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V. Auftrag und Bauherr der Planung

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[Die Problemstellung] In den bisherigen Ausführungen ist mehrfach eine Frage gestreift worden, die einer eingehenderen Untersuchung bedarf: die Frage nach dem Bauherrn, nach dem Auftrag der Planung. Im Zusammenhang damit müßten Herkunft und Gültigkeit der Maßstäbe geklärt werden, mit denen das städtebauliche Ziel bezeichnet und die Leistung bewertet werden kann. Je umfassender die Aufgaben des Städtebaues gesehen werden, um so schwieriger scheint die Antwort auf diese Fragen zu werden. Mag man die Auffassung, Städtebau sei Lebensbau, anerkennen, mag man in ihm den „schöpferischen Weg zur guten Gemeinschaft“72 sehen oder nicht, mag man also das städtebauliche Wirken als führend oder dienend ansehen: seine soziale Bedeutung ist unbestritten. Darum wird der Städtebauer ein Leitbild, eine Vorstellung des Lebens und der Gemeinschaft sein eigen nennen müssen, um sein Handeln mit Sinn erfüllen zu können.

Es müßte also zunächst geklärt werden, wie die dem Menschen angemessene Umgebung aussieht, die zu schaffen der Planer bestrebt sein soll. Der Arzt und Biologe Carrel sagt dazu: „Wir wissen noch nicht einmal, welche Umwelt für die Höchstentwicklung des Kulturmenschen am günstigsten ist.“73 Und nicht genug damit; die Frage müßte noch weiter gefaßt werden: Wie sieht das Bild der Gesellschaft aus, für die unsere Planung den Rahmen setzen soll? Wer entwirft es, wer entscheidet, was gut und schlecht – mehr noch, was gut und böse ist?

Man sollte meinen, daß dieser Problemkomplex in einer Zeit, in der die technischen Mittel für die Formung der menschlichen Umgebung aufs höchste entwickelt sind, die Diskussion über Planungsfragen beherrscht. Das Gegenteil ist der Fall: er tritt völlig zurück hinter Auseinandersetzungen um technische Einzelheiten, deren Zusammenhang mit tieferen Strömungen nur selten erkennbar wird. Um so wichtiger ist es, diese Strömungen und die aus ihnen sich ergebenden Wertmaßstäbe bewußt und faßbar zu machen. Ansätze dazu finden sich jedoch auch in der Fachliteratur nur vereinzelt, und nicht umsonst stellt Max Frisch in den Mittelpunkt seines Hörspiels „Der Laie und die Architektur“ die Frage an den Planer: „Nach welchen Gesichtspunkten planen Sie?“74

Wie würde die Antwort lauten, wenn diese Frage an die Männer gerichtet würde, die heute in Architektur und Städtebau von sich reden machen? Sicher besitzen sie ein Leitbild des Menschen und der Gesellschaft als Grundlage ihrer Arbeit – aber kann es Anspruch auf Verbindlichkeit erheben?

Betrachten wir im Hinblick auf diese Frage Frank Lloyd Wrights „Broadacre City“. Diese „Stadt die ein Land ist“, bedeutet die Auflösung dessen, was man bisher Stadt nannte, bedeutet die Rückkehr des Menschen „zu seinem Geburtsrecht, der guten Erde“.75 Aber wollen die Menschen wirklich so leben: weit verstreut über die Landschaft, jede Familie mit einem bis zwei Hektar Acker- und Gartenland um sich her? Das scheint für Wright nicht entscheidend zu sein; er urteilt als Moralist: sie sollen so leben, denn es ist gut für sie.

Le Corbusiers städtebauliche Konzeption sieht anders aus: Erhöhung der Wohndichte, Massierung der Bevölkerung in Hochhäusern, dadurch Gewinn großer Freiflächen als Parks. Ist es gut für die Menschen, so zu leben? Sicherlich ist Le Corbusier davon überzeugt – aber wenn wir lesen, wie er seine rauschhafte Begeisterung über das wimmelnde Leben der Stadt, die Urgewalt des technisierten Verkehrs ausdrückt, oder wenn er eines der Kapitel seines Buches unter das Motto stellt „Die Stadt der Geschwindigkeit ist die Stadt des Erfolges“,76 so drängen sich doch einige Zweifel an der Gültigkeit seiner Maßstäbe auf.

