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Kapitel 5 ZWISCHEN BOAS UND VOGELSPINNEN Tagebucheintrag 4. November 2016

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Nach der Begutachtung meines Inselgrundstückes sitze ich nun im Flugzeug zurück nach Österreich und versuche all das, was ich die letzten Tage erlebt habe, in Worte zu fassen. Obwohl das eigentlich kaum möglich ist. Zu umfangreich sind meine Eindrücke von Belize und meiner Insel.

Nachdem ich auf meiner Online-Suche in Belize eine Insel, oder besser gesagt einen großen Teil einer privaten Insel zum Kauf gefunden hatte, wollte ich natürlich mehr wissen als nur die Informationen, die mir Broker und Verkäufer gaben. Und ich hatte ja auch keine Ahnung von Inseln, vom Bau auf einer Insel und was man alles berücksichtigen muss. So machte ich mich im Internet auf die Suche nach einem Menschen, der etwas Ähnliches bereits gemacht hatte und mir Tipps geben könnte. Sehr schnell stieß ich auf Fred Arbona, dem Besitzer von Bird Island. Er ist ein US-amerikanischer Auswanderer, der das scheinbar Unmögliche möglich gemacht hat. Auf einer Insel im Nichts nur mit Solarstrom und Regenwasser eine auf Jahre ausgebuchte Vermietung zu betreiben. Dieses Treffen mit Fred war die Grundlage für meinen Flug nach Belize vor dem eigentlichen Auswandern.

Im Gegensatz zu Fred will ich jedoch auf meiner Insel leben, wobei ich nicht ganz ausschließe, dass man mit einer Zimmervermietung vielleicht ein bisschen Geld verdienen kann. Beziehungsweise pries der Verkäufer an, dass man dort ein kleines Restaurant führen könnte. Ich kannte mich mit den Insel-Optionen noch überhaupt nicht aus. Es erschien mir einerseits sehr schwierig, alles mit dem Boot hinauszubringen und dann ist da der eigentlich entscheidende Punkt. Wer soll dort Essen gehen, acht Kilometer vom Festland entfernt? Gibt es so viele Touristenboote, die dort vorbeikommen? Ich konnte mir das nicht so wirklich vorstellen. Außerdem wollte ich von Menschen weg und mit ihnen nichts mehr zu tun haben. So wie ich mir das vorstellte, würde ich da draußen einfach gratis leben, meinen eigenen Fisch selbst fangen und Regenwasser trinken. Viel mehr würde man ja wohl nicht zum Glücklichsein benötigen. Außer einem Hund. Ein Hund sollte unbedingt an meiner Seite sein.

Das Treffen mit Fred und der erste Besuch auf meiner Insel sollten mir zeigen, ob ich alles verloren habe oder ob man dort etwas Sinnvolles errichten kann. Oder ob ich eben tief in den Fäkalien meiner Naivität stecke. Laut Fred war der Platz sehr gut. Als wir uns dann vor wenigen Tagen das erste Mal trafen, erschien mir noch mehr Captain Kirk gegenüberzustehen, als ich von den Facebook-Fotos annahm. Fred ist ein warmherziger, intelligenter und hochgebildeter Mensch. Er erzählte mir stundenlang von Belize, Placencia und den Inseln. Die erste Bootsfahrt war für mich so etwas wie mein erstes Mal Fliegen.

