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III. Der Gegenstand der Planung
Оглавление[Das Unbehagen an der Stadt] Die große Wanderung vom Lande in die Stadt, die in vielen Ländern Mittel- und Westeuropas im frühen 19. Jahrhundert einsetzt, löst schon bald besorgte und warnende Stimmen aus. Liegt in Riehls Worten, Europa werde krank an der Größe seiner großen Städte, eine Skepsis gegenüber der gesamten Entwicklung, so richtet sich die Kritik anderer zunächst gegen Teilaspekte: anfangs gilt der Kampf dem Wohnungselend, das im Gefolge des Stadtwachstums heraufzieht, dann wird die Forderung laut, Freiflächen als Gegengewicht gegen die zunehmende Versteinerung der Städte zu erhalten, endlich werden die Häßlichkeit und die Unordnung der Städte gebrandmarkt. Kurz vor dem ersten Weltkriege beginnt sich die Kritik auf das funktionelle Gebiet zu verlagern, das in den zwanziger Jahren in den Vordergrund des Interesses rückt: Die Stadt sei ein Arbeitswerkzeug, das seinen Dienst nicht mehr tue.34
Daneben aber wird immer wieder ein Unbehagen an der Stadt spürbar, dessen Wurzeln tiefer reichen. Während in den Vereinigten Staaten die Stadt schon seit Jefferson als suspekt gilt, beginnt man im Laufe des 19. Jahrhunderts auch in Europa die unübersehbaren Menschenhäufungen der Städte mit den ihnen innewohnenden sozialen Gegensätzen als unheimlich, als unheilschwanger zu empfinden. Schinkels Brief aus England zeigt dies ebenso wie die erwähnten dichterischen Aussagen, denen sich viele weitere bis in unsere Zeit hinein anfügen ließen. Vielfach wird dem Dichter das Bild der Stadt zu einer Metapher für die ungelöste soziale Problematik, die sich darin ausspricht. Auch die Städtebauer setzen sich mit dieser Erscheinung auseinander: So schreibt Schwarz von den Städten, „frühzeitig verworfen von den Dichtern des Volks, waren sie geistig schon lange überwunden …“35, während Hudnut sie vor der „Verschwörung der Dichter gegen die Stadt“ in Schutz nimmt, die die Weltliteratur beherrsche.36
Aber wenn es eine Verschwörung gibt, so reicht sie weit hinein in die Reihen der Fachleute. Auch von ihrer Seite wird um die Jahrhundertwende der Ruf laut nach einem neuen Ideal; die Gartenstadtbewegung ist ebenso eine Antwort darauf wie Tessenows Bekenntnis zu „Handwerk und Kleinstadt“.37 Die Großstadt als dem Menschen angemessene Umwelt wird in Frage gestellt; sie soll nicht durch Behebung einzelner Mängel erträglicher gemacht, sondern überwunden werden. Die Diskussion um dieses Problem bestimmt seither – wenn auch mit gelegentlichem Wechsel des Schwerpunktes – die städtebauliche Situation. Biologische und medizinische, psychologische, soziale und politische Argumente vom Volkstod bis zur Vermassung macht man gegen die Großstadt geltend; zu ihrer Verteidigung werden ihre wirtschaftlichen und kulturellen Vorzüge ins Feld geführt, aber auch ihre reale Anziehungskraft, wie sie das Zurückfluten der Bevölkerung in die zerstörten deutschen Städte der Nachkriegszeit erweist. So scheint die Entwicklung nicht auf die radikale Lösung, die Abschaffung der Großstadt hinzudeuten, die immer wieder zum Gegenstand von Programmen und Visionen wird, sondern auf ihre evolutionäre Umwandlung durch Größenbegrenzung, Gliederung und Auflockerung – durch „Humanisierung“.
[Die Umformung der Stadt] Die Lenkung der Bevölkerungsentwicklung mit dem Ziel einer Größenbegrenzung der Stadt wird schon im 19. Jahrhundert gelegentlich als erwünscht bezeichnet, doch sind im Zeitalter des Laissez-faire weder die Mittel noch die innere Rechtfertigung zu solcher Einflußnahme gegeben. Auch in der Folgezeit bleiben die rechtlichen Möglichkeiten für eine derartige Lenkung wegen ihrer unausbleiblichen Kollision mit dem demokratischen Freiheitsbegriff beschränkt.
Diesem Streben nach einer Begrenzung der Stadtentwicklung verwandt ist das Bemühen, durch Gliederung des Stadtkörpers zu kleineren, überschaubaren Elementen zu gelangen, die gleichsam die Bausteine des Ganzen darstellen, ohne daß ihre Anzahl begrenzt sein müßte. Henrici bereitet dieser Tendenz mit ästhetischen Argumenten den Weg, später treten funktionelle und sozialpolitische hinzu. Um die Jahrhundertwende taucht der Begriff der Dezentralisation auf, der nicht immer ganz eindeutig gegen den der Gliederung abzugrenzen ist; die Vorschläge für die Formen, in denen eine solche Neuordnung sich vollziehen kann, reichen von einer hierarchischen Ordnung verschiedenartiger Zellen bis zu einer lockeren Gruppierung einzelner gleichberechtigter Siedlungselemente, von der Schaffung neuer Agglomerationskerne zur Entlastung der alten bis zur vollständigen Auflösung der Stadt in eine „bebaute Landschaft“.
