Читать книгу Mein Leben von vorne - Gigi Gusenbauer - Страница 14

Kapitel 8 MEIN ENGEL AUF ERDEN Rückblick 1993 bis 1998

Оглавление

Nun war ich also Student. Ich hatte meine Matura bestanden, aber zuerst keine Ahnung gehabt, was ich eigentlich studieren sollte. Bereits im letzten Schuljahr überzeugte mich mein Vater davon, ein Sportstudium kombiniert mit Sportmarketing zu absolvieren. Es wäre eine gute Wahl. Außerdem klang dieses Studium lustig und ich arbeitete bereits nebenbei für eine Sportmarketing-Agentur.

Die Aufnahmeprüfung für das Sportstudium hatte ich auf Anhieb bestanden. Die einzige Sportart, in der ich Probleme hatte, war Fußball. Ich hasste Fußball, immer schon. Hingegen liebte ich Basketball und spielte die letzten Jahre auch in der Schulmannschaft. Außerdem war ich inzwischen Badminton-Trainer und ersetzte immer häufiger meinen eigentlichen Trainer und späteren engsten Freund Bonelli. Ebenso spielte ich sehr gerne Volleyball. Leichtathletik lag mir aufgrund meiner Eltern in den Genen. Windsurfen war nach wie vor meine größte Leidenschaft. Aber mit einem Fußball konnte ich absolut nichts anfangen.

Es war so schlimm, dass ich immer dachte, ich würde mir was brechen, wenn dieses bescheuerte Leder in die Nähe meiner Beine kam. Zum Glück war diese Schwäche kein Problem, um die Aufnahmeprüfung zu bestehen. Meine Eierschüsse reichten aus, um mich dank der anderen überdurchschnittlich guten Leistungen zu einem der begehrten Sportstudenten adeln zu lassen. Auch wenn das Studium an sich von Wirtschafts- und Jus-Studenten gerne belächelt wurde, eines wusste man. Sportstudenten waren die leibliche Creme de la Creme auf den Unis, egal ob männlich oder weiblich. Auf den Partys war man der Star. Dass man im Sportstudium nicht zu den brutalsten Paukern unter den Studenten gehörte, war zumindest für die Partys egal.

Aber das allein hatte nicht mein Leben erneut auf den Kopf gestellt. Denn bei der Aufnahmeprüfung lief mir in der Aula der Uni jemand über den Weg, den ich langsam aus meinem Kopf drängen konnte. Lea. Da war sie wieder, das Mädchen meiner Träume. Inzwischen zu einer granatenscharfen Frau gereift. Noch immer drahtig, noch immer dieses freche Grinsen, noch immer diese kleinen zuckersüßen Grübchen, die sich in ihrem Gesicht bildeten, wenn sie mit der Nase schniefte. Und diese blauen leicht asiatisch wirkenden Augen, die sie offensichtlich von ihrer slowakischen Mutter geerbt hatte. Nicht enden wollend lange Beine und insgesamt der zierliche Frauentyp, der mich am meisten ansprach. Ein knackiger Sportler-Popo, durchtrainierter Körper und unter dem T-Shirt ersichtlich genau meine bevorzugte nicht erschlagende Körbchengröße.

Aber das alles war egal, es war Leas Gesicht, Leas Lachen und Leas einzigartig leicht distanzierte – manche behaupteten überhebliche – Art, die mich in ihren Bann zogen. Sie war einfach eine Göttin für mich. Schon wieder. Und damit gleichzeitig noch immer. In unseren ersten Gesprächen tauschten wir Informationen aus und mein Herz brach, als sie mir erzählte, sie habe schon seit einigen Jahren einen Freund. Ein durchtrainierter Olympia Langstrecken-Schwimmer. Zum Glück war ich inzwischen auch gut trainiert und machte mir um meine körperliche Erscheinung keine zu großen Sorgen, aber mit einem Olympioniken konnte ich natürlich nicht mithalten. Eigentlich war mir Äußerliches immer egal, aber bei dieser Frau lag es auf der Hand, einen Top-Sportlerkörper aufweisen zu müssen, um mit anderen Kontrahenten mithalten zu können. Von ihrem Freund ganz zu schweigen. Zudem war ich um ein oder zwei Köpfe größer als ihr Partner, das sollte das Supersportler-Manko hoffentlich ausgleichen. Sie selbst war ebenfalls Wassersportlerin im olympischen Team. Das wusste ich natürlich, denn diese TV-Übertragungen ließ ich mir nie entgehen, um meine Lea zumindest im Fernsehen anbeten zu dürfen.

