Читать книгу Die hohle Schlange, das Labyrinth und die schrecklichen Mönche von Bresel - Gerhard Gemke - Страница 10

Ein bunter Hund

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Am Freitag, dem 20. Juni war es dann soweit. Die Burg hallte wider von Tusnelda Gekeife.

Was dieser Kerl sich einbildet!

Die restlichen Burgbewohner verkrochen sich in ihre Zimmer. Jeder wusste, dass Oskar Sievers gemeint war.

„Wenn man solchen Leuten den kleinen Finger reicht!“, zeterte die Baronin. Und dass er sich unterstehen solle, in den Archiven herumzuschnüffeln! Die alten Pläne der Festung einsehen, wolle der Schrat, die, wie jeder wusste, sorgfältig verschlossen in Tusneldas Arbeitszimmer lagerten. Und dann noch – und das war der Gipfel! – diesen Herrn Zuffhausen anschleppen. Vom Breselner Historischen Museum.

„Nein, nein und nochmals nein!“, schrammte Tusneldas Stimme durch die Gänge, dass Baron Eduard schließlich nach Bresel flüchtete. Jo verdrückte sich in die Küche und sah Emma bei ihren Vorbereitungen für das Mittagessen zu. Bis hierher drang das Gekreische.

Die treuherzige Emma schüttelte wieder und wieder erschrocken die Locken und murmelte ihr: „Ogottogott! Warum lässt sie bloß den alten Mann nicht an die Bücher?“

Jo zog den Finger aus der Bratensoße und betrachtete die dicke dunkle Pampe. Genau das war die Frage. Emma hatte völlig Recht. Erst bestellte Tusnelda den wortkargen Heimatforscher auf die Burg und schickte ihn in die Verliese. Um tourismustaugliche Stollen und Höhlen zu finden. Angeblich. Und plötzlich war er unerwünscht. Von Jetzt auf Gleich. Auf einmal war Oskar der Baronin lästig. So sehr, dass sie ihn so schnell wie möglich loswerden wollte. Irgendetwas musste doch zwischen den beiden vorgefallen sein. Jedenfalls mehr, als bloß der Wunsch nach verstaubten Burgplänen.

Jo dachte an den Zusammenstoß in den Verliesen. Hatte Oskar der Baronin etwas gezeigt, was die so auf hundertachtzig brachte? Hatte Oskar Forderungen gestellt? Geldforderungen? Unvorstellbar. Oder hatte er ihr gedroht?

Jo schüttelte den Kopf. Mit was sollte ein Oskar Sievers der Herrin auf Knittelstein drohen? Vermutlich war die Erklärung ganz schlicht. Aus Tusneldas Ungeduld und Oskars brummeliger Gemütsruhe hatte sich ein vulkanisches Gemisch zusammengebraut, das jetzt Tusnelda zum Kochen brachte. Man konnte nur abwarten und hoffen, dass ihre Wut sich verbrauchte.

Tatsächlich kühlte in den folgenden Tagen der Zorn der Baronin wieder ab. Langsam zwar, aber immerhin so weit, dass er das gewohnte Maß erreichte. Fast kehrte sogar so etwas wie eine entspannte Ruhe auf Knittelstein ein. Jo traute ihr keine Sekunde.

Der Sommer kündigte sich an. Der Breselwald stand in vollem Laub und raschelte vor Fußvolk, das in seinem Schatten Erholung suchte. Bald würden täglich hunderte von Touristen den Burgberg hochkraxeln. Oskar Sievers tauchte in dieser Zeit immer seltener auf. Und wenn, dann konnte man mit Tusneldas Blicken die Südsee vereisen. Auf einmal war auch keine Rede mehr von touristisch erschlossenen Stollen. Die Baronin ging Oskar stets aus dem Weg, und wenn der alte Mann einen Besuch bei ihr anmelden wollte, ließ sie sich verleugnen. Fast hatte Jo den Eindruck, Tusnelda fürchtete sich vor Oskar. Was natürlich Unsinn war, wie sie sich selbst auf der Stelle korrigierte.

