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Schon als Schüler orientierte sich Ferdinand an den Reichen, den Wohlhabenden, auch am Adel. Seine Familie gehörte zu dem erlesenen Kreis der sogenannten Oberschicht. Seit einigen Generationen war der Name Naschneiner in der besseren Gesellschaft nicht nur bekannt, sondern diente denen, die mit der Familie Kontakt hatten, in verschiedener Hinsicht.

Ferdinand war ein mittelmäßiger Schüler. Er verstand es mit einem fast schon diplomatischen Stil, bei seinen Mitschülern Unterstützung zu finden, um seine Hausaufgaben leichter erledigen zu können oder Referate vorzubereiten. Viele seiner Mitschüler nutzten die Hilfe ihrer Mütter, aber Ferdinands Mutter fand keinen Zugang zu den Schulproblemen. Sie kümmerte sich lieber darum, ihren Mann bei seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen zu begleiten und zu unterstützen.

Sie hatte Ferdinand angeboten, einen Nachhilfelehrer zu engagieren, so wie bei seiner Schwester. Ferdinand hatte das nicht angenommen und fühlte sich in der Nähe seiner Mutter immer weniger wohl. Bis zu seinem Studium hatte er dadurch zu seinen Mitschülerinnen und Kommilitoninnen der ersten Semester eher einen kritischen Abstand. Er konzentrierte sich tüchtig auf das Lernen und seine Zukunft. Die sollte aufregender und spannender sein als seine bisherige durch Tradition geprägte Entwicklung in der Familie.

Ihm schwebte vor, einmal ganz reich und mächtig zu sein. Mächtiger als sein Vater oder sein Großvater. Er hatte die Redewendung Wissen ist Macht für sich besonders interpretiert. Er war davon überzeugt, dass es für sein Leben wichtig sein würde, so viele Informationen für sich verfügbar zu machen, wie nur möglich. Seit seiner Schulzeit sammelte er unentwegt Daten von allen Menschen und Unternehmen, die er kennengelernt hatte. Von seinem Vater und seinem Großvater geprägt, lernte er schnell die Zusammenhänge zwischen Wirtschaft und Politik kennen, wusste um die Bedeutung von Seilschaften, Verbindungen und Vereinen. In seiner Datensammlung befanden sich bald viele Namen von Bekannten, Firmen, Managern, Politikern, Honoratioren aus Deutschland und Europa. Er lernte supranationale und internationale Verbindungen kennen.

Nach seinem Abitur studierte er Rechtswissenschaften und Volkswirtschaft in England und Deutschland, verbrachte einige Monate bei verschiedenen Unternehmen, die dem Hause Naschneiner verbunden waren. Zuletzt absolvierte er ein Praktikum bei einem amerikanischen Beratungsunternehmen mit weltweiten Niederlassungen.

Bevor er als Partner in die familieneigene Rechtskanzlei eingetreten war, verbrachte er einen Urlaub an der Elfenbeinküste. Er erinnerte sich auch später gerne an diesen Kurzurlaub im Ferienclub in Assinie am Golf von Guinea. Dort hatte er in wenigen Tagen mehr erlebt als in vielen Jahren davor.

Besonders aufgeregt war er durch die Begegnung mit Henriette. Sie hatte etwas Verrufenes und dennoch Adliges in ihrem Auftreten. Eine schöne Frau mit symmetrischen Gesichtszügen, an der linken Seite gescheitelten, dickem, schwarzen Haar, das ihr bis zur Taille reichte, sinnliche Lippen, stolze, mandelförmige Augen. Ferdinand war von ihr fasziniert. Glücklicherweise hatte er schon als Schüler eine Schwäche für die französische Sprache. Diese Kenntnisse wollte er unbedingt anbringen. Die Französin machte ihn neugierig. Einmal, weil sie Französin war und unerreichbar schien, weil sie so einen leichten und provozierenden Gang hatte und ihre schwarzen Haare apart über ihre Schultern fielen und so auffallend glänzten. Dazu kam noch ihr anregendes Parfum, dem Ferdinand nachlief. Sie war die erste Frau, die ihn stark interessierte. Er folgte ihr bis zum Strand und nutzte die Gelegenheit, sie auf ihre Bitte hin mit Sonnenschutzcreme einzureiben. Am späten Abend liebten sie sich spontan. Ferdinand merkte sich alles, was sie über ihre Familie und den Konzern berichtete. Er trug die Daten von ihrer Visitenkarte in seine Datenbank ein. Wenig später fand er heraus, dass der Konzern ihrer Familie den Namen OSuez du Mont trug.

