Читать книгу Durch die Raumakustik muss ein Ruck gehen - Gerhard Ochsenfeld - Страница 16

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„… es sind eben nur Modelle“

… so sagte mir einer, der sich der Schwächen der Modellvorstellungen bewusst ist. Und der mit den Lösungen für die Raumakustik hinlänglich unzufrieden ist.

Eines der Missverständnisse, die die Raumakustik ungünstig beherrschen, ist also ein ganz ursächliches: Man arbeitet, derweil man den Schall nun einmal nicht sehen kann, mit Vorstellungen und… Modellen eben.

Die aber haben – so stark reduziert sicherlich auch zu stark polarisiert – zwei gravierende Schwachpunkte: deren unsägliche Unschärfe – und den Fokus auf das falsche Modell.

Ehe ich darauf eingehe, muss ich gleich vorab betonen, dass der Wissenschaft sehr wohl bewusst und bekannt ist:

Schall ist Druck.

Niemand bestreitet das. Ob Physiker, Biologen, Mediziner… jedem ist bewusst und wohl vertraut, was jeder ausspricht: Man spricht vom Schalldruck.

Zugleich tauchen diese Modelle auf, die Schall mit Lichtstrahlen vergleichen. Zugegeben: nur vergleichen. Den Grund mag ich nur erahnen: Wenn man von so genannten Strahlenmodellen ausgeht, dann kann man mit Geodreieck und feinem Bleistift so etwas wie Lärm leicht visualisieren.

Kuttruff erklärt uns dieses als die „Repräsentation der Wellennormalen“ – oder, wie ein Akustiker es ausdrückte: Repräsentiert werden kann die Ausbreitung des Schalls auf den Normalenvektor der Wellenfront.

Die Vorgehensweise führt auch zu in sich schlüssigen Ergebnissen! Aber eben vor allem: Alles ist offenbar recht praktisch.

Ich muss vorsichtig daran erinnern, dass der brillante Mathematiker und Naturforscher Ptolemaios (ca. 100 – 160 n. Chr.) sein geozentrisches Weltmodell – mit der Erde als Mittelpunkt nicht nur unseres Planetensystems, sondern des ganzen Universums – mit allen Unregelmäßigkeiten und Anomalien, die darin auftreten, so mit Berechnungen auflöst, dass alles schlüssig aufging. Die schon absurde Komplexität seines Modells und seiner Berechnungen ist über Jahrhunderte zwar kritisiert, aber erst von Kopernikus grundsätzlich entthront worden.

Ich hörte und sah jemanden im Rahmen irgendeiner Messe über die Raumakustik dozieren. Der Videomitschnitt machte es mir leicht zugänglich. Jener Herr gab vor, viel von Raumakustik zu verstehen. Allein: Er hatte grundsätzlich Räume nicht verstanden. Und den Schall schon gar nicht.

Da war etwa die Rede davon, dass kurzwelliger Schall dem Licht zumindest für annähernde Modelle vergleichbar sei. Das hatte er zweifelsfrei so gelernt, derweil das auch Stand der Wissenschaft zu sein scheint.

Selbst bekannte Namen, die in der Physik und in der Akustik nicht wegzudenken sind, kommen kaum um das Denkmodell von den „Schallstrahlen“ herum. Gleichwohl scheint allen bewusst, dass diese Modelle manche bis gewaltige Mängel aufweisen.

Trotz allem scheinen die Modelle auszureichen, um Leben und Alltag irgendwie zu bewältigen.

Ich möchte hier zunächst nur auf zwei Probleme hinweisen, die unbeantwortet bleiben, wenn die Raumakustik mit Bedämpfung winkt.

Das eine ist die Luftdämpfung, die Werner in einer tabellarischen Übersicht entblößt, wenn er aufzeigt, in welcher Entfernung 127 dB Anfangslautstärke komplett verklungen sind – frequenzabhängig:

Tab. 3.13: Einfluss frequenzabhangiger Luftdampfung auf die Schallausbreitung, Temperatur 20 °C, relative Luftfeuchte 50 %, Schallquelle: P = 5W,Lw = 127 dB, kugelformige Schallausbreitung


(unverändert entnommen:

Werner, Ulf-J.: Handbuch Schallschutz und Raumakustik;

Beuth 2015 – Seite 123)

Was verbleibt dann in einem von mir aus nur durchschnittlich bedämpften Raum von so schwach unterschiedlichen Konsonanten wie „d“ oder „t“, wenn diese ohnehin schon leiser sind als der langlebigere Grundton einer Stimme? Im bloßen Direktschall? Oder was unterscheidet hinten im Klassenraum die noch höheren „z“ und „ß“, wenn deren bloße Zischlaute – ohnehin nur schwach – gegen ein kräftig intoniertes „a“ oder „o“ in verschiedenen Silben bestehen sollen?