Am Donnerstag, dem 26. Juni fauchte Baronin Tusnelda ihren Gatten mit solcher Liebenswürdigkeit an, dass dieser sich ohne ein Wort in sein Büro zurückzog.

Dass es den werten Herrn Baron einen feuchten Kehricht anginge, warum sie zum Kloster müsse. Sie brauche halt den Wagen, und der Herr Baron könne ja den Bus nehmen, wenn er so dringend in die Stadt wolle.

Rumms knallte die Bürotür. Rumms knallte bald darauf ebenso laut die Fahrertür des Knittelsteiner Volvos, und Jo sah die altersschwache Karre den Hof verlassen.

Wie lang geht das wohl noch gut?, dachte sie. Zwischen den beiden. Und überhaupt.

Das Kloster Sankt Florian in Bresel war alt. Vermutlich sogar älter als die Burg. Es hatte glanzvolle Zeiten gesehen. Es diente in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges als Soldatenunterkunft und wurde 1832 von Heinrich II. von Kalkstein und Breselberg zur Zweitwohnung ausgebaut. Mit einem großzügig angelegten Schwimmbad im Keller. Ende des 19. Jahrhunderts erlebte das Kloster eine neue Blüte als Stammsitz der Florian-Mönche. Doch jetzt, weitere einhundert Jahre später, war der Niedergang nicht mehr aufzuhalten. Nachwuchssorgen und Geldmangel beschleunigten den Verfall des Ordenslebens, sowie des Gebäudes.

In diesem Jahr war die Stimmung in Sankt Florian besonders schlecht. Der Schlendrian hielt unaufhaltsam Einzug. Die gerade mal sechs verbliebenen Mönche schafften es kaum noch, einen anständigen Klosterbetrieb auf die Beine zu stellen. Es fehlte an allen Enden und besonders am Geld. Das Dach war löchrig, und niemand kletterte hinauf; der Keller vermoderte, doch Kellermeister Bruder Klumpp stieg bloß noch zum Rauchen hinunter. Eine Gewohnheit, von der er nicht lassen mochte, und die die Mitbrüder nur im Kartoffelkeller duldeten. Mit der Folge übrigens, dass manche Gäste von dem eigentümlich rauchigen Geschmack der Kartoffelgerichte schwärmten, die Bruder Schorff, der Koch, auf den Tisch zauberte. Doch auch die Gäste, deren Schmatzen in früheren Zeiten regelmäßig den Remter des Klosters erfüllt hatte, kamen immer seltener. Eigentlich gar nicht mehr.

Höchstens zu Ostern und Weihnachten schaute noch Sankt-Urban-Organist Hannes Bastian Bächle vorbei, entstaubte die wertvolle Orgel der Klosterkapelle und ließ sich dafür mit einem Kartoffelauflauf bewirten.

Da war es ein Glück, dass die Breselner Musikschule jedes Vierteljahr ein Konzert in der Aula veranstaltete. Dazu richteten die Schüler und Lehrer den ehrwürdigen Saal her, dessen Holzvertäfelung noch aus den Gründerjahren des Klosters stammte, und dessen wuchtige Gemälde die ersten Florian-Äbte darstellten. Heute Nachmittag erst hatten Freddie und Rubens Bogdanov die Fenster aufgerissen, und den Mief von drei Monaten gelüftet. Herr Bogdanov hatte den betagten Flügel für das Konzert am Wochenende so gut es noch ging gestimmt und dabei auf eine Art geflucht, die schon Extraklasse war. Freddie fand, dass Herr Bogdanov als Pianist kaum mehr drauf haben konnte. Für den bevorstehenden Auftritt hatte er sich mit seinem Klavierlehrer zu einer Generalprobe verabredet. Herr Bogdanov spazierte von einem Abt zum nächsten, während Freddie Gershwin donnerte. Es klappte eigentlich ganz locker.

