Читать книгу Geschichte meines Lebens - George Sand - Страница 9
Sechstes Kapitel. Fortsetzung der Geschichte meines Vaters. — Beharrlichkeit der philosophischen Ideen. — Robert, der Banditenchef. — Beschreibung von La Châtre. — Schiller's Räuber.
ОглавлениеIch werde mit der Geschichte meines Vaters fortfahren, da er im vollen Sinne des Wortes der Verfasser meiner Lebensgeschichte ist. Dieser Vater, den ich kaum gekannt habe, der in meiner Erinnerung als eine glänzende Erscheinung geblieben ist, dieser junge Künstler und Krieger lebt fort in dem Schwung meiner Seele, in dem Verhängniß meiner Organisation, in den Zügen meines Gesichtes. Mein Wesen ist ein zwar abgeschwächter, doch ziemlich vollständiger Wiederschein des seinigen. Aber durch die Verhältnisse, in denen ich gelebt habe, sind manche Veränderungen desselben herbeigeführt. Meine Fehler sind also nicht sein Werk allein, aber meine Eigenschaften sind ein Erbtheil, das er mir hinterlassen hat. Mein äußeres Leben ist von dem seinigen eben so verschieden gewesen, als der Zeitabschnitt, in der es sich entwickelt hat, von der Epoche seines Daseins war — wäre ich aber ein Mann und hätte ich 25 Jahre früher gelebt, so bin ich überzeugt, daß ich in allen Dingen gefühlt und gehandelt haben würde, wie mein Vater. [Wenn wir von der Vergangenheit sprechen, drängen sich unwillkürlich mancherlei Reflexionen aus unserer Feder hervor. Wir vergleichen die Vergangenheit mit der Gegenwart und diese Gegenwart, der Augenblick, in welchem wir schreiben, ist schon Vergangenheit für die, welche uns nach einigen Jahren lesen. Auch die Zukunft faßt der Schriftsteller zuweilen in's Auge, und wenn sein Werk erscheint, sind seine Vorhersagungen bereits erfüllt oder widerlegt. Ich habe an diesen Reflexionen und Vorhersagungen nichts ändern mögen, weil ich glaube, daß sie zu meiner Geschichte eben so gut gehören, wie zur Geschichte Aller — und so werde ich mich darauf beschränken, die Zeit ihrer Entstehung dabei zu bemerken.]
Welche Pläne meine Großmutter in den Jahren 97 und 98 für die Zukunft ihres Sohnes hatte, weiß ich nicht, aber ich vermuthe, daß sie sich darüber ganz im Unklaren befand, und daß es so mit der Zukunft aller jungen Leute eines gewissen Standes war. Jede Laufbahn, die unter Ludwig XVI. durch Gunst erschlossen wurde, war unter Barras durch Intrigue zugänglich. Nur die Persönlichkeiten waren in der Beziehung anders geworden, und so hatte mein Vater eigentlich nur zu wählen zwischen dem Leben im Felde und dem am häuslichen Herde. Seine Wahl würde nicht zweifelhaft gewesen sein, aber bei meiner Großmutter war seit 1793 eine sehr begreifliche Reaktion gegen die Verfügungen und Leiter der Revolution eingetreten.
Wunderbarer Weise war indessen ihr Glaube an die philosophischen Ideen, welche die Revolution hervorgebracht hatten, nicht erschüttert und im Jahre 97 schrieb sie an Heckel einen vortrefflichen Brief, den ich gefunden habe und hier mittheile.