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Ferdinand legte sein Mobiltelefon enttäuscht neben sich. Henriette hatte wieder einmal nicht viel Zeit, mit ihm zu sprechen. Er hatte erneut versucht, sie dazu zu bewegen, dass sie sich treffen. Sie lehnte sein Ansinnen ab und verwies wieder einmal auf die Familie.

„Die Familie will nicht, dass ich alleine eine Reise antrete. Mein Mann ist außerdem sehr eifersüchtig.“

Ferdinand fühlte sich äußerst verletzt. Seine Sehnsucht würde sich nicht erfüllen. Er würde alleine bleiben. Wenn ich schon alleine sein werde, dann möchte ich etwas Großes, etwas Größeres erreichen. Ich will Macht, richtige Macht. Nicht als Galionsfigur, sondern als Beobachter aus dem Hintergrund. So werde ich mich verwirklichen! Vater hat ja seine Lust darin gefunden, Macht auszuüben, sonst wäre unsere, meine Holding, heute nicht so stark.

Er lehnte sich in seinem Chefsessel zurück, legte beide Hände auf seinen Bauch, schloss seine Augen und schaute in sich. Mein Leben muss ich mir selbst deuten. Mutter war mehr an den Geschäften der Firma interessiert als an den Kindern. Henriette ist für mich unerreichbar. Meine Frau Elisabeth, ehemalig Frau Schuch, ist lieb, aber nicht meine Liebe. Sie sorgt für die Familie. Sie ist da. Einfach da. Sie hat Marie mitgebracht. Marie wird in eine Machtposition hineinwachsen. Sie hat das Talent dazu. Ich werde für ihren Weg sorgen. Corinna ist anders. Sie liebt diese französische Welt. Das verstehe ich. Ich werde sie in der Nähe von Henriette parken, ja parken. Die Kinder werden mich begleiten, unwissend begleiten, wenn ich meine Pläne verwirkliche. Ich will, dass Henriette an mich denkt, viel an mich denkt. Unser Sohn heißt Jacques. Ich werde ihn wahrscheinlich nicht kennenlernen, aber er wird mich kennenlernen. Indirekt.

In dem leichten Dämmerzustand träumte er sich zurück nach Assinie und die schöne Urlaubslandschaft von damals. Damals hatte er nicht auf die Wasserversorgung geachtet, weil ihn das nicht interessiert hatte. Dennoch hatte er in Erinnerung, dass die Preise für Flaschenwasser recht hoch waren. Einen ersichtlichen Grund für ihn gab es damals nicht.

Ferdinand mochte sein Lächeln, obwohl er es nicht sehen konnte. Er war entschlossen, sein Können und sein Wollen in den Dienst seiner zu entwickelnden Macht zu stellen. Wenn ich meine Liebe schon nicht verwirklichen kann, werde ich meine Macht verwirklichen. Das werde ich sein: Ein Mächtiger, einer, der Dinge bewegt, ohne dass man weiß, warum sich die Dinge bewegen. Ich nehme die Enttäuschung an. Sie ist nicht mehr Einschränkung meiner Freiheit. Macht liegt vor mir.

Ferdinand wählte mit seinem abgeschirmten Mobiltelefon eine gespeicherte Nummer.

Man braucht eine Liste der wichtigsten Trends, vornehmlich diejenigen, die zu möglichen gesellschaftlichen Verwerfungen führen können oder werden.“

Sein Gesprächspartner meldete baldigen Vollzug. Er wusste, wer Man war. Schließlich hatte der Gesprächspartner sein Unternehmen gerettet.

Ferdinand beschäftigte sich regelmäßig mit aktuellen Trends in Politik und Wirtschaft. Dazu nutzte er auch seine mittlerweile mächtige Suchmaschine mit den verbundenen Datenbanken, die er seit seiner Schulzeit aufgebaut und immer wieder erweitert hatte.

Aktuell bewegte ihn ein Artikel der Deutschen Wirtschaftsnachrichten: „Knallhart: EU treibt Privatisierung des Wassers in Europa voran.“

Er las:

Zuerst kommt der Bailout, dann der Ausverkauf der Existenzgrundlagen: Die EU treibt in den Schuldenstaaten die Privatisierung der Wasserbetriebe voran. In Portugal ist das Wasser seither 400% teurer und ungenießbar. Auch in Deutschland sind erste Bestrebungen in diese Richtung zu erkennen.“

Zusätzlich beschäftigte er sich mit dem Umstand, dass in vielen Gegenden das Grundwasser durch die Landwirtschaft und die dortigen Düngungsmethoden bedroht ist. Der größte Teil des Trinkwassers wird aus Grundwasserquellen gewonnen. Durch Düngemittel gelangen Stickstoffverbindungen ins Grundwasser. In diesen Verbindungen kommt Nitrat vor. Hohe Nitratkonzentrationen sind gesundheitsschädlich. Es gibt Regionen, in denen die Grundwasserversorgung wegen dieser Konzentrationen eingestellt wurde.