Jedenfalls lockerer, als die restlichen anderthalb Stunden, die sie brauchten, um zu putzen, das Nötigste zu reparieren und die Aula einigermaßen besucherfreundlich wieder hinzukriegen. Wahrscheinlich war sie nun der ansehnlichste Ort im Kloster. Zwischendurch tauchte immer mal einer dieser schweigsamen Gesellen im Saal auf, sah sich flüchtig um und verschwand so wortlos, wie er gekommen war. Freddie glaubte, den Geschäftspartner vom alten Fritz wiedererkannt zu haben, den er vor Sankt Urban beobachtet hatte. Im Mai bei der Tausend-Jahr-Feier. Er war sich aber alles andere als sicher. Irgendwie sahen die Kerle alle gleich aus. Jedenfalls von weitem.

Als Freddie und sein Klavierlehrer gehen wollten, fegte Bruder Bramsch gerade mürrisch den Eingangsflur. Rubens Bogdanov probierte es mit ein paar freundlichen Worten, bekam aber kaum mehr als ein Grunzen zur Antwort. Schließlich war es Bogdanov leid.

„Bis Sonntag um zehn“, verabschiedete er sich, und sein gereizter Tonfall hätte auch zum Flügelstimmen gepasst. Ein schwaches Nicken begleitete ihn und Freddie zur Tür hinaus.

Draußen war es bereits dunkel. Vielleicht bemerkten die beiden deshalb nicht die Frau mit dem Kopftuch, die im Schatten eines Hauseingangs wartete. Als der lange Bogdanov und sein Schüler verschwunden waren, näherte sie sich der Klosterpforte.

Bruder Bramsch war soeben zur letzten Bodenfliese vorgedrungen. Eigentlich war es höchste Zeit für das Abendgebet. Da klopfte es. Bruder Bramsch schlurfte zur Tür und blickte durch das Gitterfenster in die Dämmerung. Ein Haarturm unter einem schwarzen Tuch wankte im Wind. Darunter blinzelten zwei schmale Augen.

Bruder Bramsch öffnete die Pforte. „Frau Baronin, was führt Sie denn her?“

Zwei Stunden später verließ Tusnelda wieder das Kloster. Es war nicht ihr erster Besuch gewesen. Doch so lange Zeit hatte seit Heinrich II. kein Knittelsteiner mehr in der Klause verbracht. Tusnelda leckte sich die Lippen. Ein köstliches Kartoffelgratin hatte sie serviert bekommen und erstaunliche Dinge über ihre Ahnen erfahren. Und nie zuvor hatte sie ein solches Schwimmbad gesehen. Bruder Bramsch hatte es sich nicht nehmen lassen, den hohen Gast persönlich durch die Kellergewölbe zu führen, ihr die prachtvollen freizügigen Deckengemälde zu zeigen und die unzähligen handbemalten Kacheln. Tusnelda war schwer beeindruckt. Erst recht, als Bramsch ihr von einer ganz speziellen Verbindung der Burg zum Kloster erzählte. Heinrich II. hatte sie graben lassen. 1832. Vom Schwimmbad bis zum Rutschenstollen des verrückten Aimo.

„Kommen Sie.“

Zögerlich folgte die Baronin dem Mönch durch eine Holztür, dann entlang einer Spur von Zigarettenkippen bis zu einer faulig riechenden Seitenkammer: dem Kartoffelkeller von Sankt Florian. Als sie den Kopf dort hineinsteckte und ihr von dem Geruch fast übel wurde, hatte sie die Lösung ihrer Probleme vor Augen.

Zurück im Bad schwadronierte Tusnelda zu aller Erstaunen von den künftigen engen Beziehungen zwischen Kloster und Knittelstein. Als schließlich Abt Florestan dadurch ermutigt darauf hinwies, dass in früheren Zeiten die Knittelsteiner das Kloster immer großzügig beschenkt hätten, kam das der Baronin gar nicht so ungelegen.