Die damalige Begegnung mit Henriette blieb nicht ohne Folgen. Ferdinand pflegte seine Erinnerungen an die gemeinsame kurze Zeit und wünschte sich, mit ihr zusammen sein zu können. Er glaubte, mit ihr das entdeckt zu haben, was man Liebe nennt. Er wünschte, dass sie zu ihm nach Hannover kommen sollte. Sie konnte oder durfte sich nicht entscheiden. Ihr war nicht erlaubt nach Deutschland zu kommen. Als brave Tochter einer weit bekannten vornehmen Familie musste sie sich dort eingliedern. Es war in der Familie verpönt, einen Ausländer zu ehelichen.

Ferdinand hielt trotz des familiären Verbotes weiter Verbindung zu ihr und erfuhr bald, dass sie schwanger war. Ihr gemeinsamer Sohn erhielt den Namen Jacques. Sie heiratete ziemlich schnell nach der Begegnung mit Ferdinand einen reichen Geschäftsmann namens Balaban. Sie blieb in Frankreich bei ihrer Familie und hütete heimlich mit Ferdinand das Geheimnis ihres Nachwuchses. Viel später sollte Ferdinand Jacques für seine Pläne nutzen.

Die zweite Begegnung im Ferienclub hatte sich eines Abends an der Hotelbar ergeben. Ferdinand sprach einen Herrn in seiner Nähe an, der ein Französisch mit deutschem Akzent sprach. Er stellte sich als Sergent-chef vor und nannte sich Josèphe oder Josef, ohne Nachnamen. Er hatte sich bei der Fremdenlegion verdingt und habe derzeit in der Nähe des Ferienclubs einen Einsatz. Dort stünden ihm zwei Kameraden, ein Deutscher namens Tanner und ein Franzose namens Blanchard zur Seite. Ferdinand hörte interessiert zu, wie Josef ihm von der Nahkampfausbildung erzählte, an der er mit seinen Kameraden teilgenommen hatte. Die Schilderung hatte etwas Geheimnisvolles, so als wenn es nicht im Sinne der Legion sei, dass interne Belange den inneren Kreis der Legion verlassen. Sie tauschten Visitenkarten aus. Ferdinand ergänzte seine mobile Datenbank mit ihren Namen und Adressen. Er versah jeden Eintrag mit Notizen über Fähigkeiten, Talente und Neigungen. So wuchs sein Netzwerk weiter. Er glaubte, irgendwann einmal Nutzen aus den gesammelten Informationen ziehen zu können.

Am nächsten Morgen ereignete sich ein ungewöhnliches Schauspiel. Bedienstete des Hotels verfolgten einen jungen Mann, von dem sie annahmen, dass er eine Flasche Champagner und möglicherweise Geld aus der Hotelbar gestohlen habe. Der junge Mann lief sehr schnell. Als Zuschauer dieser Szene sah Ferdinand, dass ein militärisches Fahrzeug, Typ Jeep, in das Schauspiel eingriff. Der Wagen fuhr auf den laufenden Mann zu, zwei Männer hievten ihn in das Fahrzeug, welches sich dann mit erhöhter Geschwindigkeit dem Zugriff der zu Fuß verfolgenden Angestellten entzog.

Ferdinand hörte später, dass der vermeintliche Dieb nicht gefunden worden war. Das war für ihn nicht wichtig, hatte er doch Daten von Josèphe und seinen Kameraden in seine Datei eingetragen. Er konnte ja nicht wissen, ob man sich wiedersehen oder einander gebrauchen können würde. Legionäre sind eine besondere Spezies, sie sind belastbar, kommen mit wenigen Ressourcen aus und sind verschwiegen.

In der Rechtskanzlei Naschneiner et al. folgte Ferdinand Naschneiner seinem Vater als Senior Partner und bezog nach dessen Ausscheiden das größte Büro im Gebäude. Er hatte es sich zu Eigen gemacht, dort an einem Tag in der Woche ungestört zu sein. Diese Zeit nutzte er, um sein Netzwerk zu studieren und Pläne für die Zukunft zu machen. Zugleich erhielt er in dieser Zeit Rückmeldungen aus den verschiedenen Engagements der Kanzlei.

Sein Gewicht in der Kanzlei bezog sich nicht nur darauf, dass er Nachfolger seines Vaters, dessen Vater der Gründer der Kanzlei gewesen war, sondern auch auf seine Erscheinung. Mit über 140 kg Gewicht und einer Körpergröße von 186 cm hatte er sich angewöhnt, ausschließlich Anzüge mit Weste zu tragen, um die Fülle seines Körpers weniger auffällig zu machen. Er lag auf der braunen Ledercouch in seinem Büro und meditierte. Sein Kopf ruhte auf einer der Armlehnen, die etwas zu langen Haare kräuselten sich um seine Ohren. Ihr Ansatz legte eine sehr hohe Stirn offen. In der Hand, die etwas von der Couch gerutscht war, hielt er eine randlose Brille mit Titanbügeln. Auf dem Tisch mit einer dicken Glasplatte vor der Couch lagen Lageberichte von verschiedenen Unternehmen, ausgewählte Presseartikel von seinem Sekretariat und sein Tablet, zu dem nur er Zugang hatte.