Dieses Biest hatte also nicht auf mich gewartet und einen Freund, dachte ich mir leicht schmunzelnd. Aber auch ich konnte ja inzwischen auftrumpfen, erzählte von meiner Freundin und den anderen Mädchen, mit denen ich mich regelmäßig traf. Sofort entstand in mir das Gefühl, in Lea einen Art Eroberungsreflex durch diese anderen Mädchen ausgelöst und ihr Interesse geweckt zu haben.

In den folgenden Wochen wurde immer deutlicher, Leas Interesse anzuheizen, wenn ich andere Mädchen erwähnte. Vorzuheucheln, kein Interesse an Lea zu haben, wäre mir mit meinem intensiven Verlangen nicht mal als Hollywoodschauspieler gelungen. Gleichzeitig war ich ein so grundehrlicher Kerl, dass ich meine Freundin niemals hätte betrügen können. Ich empfand mich bereits als schuldig, Lea so anzubeten. Dementsprechend machte ich mit Alexandra Schluss, noch bevor von Lea irgendwelche konkreten Signale ausgingen, ihre Beziehung beenden zu wollen. Wobei sie immer wieder erwähnte, dass ihr Freund sie nicht besonders gut behandelte und für sie nicht mehr der Traumpartner war. Lea studierte Sport nur nebenbei, ihr eigentliches Studium war Pharmazie. Dementsprechend war sie nicht so häufig auf dem Gelände der Sportuniversität, wie ich. Jedes Zusammentreffen war eine Elektrisierung meines gesamten Organismus. Gleichzeitig machte ich mir Sorgen wegen der anderen gutaussehenden Sportstudenten, viele von ihnen Olympioniken und Spitzensportler. Gegen sie war ich ein Niemand und keinesfalls wollte ich mir nach so vielen Jahren „meine Lea“ von einem anderen aus ihrer bestehenden Beziehung stehlen lassen. Also trainierte ich noch härter. Jede freie Sekunde war ich in der Kraftkammer und dazwischen hielten mich sowieso die unendlich vielen und unterschiedlichen Sporteinheiten auf Trab.

Nach unseren immer häufigeren Gesprächen rückte das „Schmelz-Festl“ näher, die berühmt berüchtigten Sportstudenten-Partys. Unsere Universität hatte die Adresse „Auf der Schmelz“, daher diese äußerst kreative Namensgebung. Am Tag dieser legendären Party verbrachte ich noch mehr Stunden in der Kraftkammer, als sonst. Alles sollte stählern sein. Ich versuchte, mich so gut zu stylen, wie es mir damals nur möglich war, denn Lea sollte auch zu der Party kommen. Und sie kam. Wir unterhielten uns über mehrere Stunden, tanzten und zeigten uns das gegenseitige Interesse. Alkohol wurde nicht gerade schüchtern konsumiert, und direkt proportional zum Promille-Spiegel verlor man auch seine andere Verlegenheit. In meinem Fall war es kein exzessives Trinken, da ich prinzipiell noch sehr unerfahren mit Alkohol war und bei meiner ersten Begegnung sofort eine massive Alkoholvergiftung hatte. Dies war in meinem Leidenszentrum intensiv abgespeichert, daher übertrieb ich es nicht mit dem Saufen. Dennoch reichte die Menge aus, um all meinen Mut zusammenzunehmen und das Undenkbare der letzten neun Jahre an Träumen zu wagen: Lea zu berühren. Als wir an einem Tisch saßen, nahm ich all meinen Mut zusammen. Ich legte unter dem Tisch sehr verstohlen meine Hand auf ihr Knie. Sie berührte meine Hand und im ersten Moment befürchtete ich, sie würde sie wegstoßen. Aber sie streichelte meine Hand und ließ sie danach nicht mehr los.

