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Die Wischergeneration

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Die verhältnismäßig junge Geschichte des Internets bringt es naturgemäß mit sich. Unsere Gesellschaft ist zersplittert in Gruppen mit unterschiedlichstem Wissensstand. Am höchsten ist er natürlich bei ihnen:

Den Digital Natives.

Die Ureinwohner der digitalen Welt, dank ihrer Jugend von Anfang an dabei. Zu ihren allerersten prägenden Erfahrungen im Leben zählt es mitunter, zu sehen, wie wir Erwachsene, oder Schwester und Bruder auf seltsamen kleinen Dingern mit den Fingern herumwischen und sich Erstaunliches tut. Diese Bewegungen nachzuahmen ist den Kleinen ein Leichtes. Sobald ein Bildschirm in der Nähe ist, geht es los. Der Kabarettist Günter Grünwald hat dafür diesen Ausdruck geprägt:

Wischergeneration.

Und dann – bestimmt ergeht es Ihnen da ganz ähnlich – bekomme ich von Bekannten oder Freunden immer wieder Sätze wie diese zu hören:

»Ein Wahnsinn, die Jugend von heute! Die können gar nicht mehr kommunizieren. Die befassen sich doch nur noch mit dem Smartphone.«

Das sehe ich entschieden anders. Jugendliche kommunizieren auch mit dem Handy. Sie tun es zusätzlich, kommunizieren in Summe also deutlich mehr als wir Erwachsene. Allein schon die Vielzahl der WhatsApp-Gruppen, in denen sich die meisten jungen Leute tummeln. Bis zu fünfzig und sogar noch mehr. Die jungen Menschen unterscheiden in der Regel sehr genau, mit wem sie wo chatten. Und wem sie was schreiben. Mit wem sie welche Dinge teilen und mit wem lieber nicht.

Hinzu kommen weitere Freizeitaktivitäten als Quelle von Kommunikation unter jungen Menschen. Während des Unterrichts dürfen sie üblicherweise ohnehin nicht online sein. Die Hausordnungen in Schulen untersagen das. Und dass beim Verlassen des Schulgebäudes drauflosgechattet wird, ist völlig normal. Ausnahmen gibt es natürlich auch da – vor allem, wie in allen anderen Lebensbereichen auch, wenn der Gebrauch so krankhaft exzessiv wird, dass es an die Gesundheit geht.

Dabei genügt es oft, wenn wir uns selbst an der Nase nehmen. Wenn wir unser eigenes Internet- oder Smartphone-Verhalten selbstkritisch überdenken und hinterher unsere Vorbildfunktion neu bewerten.

Bleiben wir beim Beispiel WhatsApp: Warum verwenden wohl so viele Kinder und Jugendliche genau diesen Kanal und keinen anderen? Obwohl doch der Gebrauch – die Allgemeinen Geschäftsbedingungen strenggenommen – lange Zeit erst ab dem vollendeten 16. Lebensjahr erlaubt war, bevor das Limit auf 13 Jahre gesenkt wurde?

WhatsApp und Co. – Kinder und Jugendliche tun es, weil wir es auch tun. Wenn wir es tun, kann es weder gefährlich noch bedenklich sein.

Genauso lernen und sehen die Jungen das. Im Prinzip ist es auch richtig: Gefährlich sind weder Social Media, noch WhatsApp und Co. per se. Gefährlich sind ganz allein ihre User.


Aus der Praxis

Machen Sie erneut einen Selbstversuch! Laden Sie doch wieder einmal Gäste ein. Nehmen Sie Ihren Freunden die Garderobe ab und im nächsten Moment das Telefon. Halten Sie ihnen mit ein paar netten Worten eine Schachtel hin, auf der geschrieben steht: Handyparkplatz.

Heute, sagen Sie zu Ihren Gästen charmant lächelnd, wünschen wir uns eine handyfreie Zeit. Ein Beisammensein ohne die lästigen Dinger. Und beobachten Sie zugleich die vielen, bestimmt sehr unterschiedlichen Reaktionen.

»Ich muss unbedingt erreichbar sein«, wird der Klassiker unter den Antworten sein. Jene, die ihr Handy besonders widerwillig ablegen, können Sie bestimmt dabei beobachten, dass sie ungewöhnlich oft zur Toilette müssen. Um sich in Richtung Handyparkplatz zu stehlen.

Soweit müssen wir aber gar nicht gehen. Oft genügt bereits ein aufmerksamer Blick ringsum, um sich des längst eingefahrenen Handyverhaltens der Menschen zu vergewissern. In der U-Bahn. Im Bus. Auf der Straße. Überall Menschen, die Ohrstöpsel oder Kopfhörer tragen oder einfach gebannt nach unten starren. Da wird gesurft, gestreamt und Musik gehört, was das Zeug hält.

