, von drei bis sechs Uhr wird langsam, in guter Gesellschaft gegessen und Abends gehe ich in's Theater. Bei Frau von Ferrières habe ich mit allen Deinen Freundinnen gespeist und bin mit offenen Armen empfangen. Ach! wie hat man dort von Dir gesprochen! Das Diner war köstlich, in Silber servirt — die Republik hat doch nicht Alles genommen. Die Weine waren vorzüglich, und es waren viele so lustige junge Leute da, daß wir sogar den Herrn de la Dominière zu lautem Gelächter gebracht haben. Abends bin ich im Theater Faydeau gewesen, um l'Ecole des Péres und les folles Confidences zu sehen. Das letzte Stück wird noch eben so gespielt, wie vor 93; Fleury trug dieselbe Kleidung; Dazincourt ebenfalls.“

Den 17.

„Wie gut Du bist, Dich noch in Deiner Einsamkeit zu langweilen, um mich einige Tage länger in Paris zu lassen! Welche zu gütige Mutter! wenn Du bei mir wärest, würde ich mich freilich noch besser amüsiren. Heute habe ich das Nützliche mit dem Angenehmen verbunden und mir ist, als hätte ich mich über mich selbst erhoben. Mein Freund Heckel hat mir zwei moralische Abhandlungen vorgelesen, die eine über die Unsterblichkeit der Seele, die andere über das wahre Glück. Alles darin ist bewunderungswürdig, tief, kurz, deutlich, eindringlich. Er hat sie im vergangenen Winter geschrieben und versichert, daß er keine andere Absicht dabei gehabt hat, als mir die Grundzüge der Tugend zu entwickeln.“

„Bei Frau von Chabert habe ich den Oedipus mit ganz außerordentlichem Erfolge gesungen. Und wem verdanke ich diesen Erfolg? meiner guten Mutter, die sich mit meinem Unterricht gequält hat und die mehr versteht, als alle Lehrer der Welt! Nach der Musik wurde getanzt; wir waren Alle in Stiefeln, woran Du nicht Anstoß nehmen darfst, denn das ist jetzt so Sitte. Aber wie schlecht läßt sich's in Stiefeln tanzen! Nachher ist man darauf gekommen, Thee zu trinken, was jedenfalls das nüchternste und billigste Abendessen ist, das man haben kann. Leb wohl, liebe Mutter, ich umarme Dich aus voller Seele und schicke meiner Wärterin dreiunddreißig Grüße.“

Den 19.

„Heute Morgen habe ich wieder mit dem Herzoge und meinem Freunde Heckel gefrühstückt; wir haben gegessen wie Menschenfresser und gelacht wie verrückt. Und denke Dir, als wir drei über den Pont-neuf gegangen sind, haben uns die Fischweiber umringt und haben den Herzog als den Sohn ihres guten Königs umarmt. Du siehst, wie sich der Volksgeist geändert hat. Aber ich will mit Dir „mündlich davon sprechen“, wie Bridoison zu sagen pflegt.“

„Jetzt will ich herumlaufen, um meine Abschiedsbesuche zu machen; denke nur nicht, daß ich mich nach Paris zurücksehne, ich komme ja zu Dir zurück.“

„Meiner Wärterin sage ich tausend Grobheiten: sie kann sich darauf vorbereiten, mich zu rasiren, denn hier hat man mir den Bart gestutzt — ich erschreckte alle Welt — und nun wächst er aus Trotz um so ärger.“

„Deschartres hat sich vergebens bemüht, einen Lehrer für den Sohn der Frau von Chander zu finden. Er hält die Sache für unausführbar in dieser Zeit und meint, das Geschlecht der Lehrer wäre zu Grunde gegangen. Alle jungen Leute, die sich dem Erziehungsfache widmeten, suchen jetzt Aerzte, Chirurgen oder Advocaten zu werden und die kräftigsten dienen der Republik. Seit sechs Jahren hat Niemand gearbeitet, wie man gestehen muß, und die Bücher waren vom Uebel. Nun sieht man überall Leute, welche Lehrer für ihre Kinder suchen, aber nicht finden. So wird es denn in einigen Jahren viele Esel geben und ich wäre auch einer wie die andern, ohne Deschartres — — aber was sage ich! ohne meine gute Mutter, die ganz allein schon fähig gewesen wäre, meinen Geist und mein Herz zu bilden.“

Den 31.

„Morgen reisen wir ab. Deschartres entschließt sich endlich dazu, seine ehrenwerthen Beine in Stiefeln zu stecken; es ist ja nicht möglich, gegen den Strom zu schwimmen. Zu Pferde ist das auch recht bequem, aber nur nicht zum Ball; die Contretänze werden auch nur noch gegangen. Sage meiner Bonne, daß ich mich dafür entschädigen werde, indem ich sie — freiwillig oder gezwungen — hüpfen und springen lasse. Und nun ein Lebewohl für Paris und Dir ein baldiger Bewillkommnungsgruß, meine gute Mutter! Ich komme noch toller von hier zurück, als ich herging; Jeder ist hier etwas verrückt und wer nur den Kopf auf den Schultern fühlt, hält sich schon für glücklich. Die Parvenüs geben sich ihrer Herzensfreude hin und das Volk sieht aus, als ob ihm Alles einerlei wäre. Der Luxus ist nie so groß gewesen als jetzt. Aber fort, fort mit allen diesen Eitelkeiten! meine gute Mutter langweilt sich und sehnt sich nach mir; das wird mein Pferd empfinden! So werde ich Dich nun endlich wieder umarmen; vielleicht bin ich schneller bei Dir, als dieser Brief!“

„Moritz.“

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