[Anforderungen an den Planer] Aus dem Vorangegangenen ergibt sich die Frage: Ist der Architekt, der Städtebauer berechtigt und in der Lage, die Maßstäbe zu setzen, nach denen er die Umgebung für den Menschen, den Rahmen für die Gesellschaft von morgen formt?

Prüft man unter diesem Gesichtspunkt die Anforderungen, die im Laufe der letzten hundert Jahre an den Städtebauer gestellt worden sind, so findet man zunächst eine Fülle von Zeugnissen, die sich mit der Vereinigung technischer, wissenschaftlicher und künstlerischer Befähigung befassen, wobei der Schwerpunkt je nach dem Blickwinkel des Beurteilenden wechselt. Dagegen sieht die Gräfin Dohna 1874 die entscheidende Voraussetzung für die Aufstellung eines guten Planes in der Gesinnung seines Urhebers; Gurlitts Äußerung, der Städtebauer müsse vor allem den Wert der Dinge zu wägen wissen, findet eine Ergänzung in Schumachers Forderung, er müsse einen angeborenen Blick für menschliche Lebenszusammenhänge haben.77 Diese und ähnliche Aussagen deuten an, daß der Planer sich nicht in der Rolle eines Technikers ohne eigene Initiative sieht, sondern daß er seinen Auftrag selbst zu interpretieren gedenkt. Ganz klar drückt sich dieser Anspruch in Fischers Worten aus, dem Architekten vor allem stehe die Aufgabe zu, die auseinanderfallende Kultur zusammenzufassen,78 und noch weiter geht Wright, wenn er die Frage nach dem Wesen des Architekten dahingehend beantwortet:

„Man erwarte von ihm ein philosophisches und ethisches System, das eine Synthese von Gesellschaft und Kultur darstellt.“79

Für Wright ist der schöpferische Künstler

„in seiner Person mehr Gesellschaft als die Gesellschaft selbst … Er … ist der geborene Interpret in jeglicher gesellschaftlichen Ordnung, die sich die Menschen wählen.“80

Zwar sprechen hier Architekten und Städtebauer in eigener Sache, aber auch der Kunsthistoriker Giedion fordert vom Architekten und Planer „soziale Imagination“ und weist ihm die Pflicht zu, „das heutige Leben – the way of life –“ mitformen zu helfen und „die unbewußt im heutigen Menschen schlummernden Wünsche bewußt zu machen, bis sie ihm zum Bedürfnis werden“.81

Hier soll nicht die Berechtigung dieses Standpunktes untersucht, sondern der Stand der Diskussion geklärt werden. Wird dem Städtebauer das Recht streitig gemacht, das Bild der optimalen menschlichen Umwelt selbst zu entwerfen, so muß eine Alternativlösung geboten, eine Instanz gezeigt werden, an die er sich zu halten hat. Es müßte einen Bauherrn geben, der die Richtlinien festlegt.

[Planung und Öffentlichkeit] Im Rahmen einer demokratischen Gesellschaftsordnung bietet sich die Antwort auf die Frage nach dem Bauherrn ganz selbstverständlich an: die Gesellschaft selbst ist der Bauherr. Voraussetzung für ein fruchtbares Verhältnis zwischen dem Bauherrn und seinem Planer wäre allerdings, daß die Beziehungen zwischen Planung und Öffentlichkeit feste Formen annehmen.