Er kümmerte sich um Versorgungsfragen mit Trinkwasser und fand weitere Hinweise aus dem Hause der Deutschen Presse Agentur:

Leitungswasser ist das sauberste Lebensmittel Deutschlands. Ein wichtiger Parameter stellt sein Nitratgehalt dar. Mit der zunehmenden Massentierhaltung könnte der an einigen Stellen zum Problem werden.

Trinkwasser ist laut dem Umweltbundesamt das am besten kontrollierte Lebensmittel in Deutschland. Wegen seiner guten Qualität empfahl etwa die Zeitschrift „Öko-Test“ Leitungswasser für die Herstellung von Babynahrung, da es eine bessere Qualität aufwies als viele Mineralwässer.“

Wasserqualität ist von vielen Umständen abhängig. Je mehr von diesen Umständen eintreten, desto kritischer wird die Wasserversorgung. Da liegt der Schlüssel. Wenn man die Umstände beherrschen kann, beherrscht man den Markt. Wer das Wasser beherrscht, der hat die Macht. Wirtschaftliche und politische Macht. Ferdinand war bekannt, dass eine weitere Komponente bezogen auf die Trinkwasserversorgung von Bedeutung war, nämlich die Qualität der Leitungs- und Aufbereitungssysteme. Aus politischen Kreisen wusste er, dass in vielen Kommunen ein nennenswerter Investitionsbedarf für die Erneuerung der Leistungssysteme bestand.

Er verstand es mit seinem analytisch trainierten Verstand, in existierenden Systemen und Organisationen Fehler oder Schwächen zu finden. Nicht umsonst war seine Kanzlei an vielen Firmen beteiligt.

Die Botschaft auf seinem abgeschirmten Mobiltelefon listete unter der Überschrift Megatrends einige Positionen auf. Wasser rangierte ganz oben, auch Flaschenwasser. Ferdinand erinnerte sich an die hohen Preise für Flaschenwasser in der Elfenbeinküste. Er nutzte die Botschaft, um selbst im Internet zu recherchieren und etwaige Links für seine Datenbank zu finden. Es dauerte nicht lange, bis er herausfand, dass es Unternehmen gab und gibt, die sich in vielen Ländern der Welt Wasserrechte sichern, um dort Tiefbrunnen zu bauen. Aus diesen Tiefbrunnen wird dann Wasser gepumpt, in Plastikflaschen gefüllt und teuer verkauft. Eine dieser Firmen hieß OSuez du Mont! Das passt hervorragend. Henriette wird mich unterstützen, ja, unterstützen müssen.

Er traf eine Entscheidung. Wir werden den Wassermarkt beherrschen. Es kam nicht oft vor, dass er wir sagte, wenn er sich selbst meinte. Er war überzeugt, eine strategisch wichtige Entscheidung getroffen zu haben.

In meinem Netzwerk und in den verlinkten Datenbanken stehen die notwendigen Informationen bereit. Die geeigneten Akteure für die Umsetzung meines Planes sind vorhanden und werden ohne Widerstand mitmachen. Da wird auch Henriette ihren Beitrag leisten müssen. Ihr Konzern ist im Wassergeschäft tätig und wird sicherlich expandieren wollen. Das wird meinen Plan abrunden. Planung ist eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg. Ich werde die politische Schiene motivieren.

Neben den offiziellen Auftritten der politisch Mächtigen gibt es zahlreiche Hinterzimmergespräche. Eines davon fand in dem Tagungsraum eines am Rhein gelegenen Hotels statt. Er zog es vor, nicht in Hannover zu tagen, um einen neutralen Hintergrund zu haben. Zudem würde er die Gelegenheit nutzen, einen Abstecher nach Köln zu machen. Dort hatte die FN-Holding eine Beteiligung.

Ferdinand hatte eingeladen, Das Thema war ziemlich frei gehalten. Die Zukunft der Republik. Die wichtigsten Mitglieder der Parteispitze kamen zu dem Treffen, weil sie davon ausgingen, dass Ferdinand - wie immer - ein brisantes Thema aufgreifen würde.

