Читать книгу Sinnvoll zu betrachten - Geshe Kelsang Gyatso - Страница 56
LOBPREISUNG AN DIEJENIGEN, DIE BODHICHITTA ERZEUGT HABEN
Оглавление[31] In dieser Welt loben und respektieren wir im allgemeinen einen Menschen, der die Güte, die er von jemand anders empfangen hat, erwidert. Wenn dem so ist, wie können wir auch nur anfangen, von der großen Güte eines Bodhisattvas zu reden, diesem unendlich mitfühlenden Wesen, der anderen bedingungslos hilft, ganz gleich, ob auch sie ihm geholfen haben oder nicht? Von Großem Mitgefühl getragen, hilft er allen fühlenden Wesen vorbehaltlos, indem er sie auf zahllose Weise aus dem Leiden zum Glück führt. Ist es da noch notwendig, daß man vom Lob und der Verehrung spricht, die einem solch glorreichen Wesen gebührt?
[32] Jemand gibt vielleicht ein paar Bettlern etwas zu essen, genug für einen halben Tag. Selbst wenn er diese Wohltätigkeit ärgerlich und mit schlechten Gefühlen ausübt, was ist die allgemeine Reaktion auf diese Handlung? Die Bettler sind dankbar, und der Mann wird von anderen Menschen gelobt. Sie sagen: «Er ist ein großer Wohltäter und hat viel Tugend angesammelt.» [33] Wenn dem so ist, ist es noch notwendig das Lob und die Ehrerbietung zu erwähnen, die einem Bodhisattva gebührt? Solange Samsara besteht, strebt dieser unvergleichliche Wohltäter danach, nicht nur die vorübergehenden Wünsche der zahllosen fühlenden Wesen zu erfüllen, sondern ihnen auch die einzigartigen Freuden der Erleuchteten zu gewähren. Wenn wir diese Begründung richtig verstanden haben, sollten wir immer den größten Respekt für die Bodhisattvas empfinden. Allein indem wir uns an ihren tugendhaften Handlungen erfreuen, empfangen wir unermeßliche Verdienste.
Einige mögen sich fragen, was der Bodhisattva unternimmt, um anderen Lebewesen vorübergehendes und endgültiges Glück zu gewähren. Es gibt eine, große Vielfalt möglicher Handlungen, weil der Bodhisattva immer entsprechend den verschiedenen Veranlagungen der einzelnen Wesen handelt. Manchmal wird er anderen durch Unterweisungen helfen, manchmal wird er materielle Hilfe geben und manchmal wird er diejenigen beschützen, die sich in Not befinden oder große Angst haben. Sehr fortgeschrittene Bodhisattvas können sich entsprechend den Bedürfnissen der Wesen in verschiedenen Formen manifestieren. Je nach Situation und Notwendigkeit ist es für sie möglich, als Freund, Helfer oder sogar als unbelebter Gegenstand zu erscheinen. Der hauptsächliche Weg aber, wie ein Bodhisattva anderen Lebewesen hilft, ist durch das Lehren des Dharmas, der eigentlichen Methode, die fühlende Wesen aus den Leiden Samsaras zum Zustand der höchsten Erleuchtung führen kann. Wenn die Lebewesen aber kein Interesse am Dharma haben, ist es ihm nicht möglich, sie zu lehren. Deshalb manifestiert er sich für solche Wesen entsprechend ihren vorübergehenden Bedürfnissen.
Diese Darstellung der Handlungen eines Bodhisattvas mag unglaubhaft erscheinen, und es fällt uns gegenwärtig vielleicht schwer, all dies zu akzeptieren. Wenn wir aber mit dem gewaltigen Mahayana-Dharma vertraut werden und ihn schließlich verstehen, dann werden wir erkennen, daß die Handlungen eines Bodhisattvas tatsächlich so sind. Deshalb sollten wir zuerst einmal zuhören und Dharma-Unterweisungen empfangen, und dann werden wir die Qualitäten der Lehre Buddhas verstehen und schätzen lernen.
In Tibet gab es einen Lama namens Purchok Jhampa Rinpoche, der einen Schüler namens Kachen Yeshe Gyaltsen hatte. Der Schüler lebte unterhalb der Höhle seines Lehrers und hatte oft nicht ausreichend Nahrung und Kleidung. Eines Tages kam ein Edelmann zu Besuch und brachte Yeshe Gyaltsen einen Sack voll Gerstenmehl, sogenanntes Tsampa, sowie etwas Butter. Da dachte der Schüler: «Ich muß wohl ein ganz besonderer Mensch sein, daß mir ein Aristokrat solche Gaben darbringt.»