Als die Firma Sony 1979 den ersten Walkman auf den Markt brachte, war das eine Sensation. High-Tech pur nach damaligen Maßstäben. Und zugleich der Tribut an ein Bedürfnis von immer mehr Menschen, auch in aller Öffentlichkeit Musik hören zu können – ohne Zwangsbeglückung der Umwelt. Die einen wollten lauschen, die anderen nicht von der Musik gestört werden.

Heute hat sich der Gebrauch der High-Tech-Dinger beinahe ins Gegenteil gekehrt. Die meisten Menschen verwenden die Geräte aus einem völlig anderen Grund, nämlich: Sie selbst sind es, die nicht gestört werden wollen. Fast könnte man sagen: der neue Zeitgeist.

Was macht das mit unseren Kindern?

Dass nicht Internet oder Smartphone an sich das Problem darstellen, sondern unser Mangel an Medienkompetenz, unsere Sorglosigkeit und unser Verhalten, das unsere Kinder oft spiegeln, zeigt sich auch, wenn wir Bilder wie diese aus dem Gedächtnis abrufen: Mütter, und Väter, die den Nachwuchs vor sich im Kinderwagen sitzen haben und lieber aufs Handy stieren, anstatt die Aufmerksamkeit den Kleinen zu schenken.

Die Folge: Es wird ziemlich bald gequengelt. Die Botschaft von oben nach unten ist auch unmissverständlich.

Du bist nicht wichtig.

Wichtiger ist mein Smartphone.


Aus der Praxis

Sie sind ein junges Paar. Sie freuen sich, alle beide, dass die junge Liebe Früchte trägt. Nach langen Monaten des Entgegenfieberns kommt ihr Kind zur Welt. Es macht rasch Fortschritte, beginnt zu krabbeln, sich hochzuziehen. Bald schon tut es auch die ersten Schritte. Anfangs nehmen sie es noch bei der Hand, um Stürze und Verletzungen zu vermeiden.

Dann bekommt es sein erstes Laufrad. Mitsamt Schutzausrüstung. Ein Sturzhelm. Dazu Ellbogenschützer. Auch das erste Fahrrad ist gesichert. Mit Stützrädern. Später werden sie abmontiert.

Bei mir und meinen Kindern war es nicht anders. Auch ich bin besorgt hinter ihnen hergelaufen, als sie allein die ersten, wackeligen Meter zurückgelegt haben. Ich habe sie vorerst am Gepäckträger gehalten. Das Gleichgewicht fürs Radfahren zu halten, will eben erlernt sein.

Beim Skifahren, Snowboarden und anderen Sportarten schlagen wir oft andere Wege ein. Da schicken wir unseren Kleinen zu Profis, die sie den Umgang mit den Sportgeräten lehren. Dazu auch gleich alle Sicherheitsvorkehrungen, die man eben so braucht. Im Straßenverkehr, wo bekanntlich besonders viele Gefahren lauern, ist es genauso. Zu Beginn zeigen noch wir ihnen, worauf es ankommt. Etwa beim Queren einer Straße auf dem Schutzweg. Oder auch, wo sonst Gefahren auf dem Schulweg lauern. Hier kommen auch schon die Verkehrserzieher der Polizei ins Spiel. Sie machen Schulbesuche. Später folgen Fahrradprüfung, Mopedführerschein. Dann der Führerschein. Der L17 womöglich, wo wir selbst mit der Jugend viele Kilometer abspulen. Dreitausend mindestens. Graue Haare, die uns dabei auf dem Beifahrersitz spontan wachsen, sind keine Seltenheit. Das alles, weil wir letzten Endes unsere Kinder beschützen, sie auf die Gefahren auf dem Highway vorbereiten wollen.

Nun die Frage der Fragen:

Warum lassen wir unsere Kinder dann auf diesem anderen Highway, dem Datenhighway, allein? Wo ist da auf einmal unsere Verantwortung abgeblieben?

Vermutlich zählen Sie als Leserinnen und Leser dieses Buches zu den sogenannten Digital Immigrants. So wie ich. Zu jenen Menschen also, die nicht mit der digitalen Welt aufgewachsen sind. Die erst hineinwachsen mussten. Oftmals nicht ohne große Mühen.

Können wir uns als digitale Zuwanderer so einfach der Verantwortung entziehen? Sind wir, weil es nicht von vornherein unsere Welt gewesen ist, davon befreit, andere Bewohner zu beschützen? Gelten Ausreden wie »Ich kenne mich da nicht aus.«? Dürfen wir eigene Verpflichtungen ohne weiteres auf andere abwälzen? Auf den Schulbetrieb zum Beispiel?

Beantworten wir auch nur eine dieser Fragen mit Ja, so zählen wir zu ihnen: den digitalen Verweigerern. Den digitalen Außenseitern.

