Читать книгу Durch die Raumakustik muss ein Ruck gehen - Gerhard Ochsenfeld - Страница 17
ОглавлениеUn-Schärfen
Der „Schallstrahl“ als Repräsentant einer „Schallwelle“: Die Schallwelle von 440 Hz weist eine Wellenlänge von runden 77 cm auf. So das Modell. Eine Schallwelle von 20.000 Hz, die als Obergrenze des für das menschliche Ohr Hörbaren gilt, ist noch immer 1,7 cm lang. – Wenn ich auf solche Wellen ein Lichtstrahlenmodell anwenden möchte, so wird leicht deutlich, dass damit erkennbare (20.000 Hz) bis äußerst grobe (Kammerton a) Unschärfen einhergehen müssen.
Wenn dann bei 200 Hz eine Wellenlänge von bereits 1,7 m vorliegt, dann ist man sich auch in der Fachwelt enig, dass hier ein Strahlenmodell nicht mehr greifen könne. Der tiefste Ton auf einem gängigen Flügel hat mit 27,5 Hz eine Wellenlänge von über 12 Metern. – Von einem untypischen Flügel werde ich später ein wenig berichten, der mit seinen 97 Tasten volle acht Oktaven abdeckt. –
Allemal in Wohnungen, aber auch in Schulen ist einer solchen tiefen Frequenz beinahe jeder Raum zu „eng“.
Darin ist sich also auch die Physik einig: Subwoofer sind Einzellautsprecher, die den Raum im tieffrequenten Bereich zusätzlich anregen bzw. die tiefen Frequenzen zusätzlich tragen sollen. Eine Unterscheidung nach Seiten, wie wir sie von der Stereo- oder Surround-Technik kennen, ist weder sinnvoll, noch in der Liebe zum technisch Möglichen überhaupt vorgesehen. Der Subwoofer regt noch nicht einmal zwingend von der Mitte aus den Raum an – sondern wird dort positioniert, wo es spezifisch für einen Raum am sinnvollsten klingt.
Ich möchte also ein wenig über Unschärfen sprechen, über Unstimmigkeiten, über Zweifel, um deutlich zu machen, weshalb das Strahlenmodell auch dann zu deutlichen Fehlern führen kann, wenn es andererseits für Berechnungen gut anwendbar ist.
Ich lege einmal einen recht nervigen Ton von 4.000 Hz zugrunde. Das ist zugleich die höchste Frequenz, über die in zahlreichen technischen Anweisungen überhaupt noch gesprochen wird. Diese Frequenz weist eine Wellenlänge von 85 mm auf.
Das sichtbare Licht kommt mit Wellenlängen zwischen 380 und 780 nm daher.
Die Wellenlängen des Lichtes werden meistens in Nanometern – nm – bemessen. Ich habe mich also nicht vertippt!
Allein die Bemaßungen stehen sich somit in einem Verhältnis von 1 zu 1 Million gegenüber.
Ich schlage einen gängigen Weltatlas auf. Eine Karte im Maßstab von 1: 1.000.000 zeigt spielend die Schweiz auf einer Doppelseite. Rundherum bleibt ein wenig Speck: Die Darstellung franst nach Frankreich, Italien, Österreich und Deutschland hin mehr oder minder großzügig aus. … und – ’tschuldigung – schließt Liechtenstein natürlich gänzlich mit ein.
Aber ganz so schlimm ist es dann auch wieder nicht: Ein spritziges Grün steht einem nervtötenden Piepen dann doch „nur“ mit 1 zu 163.000 gegenüber:
0,00052 mm zu 85 mm.
Oder nehmen Sie einen Raum mit verputzter Wand. – Farbe? Egal. – Es sei ein gröberer Putz, ein Außenputz mit bis 5 mm Körnung. Ein solcher Außenputz wirkt auch innen etwas prägnanter. Ich werfe einen Ton darauf, den die meisten von uns ohnehin nicht mehr hören – um nicht ganz so tief in die Unschärfe zu geraten: 20.000 Hz. Für eine Wellenlänge von 17 mm umfassen die Kerbungen, die die 5 mm großen Steine im Putz ziehen, nicht einmal ein Drittel dieser Wellenlänge. Dem Schall ist der Rauputz gänzlich gleich:
Unsinn ist‘s, wie wir bei Kuttruff bereits gesehen hatten (mein vorhergehendes Kapitel). In diesem Fall unterstellt der Fachmann eine „glatte“ Oberfläche.
