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MEDIENKOMPETENZ – MEHR ALS EIN SCHLAGWORT
ОглавлениеIn der wohlvertrauten, analogen Welt behüten wir unsere Kinder wie Glucken. Bis sie junge Erwachsene sind und oft sogar darüber hinaus. Doch kaum tun sie erste Schritte in die Welt des Digitalen, lassen wir sie mutterseelenallein.
Warum nur?
»Ab wann, glauben Sie, kann es für Kinder gefährlich sein, sie mit Smartphone beziehungsweise Internet alleine zu lassen?«
Das ist eine beliebte Einstiegsfrage, mit der ich Elternabende zumeist eröffne. Dann setze ich sofort mit ein paar Fakten nach: Jeder Siebte, das sind 14 Prozent der Drei- bis Fünfjährigen, hat bereits ein eigenes Smartphone. Bei den Sechs- bis Zehnjährigen sind es vier von zehn. Und von da weg – bei den Elf- bis 15-Jährigen – fast schon jedes Kind. Genau genommen 90 Prozent. Als Spiegel dieser Entwicklung, ergänze ich noch, passt auch folgende Erhebung einer Jugendmedienstudie1 aus dem Jahr 2017. Die Frage lautete:
»Kannst du dir ein Leben ohne Handy vorstellen?«
Undenkbar, sagen acht von zehn Jugendlichen. In exakten Zahlen: 78 Prozent. Was nicht weiter verwundert.
Immerhin lernen Kinder von klein auf, dass Smartphones unverzichtbare Bestandteile des Lebens sind. Sie lernen es durch das Medienverhalten älterer Geschwister oder der Eltern, und das erste Gerät im Leben eines Kindes ist oft genug ein geerbtes – vom älteren Bruder, der älteren Schwester, von Vater oder Mutter oder anderen Verwandten.
Wie sieht nun dieses Erlernen von Medienverhalten in der Regel aus?
Aus der Praxis
Kurt, 37, ist Lehrer. Neben ihm auf dem Beifahrersitz sitzt seine Frau Anna. Im Fond des Wagens die beiden Söhne: Maximilian, 3, und Sebastian, 5. Heimaturlaub in Österreich ist angesagt und die junge Familie gerade in Kärnten unterwegs. Eine Szene, die jeder Elternteil bestimmt hundertfach erlebt hat. Hunger überfällt die Kleinen, ein Gasthaus muss her. Und zwar jetzt. In der Sekunde.
Kurts Handy ist über Bluetooth mit dem Auto synchronisiert. Er hat von Arbeitskollegen von einem Gasthaus gehört, das in der Nähe sein soll. Ein Geheimtipp. Also läuft es so ab: Google-Spracheingabe aktivieren, Namen des Gasthauses sagen. Google liefert prompt. Adresse. Telefonnummer. Anruf folgt. Wenig später ist alles geritzt, ein Tisch reserviert.
Was haben Maximilian und Sebastian hinten im Wagen gelernt?
Sie haben fürs Leben gelernt. Nämlich: Wenn ich den richtigen Knopf drücke und etwas hineinsage, bekomme ich eine Antwort. Und zwar sehr schnell.
Tipp Machen Sie zur Einschätzung der Gefahren für Ihre Kinder einen Selbstversuch. Nehmen Sie das Smartphone zur Hand, betätigen Sie die Spracheingabe. Sagen Sie laut: »Porno.« Oder auch: »Penis.« Ergebnis? Eine blitzartig bereitgestellte Flut von Fotos oder Links zu Pornoseiten. Dasselbe können Ihre Kinder auch, sobald Sie sprechen und sich halbwegs klar artikulieren können. |
Sprachsteuerung ist das eine, Onlinespiele sind das andere. Vor allem, wenn Kinder erst einmal lesen und schreiben können, ist solcher Zeitvertreib ausgesprochen reizvoll. Nicht, dass diese Spiele prinzipiell zu verurteilen wären, doch die Gefahr lauert in einem Feature, das die meisten bereitstellen: die Chatfunktion.
Denn natürlich haben auch Pädophile Onlinespiele längst für sich entdeckt. Vor allem solche mit Chatfunktion. Sie ist es, die es Erwachsenen, fast ausnahmslos Männern, erlaubt, sich an Minderjährige heranzumachen. Fachbegriff dafür: Cybergrooming.