Ich kann kaum in Worte fassen, was mir in diesen wenigen Sekunden alles durch den Kopf ging. Die Zeit blieb für mich stehen. Nach so vielen Jahren war es nun in der Realität tatsächlich dazu gekommen, mein Traummädchen zu küssen. Es war der Himmel. Es war das Schönste, was ich je erlebt hatte. Ich schwebte, ich genoss, ich wollte sie schmecken, ich wollte alles machen, ich hätte ihr die Spucke aus dem Hals saugen können, ich hätte vermutlich sogar ihren Nasenrotz abgeleckt, so gut fühlte sich diese Frau an. Sie war es. Sie war es einfach. In allem. In ihrer Sprache, ihrem Humor, ihrem Aussehen, ihrer unschuldigen Erscheinung, ihren Berührungen und wie sie sich anfühlte. Sie war der Himmel und mein Engel auf Erden.

Das Küssen zog sich über gefühlte Stunden hinweg. Im Lokal und auf der Straße. Wir konnten unsere Finger von keiner Körperstelle des anderen lassen. Ihre Erregung war offensichtlich und in meinem Kopf begehrte mich diese Frau so, wie ich sie. Wobei ich realistisch genug war, zu wissen, dass meine Gefühle exorbitant abgedrehter waren, als ihre. Während ich sie auf der Stelle geheiratet hätte, ihr meine Liebe in allen erdenklichen Worten mitteilen hätte können, durfte ich es nicht übertreiben und sie abschrecken. Ich müsste das vorsichtig auf mich zukommen lassen und sehen, ob es sich morgen für sie auch noch richtig anfühlen würde, oder nicht.

Wir hörten und sahen uns die nächsten Tage, aber ohne Alkohol war spürbar, dass sie sich gegenüber ihrem Freund unwohl fühlte. Dennoch sah es für mich gut aus. Lea schien unser Geknutsche keine allzu großen Gewissensbisse beschert zu haben. Normalerweise würde ich mich nie zwischen eine Frau und einen Mann drängen. Eine Partnerschaft ist mir auch heute noch heilig. Aber Lea vermittelte mir das Gefühl, ihre Beziehung zu dem Schwimmer eigentlich schon beendet zu haben. So ließ ich mein übermenschliches Verlangen nach dieser Frau über meine moralischen Bedenken - ohne mit der Wimper zu zucken - siegen. Nur wenige Tage später machte Lea mit ihrem Freund Schluss, zog aus seiner Wohnung aus und zurück zu ihren Eltern. Meine Eltern waren gerade erst – zum dritten Mal – umgezogen und der Raum, der mein neues Zuhause im Heim meiner Eltern werden sollte, war noch ein Rohbau. Aber es war bereits ein Bett vorhanden.

Ich lud Lea ein, ihr dieses neue Zuhause am Waldrand zu zeigen und so machten wir uns auf einen leicht abenteuerlichen Trip in einen Rohbau, von hohen Tannen und dem Gesang nächtlicher Vögel umgeben. Wir waren ganz allein und sehr schnell führte eines zum anderen. Von da an waren wir ein unzertrennliches Paar. Lea zu sehen, riechen und zu schmecken war für mich der Himmel.

In unseren Gesprächen und Gedanken waren wir uns so nahe, wie man sich nur sein konnte. Sie liebte meinen Humor und ich ihren und wir konnten stundenlang reden und lachen. Wir genossen es auch, gemeinsam zu kochen. Manchmal mit Freunden, meistens allein. Es war einfach perfekt und die kleinen Besonderheiten an Lea, die wir alle haben, störten mich überhaupt nicht. Ihr Vater nannte sie immer „Oberfeldwebel“, beruhend auf einer ausgeprägten Sturheit und auch Tendenzen von Egoismus. Aber sie war meine Prinzessin und es gab keinen Wunsch, den ich ihr nicht erfüllt hätte.