„Eine Hand wäscht die andere“, sagte sie und ließ ihren Blick von einer Kapuze zur nächsten wandern.

Am folgenden Montag reiste Tusnelda nach Augsburg. Zu einem Treffen mit ihrer Schwester Adelgunde, deren Mann Humbert und mit Humberts Chef. Diesem Aarne Sonstwas-mäki.

Vorher noch verabschiedete sie Oskar Sievers. Besser gesagt, sie schmiss ihn raus. Und das mit Paukenschlag! Jo musste den alten Forscher am Burgtor abpassen und in die Museumsräume bestellen. Dort ließ sich Tusnelda den Verliesschlüssel aushändigen und drückte Oskar zu Jos Verwunderung herzlich die rechte Hand. Mit ihrer eigenen Rechten. Oskar zuckte zusammen, als hätte er mit soviel Kraft der Baronin nicht gerechnet. Ärgerlich zog er den Arm zurück und knetete seine Hand.

„Ich krieg das noch raus!“, hörte Jo ihn schimpfen. „Das mit den Giftzwergen.“

„Sie?“ Tusnelda lachte das hässlichste Lachen, das Jo je gehört hatte. Ohne Oskar noch eines Blickes zu würdigen, rauschte sie davon. Die Tür knallte hinter ihr, dass das Visier von Raubritter Arnulf mit einem Scheppern zufiel.

Erschrocken drehte Jo sich um. Auch Oskar war verschwunden. Sie rannte zum Fenster. Der alte Mann schlurfte gebeugt über den Burghof. Es war das letzte Mal, dass Jo ihn sah.

Giftzwerge?, dachte Jo. Dazu fielen ihr eigentlich nur Kurt und Knut ein. Die konnte Oskar doch nicht gemeint haben. Oder hatte sie sich verhört?

Nach dem Mittagessen verkündete Tusnelda den versammelten Burgbewohnern, dass das Tourismus-Projekt auf unbestimmte Zeit verschoben würde. Der Herr Sievers habe sich als untauglich erwiesen, und überhaupt seien die Reste des Labyrinths für Besucher nicht geeignet.

Jo war wie vor den Kopf gestoßen. Das stimmt doch nicht, wollte sie widersprechen. Zumindest die drei Verliese waren doch bestens … aber Tusnelda ließ niemanden zu Wort kommen. Sie werde über Nacht in Augsburg bleiben, teilte sie ihrem Mann mit und verließ grußlos das Speisezimmer.

Baron Eduard hatte die ganze Zeit am Fenster gestanden, mit dem Rücken zu seiner Frau. Jetzt drehte er sich um und schaute seiner Tochter in die Augen. Und Jo sah die Trauer darin. Und auch die Angst. Langsam ging sie auf ihn zu und umarmte ihn.

Kaum jemand fand in dieser Nacht ruhigen Schlaf. Weder auf der Burg, noch in der Augsburger Villa, wo die Knittelsteiner Schwestern mit Humbert und Aarne Kyankalismäki seit Stunden um einen Punschkübel saßen. Aarne hatte dem süßen Gesöff bereits reichlich zugesprochen und erwartete für jeden seiner Trinksprüche schallendes Gelächter.

„Ach wie geht's im Leben rund,

sprach der Esel zu dem Ochs.

Bellt ein Hund maln wir ihn bunt

mit Lack von KyanTox.

Prost!“

Adelgunde und Humbert schmerzten schon die Wangenmuskeln. Tusnelda presste ihre Lippen zu steinharten Strichen. Dieser Kyankalismäki brachte sie mit seinem Frohsinn um. Die gute Laune war dann auch mit einem Schlag verflogen, als Aarne einen Filzstift zückte. In seinem Gesicht verteilte sich ein hämisches Grinsen, als er sich Burg-Knittelstein-in-Öl-auf-Leinwand näherte. Dem Bild, das Elvira Casaverde angeblich so schlecht restauriert hatte. Adelgunde schrie. Laut und schrill. Der fette Finne ließ den Stift wieder sinken. Das Grinsen blieb.