Am meisten Arbeit in dieser Hinsicht ist in den Vereinigten Staaten geleistet worden, wo sich schon die City-Beautiful-Bewegung um die Jahrhundertwende stark auf den Appell an die Öffentlichkeit stützte. Burnhams Plan für Chicago hat nur noch historischen Wert, aber seine Parole ist lebendig geblieben: „Macht keine kleinen Pläne; ihnen fehlt der Zauber, der das Blut der Menschen in Wallung bringt …“82 In Europa kann in erster Linie England auf ähnliche Bemühungen hinweisen; die Früchte dieser beständigen Arbeit über Jahrzehnte hinweg sind die Städtebaugesetze der vierziger Jahre. In der deutschen Fachliteratur dagegen wird man nur ganz vereinzelt Hinweise auf die Beziehung zur Öffentlichkeit finden; Heiligenthal macht zwar einige Vorschläge in dieser Richtung, aber erst in den letzten Jahren wird dem ganzen Fragenkomplex stärkere Beachtung geschenkt.

Bei alledem handelt es sich im Grunde um eine einseitige Beziehung vom Planer zur Öffentlichkeit, um Unterrichtung mit dem Ziel, Verständnis für die Bemühungen der Fachleute zu wecken. Die Öffentlichkeit wird belehrt; die Möglichkeit, sie darüber hinaus als Autorität anzurufen, wird kaum gesehen, geschweige denn verwirklicht. Zweifellos liegen hier erhebliche Schwierigkeiten, die selbst in den Vereinigten Staaten mit ihrer langen demokratischen Tradition nicht restlos gemeistert sind: Während Saarinen die Planung dem Einfluß von „Spekulanten, Politikern und Drahtziehern aller Art“83 entziehen will, fordert Hudnut geradezu die Einbeziehung von Planungsfragen in die erhitzte Atmosphäre des Wahlkampfes. Der lebendigen Anteilnahme der Öffentlichkeit opfert er gern die Kontinuität der Planung –

„und sollte es einmal geschehen, daß das Volk der guten Planung eine schlechte vorzieht, dann soll es sie in Gottes Namen haben.“84

[Die Rolle der Wissenschaft] Vielleicht sind es die Bedenken dagegen, die Planung ganz unter die Herrschaft einer von Tageseinflüssen allzu abhängigen politischen Meinungsbildung zu stellen, die eine Schweizer Studiengruppe zur Wahl einer anderen Instanz bestimmt haben: sie befragte vier lebenserfahrene Männer – je einen katholischen und protestantischen Theologen, einen Staatsrechtler und einen Hygieniker – nach ihrer Auffassung von der optimalen menschlichen Umwelt, um daraus die Richtlinien für die Planung abzuleiten.85

Mag diese Auswahl auch willkürlich erscheinen, so deutet sie doch eine Richtung an, deren Verfolgung naheliegt und aussichtsreich erscheint: die Richtung auf eine wissenschaftliche Durchdringung der Fragestellung von verschiedenen Blickpunkten aus. Bei der Schaffung der Planungsgrundlagen und bei der Aufstellung und Durchführung der Planung selbst haben Wissenschaft und Gemeinschaftsarbeit seit langem eine wichtige Rolle gespielt: können sie auch bei der dazwischenliegenden Stufe helfen, bei der Formung eines Leitbildes, das den Maßstab liefert für die Bewertung des Gegebenen und für die Zielsetzung?

Damit stellt sich die Frage nach einer Wissenschaft vom Menschen, die über das heutige planerische Fachwissen weit hinausgreift, einer Anthropologie, die – in den Worten Carrels

„über Analyse und Synthese zugleich zu einer Auffassung vom einzelnen Menschen gelangen (muß), die vollständig und dabei einfach genug ist, daß sie unserem praktischen Handeln als Grundlage dienen kann.“86

Der Arzt und Biologe fordert hier das gleiche, was auch der Städtebauer erstreben muß, wenn ihm an einer klaren und zuverlässigen Richtschnur für sein Handeln gelegen ist. Die Bemühungen des Planers um eine Annäherung an dieses Ziel, sein Streben nach einer umfassenden Schau des Menschen und der Gesellschaft, sind unverkennbar. So versagt Sert – selbst Architekt und Städtebauer – dem Planer das Recht, die Bedürfnisse des Menschen und die ihm angemessene Umwelt zu bestimmen, und fordert von ihm Zusammenarbeit mit Soziologen, Hygienikern, Ärzten, Pädagogen und anderen mit dem Ziel, ein dem Menschen gemäßes städtebauliches Programm zu formulieren;87 Neutras Ruf nach einem Planungsbeirat unter Vorsitz eines Biologen entspringt ähnlichen Überlegungen.88