Während ich versuchte, Lea in allen Lebensbereichen glücklich zu machen, zeigte sie mir die Welt. Noch nie zuvor hatte ich einen echten Urlaub gemacht. Das Meer kannte ich nur von einem einzigen Ausflug nach Kroatien mit meinem Vater, wo wir im Auto schliefen, und mein Vater schnarchte, wie ein Presslufthammer. Ich kannte keine Hotels und schon gar keinen All-inclusive Urlaub. Lea plante mit mir daher einen Urlaub auf Teneriffa. Ich sollte zum ersten Mal einen Sandstrand sehen und in einem Flugzeug sitzen. Mit 19 Jahren. Zum Glück hatte ich zu diesem Zeitpunkt schon ein kleines Einkommen durch die Badminton-Trainertätigkeit und Arbeiten für die Sportmarketing-Firma. So war es mir möglich, diesen Urlaub zu bezahlen. Lea war bereits von Kind auf ständig mit ihren Eltern auf Urlaub. Für mich schien es so, als würde ihre Familie jede freie Sekunde am Meer verbringen. Ich hingegen kannte bisher nur den Neusiedlersee, der mein zweites Zuhause war. Natürlich träumte ich immer vom Meer. Ich hatte aber auch Angst, zu fliegen. Ich mochte es ja schon nicht, als Beifahrer im Auto zu sitzen, weil ich dann keine Kontrolle hatte und mich ausliefern müsste. Wie würde das nur in einem Flugzeug sein?

Aber mit Lea war es kein Problem, wenn wir abstürzten, würde ich einfach ihre Hand halten und es wäre nicht weiter schlimm. So saß ich zum ersten Mal in einem Flugzeug und alles sah ein bisschen anders aus, als ich es von Filmen kannte. Außerdem hatte ich auch nicht so große Angst, wie ich befürchtet hatte. Ich erinnere mich genau an den Geruch beim Aussteigen in Teneriffa. Den Geruch von Meer, salziger Luft, Möwen und Algen, den ich so in Kroatien nicht erlebt hatte. Es war überwältigend. Und dann die Sandstrände! Endlose Sandstrände und der Atlantik imponierte mit hohen Wellen.

Ich kannte Wellen, aber nur aus dem Wellenbad im Wiener Stadionbad, wo sich hunderte Menschen jede volle Stunde zusammenpressten, um in den künstlich erzeugten Wellen ein wenig auf- und ab zu schwappen. Jeden Sommer bettelte ich als Kind meine Mutter darum an, mit mir ins Stadionbad zu fahren. Es war das Highlight eines jeden Sommers. Mit dem Schokolade-Eis „Brickerl“ oder dem fruchtigen Twinny, besser konnte Sommer damals für mich nicht sein. Aber das waren nun echte Wellen und mit Lea eine andere Sorte von Eis am Stiel.

Und wie sich alles anspürte. Das von der Sonne verkrustete Salz des Meerwassers auf meiner Haut. Und auf Leas Haut. Wann immer wir in das Hotelzimmer zurückkehrten, konnte ich nicht darauf warten, Leas Körper an allen Stellen sanft abzulecken, sie zu massieren und natürlich noch viel mehr. Bis sie zum ersten Mal glückselig schluchzte, wie sehr sie mich liebte. Sie liebte mich. Bisher hatte sie es nicht gesagt, aber nun war es so weit. Von da an konnte ich es ihr auch sagen. Und ich gestand ihr meine Liebe ständig. Aber nicht als abgedroschene Phrase, sondern mit all meinen Gefühlen, die ich für sie hatte.

An ein sehr lustiges Ereignis auf Teneriffa erinnere ich mich ebenfalls noch gut. Ich war so naiv und hatte keine Erfahrung mit Urlauben am Meer und außerhalb Österreichs. Lea warnte mich. Oder besser gesagt, empfahl mir am ersten Tag, unbedingt Sonnencreme als Schutz gegen Sonnenbrand zu verwenden, da wir nahe am Äquator waren. Ebenso überzeugend erklärte ich ihr, so etwas noch nie verwendet zu haben, und aufgrund meines etwas dünkleren Hauttyps sofort braun zu werden. Mit Verweis auf das Faktum, auch am Neusiedlersee noch nie ein Problem gehabt zu haben, selbst wenn ich den ganzen Tag Windsurfen war. Lea tat zumindest so, als ob sie mir glauben würde, aber vermutlich wusste sie genau was das zur Folge haben würde. Es hatte Folgen, und was für welche. Ich hätte nicht genau bei diesem Punkt zum ersten Mal den Besserwisser heraushängen lassen sollen. Die Verbrennungen, die ich vom ersten Strandtag davontrug, kann ich förmlich heute noch spüren.