Mit dem Blick auf die höherfrequenten Konsonanten – den Konsonanten zwischen 2.000 Hz und 8.000 Hz – wird die Luftdämpfung der Sprachverständlichkeit auch in „kleinen“ Räumen zum Verhängnis.

Regulierer und Regulative hingegen machen uns glauben, Absorption sei der Weg hin zu guter – so genannter – Hörsamkeit.

Bei all dieser Absorption: Was bleibt von der Lautstärke, wenn mit jeder Verdopplung der Distanz der Schalldruckpegel um 6 dB abnimmt – aber ein ohnehin leiseres „ß“ gegenüber einem „a“ auch noch um das 30- bis 40-fache stärker der Luftdämpfung erliegt?

Der andere Hinweis auf einen Mangel des Modells, den ich hier – gern herausfordernd – geben möchte, ist die dem „Schallstrahl“ ureigene Unschärfe:

Gewiss hat jeder schon einmal den Kopf in den Nacken gelegt und akustisch wirksame Decken bestaunt. Da haben manche Gipsfaserplatten dann in Klassenräumen nur kleine Löcher, in den Fluren aber drei unterschiedlich große Löcher. So sollen in Fluren auch die tieferen Frequenzen bedämpft werden, während man sich ganz bewusst in den Kommunikationsräumen darauf beschränken möchte, die Konsonanten zu schwächen. – ?

Hat das damit zu tun, dass – nur bildlich gesprochen – tiefe Frequenzen kleine Löcher oder kleine Unterbrechungen an Reflektoren nicht „sehen“? Das Prinzip ist bekannt und wird von Kuttruff wie folgt beschrieben:

„Sind die Wandelemente […] sehr klein gegenüber der Wellenlänge (linkes Teilbild), dann nimmt der Schall die Unebenheit sozusagen gar nicht wahr und reflektiert die Welle wie eine völlig ebene Fläche.“

(Kuttruff, H.: Akustik – Eine Einführung; Hirzel 2004 – Seite 130)

Die folgende Illustration von Kuttruff dazu, Fig. 7.13 von Seite 130, habe ich zur schnelleren Verständlichkeit insoweit überarbeitet, als ich über seinen Grafiken die „Wellen“ mit unterschiedlichen Durchmessern zusätzlich symbolisiert habe:

(Reproduktion in modifizierter Darbietung:

Kuttruff, H.: Akustik – Eine Einführung; Hirzel 2004 – Seite 130; Fig. 7.13)


Für eine DIN 18041 wird die Absorption von höheren Frequenzen damit begründet, dass der Abstand zwischen ebenfalls hochfrequentem Störschall und dem – unverstärkten – Nutzsignal mindestens 10 bis 15 dB betragen solle. Dann könne man auch das schwache Nutzsignal gut hören. – Wenn man es dann noch hört…

Ich gehe auf all das an anderer Stelle noch genauer ein.

Falls Sie bereits das eine oder andere Fachbuch zur (Raum-) Akustik in die Hand genommen haben, so dürften Sie auch gelegentlich auf ein wohlgemeintes Bekenntnis gestoßen sein, Sie mit verkürzten Darstellungen vor der verwirrenden Komplexität des physikalischen Phänomens „Schall“ bewahren zu wollen.

So einfach kann man sich auch aus der Affäre ziehen…

Jener weiter oben erwähnte Herr (jenes Video eines Vortrages) erläuterte, Frequenzen bis 200 Hz seien Druckwellen – die kürzerwelligen Frequenzen darüber hingegen seien dem Licht ähnlich (genug).

Vorsichtig ausgedrückt sind solche Betrachtungen nicht sinnvoll.