Seit der Mensch als Gemeinschaftswesen in den Mittelpunkt des städtebaulichen Interesses gerückt ist, bahnen sich – vor allem in den angelsächsischen Ländern – engere Verbindungen zwischen Soziologie und Planung an. Auch in der deutschen Literatur finden sich schon frühzeitig einzelne Hinweise auf diese Beziehung, doch steckt die Zusammenarbeit erst in den Anfängen. Stöckli charakterisiert eher die Entwicklungstendenz als den tatsächlichen Stand der Dinge, wenn er 1954 schreibt:

„Die Soziologie verdrängt das technische Fachwissen vom Städtebau, dem man im letzten Jahrhundert, allen Einwendungen der Sozialreformer zum Trotz, den Vorrang bei den städtebaulichen Überlegungen zuerkannte. Die Stadt ist jetzt für uns Moderne nicht mehr in erster Linie ein technisches, sondern ein soziologisches und geistiges Problem.“89

Allerdings werden hier die Soziologie und die Sozialreformer im gleichen Atemzuge genannt und damit Schwierigkeiten verdeckt, die sich aus der Natur der Soziologie als beschreibender Wissenschaft ergeben. Sie beschäftigt sich mit dem, was ist, nicht mit dem, was sein soll, und weist daher, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, kaum sozialreformerische Züge auf. Die Annäherung von Soziologie und Planung vollzieht sich also nicht auf der Grundlage eines gemeinsamen Reformstrebens; vielmehr wird sogar in Amerika der soziologiebeflissene Planer vom Soziologen mit Mißtrauen beobachtet und muß den Vorwurf des Hantierens mit pseudo-soziologischen Begriffen hinnehmen.90 Nicht einmal die Möglichkeit eines Beitrages der Soziologie zur Planung erscheint völlig unbestritten. Auch dort, wo den planerischen Bemühungen Sympathie entgegengebracht wird, findet sich nur vereinzelt eine Weisung von soziologischer Seite, die der Planung als Richtschnur dienen könnte. Aber selbst wenn die Soziologie dem Planer nur Tatsachen vermittelt und es ihm überläßt, danach sein Handeln einzurichten, liegt darin noch eine Fülle von Möglichkeiten beschlossen, und verständlicherweise sieht darum v. Wiese 1933 gerade in dem Gebiet, das Siedlungskunde und Soziologie verknüpft, hoffnungsvolles Zukunftsland.91

Wollte die Soziologie vollständig in die Rolle des Bauherrn für die Planung eintreten, so würde das ihre Ausweitung zu einer normensetzenden Wissenschaft bedeuten. Daß eine solche Konsequenz in der Tat gesehen wird, zeigt die Forderung von Evans-Pritchard:

„Der Soziologe müßte auch Moralphilosoph sein und als solcher eine Anzahl ganz bestimmter Überzeugungen und Wertmaßstäbe haben, nach denen er die Tatsachen bewertet, die er als Soziologe erforscht.“92

Noch einen Schritt weiter geht E. M. Adams in einer Untersuchung über die „Logik der Planung“, in der er eine neue objektive Disziplin, die der Sozialplanung, fordert; in ihr soll „ethische Wahrheit“ das Hauptinteresse des Sozialplaners sein.93

Eine letzte Frage sei angedeutet: ob eine solche Entwicklung nicht auch ihre Gefahren in sich berge – daß etwa die Soziologie mit dem Ruf nach einer verbindlichen Weisung überfordert würde, daß ihre Normen zu einer Erstarrung führen könnten, die der lebendigen und freiheitlichen Entwicklung Fesseln anlege. Man braucht nicht gleich an die düsteren Utopien unserer Zeit zu denken, um hier Sorge vor einer Tendenz zu empfinden, die den Menschen zum Gegenstand der Planung machen könnte.

Gerd Albers

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