Der Urlaub war dennoch ein Traum, jede Sekunde davon, und ich hatte Feuer gefangen. Nun verstand ich, warum man jeden Groschen – damals hatten wir noch Schillinge und Groschen - für Urlaub ausgeben kann und jeden einzelnen Urlaubstag am Meer verbringen möchte. Lea war so gelöst in diesem Urlaub, sie erschien noch freier und schwebender als sonst zu sein. Unsere Liebe fühlte sich nun endgültig gefestigt an. Obwohl wir ja erst ganz am Anfang einer möglichen Beziehung standen. Kurz bevor wir nach Hause flogen, ließen wir von einem der Strandpromenaden-Künstler noch Karikaturen von uns anfertigen. Diese beiden Bilder sollten später noch eine Rolle in meinem Leben spielen. Das Einzige, was in diesem Urlaub nicht ganz nach Plan lief, beziehungsweise mich betrüblich stimmte, war ein Anruf ihrer Familie gegen Ende des Urlaubs. Sie wollten mit Lea demnächst nach Mexiko fliegen. Wir waren gerade erst hier auf Urlaub und ich fühlte mich fast ein wenig betrogen, wie man mir Lea nun für vierzehn Tage wegnehmen würde. Aber mein Schatz versicherte mir, ich müsse mir keine Sorgen machen. Wenn sie zurückkommt, würde sich nichts verändert haben. Sie würde mich jetzt schon vermissen und liebe mich so sehr. Aber sie sei auch gerne auf Urlaub und Mexiko sei einfach einzigartig. Ich solle nicht böse sein. Auf Lea böse sein? Das war völlig unmöglich. Wir verbrachten bereits jede Sekunde zusammen und wohnten bereits gemeinsam im Haus meiner Eltern. Dort hatten wir mehr oder weniger ein ganzes Stockwerk für uns. Dennoch konnte ich mir kaum vorstellen, Lea nun für zwei Wochen nicht mehr zu sehen.

Der Rückflug von unserem ersten Urlaub war somit von einigen Schmerzen begleitet. Die nächsten Wochen hatte ich große Angst, wie die Zeit ohne Lea sein würde und ob danach noch alles in Ordnung wäre. Nach wie vor hatte ich ein Gefühl von fragiler Zerbrechlichkeit, was unsere Partnerschaft betraf. Und Lea war einfach zu schön, als mir keine Sorgen über andere Typen zu machen.

Die weitere Zeit verlief perfekt und bald kam der Tag, an dem Lea ihren Flug nach Mexiko antreten sollte. Am Flughafen heulte ich wie ein Schlosshund. Es tat so weh, sie gehen zu lassen. Und zu dieser Zeit gab es noch keine Handys, keine E-Mails, keine SMS, keine Chat-Möglichkeiten. Sie war einfach weg. Aber sie versprach mir, Briefe zu schreiben und hielt dies auch ein. Bereits nach einer Woche erhielt ich einen traumhaften Liebesbrief. Sie beschrieb mir, wie sehr sie mich vermissen würde. Wie schön es zwar in Mexiko sei, sie es aber trotzdem kaum erwarten könne, wieder zu mir zurückzukehren. Und sie versprach, mir noch mindestens zwei Briefe zu schreiben, bis sie wieder zurück sei. Also wartete ich in den darauffolgenden Tagen ständig auf die Post, aber es kam kein Brief mehr. Selbst am Ankunftstag von Lea war noch kein Brief da und ich machte mir große Sorgen, dass unsere Beziehung nun schon wieder zu Ende war.

Lea kehrte mit ihrer Familie sicher zurück. Als ich am Flughafen wartete, zerriss es mir meine Nerven, Lea endlich wieder in meine Arme nehmen zu können und sie nicht mehr loszulassen. Dann öffnete sich die große Glastüre hinter dem Zoll und da war sie. Braungebrannt, mit ihren langen blonden Haaren und den blauen stets leicht zwinkernden Augen. Die schönste Erscheinung unter Tausenden von Reisenden wie aus Udo Jürgens Lied „17 Jahr, blondes Haar“. In einem Sommerkleidchen, das nach sofortigem Vernaschen des Verpackten schrie.

