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DER ERLEUCHTUNGSGEIST - BODHICHITTA

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Durch Nachdenken und Untersuchung entdecken wir, daß nur ein vollkommenes Wesen - jemand, der aus dem Schlaf der Unwissenheit erwacht ist, ein voll erleuchteter Buddha - die volle Macht besitzt, andere von ihrem Leiden zu befreien. Diese Wahrheit wird uns klar werden, wenn wir über die Eigenschaften nachdenken, die ein wahrer Befreier haben muß. Ein solches Wesen müßte die folgenden vier Eigenschaften eines Erleuchteten besitzen:

(1) Freiheit von allen Behinderungen zur Befreiung und Allwissenheit

(2) Geschickte Mittel, um alle fühlenden Wesen aus ihren Leiden zu führen

(3) Gleiches Mitgefühl für alle

(4) Vollständige Unvoreingenommenheit und einzig zum Wohl anderer Lebewesen arbeitend

In dieser Welt finden wir kein einziges gewöhnliches Wesen, das solche Qualitäten aufweist. Jedes Wesen, das diese vier Eigenschaften besitzt, bezeichnen Buddhisten mit dem Titel «Buddha». In der Vergangenheit haben viele Menschen in östlichen Ländern diesen Titel erworben, indem sie durch Meditation über den Mahayana-Pfad erhabene Qualitäten entwickelten. Es ist meine Hoffnung, daß in der heutigen Zeit auch einige Menschen des Westens diese kostbaren Qualitäten entwickeln und ebenso die Buddhaschaft erlangen.

Zum Schluß: Wir haben das beabsichtigte Resultat dieser Meditation erreicht, wenn wir die sechste Realisation, die Höhere Absicht, entwickelt und anschließend auch erkannt haben, daß nur ein Buddha mit den obengenannten vier Qualitäten die volle Macht besitzt, diesen reinen Wunsch zu erfüllen. Es entsteht dann der anhaltende Wunsch im eigenen Geist, die volle Erleuchtung der Buddhaschaft anzustreben, um allen fühlenden Mutterwesen von Nutzen zu sein und sie von ihren Leiden zu befreien. Das ist der Erleuchtungsgeist oder Bodhichitta, und alle, die ihn entwickeln, werden Bodhisattvas genannt.

Shantideva erklärte im letzten Vers, daß es viele Formen von Bodhichitta gibt, die aber alle in den folgenden zwei Aspekten enthalten sind: im anstrebenden und im ausübenden Geist. [16] Diese beiden Aspekte können mit dem Wunsch, irgendwo hinzugehen, und dem eigentlichen Gehen verglichen werden. Zuerst entsteht der Geist, der danach strebt oder sich wünscht, an ein bestimmtes Reiseziel zu gelangen, und dieser Wunsch bleibt auch während der Reise bestehen. Auf ähnliche Weise will der anstrebende Bodhichitta die Erleuchtung zum Wohl aller fühlenden Wesen erlangen und diese Geisteshaltung bleibt bestehen, bis das Ziel erreicht ist. Der ausübende Erleuchtungsgeist beginnt mit dem Empfangen der Bodhisattva-Gelübde. Von diesem Zeitpunkt an praktiziert man tatsächlich die Übungen, die zur Erleuchtung führen: die Sechs Vollkommenheiten und andere tugendhafte Handlungen.

Die zwei Aspekte des Erleuchtungsgeistes werden durch das Befolgen der entsprechenden Grundsätze und Gelübde im eigenen Geist stabilisiert. Zuerst verpflichten wir uns in der Gegenwart eines Lehrers oder der visualisierten Versammlung der Buddhas dem anstrebenden Erleuchtungsgeist. Zu diesem Zeitpunkt versprechen wir, diesen Geist niemals wieder aufzugeben, sondern ihn bis zur Erlangung der Erleuchtung festzuhalten. Dann versprechen wir, die folgenden acht Grundsätze einzuhalten, damit dieser anstrebende Geist in diesem und allen zukünftigen Leben nicht degeneriert. Für dieses Leben versprechen wir:

(1) Uns immer wieder an den Nutzen von Bodhichitta zu erinnern

(2) Bodhichitta dreimal während des Tages und dreimal während der Nacht zu erzeugen

(3) Nie die Absicht aufzugeben, fühlenden Wesen zu helfen

(4) Eine große Menge an Verdiensten und Weisheit zu erwerben

Die vier Grundsätze, die das Degenerieren des anstrebenden Erleuchtungsgeistes in zukünftigen Leben verhindern, sind:

(5) Unseren Lehrer, Abt oder Präzeptor nicht zu täuschen

(6) Andere nicht von tugendhaften Handlungen abzubringen, sei es dadurch, daß wir uns nicht an ihren tugendhaften Handlungen erfreuen, oder dadurch, daß wir bewirken, daß sie ihre schon ausgeführten tugendhaften Handlungen bereuen

(7) Zu vermeiden, diejenigen, die in den Mahayana-Pfad eingetreten sind, und insbesondere wirkliche Bodhisattvas zu kritisieren

(8) Zu vermeiden, irgendein fühlendes Wesen zu täuschen

Wenn der anstrebende Erleuchtungsgeist stabil und voller Ermutigung ist, entwickelt der Bodhisattva ganz natürlich den Wunsch, alle Vollkommenheiten zu praktizieren: die reinen Handlungen eines Bodhisattvas. Zu diesem Zeitpunkt werden die Gelübde des ausübenden Erleuchtungsgeistes erneut entweder in der Gegenwart eines Lehrers oder vor der visualisierten Versammlung der Buddhas abgelegt. Zu diesem Zeitpunkt verpflichtet man sich, alle Grundsätze, die in der Praxis der Sechs Vollkommenheiten enthalten sind, zu beachten. Die Sechs Vollkommenheiten werden später in diesem Kommentar erklärt, und die Zeremonie, in der die Bodhisattva-Gelübde abgelegt werden, wird im dritten Kapitel beschrieben.

Wenn die vollständigen Bodhisattva-Gelübde abgelegt werden, verwandelt sich der anstrebende Geist des Bodhichittas in den ausübenden Geist des Bodhichittas. Wenn alle Grundsätze auf reine Weise eingehalten werden, kommt der Bodhisattva der höchsten Erleuchtung immer näher. Werden die Grundsätze aber mißachtet, gebrochen und aufgegeben, entstehen schwere negative Folgen, die unseren Geist weiter vom Ziel entfernen. Eine vollständige Erklärung der achtzehn Hauptgelübde und der sechsundvierzig Nebengelübde eines Bodhisattvas gibt Arya Asanga in Ebenen eines Bodhisattvas (Skrt. Bodhisattvabhumi) und Je Tsongkhapa in Der Hauptpfad zur Erleuchtung (tib. Byang chub shung lam). Ein Kommentar ist auch im Buch Das Bodhisattva-Gelübde enthalten.

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