Am folgenden Tag gab Jhampa Rinpoche wieder Unterweisungen. Mitten im Vortrag sagte er: «Einer meiner Schüler weiß nicht, daß sich ein Lama sogar als Tsampa und Butter manifestieren kann.» Dann schaute er Yeshe Gyaltsen direkt an und fuhr fort: «Dieser Schüler denkt, daß er diese Nahrung nur aufgrund seiner eigenen Verdienste erhielt.» Plötzlich erkannte Yeshe Gyaltsen, daß sowohl der Edelmann als auch dessen Geschenke eine Manifestation seines Meisters waren, und ein Gefühl von großem Vertrauen und starker Hingabe entstand in seinem Geist.
Wenn der Dharma neu für uns ist, reagieren wir aber vielleicht eher mit Skepsis auf solche Geschichten. Es mag deshalb schwierig sein, diese Dinge zu glauben und zu akzeptieren. Wenn wir wissen wollen, ob eine bestimmte Speise wohlschmeckend ist oder nicht, können wir das nur feststellen, indem wir davon kosten. Genauso können wir die Qualitäten des Dharmas nur dann erkennen, wenn wir die Lehre Buddhas auch praktizieren. Im Moment sind wir noch nicht auf den Geschmack des Mahayana-Dharmas gekommen, deshalb ist es natürlich schwierig, ihn zu akzeptieren. Wenn wir aber diese Speise zu uns nehmen, dann werden wir ihren Geschmack kennenlernen.
Das endgültige Ziel eines Bodhisattvas besteht darin, alle fühlenden Wesen zur Erlangung der Erleuchtung zu führen. Dazu sind Vorbereitungen notwendig. Wenn wir einen König oder irgendeinen hohen Würdenträger in unser Haus einladen, würden wir sicher ausgiebige Vorbereitungen treffen. Auf die gleiche Weise möchte der Bodhisattva alle seine Gäste, die zahllosen fühlenden Mutterwesen, zum Festessen der erhabenen Buddhaschaft einladen. Er bereitet sich jetzt darauf vor, indem er selbst Buddhaschaft anstrebt. Wenn er diesen erhabenen Zustand erreicht hat, kann er alle fühlenden Wesen aus ihrem leidvollen Dasein befreien und zur Glückseligkeit der Erleuchtung führen. Deshalb ist der Bodhisattva unser gütigster Wohltäter, der alle unsere zeitweiligen und endgültigen Wünsche erfüllt.
An dieser Stelle könnten Zweifel entstehen. Wenn, wie es hieß, ein Buddha die Fähigkeit besitzt, das Leiden aller Wesen zu beseitigen, wieso haben dann die zahllosen Buddhas der Vergangenheit noch nicht alle Lebewesen zur Erleuchtung geführt? Die Antwort ist, daß die Buddhas alle Behinderungen und Begrenzungen überwunden haben und deshalb die volle Weisheit, das Mitgefühl und die geschickten Mittel besitzen, die notwendig sind, um andere Wesen zur Buddhaschaft zu führen. Wenn aber die fühlenden Wesen ihrerseits nicht das notwendige Bemühen aufbringen, d.h. wenn sie sich nicht bemühen, dem Pfad zu folgen, den die Buddhas gezeigt haben, werden sie in Samsara gefangen bleiben. Wie schon oft erwähnt wurde, kann ein Buddha das Leiden und die Verblendungen anderer Wesen nicht entfernen, so wie man einen Dorn aus dem Fleisch zieht. Ohne gemeinsames Bemühen kann nichts erreicht werden. Sich einzig und allein auf ein erleuchtetes Wesen zu verlassen ist deshalb nicht genug.
Shantideva fährt in seinem Text mit Ratschlägen fort, wie man sich gegenüber einem Bodhisattva verhalten sollte. [34] Er zitiert Buddha Shakyamuni, der sagte, daß ein einziger Moment von Wut gegenüber einem Bodhisattva, diesem unvergleichlichen Wohltäter aller fühlenden Wesen, den Geist mit einer gewaltigen nichttugendhaften Prägung verunreinige. Infolgedessen wird man für so viele Äonen in den äußerst leidvollen Höllenbereichen bleiben müssen, wie man Momente von Wut hatte. [35] Wenn man andererseits eine tugendhafte Geisteshaltung wie zum Beispiel Vertrauen in einen Bodhisattva erzeugt, werden sich die Früchte dieser Handlung noch weitaus stärker vermehren, als es die Folgen eines wütenden Geistes tun. Während Wut gegenüber einem Bodhisattva Tausende von Malen nichttugendhafter ist als gegenüber einem gewöhnlichen Wesen, ist Vertrauen in einen Bodhisattva weitaus verdienstvoller als Vertrauen in ein gewöhnliches Objekt.