Noch nie zuvor war ich mit einem Boot am Meer in der Karibik unterwegs. Noch dazu am Weg zu meiner eigenen Insel, und das in einem eher kleinen, aber schnellen Boot. Es war ein total surreales Gefühl, wie in einem verrückten Roman. Und so aufregend. Als wir der Insel näherkamen, wusste ich immer noch nicht genau, wo eigentlich mein Grundstück liegt. Orientierung war noch nie so mein Ding und alles sah gleich aus. Mangroven über Mangroven. Keine Strände, keine Buchten, einfach nur Dickicht. Die einzigen Bilder, die ich kannte, waren zwei Fotos, die ein zweijähriges Kind hätte besser schießen können, so schlecht war die Qualität der Bilder vom Verkäufer und dem Immobilienmakler. Sie waren absolut nichtsagend. Mangroven, Steine, das war´s. Die Satellitenbilder von Google Earth waren auch nicht sehr aussagekräftig. Ein kleiner freier Bereich war zu sehen und ein Dach einer Bruchbude, aber keine Details. Dieses Haus war im Kaufvertrag als Fischerhütte bezeichnet, wobei ich vom Verkäufer nur sehr dürftige Aussagen darüber erhalten hatte. Ich könnte darin nicht schlafen, es würde viel zu heiß sein und ich müsste sie abreißen. Fred hatte mir allerdings bereits mitgeteilt, dass diese Fischerhütte nicht mehr existierte. Jemand habe sie abgebaut und weggeschafft. So laufe das hier, wenn etwas nicht bewacht wird.

Als wir uns der Insel näherten, wusste Fred genau, wo er inmitten dieses Dschungels im Meer hinmusste. Zuerst zeigte er mir die Lagune, die im Zentrum der Inselkette liegt. Es war still, keinerlei Wellen und Fred beschrieb mir, welch große Fische man hier fangen könnte. Fred war in seinem Berufsleben ein Top-Verkäufer von Fliegenfisch-Material und eine Koryphäe auf seinem Gebiet. Ich hingegen habe von Fischen überhaupt keine Ahnung. Und wenn dir jemand dann auch noch alle Fische auf Englisch erklärt, steigst du einfach völlig aus. Tarpon, Bonefish, Permit, Snapper, Hogfish. Das einzige, unter dem ich mir etwas vorstellen konnte, war Snapper. Vermutlich so ähnlich wie eine Goldbrasse, aber ich hatte wirklich keine Ahnung. Ich kenne Lachs und Thunfisch und Goldbrasse, auch einige andere Tiefseefische, aber was er aufzählte, war für mich Spanisch. Dennoch bringt Fred alles mit so einer Begeisterung herüber, dass es völlig egal ist, ob man alles versteht oder nicht. Er zieht einen mit seiner positiven Art einfach vollkommen in seinen Bann und man fühlt sich gleich um viele Stufen besser.

Während wir in der Lagune herumtuckerten, konnte Fred dann doch nicht auf Anhieb entdecken, wo der Zugang zu meinem Grundstück lag. Es gibt dort nichts außer Mangroven und in den flachen Bereichen Schlamm. So steuerte er sein Boot wieder aus der Lagune heraus und wir mussten um die ganze Inselkette fahren, um auf die Vorderseite zu gelangen. Es waren nur zwei Häuser auf der ganzen Insel zu sehen, von denen eines nicht bewohnt ist und auf dem anderen angeblich ein junger Maya-Nachfahre lebt, der sich um das Grundstück kümmert. Als wir näher zu jenem Bereich kamen, den Fred als meinen Landabschnitt identifizierte, steuerte er erneut sein Boot geschickt über das immer flacher werdende Meer. Meter für Meter, vorbei an Korallen und Felsen, die fast aus dem Wasser ragten.

Die Korallen waren bereits vom Boot aus unfassbar schön. Ein hunderte Meter langes Riff. Korallen in allen Farben und Tiefen und selbst vom Boot aus konnte man die Unmengen tropischer Fische sehen, die sich in dieser einzigartigen Unterwasserwelt aufhalten. Und die Korallen wachsen bis fast an die Landgrenze, es war unfassbar. Ich versuchte mich an Kuba zu erinnern und wie wir in Massen über das Meer geschoben wurden. Das hier war eine ganz andere Liga. Tausendmal bunter, glasklares Wasser und weit und breit keine Menschen. Fred erklärte mir, wie gesund die Korallen hier in Belize sind und wie die Größe des vorgelagerten Belize Barrier Reefs in Hinblick auf dessen Gesundheit inzwischen mehr Kilometer umfasst als das eigentlich größte Riff der Welt, das Great Barrier Reef in Australien.