Aber irgendetwas stimmte nicht. Lea war distanziert. Als ich sie liebhalten wollte, war da fast so etwas wie Ablehnung zu spüren. Nicht unfreundlich, aber völlig verändert. Sie erklärte mir, sie würde das vor ihren Eltern peinlich finden. Ich versuchte, dem mit Verständnis zu begegnen. Jedoch blieb da für mehrere Wochen ein Gefühl, dass etwas nicht stimmen würde. Irgendetwas war anders, ich wusste aber nicht, was. Ich bezog es auf mich, dass ich zu viel Liebe zeigen würde, sie erdrücken würde und so versuchte ich, in den folgenden Wochen zurückhaltender zu sein. Nach und nach wurde alles wieder so wie vorher. Jeder, der uns kannte, hatte das Gefühl, dass es die perfekte Beziehung sei. Für mich war es ein Märchen. Mein Märchen. Unser Märchen.

Es gab niemals Streit und die darauffolgenden Jahre waren einfach wunderschön. Die Beziehung zu Lea war ab diesem Zeitpunkt für mich nie wieder in Frage gestellt. Es war für mich ein vom Universum vorgegebenes Schicksal, sie mit zehn Jahren getroffen zu haben und wir uns sofort ineinander verliebt hatten. Ebenso, wie wir uns zum richtigen Zeitpunkt erneut trafen und ein Paar wurden. Für mich war vollkommen klar, ganz anders zu sein, als alle anderen Paare. Betrug würde es niemals geben, unsere Liebe würde ewig halten und unsere Aufrichtigkeit zueinander fast schon Telepathie darstellen. Meine größte Sorge war, wie in siebzig oder achtzig Jahren einer dem anderen beim Sterben zusehen würde müssen. Wobei ich auch da in Gedanken bereits wusste, würde ich sie überleben, dann bliebe mein Herz in der Sekunde ihres Todes ebenfalls stehen.

Teneriffa war erst der Start unserer Urlaubsabenteuer. Ich sollte noch unendlich viele Länder und Strände erleben dürfen. Am Unvergesslichsten war für mich der Strand von Playa Grande in der Dominikanischen Republik. Es war ein endloser Sandstrand mit dichtem Palmenwald dahinter, wie aus einem Bilderbuch. Unsere Hotelanlage war gefühlte hundert Meter vom Sandstrand erhöht an einem Felsenabgrund. Von dort oben konnte man über den kilometerlangen Strand und das Meer blicken. Auf dem Playa Grande, diesem wundervollen Strand, gab es sonst nichts. Keine Hotelanlagen, keine Restaurants. Es gab nur unser Hotel mit einer Strandbar und einem Restaurant. Wenn man an dem Strand entlang ging, konnte man erst nach zirka einer Stunde Spaziergang das andere Ende erreichen, wo es einen öffentlichen Zugang gab. Unser Hotel war eine All Inclusive Anlage und auch das kannte ich vorher noch nicht. Fressen und Saufen, was das Herz begehrt. Aber das Überwältigendste war einfach dieser endlose menschenleere Strand. Noch etwas war neu für mich in diesem Urlaub. Richtig hohe Wellen zum Surfen. Besser gesagt zum Boogie-Boarden, also Wellenreiten auf einem kleinen Brett in Bauchlage. Da ich begeisterter Windsurfer war, war diese neue Erfahrung atemberaubend. Die Wellen rollten in großen Abständen von weit entfernt über das Meer herein. Manchmal kam es einem Überlebenskampf gleich, durch das Weißwasser weit genug hinaus zu kommen, um auf einer Welle zurücksurfen zu können. Wenn man es geschafft hatte, das Weißwasser zu überstehen, konnte man auf diesen meterhohen Brechern die Wellen fast eine Minute lang bis zum Strand abreiten. Sofern man nicht in der sogenannten „Waschmaschine“ zerlegt wurde. Lea und ich blieben jeden Tag von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang im Wasser und wurden immer besser.

