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1. Februar 1919 »Von den neun Koryphäen können wir nur eine als talentiert bezeichnen« Operndirektor Richard Strauss will Tänzerinnen besser bezahlen
ОглавлениеDas Wiener Salonblatt, gediegene Bastion des großbürgerlichen, jedenfalls aber in Kunstangelegenheiten konservativen Wiens, sorgt sich um die ehemalige k. u. k. Hofoper und zweifelt vorsorglich an dem designierten Direktor Richard Strauss. »Man verzeihe uns, wir sind skeptisch. Richard Strauß wird natürlich diejenigen für besonders aufführenswert erachten, die Richard Strauß als Meister anerkennen und anerkannten. Er ist es ja auch in seiner Art, aber es gibt noch viele andere Arten, und auch Meister, die nach Ansicht ebenfalls vieler anderer ebenso groß oder gar größer sind, und die, fürchten wir, werden dann in der Richard Straußschen Oper zu Wien nicht viel zu Sang und Klang kommen.« Immerhin freut das Salonblatt die Ankündigung des Maestros, die Bezüge der Tänzerinnen beträchtlich zu erhöhen. Die Balletteusen erhalten lächerliche Monatsgagen, wobei sie sich aber auch Seidentrikots, Seidentanzschuhe, Ballettröcke, Dessous auf eigene Kosten anschaffen müssen oder darauf angewiesen sind, einen Galan zu finden, der diese Auslagen bezahlt. Das Hofopernsystem geht unverschämt davon aus, dass die jungen Frauen vom Ballett ihre Reize nach der Vorstellung in harte Währung ummünzen und sich von Liebhabern aushalten und finanzieren lassen. Das heute ehrwürdige Hotel Sacher hat in Gehweite zur Oper über viele Jahre mit Samt und Seide ausstaffierte Séparées fürs Souper danach bereitgehalten. »Das ist eben immer der Ruin der wirklichen Tanzkunst in der Oper gewesen, daß jedes hübsche und talentierte Mädchen darauf angewiesen war, sich unbedingt eine Nebenversorgung zu ertanzen, die ihr dann natürlich Hauptsache wurde und das Weiterstreben in der Kunst, ja auch nur das Sichhalten auf der Höhe des bisher Erreichten, Nebensache. Man zwinge nicht durch Hungerlöhne Tänzerinnen, die Kunst als Mittel zum Zweck auszuüben, sie sollen von der Gage allein wenigstens leben können, Sprünge damit zu machen verlangen sie ja gar nicht, die werden sie sich gerne für die Bühne aufheben.« Auch die tänzerische Qualität der jungen Damen wird in schönen Worten gnadenlos kritisiert: »Von den neun Koryphäen können wir nur eine als talentiert bezeichnen, die auch nett ist und eine hübsche Figur hat, Frl. Pfundmeyer.«
Balletteusen an der Oper, aber auch an allen anderen Theatern, müssen sich »eine Nebenversorgung ertanzen«. Die offiziellen Gagen reichen nicht einmal für die Seidentrikots und Ballettröckchen, so knapp sie auch sein mögen.
Frauen dürfen zwar bei den kommenden Wahlen erstmals ihre Stimme abgeben, den Begriff »Sexismus« gibt es 1919 aber noch nicht.