Kritische Situationen gibt es für Kinder auch in ihrer Internet-Existenz immer und überall. Sie damit allein zu lassen, ist grundfalsch. Wie sonst auch, benötigen Heranwachsende immer wieder Ansprechpartner. Jemand, dem sie uneingeschränkt vertrauen können. Wie solch kritische Situationen im World Wide Web aussehen können, möchte ich Ihnen in den folgenden Kapiteln in allen Einzelheiten offenlegen.

Immer wieder bin ich auf Eltern oder Lehrkräfte getroffen, die es mir offen ins Gesicht gesagt haben: »Facebook? WhatsApp? Keine Ahnung. Da kenne ich mich nicht aus. Interessiert mich auch nicht. Ich will mich erst gar nicht damit befassen.« Allesamt Menschen, die täglich mit Kindern zu tun haben.

Solche Signale erreichen dann nicht nur mich in einem einmaligen Gespräch. Sie werden im Gegenteil an die Kinder dieser Menschen, an ihre Schutzbefohlenen ausgesendet. Tag für Tag. So werden aus anfangs vielleicht noch kleinen Problemen rasch größere. Weil niemand da ist, der sich ihrer annimmt.

Würde ich mit meinem Auto in die Tischlerei fahren, wenn die Motorkontrollleuchte blinkt? Sicher nicht. Kinder tun das ebenso wenig. Sie haben feine Antennen dafür, wer im Problemfall für ihre Anliegen da ist. Und vor allem, wer nicht. Wenn wir das doch sein wollen, bleibt nur dieser eine Weg:

Auf in Richtung Medienkompetenz!

Kinder müssen immer dafür gerüstet sein: für den Worst Case. Sie müssen genau wissen, an wen sie sich im Notfall wenden können. Seien es die Eltern. Seien es die Lehrer. Ein Onkel. Eine Tante. Pate oder Patin, Freunde der Familie. Wer sich in der Medienlandschaft auskennt und zugleich das Gefühl vermittelt, ein immer offener, vertrauenswürdiger Gesprächspartner zu sein.

Natürlich gibt es auch zu diesem Thema Studien. Eine davon, für den gesamten EU-Bereich erstellt, ergab beispielsweise in punkto Mobbing: Kinder und Jugendliche erwarten sich da am ehesten Hilfe unter ihresgleichen, in der Peergroup. Bleibt diese Unterstützung aus, werden Erwachsene zu Rate gezogen. Wenn es denn welche gibt, die in Frage kommen. Denn die (oft nicht unberechtigte) Angst davor, Eltern etwa könnten überreagieren, verhindert diesen Schritt. Etwa, weil verlangt würde, den Facebook-Account zu löschen, weil der Internetzugang gesperrt oder das Smartphone überhaupt einkassiert würde.

Was ist der nächste Schritt?

Oft genug dieser: das Outing in einem x-beliebigen Internetforum. Auch dort haben sich längst jene dunklen Charaktere eingenistet, mit denen unsere Kinder besser nicht in Kontakt kämen. Erinnern wir uns nur an das besonders tragische Beispiel von Amanda Todd, das Mädchen aus dem kanadischen Vancouver. Amanda wurde nur 15 Jahre alt. Zu Tode gemobbt. In einem achtminütigen, bewegenden und um die Welt gehenden Video erzählte sie auf Karteikarten ihr Schicksal, nahm Abschied. Danach beging sie Selbstmord.

Ihre Geschichte entstammt nur auf den ersten Blick einer fernen Welt. In Wirklichkeit ist es eine Allerweltsgeschichte. Ebenso gut hätte sie in Österreich oder Deutschland spielen können. Und sie hat auf besonders tragische Weise klargemacht:

Kinder müssen aktiv auf das Internet vorbereitet werden. Auf seine Vorteile.

Und auf seine Gefahren.

Kinder müssen wissen, was es mit der Anonymität im Netz auf sich hat. Kinder müssen wissen, dass es Phänomene wie dieses gibt: Genderswapping. Dass dies nichts anderes bedeutet, als dass Männer sich als Frauen und Frauen sich als Männer ausgeben.

Doch damit nicht genug: Kinder müssen auch wissen, dass sie niemals schuld sind, wenn sie Opfer einer Straftat im Internet werden. Kinder müssen wissen, dass ihnen keine Gefahr droht, wenn sie sich jemandem anvertrauen. Dass sie deshalb nicht ihren Zugang zu Social Media verlieren. Weil Social Media und Co. ein wichtiger Teil ihrer Entwicklung sind. Weil Social Media und Co. zu ihnen gehören wie vieles andere auch. Weil Social Media und Co. ebenfalls zur sozialen Entwicklung eines modernen Menschen zählen. Weil das außer Streit stehen muss. Strittig sein sollte allein, wie wir damit umgehen.

Kinder sicher im Internet

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