Mit dem Streben nach Auflockerung verbindet sich häufig ein bestimmtes Ideal der Lebensform in dieser neugeordneten Stadt mit ihrer geringeren Wohndichte, ihren kürzeren Arbeitswegen und ihrer Naturverbundenheit. Hier soll auch der Arbeiter sein Haus und seinen Garten haben, und aus dieser engen Verbindung des Städters mit dem Boden sollen die Freude an seiner Umwelt, eine gesündere Lebensweise, eine Verringerung der Krisenanfälligkeit, eine Stärkung des Willens zur Familie, eine Förderung der inneren Unabhängigkeit erwachsen – ästhetischer, hygienischer, wirtschaftlicher, bevölkerungspolitischer und psychischer Gewinn. Je nach dem Blickpunkt des Befürworters wechseln Gruppierung und Rangordnung dieser Aspekte; vielfach tritt – mehr oder minder klar ausgesprochen – der rein politische hinzu: wer so wohnt, wird weniger zu politischer Labilität und zu Radikalismus neigen als der Mietskaserneninsasse.
Parallel damit vollzieht sich eine Hinwendung zur Natur: gelingen im 19. Jahrhundert zunächst nur begrenzte Einbrüche in die Konzeption der kompakten steinernen Stadt, so wird um die Jahrhundertwende die Schaffung eines die Stadt durchziehenden Parksystems, später die Hereinführung der Natur in die Stadt, endlich das Aufgehen der Stadt in der Landschaft, ihre Einbettung in die Natur gefordert.38
[Die Weitung des Blickfeldes] Im Zuge dieser Entwicklung muß folgerichtig auch das Verhältnis von Stadt und Land neu durchdacht werden. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ist eine Tendenz zu verfolgen, die auf eine Durchdringung von Stadt und Land bis zum Extrem der vollständigen Aufhebung dieser jahrtausendealten Polarität zielt – eine Tendenz, die in den Utopien von Morris und Wells ebenso zum Ausdruck kommt wie in einer Reihe städtebaulicher Fachschriften. Howard will „Stadt und Land in einer neuen Lebensform vermählen“, Martin Wagner prägt den Begriff der „Stadt-Land-Stadt“ und Wrights „Broadacre City“ nutzt zwar die Mittel und Möglichkeiten moderner Technik, fußt aber auf der alten amerikanisch-puritanischen Auffassung, daß die Mannestugenden nur auf dem Lande gedeihen könnten.
Andererseits werden ästhetische und psychologische Argumente für die Erhaltung des Unterschiedes von Stadt und Land geltend gemacht: die Stadt als Menschenwerk soll klar von der Natur abgegrenzt, die Spannung zwischen beiden Umweltformen bewahrt werden zum Wohle ihrer Bewohner, die gelegentlich des ausgleichenden Einflusses der fremden Umgebung bedürften. Darüber hinaus befürchten manche von der zu weitgehenden Auflösung der Stadt den Verlust der spezifisch urbanen Werte, die dem sozialen Leben der Stadt – im Gegensatz zu dem des Dorfes oder der Vorstadt – eigentümlich sind.
Diese Fragen leiten über zur Landesplanung, insbesondere zur Regionalplanung mit ihrem Blick auf begrenzte Landschaftsräume, die in sich soziologisch und wirtschaftlich zusammengehören. Die Planung ist dabei, genau genommen, nur ein Aspekt des Denkens in solchen Landschaftsräumen, das in den angelsächsischen Ländern „regionalism“ heißt und für das es ein adäquates und gebräuchliches Wort im Deutschen noch nicht gibt. Wenn die Franzosen auch die Prägung dieses Begriffes für sich in Anspruch nehmen39, so hat doch wohl der Schotte Geddes den Hauptanteil an der Entwicklung des Planens im regionalen Zusammenhange. Was auf diesem Gebiete verwirklicht wird, entsteht allerdings zunächst meist unter dem Druck administrativer und wirtschaftlicher Unzuträglichkeiten bei der beziehungslosen Planung benachbarter Räume, während die Zielsetzung bei den überzeugten Verfechtern der Regionalplanung weit über die Behebung solcher Mängel hinausgeht. Sie erwarten von der konsequenten Verfolgung des „Regionalismus“ schließlich auch in politischer Hinsicht einen Gewinn: die überholte Nationalitätenzwietracht soll einem friedlichen Nebeneinanderleben der Regionen weichen40.
In alledem zeigt sich eine fortschreitende Erweiterung des Blickfeldes, bis die gesamte Umwelt zum Arbeitsfeld des Planers wird. Der Bereich bewußten menschlichen Planens, früher gleichsam eine Lichtung im Urwald des Gewachsenen, beschränkt sich im 19. Jahrhundert auf die Stadterweiterung, auf die unmittelbar vor Augen liegende Aufgabe, „neue Wohnungen zu schaffen und den Verkehr zu erleichtern“.41 Erst um die Jahrhundertwende werden die Auswirkungen solcher Erweiterung auf die Stadt als Ganzes erkannt und damit der Ausgangspunkt jener Entwicklung erreicht, die Schumacher unter dem Titel „Vom Städtebau zur Landesplanung“ analysiert. Heute jedoch wird die Aufgabe so umfassend gesehen, daß auch der Begriff der Landesplanung ihr nicht mehr ganz gerecht zu werden scheint; treffend kennzeichnet Schuster sie mit den Worten, es handele sich um die sinnvolle, menschenwürdige Ordnung, Um- und Neugestaltung unserer Lebensräume überhaupt in Stadt und Land.42