Читать книгу Wanda und Wendelin - Gerti Gabelt - Страница 12

EIN DATE

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Sie hatten sich verabredet. An der Kapelle um 14:30 Uhr. Von ihrem Fenster aus sieht Wanda den Wagen von Wendelin aus der Tiefgarage auf die Strasse fahren. Nun muss sie sich beeilen, denn sie will ja pünktlich sein. Sie wundert sich, dass Wendelin mit dem Auto den kurzen Weg zu ihrem Treffen fährt. Na, ist ja seine Sache.

Er sitzt wartend auf der Bank hinter der Kapelle in der Sonne. Nun erblickt er Wanda, steht auf und geht ihr entgegen: „Schön, dass Sie gekommen sind, Wanda. Und hübsch sehen sie aus.“

Wanda errötete leicht, blickt in seine braunen Augen. Bisher war es ihr nicht aufgefallen, wie dunkel und geheimnisvoll seine Augen scheinen. „Haben sie lange gewartet? Der Weg zieht sich doch länger hin als ich dachte, und ich habe etwas mehr Zeit gebraucht, als ich eingeplant hatte. Aber nun bin ich da.“

„Dann möchte ich sie zu einer kurzen Fahrt einladen. Es gibt hier in der Nähe ein hübsches Weinhäuschen, direkt am Rhein gelegen und doch ziemlich ruhig, ohne Autoverkehr. Nur das Tuckern der Schiffe ist zu hören. Oder würden sie ein Cafe in der Stadt vorziehen?“

„Heute überlasse ich mich ganz ihrer Führung. Sonne und Wasser, ja das mag ich schon sehr. Also, fahren wir.“

Im Restaurant werden sie vom Kellner zu einem Tisch in einer Fensterecke geführt. Beide entscheiden sich für ein Glas Champagner. Die Situation entspannt sich und die Konversation kommt in einen zwanglosen Fluss.

Wendelin bemerkt: „Ich empfinde ein neues Gefühl der Freiheit hier außerhalb des ‚Hotels’, wie Sie unsere Residenz zu nennen pflegen, sich zu begegnen. Es ist wie ein Aufatmen.“

„Wissen Sie, ich habe die Verantwortung mir selber gegenüber bewahrt. Das heißt, dass ich damit auch meinen Freiheitsraum vergrößere. Aus dem Leben hier lerne ich etwas ganz Wichtiges, nämlich, dass es mir sehr gut geht, im Vergleich zu vielen anderen. Und das gibt mir ein gutes Gefühl. In dem mir geschaffenen Freiraum innerhalb der Seniorenresidenz, bin ich heute hier mit Ihnen zusammen. – Haben Sie Lust etwas aus ihrem Leben zu erzählen?“

„Ja, nun … ich bin vor zwei Monaten aus Brisbane gekommen. Ich bin in München geboren. Mit meinen Eltern habe ich Deutschland als Neunjähriger verlassen. Zuerst lebten wir in Melbourne. Aber Mutter wollte weiter nördlich. Dort ist das Klima wärmer. Mutter wollte in Sydney leben. Ich glaube, diese Stadt war ihre große Liebe. Sydney ist eine Stadt, von einer bezaubernden Faszination. Durch den Bau des architektonisch auffällig gestalteten Opera House, hat Sydney in der ganzen Welt an Popularität und Bedeutung gewonnen. Aber nicht nur das Opera House, auch Paddington, das Künstlerviertel oder Bondi Beach, Badestrand für jedermann oder Double Bay, noble Residenz der VIPs sowie der Hyde Park oder The Rocks. All das ist Sydney. Später bin ich dann nach Queensland gegangen. Ins Land der Sonne der wunderschönen Sonnenuntergänge über dem Pazifik. In der Nähe von Brisbane habe ich gelebt.“

„Das klingt ja wie im Märchen. Dazu kommt, dass Ihre Art zu erzählen das Gefühl vermittelt, man sei gerade auf einer Rundreise durch Ihr Land. Aber nun würde ich gerne wissen, was Sie zurück nach Deutschland gebracht hat?“

„Ich weiß es nun nicht mehr so genau. Vielleicht glaubte ich, hier noch Wurzeln zu finden, wollte dem Ursprung meiner Familie hinterher laufen. Nun, das Interesse ist inzwischen auf einem Nullpunkt angelangt. Ich habe wohl einen Fehler gemacht. ‚Der Mensch muss zurück zu seinen Anfängen. Wo er geboren wurde, da sollte er sterben.’ Diesem Spruch glaubte ich folgen zu müssen. Inzwischen weiß ich, dass das alles Quatsch ist. Aber ich habe mich nun mal entschieden und bin gekommen. Nun muss ich hier bleiben und werde wohl hier sterben.“

„Ihre letzte Bemerkung kann ich nicht einordnen. Sie sollten es sich aussuchen, wo Sie sterben möchten. Und sie müssen auch nicht für immer bleiben. Sie sind ein freier Mensch, mit dem Recht, ihre Meinung jederzeit zu ändern. Vielleicht hilft ihnen der Ausspruch des ersten Bundeskanzlers von Deutschland, Konrad Adenauer. Als er von seinen Beratern darauf hingewiesen wurde, dass er seine Meinung vom Tag zuvor in eine gegenteilige Meinung am nächsten Tag verwandelte, antwortete der große, alte Herr: ‚Meine Herren, was kümmert mich mein Geschwätz von gestern.’ Ein Schmunzeln entspannte die Runde seiner Berater. Niemand konnte ihm widersprechen. Heute Nacht, wenn sie aufwachen, erinnern sie sich an dieses Beispiel. Dann sehen wir weiter, abgemacht?“