Internet-Streicheln. Eine fast verharmlosende Übersetzung dafür, was den Tätern im Sinn steht. Die sexuelle Anmache von Kindern. Sei es verdeckt. Sei es auch ganz offensiv.
Aus der Praxis
Bei einer internationalen Schulung, an der ich als Polizist teilnahm, wurde folgendes Szenario simuliert: Ein deutscher Kollege loggte sich um 9 Uhr vormittags in ein Online-Rollenspiel für Kinder ein. Er gab sich als zwölfjähriges Mädchen aus. Natürlich mit Nicknamen. Sweetrose 12.
Es war auch für uns erfahrene Ermittler unglaublich: Nach genau fünf Minuten geschah es bereits – Sweetrose 12 wurde angeschrieben. Über die Chatfunktion des Spieles. Das Muster, nach dem der Kontakt ablief, war uns wohlvertraut. Fazit: Mit der größten Wahrscheinlichkeit hatten wir einen Pädophilen an der Angel.
Wie schnell das mitunter gehen kann, zeigte ein weiterer Versuch. Diesmal fälschten wir ein Profil (mit Foto) unter dem Nicknamen Sexysusi 13. Platt und auffällig, könnten Sie nun dagegenhalten. Doch der Account verfehlte seine Wirkung nicht.
Gleich zwei User mit eindeutig pädophilen Neigungen kontaktierten uns innerhalb von 24 Stunden. Der eine schrieb:
»Hey, cooles pic von dir, gibt’s weitere pics?«
»Welche pics willst denn?«
»Ich will normale Fotos von dir. Ich glaube ja nicht, dass du Nacktfotos hast. Und wenn du welche hättest, würdest du sie ja nicht schicken. Oder?«
Der andere Cybergroomer ging gleich ordentlich zur Sache. Er bot uns 150 Euro an. Für ein Livetreffen mit Oralsex.
Was sagen uns diese beiden Beispiele?
Sie zeigen vor allem auf: Seit es das Internet gibt, ist in Sachen Pädophilie kein Stein auf dem anderen geblieben. Nicht, dass es diese Neigungen nicht immer schon gegeben hätte. Das World Wide Web jedoch hat die Möglichkeiten für Menschen mit sexuell krankhaften Neigungen regelrecht explodieren lassen. In einem geschützten, weitgehend anonymen Raum obendrein.
Wer in Vor-Internet-Zeiten sexuellen Kindesmissbrauch betrieb, war darin stark limitiert. Verwendet wurden analoge Kameras, ob Foto oder Video. Die wenigsten kannten sich mit dem Entwickeln von Filmen aus, mussten sich demnach an Vertraute oder Eingeweihte mit eigener Dunkelkammer wenden. Mit dem heißen Material zum nächsten Drogeriemarkt zu gehen, um es dort ausarbeiten zu lassen, war ausgeschlossen.
Weitgehend begrenzt war damals auch noch die Community. Alles lief mehr oder minder auf persönlicher, oft auch regionaler Ebene ab. Man kannte sich. Man tauschte sich postalisch aus, per Brief oder Paket. Oder bei Geheimtreffen auf irgendwelchen unbeleuchteten Parkplätzen mitten in der Nacht.
Und heute?
Heute sind die Möglichkeiten des Austauschs unter Pädophilen fast unbegrenzt. Er erfolgt blitzartig, über eine 100mbit-Leitung im Darknet zum Beispiel. Weltweite Vernetzung mit Gleichgesinnten inklusive. Hinzu kommt die enorm weiterentwickelte Technologie bei Foto und Video. Wer nur ein klein wenig Ahnung vom Darknet hat, erkennt rasch: Will die Polizei in diesen Untiefen des Netzes Straftäter ausforschen, sind die Möglichkeiten sehr limitiert. Ein langer und steiniger Weg, der oft genug nicht ans Ziel führt.
Was ist die Konsequenz?
Die Konsequenz ist, dass wir als Gesellschaft mehr denn je gefordert sind. Indem wir uns so früh wie möglich in das digitale Leben unserer Sprösse einblenden. Doch gerade da fühlen sich die allermeisten überfordert. Seien es die Eltern. Seien es die Lehrer.