Ferdinand hatte die väterliche Kanzlei über die ursprüngliche Aufgabenstellung hinaus weiterentwickelt. Er hatte die Geschäftsaktivitäten auf Beteiligungen an Unternehmen, die von der Kanzlei beraten worden waren, ausgedehnt. Dabei nutzte er die internen Daten der jeweiligen Firmen für seine Datenbank und verschaffte sich auch durch Vernetzungen Kenntnisse über Schwächen und Entwicklungschancen. In dem Portfolio der Beteiligungen befanden sich unter anderem eine Logistikfirma in Italien, die sich auf Flüssigkeitstransporte spezialisiert hatte, sowie eine Sicherheitsfirma in Frankreich. Er verfügte über weitgehende Einblicke in die Unternehmen und konnte so unmittelbar Einfluss nehmen. Seine Kenntnisse nutzte er, um sein Netzwerk zu erweitern. Mittlerweile war der Umfang dieses Netzwerkes so weit gediehen, dass er einen Dienstleister mit der Pflege, Auswertung und dem Schutz der Daten beauftragt hatte. Dieser Dienstleister war vordem einer der Klienten der Kanzlei. Es handelte sich um eine Reinigungsfirma in Köln, die durch den Konkurs eines Großkunden in Liquiditätsschwierigkeiten geraten war und bei der Kanzlei Naschneiner Rat und Hilfe suchte. Die Beratung ergab, dass der Fehlbetrag nicht durch eine Darlehenserweiterung bei der Hausbank ausgeglichen werden konnte. Der Geschäftsführer Mertens nahm darauf ein Angebot der FN-Holding an, den Fehlbetrag zu übernehmen und dafür Unternehmensanteile zu erhalten und das Geschäftsfeld durch einen neuen Bereich zu erweitern.

Dieser Bereich sollte sich mit allen IT-Aspekten der Kanzlei und der FN-Holding befassen. Dabei hatte die Verschlüsselung aller vorhandenen Daten die höchste Priorität. Darüber hinaus sollte die Möglichkeit bestehen, sich in fremde Systeme einschalten zu können und Profile aller Personen in den Datenbanken zu erstellen, um sie neuen Verwendungen zuzuführen. Damit entstand die Basis für eine Jobvermittlung, da Links zu verschiedenen Jobbörsen in Ferdinands Netzwerk integriert waren. So bestand die Möglichkeit, über eine automatische Überprüfung von Nachfrage und Angebot Kandidaten für neue Jobs ausfindig zu machen. Dieses Potenzial wurde in einer neuen neutral gehaltenen Internetseite publiziert. Das Eindringen in andere Netzwerke erlaubte im Laufe der Zeit, unentdeckt in die Steuerungen fremder technischer Systeme einzugreifen.

Zur Umsetzung dieser neuen Aufgaben wurden im Untergeschoss der Reinigungsfirma Räume abgeschirmt, mit den notwendigen IT-Geräten ausgestattet und mit fähigen Fachleuten besetzt. Ferdinand kümmerte sich in der Anfangsphase persönlich um die Besetzung der Stellen. Die Erstellung der Personenprofile nahm er bei drei Personen persönlich in die Hand: Josef, Blanchard und Tanner.

Mertens wurde verpflichtet, niemand in die Räumlichkeiten zu lassen und einer Fernkontrolle durch Ferdinand zuzustimmen. Entsprechende Zugangscodes wurden vereinbart.

Die Kanzlei stand der regierenden Partei sehr nahe und gehörte auch wegen der Vernetzung mit vielen Unternehmen zu deren bedeutenden Ratgebern. Ferdinand Naschneiner war seit einigen Monaten Vorsitzender des MarketingClubs von Hannover. Auf diese Weise kannte er zusätzlich die wirtschaftliche Situation vieler Unternehmer ausführlich und durchschaute viele Interna auch von Unternehmen, an denen die Kanzlei nicht beteiligt war. Kenntnisse über diese Unternehmen gelangten auch in die Datenbank seines geschützten Netzwerkes, in welchem er Zugänge zu den Intranetzwerken der dort gespeicherten Organisationen und Institutionen hatte.

Einen ersten Erfolg mit seinem Netzwerk erlebte er anlässlich einer Tagung der Oberbürgermeister aus allen Bundesländern. Dort gab es auch einen Stellenmarkt. Die Suche nach einem technisch kompetenten Mann für die Stadtwerke Rostock konnte aus dem Netzwerk bedient werden. Tanner konnte sich dort bewerben.

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