Das weiß auch jeder, der sich intensiver mit Schall auseinandersetzt. Kuttruff pocht mehrfach auf eine klare Differenzierung, worauf ich auch später noch umfangreicher eingehen werde. Hier schon einmal seine sehr eindringliche Beschreibung:

„[…] der Übersichtlichkeit halber nur durch eine Wellennormale, gewissermaßen durch einen ‚Schallstrahl‘ repräsentiert.“

(Kuttruff, Akustik – Eine Einführung, Hirzel Verlag, 2004 – Seite 90)

Ich hebe ausdrücklich hervor: Wenn von der „Wellennormalen“ die Rede ist, dann wird ein Standardisierungsformat eingebracht, mit dem man mathematisch gut arbeiten kann! Außerdem ist die Darstellung insoweit unmissverständlich, als Kuttruff formuliert, der zugrundegelegte „Schallstrahl“ sei eine Repräsentation – also ein platzhaltendes mathematisches „Subjekt“!

Dennoch klammert man sich offenbar gern an diese Modelle, vermutlich eben, weil sie den Schall recht leicht „greifbar“ machen.

Auch ein Ulf-J. Werner schiebt sich mit erfrischender Transparenz durch einen von der Physik offenbar vollkommen ungelichteten Nebel hindurch, wenn er uns wissen lässt:

„Schallwellen als mechanische Wellen stellen sowohl zeitlich als auch räumlich periodische Änderungen eines schwingungsfähigen Mediums dar. Ihre Übertragung erfordert demzufolge elastische Kopplungen von schwingungsfähigen Systemen […]. Die von einem solchen System erzeugten Schwingungen werden somit erst durch die Übertragung in einem Medium zu einem Wellenvorgang, der von einem Empfänger wiederum als Schwingung registriert werden kann.“

(Werner, Ulf-J.: Handbuch Schallschutz und Raumakustik; Beuth 2015 – Seite 41)

Was das heißt, lässt sich vielleicht am besten anhand einer angezupften Gitarrensaite beschreiben.

Ich unterstelle das so genannte „eingestrichene a“ (a‘), also den Kammerton „a“, der international mit 440 Hz definiert wird: Die entsprechend angezupfte Saite gibt durch ihre Schwingungen 440 Dichtestöße pro Sekunde an die umgebenden Luftteilchen weiter. Es entsteht ein 440-Hertz-Ton.

Nicht allein die „Amplitude“, also konkret die Schwingungshöhe dieser Saite, bestimmt den Schalldruck, der an die umgebende Luft abgegeben wird. – Wiederum nur vereinfachend ist verschiedentlich zu lesen, die Amplitude der Schallwelle drücke deren Lautstärke aus.

So aber ist es nicht: Die Schallwelle hat in diesem Sinne keine Amplitude.

Es kommt nämlich noch schlimmer:

Für den Schalldruckpegel bestimmend ist nicht die tatsächliche Schwingungshöhe der Ursprungsquelle, sondern – auf welchem Wege auch immer – die Energie, die jene Ursprungsquelle innerhalb der Frequenz an die Umgebung abgibt.

Wenig diskutabel: Wenn es anders wäre, dann könnte eine kleine und handliche Kfz-Hupe nicht einen so ohrenbetäubenden Lärm verursachen.

Was aber ist die „Schallwelle“ – jenes „Phänomen“ zwischen Impulsgeber und Schallempfänger?

Werner beschreibt es so:

„Bei den Längs- oder Longitudinalwellen stimmen Schwingungsrichtung und Ausbreitungsrichtung überein […].“

(Werner, Ulf-J.: Handbuch Schallschutz und Raumakustik; Beuth 2015 – Seite 52)

Diese Longitudinalwelle – auf die ich an anderer Stelle noch genauer eingehen werde – ist also die Aneinanderreihung von Dichtestößen: So eine Art Staffellauf, der nicht sichtbar, aber hörbar ist.

Für die ganz praktischen akustischen Probleme, die in kleinen und mittelgroßen Räumen auftreten, habe ich ein Konzept und Produkte entwickelt, die für die raumakustische Praxis völlig neue Perspektiven und Wege eröffnen.

Ein bisschen geht es in diesem Buch auch um diese meine Lösungsvorschläge und Lösungsangebote.

Vor allem aber geht es um all die Ungereimtheiten, die die Physik uns in Sachen und Angelegenheiten des Schalls bisher locker und teuer verkauft. – Lassen Sie sich diesbezüglich gern von gestandenen Akustikern beraten: Möglicherweise mit Vergnügen wird man Ihnen bestätigen, dass ich von Schall keine Ahnung habe.

Durch die Raumakustik muss ein Ruck gehen

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