Wir hatten auch noch weitere Urlaube in ruhigeren Teilen der Karibik. Wir waren an so vielen einzigartigen Orten, durchreisten einmal mit einem Mietwagen für mehrere Wochen die iberische Halbinsel von Frankreich über Spanien bis Portugal und wieder zurück nach Spanien. Ebenso in Tunesien, auf allen kanarischen Inseln und Mallorca durfte natürlich auch nicht fehlen. Wir waren echte Sonnenkinder und Streit gab es so gut wie nie. Lea war vom Typ her wie beschrieben sehr stur, etwas egoistisch und wenn sie etwas im Sinn hatte, musste es genauso gemacht werden, wie sie das wollte. Diskussionen waren sinnlos. Ich wiederum war aufgrund der Streitereien meiner Eltern harmoniesüchtig. Für mich gab es nichts, was einen Konflikt wert war. Und ich war Lea verfallen, somit bekam sie alles, was sie sich wünschte. Es waren keine materiellen Wünsche, Lea war bis auf die Urlaubswünsche sehr bescheiden. Und ich war mir sicher, dass es absolut nichts geben würde, was wir uns nicht mitteilten. Egal welcher Wunsch, egal ob etwas aus dem täglichen Leben, oder in Bezug auf unsere Vorlieben im Bett. Es gab einfach kein Geheimnis. Und ich liebte es, Lea jeden Wunsch von ihren Lippen abzulesen. So lebten wir vier Jahre im Zuhause meiner Eltern. Wir entwickelten uns und wuchsen immer mehr zusammen.

Während Lea sich ihrem Studienabschluss näherte, hatte ich mein Studium geistig schon abgehakt. Das Sportstudium war bis auf die sportlichen Aktivitäten absolut nicht von Interesse für mich, und ich verspürte mehr und mehr Druck der elementaren Frage, was ich aus meinem Leben machen sollte. Meine Prioritäten waren einzig und allein, Lea glücklich zu machen und genügend Geld durch meine beiden kleinen Jobs zu verdienen, um unsere Urlaube zu bezahlen. Meinen Teil, denn Lea wurde großzügig von ihren Eltern unterstützt. Ebenso gerne prüfte ich Lea in Bezug auf ihre Pharmazie-Prüfungen ab. Während ich für mein Studium absolut nichts lernte, war es fast so, wie wenn ich durch das Abprüfen mein eigenes Pharmazie-Studium aufgenommen hatte.

Durch Leas näher rückenden Studienabschluss musste ich etwas ändern. Ich war inzwischen 23 Jahre alt und hatte nicht mal den Hauch des Abschlusses einer Ausbildung in Aussicht. Dem Gedanken, Vater zu werden und mich um die Kinder zu kümmern, war ich stets absolut aufgeschlossen. Für mich wäre es kein Problem gewesen, wenn Lea ihr Studium beendet hätte, eine Doktorarbeit abgelegt und eine tolle Karriere in der Wissenschaft gestartet hätte, und ich zu Hause für unsere zukünftigen Kinder verantwortlich gewesen wäre. Ich hätte uns allen stets ein tolles Essen gezaubert und wäre mit Leib und Seele Hausmann geworden.

Das schönste für mich war, mich um andere zu kümmern. Von Kindern war zu dieser Zeit noch keine Rede und Leas Familie wäre wohl nicht sehr begeistert gewesen, wenn Lea das Geld in unsere Familie hätte bringen müssen und ich mich um den Haushalt gekümmert hätte. Daher hatte ich das starke Gefühl, Geld verdienen zu müssen und einen ordentlichen Job zu finden, der Lea finanziell absichert. Ich hatte nur keinen blassen Schimmer, wie ich das anstellen sollte.

Leas Mutter arbeitete bei einer Versicherung. Ihr Vorgesetzter fand Gefallen an meinem Auftreten und fragte mich recht bald, ob ich nicht ebenfalls Versicherungsvertreter werden möchte. Mit einem Schlag ein Einkommen? Das klang sehr verlockend. Ein Problem gab es aber. Immer schon habe ich Sachen so lange aufgeschoben, wie ich nur konnte und die Voraussetzung für einen Dienstvertrag war ein abgeleisteter Präsenzdienst. Schon im Alter von achtzehn Jahren hatte ich den Militärdienst abgelehnt und mich für den Zivildienst entschieden, aber aufgrund meines Studiums den Dienstantritt aufschieben können. Da beim Studium kein Ende in Sicht war, machte ich also endlich Nägel mit Köpfen und entscheid mich dafür, meinen Zivildienst anzutreten. Doch vorher sollte ich noch all meinen Mut zusammennehmen und um die Hand der Frau meiner Träume anhalten. Würde sie - zu einem Versager wie mir - ja sagen?

Mein Leben von vorne

Подняться наверх