Während Fred mir all das erzählte, steuerte er sein Boot entlang dieser Korallen und Felsen. Ganz vorsichtig, ohne etwas zu berühren. Für mich sah es so aus, als ob ich nie in der Lage sein könnte, ein Boot so zu steuern, ohne Korallen oder Boot zu beschädigen. Windsurfen konnte ich, aber noch nie habe ich ein echtes Motorboot gesteuert. Meine Gedanken waren pulsierend bis hektisch, je näher wir meinem Grundstück kamen. Aber auch zunehmend ängstlich, denn was ich nun sehen sollte, war mein einzig übrig gebliebener Besitz. Ändern konnte ich nach dem abgeschlossenen Kauf vor Monaten nichts mehr.

Vorsichtig kletterte ich aus dem Boot und stieg auf einen Untergrund, der zwar solide aussah, mich aber sofort bis zur Hüfte einsinken ließ. Irgendein matschiges, schwammartiges Material, das mir Fred später als Überreste von Mangrovenwald beziehungsweise deren verrotteten Wurzeln beschrieb. Noch immer konnte ich nicht genau sehen, wo dort ein brauchbarer Platz zum Bauen sein könnte, egal was ich einmal errichten würde. Gemeinsam krabbelten wir durch eine kleine Reihe von Mangroven, während ich mir immer wieder in Erinnerung zu rufen versuchte, dass die Verkäuferin beteuerte, es würde auf dem Grundstück weder Schlangen, Spinnen noch Krokodile geben.

Bereits nach wenigen Metern war es dann sichtbar. Ein kleiner Platz ohne irgendetwas, nicht größer als ein oder zwei gemütliche Wohnzimmer. Alles andere rundherum dicht von Mangroven bewachsen und auf der freien Stelle mit einem Material bedeckt, das Fred als „Pipe Shank“ bezeichnete, Korallenbruch. Die gesamte Inselkette ist so geformt, oder besser gesagt, die oberste Schicht besteht aus diesem Korallenbruchmaterial. Über hunderte oder tausende Jahre angeschwemmte abgestorbene Korallen. Darauf barfuß gehen ist nicht sehr empfehlenswert, diese kleinen Bruchstücke tun auf der Fußsohle wirklich weh.

Da stand ich nun und alles was ich besaß, lag vor und hinter mir. Traumhafte Korallen im Wasser, abgestorbene Korallenreste an Land umgeben von Man-grovenwald. Und innerhalb weniger Sekunden war ich bereits von Sand Flies, den lästigen Sandfliegen, an jeder unbedeckten Körperstelle zerstochen. Die Verkäuferin der Insel sagte mir die Wahrheit, als ich nach Mosquitos fragte, denn die gab es interessanterweise wirklich nicht. Die Sandfliegen hatte sie aus gutem Grund nicht erwähnt. Millionen kleiner unsichtbarer lästiger Insekten, deren Einstichstelle auf der Haut tagelang juckt, wenn man nicht weiß, wie man das Gift richtig neutralisiert.