Nach einer kurzen Pause fragte Wendelin: „Aber nun zu Ihnen, liebe Wanda. Sie haben nicht immer hier gelebt. Ihr zauberhafter Akzent verrät mir, dass Sie aus einem anderen Land, vielleicht sogar Kontinent, kommen. Ich möchte gerne erfahren, warum Sie zurück sind?“ „Um wieder wegzugehen, wenn mein Bauch mir sagt, dass Weggehen das Richtigere ist. – Wissen Sie, ich bin in Bonn geboren. Mit meinem Mann habe ich später in der Nähe von Miami, in Fort Lauderdale, gewohnt. Ich kenne das Gefühl des ewigen Sommers. Mit Jacob bin ich sehr viel durch Europa gereist. Ich habe diesen Kontinent gemocht. Vielleicht auch wegen der Gegensätze zu Florida. Vor allem haben mich die historischen Städte der griechischen und römischen Kultur interessiert. Jacob hatte es immer so eingerichtet, dass wir während der Sommermonate in London, Paris oder München waren. Athen oder Rom besuchten wir dann von unserem jeweiligen Sommerdomizil aus. Im November sind wir meist zurück nach Florida gegangen, so dass wir Weihnachten in der Sonne erleben konnten. Ich bin nach hier gekommen, um alte Bekannte und Freunde aufzusuchen. Ich betrachte diese Einrichtung als Hotel, das ich verlassen kann, wann immer ich es möchte. In ein Hotel gehe ich nicht zum Sterben. Wobei ich, wie schon erwähnt, die Vorzüge des kompletten Versorgt-Seins ganz bewusst in meine Wahl einbezogen habe.“

„Weibliche Logik, die ich bisher vergeblich zu erlernen versucht habe. Ich, als Mann, werde also vergeblich danach streben, sie mir anzueignen.“

„Schauen wir uns doch dieses alles in der Gesamtheit an. Alles Geschehen, jede Aktion, zieht eine Reaktion nach sich. Alles bedingt einander.

Man könnte das auf eine erotische Studie ausweiten. Aber das machen wir beim nächsten Mal – Wendelin, stellen Sie sich vor, ich bin eine gute Fee und sie haben drei Wünsche frei. Was wären ihre Wünsche?“

„Dass Sie sich wünschen, mit mir nach Australia zu reisen. Und nicht nur, um die Orte der Austragung der Olympischen Spiele zu sehen.“

Spontan war dieser Wunsch ausgesprochen.

„Das war nur e i n Wunsch. Sie haben noch zwei offen.“

„Hm, ja, und ich soll nun an ihre Zauberkraft glauben. Ich spreche einen Wunsch aus, und Sie erfüllen ihn?“

„Meine Möglichkeiten haben Grenzen. Innerhalb dieser Grenzen befinden wir uns in einem Areal, in dem wir einiges bewirken können. Wir benutzen dazu Energien und die Signale aus dem Unbewussten, aus dem Bauch, wenn Sie so wollen. Dann geschehen Dinge, die unsere Vorfahren mit ‚Berge versetzen’ bezeichneten. Auch das basiert auf der, vielleicht weiblichen, Logik.“

„Also, wenn ich Sie richtig verstanden habe, sagen Sie damit, dass ich mir selber den Wunsch oder die Wünsche erfüllen muss.“

„Ich darf Sie noch mal darauf hinweisen, lieber Wendelin, dass Sie überhaupt nichts müssen. Sie können und sie dürfen. Aber Sie müssen nicht. Meine Aufgabe als Fee sehe ich darin, Ihnen bei der Erfüllung Ihrer Wünsche behilflich sein zu dürfen, indem ich versuche, mit Ihnen gemeinsam herauszufinden, was Sie wirklich wollen und Sie zum Beispiel am Anfang begleite. Später können Sie dann alleine gehen.“

„Dass ich noch so viel zu lernen habe, ist mir bisher nicht bewusst gewesen. Nun habe ich ihre Rolle übernommen, indem ich neugierig und sehr interessiert bin an Ihrem Leben.“

„Ich habe eine Idee. Sie überlegen sich zwei Wünsche für unsere nächste Begegnung. Dann sehen wir weiter. Abgemacht?“

„Abgemacht!“

Wanda war etwas müde, heute will sie nicht über ihr Leben reden. Geschickt bringt sie das Gespräch auf die Bundeskunsthalle, wo die unterschiedlichen Ausstellung zu sehen sind.

Während der Heimfahrt reden Wanda und Wendelin wenig miteinander. Kurz vor der letzen Biegung, vor der Senioren Residenz, von wo aus die Straße nicht einsehbar ist, verlässt Wanda das Auto. Sie will den letzten Rest des Weges laufen. Ein wenig frische Luft tut ihr gut. Und beide wollen ihre Freundschaft in der Privatsphäre eingebettet wissen. Vorerst jedenfalls. Wanda entscheidet sich, wie meistens, die Treppen zu nehmen. Bis zur ersten Etage schafft sie die Stufen mühelos. Außerdem hält das Treppensteigen sie fit. Das Klappern des Geschirrs sagt ihr, dass das Essen noch nicht begonnen hat. Es wird aufgetragen. Sie ist also noch pünktlich.

Wanda und Wendelin

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