„Habt ihr übrigens toll wieder hingekriegt, den ollen Schinken“, röhrte er. Dann wurde sein Gesicht hart wie Presspappe. „Aber andere Dinge ganz und gar nicht!“

Er ließ sich in seinen Sessel zurückfallen. Jetzt war allen klar, dass der gemütliche Teil des Abends vorbei war.

„Mir blieb überhaupt nichts anderes übrig“, raunzte Aarne. „Da schlich auf einmal so ein Kontroletti von der Schrobendorfer Verwaltung in meiner Firma herum. Was sollte ich denn tun? Ich musste wohl oder übel zehn meiner Fässer an die Entsorgungsfirma liefern. Und das, meine Lieben, hat mich ein Vermögen gekostet.“ Er starrte Humbert in sein Schildkrötengesicht. „Die Frage ist nun, wem soll ich das vom Lohn abziehen? Etwa mir selbst?“

Humbert wusste vor Verlegenheit nicht wohin mit seinen Händen.

„Tja, wären keine mehr dagewesen …“

Aarnes Blicke suchten ein neues Opfer. Als nächstes bohrten sie sich in Tusneldas Pupillen.

„Ihr habt einen unfähigen Kerl ausgesucht!“, stach Aarne zu.

Aber Tusnelda war von anderem Kaliber als ihr Schwager. Ihre Augen verengten sich. „Das Problem ist längst gelöst“, flüsterte sie.

Aarnes Gesicht gefror zu Eis. „Ihr habt diesem Schnüffler hoffentlich nichts für seine … Forschungen gezahlt?“

„Der Herr Sievers wird nie wieder etwas erforschen!“

„Ach, wieso denn nicht?“, fuhr Adelgunde dazwischen.

Für den Bruchteil einer Sekunde flackerte es in Tusneldas Augen, dann hatte sich die Baronin wieder im Griff. Und sagte statt einer Antwort: „Es gibt noch einen anderen Weg.“

„Ach ja?“ Aarnes Spott war nicht zu überhören. Die Baronin verzog keine Miene. „Ich war bei Bruder Bramsch. Einem von diesen Florian-Mönchen.“

„Wirst du religiös?“

„Ich musste noch etwas bezahlen.“ Adelgunde holte schon wieder Luft, Tusnelda kam ihr zuvor. „Die haben da ein Schwimmbad.“

„Ich wusste gar nicht, dass du schwimmen kannst.“ Schwestern können so herzlich sein. Tusnelda sah eisern an ihr vorbei. Regungslos spielte sie ihre Trümpfe aus.

„Dieser Bramsch nahm mich mit in den Klosterkeller, in das Schwimmbad. Und wisst ihr, wer das gebaut hat?“

„Sie werden es uns gleich verraten.“ Aarne beugte sich langsam über den Tisch. Diese Frau, die nie über seine Witze lachte, wurde ihm allmählich unheimlich.

„Heinrich II. von Kalkstein und Breselberg“, sagte Tusnelda so beiläufig, als hätte sie Aarnes Neugier gar nicht bemerkt. Und ohne ihre Schwester anzuschauen: „Unser Urur-Großvater.“

Adelgunde grunzte. Wahrscheinlich erstaunt.

„Von diesem Schwimmbad führt ein Stollen zum Breselberg. Und der …“

Drei Augenpaare hingen an ihren Lippen. Tusnelda hatte Zeit.

„Nun sag schon!“ Adelgunde knickte immer zuerst ein.

„… der endet im Labyrinth!“

„Ein Gang vom Kloster zum Labyrinth?“ Aarne war kurz davor, zu begreifen. Tusnelda nickte kaum merklich.

„Sie haben es erfasst. Aimos Rutschenstollen zum Rathaus. Den unteren Teil gibt's tatsächlich. Mit einer Abzweigung zum Kloster.“

„Na und?“ Adelgunde begriff gar nichts.