Wenn ich Fred nicht dabeigehabt hätte, wäre ich vermutlich versucht gewesen, mich tiefer als nur hüfttief in dem Schlamm zu versenken. Aber Fred begann vor meinen Augen, erneut begeistert zu träumen und mich in seinen Bann zu ziehen: „Hier muss man ein paar Mangroven wegnehmen, nur ganz vorsichtig, denn einerseits sind die Mangroven wichtig für die Natur, andererseits sind sie in Belize geschützt und man bekommt nur eine limitierte Erlaubnis, sie zu entfernen. Die Ausrichtung zum Wind ist perfekt und sobald der vorherrschende Wind aus Osten durchziehen kann, spürst Du keine einzige Sandfliege mehr. Wir haben heute Wind aus Westen, das ist sehr selten und dann sind diese kleinen Terroristen überall. Und sieh Dir den Boden an! Steinhart, darauf kannst Du alles bauen was Du willst. Ohne Dein Grundstück auffüllen zu müssen. Was Du hier siehst, sind ja außerdem nur zehn Prozent Deines Grundstücks, wenn überhaupt. Auf der Rückseite hast Du direkten Zugang zu der geschützten Lagune, ein Traum für Dein zukünftiges Boot, keine Wellen, kein Problem mit dem Anlegen. Und dieser Platz hier ist einmalig! Sieh Dir die schwarzen Mangroven an! Wenn Du rundherum die roten Mangroven, die wie Unkraut wachsen, etwas entfernst, dann hast Du hier traumhafte Bäume von schwarzen und weißen Mangroven stehen. Und die Sternpalmen, überall Sternpalmen! Stell Dir vor, hier und da wird etwas gesäubert, hier der Boden auf gleiches Level gebracht und hier in der Mitte kannst Du dann ein Traumhaus hinstellen, mit Blick in alle Richtungen auf das offene Meer und auf der Rückseite auf die Lagune.“

Freds Begeisterung war unbeschreiblich ansteckend und mit einem Schlag wurde aus dem verstohlenen Anflug von Verzweiflung wieder Abenteuerlust, Hoffnung und unbändiger Tatendrang. Ich sah mein Grundstück auf einmal mit seinen Augen und all die Möglichkeiten, die sich auftaten. Ich besaß zuvor noch nie ein eigenes Grundstück und nun wurden meine Gedanken sozusagen geradegerichtet. Ich könnte hier machen, was ich wollte. Ein Traumplatz kann entstehen und jeder Tag von sinnvollen Tätigkeiten und dem Ausleben meiner Träume geprägt sein. Das war es. Es war richtig. Ich spürte, mein Leben nicht endgültig in den Sand gesetzt zu haben, ganz im Gegenteil. Wenn ich es richtig anstelle, kann ich hier etwas erschaffen, was mehr oder weniger einmalig auf unserem Planeten ist. Das war der Moment, an dem mein Feuer für die Insel vollends entbrannte.

Die folgenden Tage waren gespickt mit Terminen. Stets Fred an meiner Seite, damit ich keine Fehler mache. Es gab Hürden zu überwinden, wie das Auffinden der Grenzsteine, die zehn Jahre zuvor gesetzt wurden. Fred hatte ein kleines GPS-Gerät, aber die Koordinaten aus den offiziellen Land-Unterlagen stammten im Breitengrad nicht mit der Realität überein. Die gesamte Insel würde hunderte Meter weiter südlich liegen, was offensichtlich nicht der Fall war. Anhand des Längengrades konnten wir jedoch alle Grenzsteine finden.

Es war abenteuerlich, durch die Mangroven zu klettern. Dichter Dschungel und wie ich inzwischen weiß, sehr wohl von Vogelspinnen und Boa Constrictor Schlangen bewohnt. Meine beiden größten Ängste: Schlangen und Spinnen. Aber da draußen ist alles egal, es ist Natur, es gehört dort einfach hin und nicht ein einziges Mal hatte ich Angst. Auf der Suche nach dem richtigen Bauherren entschied ich mich dann entgegen meiner ersten Bemühungen nicht für einen Schweizer Architekten. Er lebte dreißig Jahre in Belize und war nun wieder in die Schweiz zurückgekehrt. Fred überzeugte mich, den belizianischen Weg einzuschlagen. Mit einem lokalen Konsulenten, der eine der größten Baufirmen besitzt. Sein Name ist Rodrigo und alles schien deutlich relaxter abzulaufen, als mit dem Schweizer. Rodrigo versicherte mir, sich um alle Genehmigungen zu kümmern und wenn ich am 4.1.2017 nach Belize übersiedeln würde, könnte ich vom ersten Tag an beginnen, zu bauen. Fred erklärte mir auch, dass Rodrigo die optimale Wahl sei, weil er die besten Kontakte zur Umweltbehörde hätte. Und Kontakte in Belize das Um und Auf darstellen würden.