„Sind die Wandelemente […] sehr klein gegenüber der Wellenlänge […], dann nimmt der Schall die Unebenheit sozusagen gar nicht wahr und reflektiert die Welle wie eine völlig glatte Fläche“.
(Kuttruff, Heinrich: Akustik – Eine Einfühung; Hirzel 2004 – Seite 130)
Für die glatte Oberfläche wiederum gilt: Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel!
Ich werde noch darauf eingehen, weshalb ich den Regelsatz „Einfallswinkel = Ausfallswinkel“ mit Entschiedenheit nicht für das alleingültige Gesetz des Schalls halte. Man darf sich amüsieren, dass ich dort den Vergleich mit dem Licht dann mal nicht scheue.
Ich erinnere an dieser Stelle an die Deckenplatten (vorhergehendes Kapitel), diese so genannt akustisch wirksamen Platten, mit den Löchern darin. Diese Löcher erhöhen so etwas wie Porosität. Nicht mehr. Natürlich können Hersteller deren unterschiedliche Wirksamkeiten (in unterschiedlichen Frequenzen) belegen. Aber das hängt schlicht mit Porosität und deren schädlicher Wirkung für so etwas wie Schalldruck zusammen.
Man kann in der Tat – um den für Sprache relevanten Anteil der Frequenzen zu unterstützen – Flächen nach dieser Regel recht gut betrachten. Zugegeben. Dennoch muss man sich der Schwächen solcher Modelle bewusst sein, insbesondere um die Störungen zu verstehen, die für Sprache wie auch für Musik zum Tragen kommen.
Einen Lichtstrahl kann man recht genau betrachten – in einem tiefen Blauviolett mit 0,000 mm, in sattem Rot mit 0,001 mm Wellenlänge. Ich muss also genauer werden: 0,00038 mm für Blauviolett, 0,00078 mm für Rot. Für den einzelnen Lichtstrahl, der definitiv nicht sichtbar ist, kann man getrost eine Linie annehmen.
Für eine Schallwelle muss man zwangsläufig – da man zumindest von der Polarisation von Schallwellen bisher nicht ausgeht – einen Streukreis unterstellen. Für einen Kammerton „a“ wäre das ein solcher von 77 cm Durchmesser, für den vorangehend bemühten Ton von 4.000 Hz immer noch ein Streukreis von 8,5 cm.
Aber auch auf die „Amplitude“ möchte ich einen Blick werfen, die ebenfalls groß und unscharf sein kann – oder so unfassbar klein, dass eine Linie noch baumstammdick erscheint…
„Das Ohr ist in der Lage, in einem Frequenzbereich von 16 Hz bis etwa 20.000 Hz sowohl Leistungsdichten von I0 = 10-12 W/m2 (Hörschwelle) als auch von I = 1 W/m2 und mehr zu registrieren und die Eingangssignale nach Lautstärke und Frequenz zu analysieren.“
… so lässt Dr. rer. nat. Ulf-J. Werner uns recht theoretisch mitstaunen – klärt aber auch auf, wie sich das bei der schwächsten Anregung (I0 = 10-12W/m2) ausdrückt. Zur
Hörschwelle erfahren wir in seinem „Handbuch Schallschutz und Raumakustik“ (Beuth-Verlag 2015 – Seite 142), dass an der Hörschwelle bei 1.000 Hz eine Amplitudenschwingung von 0,01 Nanometer wirksam wird.
„Eine noch größere Empfindlichkeit würde […] zu einem von der Mikrostruktur der Materie (BROWNsche Molekularbewegung) verursachten Dauergeräusch in Form eines Rauschens führen.“
(ebenda)
Obgleich dieses Molekularrauschen irrwitzig leise und nur unterschwellig präsent sein könnte, so wäre es aber wahrscheinlich auch recht nervtötend. Der schottische Biologe Robert Brown (1773 – 1858) hat damit die Grundlage der Diffusion in Flüssigkeiten und Gasen beschrieben – deren ständige Bewegungen von Atomen und Molekülen uns also immer und überall durch Geräusche begleiten würden.
