Читать книгу Die hohle Schlange, das Labyrinth und die schrecklichen Mönche von Bresel - Gerhard Gemke - Страница 7

Oskar

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„Der schräge Oskar“, sagte Freddie. Er hatte das Fernglas auf die Friedhofsmauer gerichtet. Von dort stapfte ein Mann auf den Saum des Breselwaldes zu.

„Gib mal her.“ Jan kletterte einen Ast höher und nahm Freddie das Glas aus der Hand.

Im Geäst ihrer Lieblingseiche reckten sich gerade die ersten grünen Spitzen aus den Knospen. Es würde noch ein paar Wochen dauern, bis die freie Sicht auf die Fischteiche zugewachsen war.

Jan hielt das Fernglas vor die Augen. „Letzte Woche hätte ich Oskar fast zum Witwer gemacht.“

„Ja klar.“ Freddie war nicht sonderlich beeindruckt.

Jan breitete die Arme aus und begann mit dramatischer Stimme: Wie er um Haaresbreite in den stadtbekannten Kamelhaarmantel gerauscht wäre, und nur ein kühner Sprung in allerletzter Sekunde Oma Sievers vor der Pulverisierung gerettet hätte. Triumphierend blickte er durch die Zweige des Breselwaldes hinunter zum Friedhof, als erwartete er von dort donnernden Beifall. Freddie rollte die Augen, aber Jan war nicht zu bremsen.

„Und auch ich lebe noch!“, verjagte er mit schriller Stimme die Vögel aus den umliegenden Bäumen. „Denn so höre! Agathe die Schreckliche versucht, mich und meine gesamte Familie auszurotten!“ Und düster fügte er hinzu: „Mit Gift!“

Freddie lehnte den Kopf an den Eichenstamm und hielt sich die Ohren zu. Wie aus weiter Ferne vernahm er, dass es den Fesenfeld-Kindern unter Androhung strenger Strafen verboten war, den Keller zu betreten. Agathe die Schreckliche hatte dort Köder mit Rattengift ausgelegt, was bekanntlich auch für Menschen keine bekömmliche Kost war. Jan dichtete ihr eine Warze auf die Nase und spielte mit krummen Gichtfingern, wie Agathe Nacht für Nacht in die Unterwelt des Hauses Nummer 153 stieg und den röchelnden Ratten die Hälse …

„Aufhören!“ Freddie kniff ihm ins Bein. „Halt endlich den Schnabel!“ Und leiser fügte er hinzu: „Guck mal, wer da die Maiglöckchen zertrampelt.“

Oskar Sievers war nur noch wenige Buchen entfernt. Langsam setzte er Fuß vor Fuß, denn er war nicht mehr der Jüngste. Den Schlapphut tief ins Gesicht gezogen, stützte er sich bei jedem Schritt auf einen knorrigen Eichenstock. Ob er Jans Vorstellung mitbekommen hatte, ließ er sich zumindest nicht anmerken.

„Der schräge Oskar“, flüsterte Freddie noch einmal.

Jan machte wieder sein Schauspielergesicht. „Auf der Suche nach dem verlorenen Schatz von Knittelstein!“

„Pssst!“

Die Jungs duckten sich hinter die Äste und hielten den Atem an. Sie hatten gehörigen Respekt vor dem schweigsamen Alten. Langsam kam er näher. Das Laub raschelte unter seinen Wanderstiefeln. Leise summte er ein Lied. Knapp vor der Eiche hielt Oskar an. Drehte sich halb im Kreis und musterte die Baumstämme. Wenige Meter über ihm presste sich Jan mit Daumen und Zeigefinger die Nasenlöcher zu.

Ein vorwitziges Eichhörnchen sauste den Stamm hoch, bis es Freddies Turnschuhe bemerkte. Oskar Sievers hob den Kopf gerade so weit, dass das Tierchen unter seiner Hutkrempe erschien. Wenige Zentimeter noch, und Freddies Quadratlatschen würden ihm ins Bild hängen.

Das Eichhörnchen beäugte einige lange Sekunden die merkwürdigen neuen Baumbewohner. Dann sprang es an ihnen vorbei in die Krone. Jetzt hat er uns gleich, dachte Jan. Doch Oskars Hut senkte sich. Der alte Heimatforscher hatte seinen Knochen genug Pause gegönnt und nahm seine Wanderung zur Burg wieder auf.

Als die Jungs wenig später um die Fischteiche herum schlenderten, kam Jan noch einmal auf die Müller-Pfuhrs zu sprechen. Seine Eltern verstanden sich gar nicht mit den Vermietern. Die hatten an allem was auszusetzen. Mal war das Treppenhaus nicht ordentlich gewischt, dann krähten die Kinder zu laut und meistens zur falschen Zeit, und im Vorgarten spielen durfte eh niemand. Wegen Agathes kostbaren Rosen.

„Naja“, grinste Freddie, der die Geschichte mit der Schultasche kannte. Aber Jan war in diesem Punkt längst das Lachen vergangen. Das Donnerwetter seiner Mutter war nicht von Pappe gewesen. Und nachher hatte der Familienrat getagt. Auf Dauer gab es nur eins: Die Müller-Pfuhrs oder wir.

Den weiteren Weg schwiegen sie. Als die Fischteiche umrundet waren, lenkten sie ihre Schritte, ohne dass es einer Verabredung bedurfte, an der Grundschule vorbei Richtung Eisdiele Favretti. Lisas Vater hatte immer eine Kugel für sie übrig.

Tags drauf waren alle Ratten tot. Im Keller von Haus Nummer 153 an der Breselner Landstraße.

Agathe Müller-Pfuhr hatte drei Versuche gebraucht. Zuerst mit Schwarzbrot, dann mit Weißbrot. Mit Rosinenstuten hatte es dann geklappt. Ganz schön wählerisch, die Biester. Agathe hatte das süße Brot gewürfelt, mit dem roten Saft aus dem kleinen Fläschchen beträufelt, und die Bröckchen im Keller verteilt. Und die verflixten Ratten hatten sie genussvoll verspeist. Mmh, lecker! Vierundzwanzig Stunden später: Aargh! Tot! So kann's gehn!

Nett von Agathe wäre nun gewesen, den Keller für die Kinder wieder frei zu geben. Zum Beispiel zum Verstecken spielen. Doch Agathe war nicht nett. Und auch darüber war Agathe sehr zufrieden!

Die hohle Schlange, das Labyrinth und die schrecklichen Mönche von Bresel

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