Die verbleibenden Tage nahm mich Fred noch öfter auf seinem Boot mit. Er zeigte mir andere Inseln, wenige gut und viele schlecht gehende Projekte. Er erklärte mir, warum einige dieser Projekte erfolgreich waren, und andere wiederum nicht. Dabei bemühte er sich stets, mich selbst zu dem Schluss kommen zu lassen, warum etwas auf einer Insel funktionierte und andere Projekte in der Pleite endeten. Und so mussten wir auch beide ziemlich herzlich lachen, als ich ihm von der Idee des Restaurants erzählte, die sowohl die Verkäuferin, als auch der Broker anpries. Völlig irre. Dort draußen gibt es niemanden und wenn Ausflüge mit dem Boot unternommen werden, dann ist auch keine Zeit dafür, woanders zu ankern und Essen zu gehen. Es war völlig absurd. Ganz im Kontrast zu Freds Geschäftsmodell. Es ist das einzige, was hier wirklich funktioniert, enorme Gewinne abwirft und meine zukünftigen hohen Lebenskosten in Placencia decken könnte.

Freds Erfolgsrezept sieht so aus: klein, aber fein. Völlig isolierter Urlaub für Gäste, keine anderen Gruppen auf demselben Platz, keine Angestellten, keine Köche, keine Reinigungskräfte. Alles, was notwendig ist, muss zwischen den Gästewechseln erledigt werden. Daher blockt Fred stets einen ganzen Tag zwischen Abreise und Ankunft seiner Gäste. Völlig isoliert auf einer karibischen Insel Urlaub zu machen ist weltweit ziemlich einzigartig. Deswegen ist Fred auch auf Jahre ausgebucht. Gleichzeitig hält es die laufenden Kosten gering, weil man kein Personal benötigt, kein Restaurant, keinen Haushälter. Ganz im Gegenteil, alles muss so ausgelegt sein, dass sich die Gäste so lange wie möglich selbst versorgen können und einen einzigartigen Urlaub in völliger Abgeschiedenheit verbringen können.

Dementsprechend saßen Fred und ich jeden Abend zusammen und überlegten, was auf meiner Insel funktionieren könnte. Mit meiner Leidenschaft zum Planen erstellte ich Excel-Tabellen mit Kalkulationen. Fred befüllte sie dank seines Wissens mit Leben. Eines wurde sehr schnell klar. Alles auf einer Insel kostet das Zehnfache im Vergleich zum Festland. Und einfach nur da draußen leben und sich von Fisch ernähren geht gar nicht. Man benötigt dann doch wesentlich mehr zum Leben als nur Fisch und Wasser. Vor allem der Bootssprit geht enorm ins Geld. Ich würde meine Reserven innerhalb weniger Monate aufgebraucht haben. Meine Naivität, als Einsiedler dort draußen leben zu können, wich bereits nach den ersten einfachen Berechnungen sehr schnell der Realität. Daher entschied ich mich, die Planung auf ein einziges Haus für Gäste zu reduzieren. Dem Geschäftsmodell von Fred folgend und auf meine Situation angepasst.

Nachdem dieser Plan stand, verbrachten Fred und ich noch einen halben Tag auf der Insel, nur um die Ausrichtung, Höhe und Lage des Hauses zu bestimmen. Mit Hilfe von zwei Leitern und einigen Brettern versuchte ich, die optimale Höhe des Hauses zu finden. Von wo sieht man am schönsten das Meer und den Himmel? In welcher Höhe müsste der Boden des Hauses angesiedelt sein? Wie hoch die Fenster vom Boden entfernt, wenn man die Terrasse davor berücksichtigt? Von welcher Richtung weht über das Jahr gesehen der meiste Wind? Wie wandert die Sonne, um überhitzte Zimmer zu vermeiden und Platz für die Solarpanele zu berücksichtigen? Von welcher Richtung kommt der Regen und wo könnten Bäume das Auffangen des elementaren Regenwassers reduzieren? All diese Fragen konnte ich mit Freds Hilfe, zwei Leitern und ein paar Brettern beantworten.