Aber sollen wir nun, im Umkehrschluss – und um die Schmerzgrenze herum – von einer Schwingung von 10 Metern für eine durch extremen Schalldruck angeregten Membran ausgehen?
Das kann so von Werner nicht gemeint sein – und hat er ja auch so nicht weiter detailliert.
Es ist also auch nur ein „Vergleich“, der entsteht,
wenn am Ende eine übertragende, eine von der Schallenergie angeregte Membran so etwas wie Schall sichtbar oder im Wortsinn hörbar macht. So zum Beispiel unser Trommelfell. Oder vielleicht die Membran eines Messinstrumentes. Beide jedoch können die Energie-anregung zwar abbilden, aber die Schwingungsanregung nicht linear aufnehmen, sondern nur proportional.
Vielleicht darf ich das Phänomen der Schallwahrnehmung salopp umschreiben: Es geht um nichts anderes, als wir auch vom Wetter kennen, um Luftdruck. Schlicht und ergreifend temporäre Druckänderungen sind das, was so etwas wie „Hören“ ermöglicht.
Weshalb wir das Wetter dennoch nicht hören?
Die Druckunterschiede müssen so plötzlich auftreten, dass sie geeignet sind, eine Membran – etwa unser Trommelfell – in Schwingungen zu versetzen.
Tatsächlich verlieren die Modellvorstellungen zum Schall für die Frequenz wie auch für die Amplitude schon in ihren Unschärfen an Aussagekraft.
Aber zwanglos arbeitet man ab Frequenzen von 200 Hz, einer Sinuswelle von 1,7 Metern oder 1.700.000 mm Länge aufwärts bereits mit dem Strahlenmodell.
Und umgekehrt nutzt man ein „Strahlenmodell“, obgleich die leisesten, vernehmlichen Geräusche mit einer Amplitude von gerade einmal einem Fünfzigtausendstel der Wellenlänge des Lichtes daherkommen:
1 ÷ 50.000.
Damit aber genug des Vergleichens und Gegenüberstellens, wenn ich nun also sage, dass wir uns die Ausbreitung von Druck„wellen“ in Wahrheit ganz anders vorstellen müssen. Wir lesen zwar an allen Gegenständen – zum Beispiel Membranen – einen Wellenausschlag ab, jedoch ist das nur eine mechanische Auswirkung der vom Schalldruck getroffenen festen Körper. Zu vieles deutet darauf hin, dass die tatsächliche Ausbreitung dieser Schalldruckwellen ganz anderen Gesetzen gehorcht.
Es wäre unhandlich und wahrhaftig für den gängigen Gebrauch sehr sperrig, den Begriff der „Schallwelle“ zum Beispiel zu ersetzen durch: transparente Energietransmission. Auch verwirrt daran, von Transparenz zu sprechen, nur weil man Schall nicht sehen kann. Klar und durchsichtig ist Schall eben überwiegend nicht.
Der Begriff der „Schallwelle“ hingegen ist griffig und handlich. Er beschreibt auch einige der Symptome richtig. Und weiterhin die gleichförmige Wiederholung von Druckänderungen umschreibt er recht gut. Dennoch ist der Begriff geeignet, für mehr Verwirrung als Klarheit zu sorgen.
Und Lärm – der so etwas wie „unstrukturierter“ Schall ist – scheint gar keinen Gesetzen gehorchen zu wollen.
Und so sitzt der Gaukler in der Raumkante, feixt sich was… und probt sein Getöse. Der Gaukler lässt seine Schnarre laut ratschen, lässt seine Glöckchen klirren und amüsiert sich, dass wir uns wundern: Wo sitzt der Gaukler nur?
So ganz ohne Leiter, ohne Brett und ohne Balken sitzt er da in den Ecken und Kanten…
Und weil das nicht sein kann, deshalb gibt es auch noch immer solche, die den Einfluss der Raumkanten lieber ignorieren, weil sie nicht wissen, was da genau passiert:
Der Gaukler schaut uns scharf an, lacht uns schallend aus – dass wir bereit sind, mit so unscharfen Bildern vor Augen an der Raumakustik herumzudoktern.
Ja, man kann Schall nicht sehen.
Und so tasten wir blind…
im Hellen.