„Breit und flach und gut begehbar.“

Aarne suchte ihre Augen. „Sie meinen …“

„Wir sollten zumindest darüber nachdenken.“

„Und die Mönche?“

Tusnelda spielte ihren letzten Trumph: „Brauchen dringend Geld.“

Für dreißig Sekunden war nur Adelgundes Schnaufen zu hören. Humbert fingerte nervös an seinem Punschglas, Aarne starrte regungslos wie eine Schlange auf die Baronin. Deren Blick wanderte über das Ölbild. Sie dachte an das riesige Portrait im Nebenzimmer der Knittelsteiner Bibliothek. Darauf ein Herr in mittelalterlicher Tracht, in der einen Hand eine Pergamentrolle, in der anderen Hammer und Zirkel. Chlodwig von Bremen. Der in Aimos Auftrag das Labyrinth im Breselberg gebaut hatte. Endlich war es von Nutzen.

Aarne hatte sich erhoben. Ganz dicht trat er an Tusnelda heran. „Fragen Sie“, sagte er leise. „Fragen Sie die Mönche.“

Und plötzlich zogen sich seine Mundwinkel ohne jede Vorwarnung wieder in die Breite. Er packte die Punschkelle, füllte die vier Gläser mit solchem Schwung, dass Adelgunde schon die Reinigungskosten für die Tischdecke überschlug, und schob jedem eines zu.

„Prost!“ Der Finne hob sein Glas, „Auf Sankt Florian!“, und leerte es in einem Zug. Dann ließ er sich zurück in den Sessel fallen und klopfte grölend auf seine Wampe. „Noch ist genug Platz in meiner Lagerhalle. Prost!“

Sein Gelächter quoll aus seinem breiten Fischmaul wie eine ölige Seifenblase und waberte hinaus in diese schreckliche Nacht.

31 Kilometer südwestlich saß Oskar Sievers allein auf einer Bank an den Breselner Fischteichen. Es war Neumond und längst nach Mitternacht. Ein böiger Wind jagte Wolkenfetzen über den Himmel. Nur selten blinkte Sternenlicht hindurch. Oskar lehnte sich erschöpft zurück und schloss die Augen. Es war sein siebzigster Geburtstag. Er hatte den Abend mit Elfriede verbracht. Sie waren zum Chinesen am Breselbergring gegangen, und nachher hatte sich Oskar wie jedes Jahr auf seine Bank verzogen. Mit ein paar Flaschen Breselbräu. Ihm war merkwürdig schwindelig. Und die zwei Stiche in seiner rechten Handfläche juckten.

Sankt Urban schlug Mitternacht. Mit einem Plopp öffnete Oskar eine neue Flasche und prostete dem Turm von Burg Knittelstein zu.

Sechs Stunden später fielen einem LKW-Fahrer bei dichtem Nebel die Augen zu. Sein Fahrzeug krachte in die Leitplanken der Breselner Südumgehung und überschlug sich. Innerhalb kürzester Zeit rasten siebzehn weitere Autos in die Unfallstelle.

Etwa zur selben Zeit hatte Martina Dall die übliche Morgenrunde mit ihrem Rauhaardackel beendet und entdeckte Oskar auf der Bank an den Fischteichen. Oskar hatte alle Viere von sich gestreckt. Sein Mund war weit geöffnet, die Zunge hing halb heraus, als ringe er noch nach Atem. Sie war tiefblau verfärbt. Beherzt setzte die resolute Frau Oskar aufrecht hin, schloss seinen Mund und schlug ihm ein paar mal kräftig auf die Wangen. Ohne Erfolg. Dann rief sie die Polizei.

Tusnelda hatte recht. Oskar würde nie wieder etwas erforschen.

Oskar Sievers war tot.

Die hohle Schlange, das Labyrinth und die schrecklichen Mönche von Bresel

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