Sie hatten recht. Ferdinand kam ohne große Umschweife zu seinem Vorhaben:

„Meine Damen und Herren, Ihnen ist hinreichend bekannt, welche Megatrends die Zukunft unseres Landes, nein, nicht nur unseres Landes, sondern weite Bereiche unserer Welt betreffen werden. Wir haben uns vor einiger Zeit mit der Problematik der Seltenen Erden beschäftigt. Die Ergebnisse sind Ihnen weitgehend bekannt. Wir haben da nur einen Teilerfolg erzielt, weil wir möglicherweise zu spät waren. Die Chinesen haben den übrigen Staaten dieser Welt den Rang abgenommen.

Hier möchte ich dieses Thema verlassen und einen Blick in die Zukunft wagen, so wie es die Einladung je benannt hat.

Die Bedeutung von Trinkwasser ist jedem von Ihnen bekannt. Ich habe eine Untersuchung in Auftrag gegeben, um die Bedeutung des Wassers und die zu erwartende Entwicklung kennenzulernen. Dabei haben wir uns auch auf die neuesten Meldungen der EU bezogen. Dort plant man möglicherweise die Privatisierung der Wasserwerke. Das hat in den südlichen EU-Staaten bereits begonnen. Die Ergebnisse unserer bisherigen Erkenntnisse kann ich Ihnen heute präsentieren.“

Ferdinand zeigte einige Schaubilder, aus denen hervorging, dass ein Kampf um Wasser in absehbarer Zeit in vielen Ländern bevorstehen würde.

Sein Fazit: „Nur wer das Wasser, die Wasserversorgung, beherrscht, hat in der Zukunft die politische und wirtschaftliche Macht.“

„Wie soll das erreicht und gesichert werden?“

Auf diese Frage hatte er umgehend eine Antwort:

„Wir müssen die Macht über die Wasserversorgung in unsere Hände nehmen. Das wird nicht ohne Hindernisse und Auseinandersetzungen gehen. Daher müssen wir zunächst einen weichen Weg nehmen. Es muss eine Kette von kleinen Prozessen sein, die keine großen Wogen in der Öffentlichkeit erzeugen. Ihnen ist ja bekannt, dass meine Tochter Marie als Staatssekretärin im Umweltministerium auch für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. Im Zweifel wird sie für unser Vorhaben plädieren.

Ich schlage folgende Vorgehensweise vor: Wir starten ein Pilotprojekt und wählen dafür eine Stadt aus, die nicht unbedingt im Mittelpunkt des bundesweiten Interesses steht. Dort nutzen wir Pressearbeit, Netzwerke und kooperieren mit kompetenten Fachleuten, um die Übernahme von Wasserwerken vorzubereiten und zuletzt zu übernehmen. Nach einer Pilotphase dehnen wir die Aktivitäten aus, verbinden die verschiedenen Einrichtungen gesellschaftlich miteinander und dehnen das Konzept aufs ganze Land und die Nachbarländer aus.

„Wie soll das mit der Pressearbeit gehen?“

„Meine Herren, sie wissen, dass Nachrichten in unserer Gesellschaft einen großen Nachhall haben, wenn sich eine Vielzahl von Menschen betroffen fühlt. Da wird schnell nach dem Staat gerufen. Und genau das kann ich garantieren. Ich kann versichern, dass die Voraussetzungen für ein Pilotprojekt bereits heute bestehen. Ich möchte Sie heute lediglich darum bitten, dieser Projektidee grundsätzlich zuzustimmen. Keiner von Ihnen wird involviert sein oder gar irgendwelche Maßnahmen ergreifen müssen.

Jetzt lade ich Sie zu einem kleinen Essen und einen Umtrunk ein. Da können wir in individuelle Fragen besprechen. Sie werden sicher nun dazu kommen, Einwände zu bringen und Fragen zu stellen“

Die Begegnung dauerte bis spät nach Mitternacht. Für die Teilnehmer hatte Ferdinand Zimmer reservieren lassen. Dabei hatte er dafür gesorgt, seine Gäste über vorinstallierte Kameras durch seine IT-Zentrale überwachen zu lassen. Er hielt es für angemessen, ihre Reaktionen erfassen und speichern zu lassen, um eventuelle Abweichler ausfindig zu machen.

Das würde er am nächsten Tag in Köln kontrollieren können.

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