Bodhichitta hat so viele gute Qualitäten und führt zu so vielen nützlichen Resultaten, daß der Körper einer Person, die diesen höchst wertvollen Geist entwickelt hat, es verdient, daß wir uns vor ihm verbeugen. In einem seiner früheren Leben als Bodhisattva erschien Buddha Shakyamuni als König Maitribala. Er war ein weiser und gütiger König, der von seinen Untertanen sehr geliebt wurde. Sein Ruhm verbreitete sich bald weit über die Landesgrenzen hinaus. Auch fünf kannibalische Dämonen hörten schließlich von diesem König. Sie waren sehr neidisch auf seine guten Qualitäten und schmiedeten deshalb einen Plan, ihn zu ermorden. Weil sie seinen Ruf kannten, außerordentlich großzügig zu sein, erschienen sie vor ihm und baten um Almosen. Sofort gab ihnen der König viel Gold und Silber, aber statt dies anzunehmen, antworteten sie: «Diese Gabe ist ungeeignet. Wir sind Kannibalen, bitte gib uns dein Fleisch und Blut!» Der König stimmte diesem grausamen Wunsch zu, und als er ihnen von seinem Blut gab, betete er: «So wie ich sie jetzt mit meinem Blut sättige, möge ich sie eines Tages mit dem reinen Dharma sättigen und ihnen damit von wirklichem Nutzen sein.» Als der König später als Buddha Shakyamuni wiedergeboren wurde, wurden die fünf Dämonen als seine ersten Schüler wiedergeboren. Nachdem sie die erste Lehrrede Buddhas gehört hatten, die er in Sarnath gab und die der Beginn der ersten Drehung des Dharma-Rades war, erlangten diese fünf Schüler die Arhatschaft: die vollständige persönliche Befreiung von allen Leiden. [36] So geben Bodhisattvas sogar denjenigen, die ihnen schaden, vorübergehende und endgültige Freude und Nutzen zurück. Da die Bodhisattvas die Grundlage für das Glück aller Lebewesen sind, ist es angemessen, immer wieder Zuflucht zu ihnen zu nehmen.
Obwohl es sowohl in der Sutra- wie in der Tantra-Kategorie zahlreiche Mahayana-Übungen gibt, gibt es keine wichtigere Praxis als Bodhichitta. Wenn man beispielsweise dem Pfad des Tantras folgt, ist es möglich, die Erleuchtung in einem kurzen Leben zu erlangen. Wenn man aber nicht bereits Bodhichitta entwickelt hat, dann spielt es keine Rolle, wie ausgiebig und lange man praktiziert, denn es wird absolut unmöglich sein, Erleuchtung zu erlangen. Es ist daher ein großer Fehler, wenn wir denken, daß Tantra der schnelle Pfad zur Erleuchtung ist und wir sofort diesen Pfad begehen sollten, und dabei die Entwicklung von Bodhichitta völlig vergessen. Solch eine fehlgeleitete Art des Praktizierens wird ohne jedes Resultat bleiben.
Es ist von größter Wichtigkeit, den spirituellen Pfad korrekt und Schritt für Schritt zu begehen, ohne dabei irgendwelche Stufen auszulassen. Unseren Geist auf diese Weise zu schulen heißt, die Beispiele der großen Praktizierenden wie Milarepa nachzuahmen, der die Erleuchtung in einem einzigen Leben erlangte. Milarepa sagte einmal: «Zuerst fürchtete ich mich vor den acht Zuständen der Gefangenschaft. Ich meditierte über Unbeständigkeit, Tod und die Fehler Samsaras. Ich hielt das Gesetz von Handlungen und Wirkungen sorgfältig ein, und ich verließ mich einzig und allein auf die drei kostbaren und erhabenen Juwelen der Zuflucht. Lange Zeit schulte ich mich in den zwei Methoden zur Entwicklung von Bodhichitta. Später erkannte ich, daß allem, was meinem Geist erscheint, eigenständige Existenz fehlt und alles wie eine Illusion ist. Jetzt habe ich keine Angst mehr vor einer Wiedergeburt in den niederen Bereichen.» Eine systematische Methode der Praxis wie diese sollte unser Leitfaden sein, wenn wir dem Bodhisattva-Pfad folgen.
Damit endet das erste Kapitel «Der Nutzen von Bodhichitta» des Textes Sinnvoll zu betrachten, der ein Kommentar ist zu Shantidevas Leitfaden für die Lebensweise eines Bodhisattvas.