Wenn ich nach Belize zurückkomme, muss es Schlag auf Schlag gehen, denn sonst würde mir das Geld ausgehen, ohne mit dem Bau weit genug gekommen zu sein. So verließ ich Belize mit einer ziemlich genauen Vorstellung, was alles auf die Beine zu stellen ist. Eines der wichtigsten Elemente waren Rodrigos Bemühungen, in den nächsten Wochen alle Genehmigungen zu erhalten, damit ich bei meiner Rückkehr unverzüglich mit dem Bau loslegen kann. Dementsprechend gab ich Rodrigo auch mein gesamtes Bargeld. 3.000 US-Dollar und dann nochmal 3.000 US-Dollar via Visa Kartenzahlung. Diese Summe sollte laut Rodrigo alle Elemente der Genehmigungen abdecken. Die Freigaben für eine möglicherweise notwendige Landfüllung, die Genehmigung von Standard-Bauplänen und die Freigabe der Umweltbehörde in Bezug auf Wald, Wasser und Land.

Was alles in diesen wenigen Tagen erreicht wurde, beeindruckt mich zutiefst. Ohne die Hilfe von Fred wäre ich vermutlich auch noch am letzten Tag da gestanden, wo ich am ersten Tag begonnen hatte. Am Strand von Placencia mit meinem iPhone in der Hand auf der Suche nach meiner Insel. Die Tage in Placencia haben mir zudem einen kleinen Ausblick darauf gegeben, was mich erwarten wird. Keine Schuhe mehr, immer nur Shorts und T-Shirt, mein eigener Boss sein, alles selbst bestimmen können und nach meinem eigenen Zeitplan arbeiten. Kein Direktorium, dem man mit sechzig Wochenstunden an Vorbereitung etwas erklären soll, was sie sowieso nicht verstehen und alles besser wissen. Keine Gehirn-Masturbation mehr für völlig stumpfsinnige Arbeitsschritte, die Stunden kosten und keinerlei Mehrwert bieten. Ich konnte es kaum erwarten. Es war trotz all dieser Aktivitäten unglaublich entspannend. Ich schnupperte das Gefühl der Freiheit. Es war, wie wenn mir jemand tonnenschwere Steine von meinen Schultern, aus meinem Herzen und aus meiner Magengrube genommen hätte.

Selbst hier im Flugzeug fühle ich mich noch fast berauscht und mit unheimlich viel Energie aufgeladen. Wenn dieses Gefühl auch nach meiner Übersiedlung nur ansatzweise bestehen bleibt, dann stehen die Chancen gut, wieder so zu werden, wie ich früher war. Ein gesunder Mensch, der sich freut, am Leben zu sein. Der keine Medikamente benötigt, um irgendwie zu funktionieren und durch den Tag zu kommen. Der sich nicht betäuben muss, um seine Schmerzen und Belastungen zu ertragen und der vielleicht auch nicht mehr das halbe Jahr krank ist. Was für eine Aussicht.

Wären da nicht meine Kinder, das Wichtigste in meinem Leben. Wie wird es sein, wenn ich wieder zuhause lande? Wie schaffen wir die letzten Wochen, ohne ständig in Tränen auszubrechen? Wie soll ich mit meiner Begeisterung umgehen? Soll ich sie auf meine Kinder übertragen oder würde es sie kränken? Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht.


Schneise im Mangrovenwald auf der Insel


Vogelspinne auf Hausmauer in Placencia

Mein Leben von vorne

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