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KAPITEL 2: THE WORLD’S FORGOTTEN BOYS

Ron Asheton: Mein jüngerer Bruder Scotty und unser Nachbar Dave Alexan­der waren durch und durch Punks. Ich war einfach nur ein verrückter Bengel. In der Schule war ich entweder der Vollidiot oder der Knallkopf oder der Freak, und irgendwann fingen sie sogar an, mich als „Fat Beatle“ zu beschimpfen, weil ich bei offiziellen Anlässen immer Anzüge wie die Beatles trug.

Viele Freunde hatte ich nicht. Meistens habe ich mich mit irgendwelchem Nazizeug beschäftigt. Ich habe Deutsch gelernt und Hitler­Reden geschwungen. Ich bin mit SS­Abzeichen in die Schule gegangen und habe all meine Bücher mit Hakenkreuzen voll geschmiert, ich habe überall Gesichter mit Hitlerbärt­chen verziert und mir SS­Runen auf den Arm gemalt. Man kann also nicht gerade behaupten, dass ich mit Leib und Seele so ein Punkrowdy war wie Scotty und Dave.

Wir konnten uns einfach nicht anpassen. Ich kann mich noch gut erinnern, dass wir mal versuchten, wieder zur Schule zu gehen. Ich habe mit Scotty und Dave Wetten abgeschlossen, wie lange sie es dort aushalten würden. „Dave, du hältst es vielleicht drei Stunden aus, Scotty, du schaffst vielleicht einen halben Tag, und ich vielleicht einen ganzen.“

Dave drehte sich zu mir um, er hatte eine Jumbodose Colt­45­Bier in der Hand. Er hatte bereits zwei von den Dingern gekippt. Es muss so gegen neun Uhr morgens gewesen sein, und Dave meinte: „Die Wette hast du schon ver ­loren, ich verpiss mich nämlich jetzt sofort.“

Scotty wollte unbedingt von der Schule fliegen, also ging er auf einen Mit­schüler los, der an seinem Spind stand, packte ihn am Oberarm und drang­salierte ihn mit einer spitz zulaufenden Kombizange. Der ist natürlich sofort zum Direktor gerannt, und dann hörten wir’s auch schon über die Lautspre­cheranlage: „Scott Asheton, sofort ins Direktorzimmer kommen!“ Er ging hin und wurde auf der Stelle von der Schule geschmissen.

Iggy Pop: Diese Typen waren die faulsten, kriminellsten Gammlerschweine, die man sich nur vorstellen kann. Ein wirklich verrottetes und von ihren Müt­tern verzogenes Pack. Scotty Asheton – der war schon als Jugendlicher krimi­nell. Sein Vater war gestorben, seiner und Rons, also herrschte bei ihnen zuhause nicht sehr viel Disziplin … Ich meine, Dave Alexander und Ron Ashe­ton haben die Schule geschmissen und sind nach Liverpool gegangen, um in der Nähe der Beatles zu sein.

Ron Asheton: Dave Alexander und ich waren ganz versessen auf irgendwel­che Bands. Wir haben immer nur rumgesessen und uns Platten angehört und über die Beatles und die Stones gesprochen. Wir hatten sogar selbst eine Band – oder so etwas Ähnliches wie eine Band. Wir nannten uns The Dirty Shames. Wir spielten immer zu den Platten und sagten dann: „Wir sind großartig!“ Dann nahmen wir die Platten vom Teller und meinten: „Tja, so großartig sind wir nun auch wieder nicht.“

Wir haben das Gerücht in die Welt gesetzt, wir wären eine richtig gute Band, obwohl wir nie aufgetreten sind. Und dann sind wir tatsächlich einmal zu Discount Records bestellt worden, um diesen Typen zu treffen, der das erste Rolling­Stones­Konzert im Olympiastadion in Detroit promotet hat. Er wollte die Dirty Shames als Vorgruppe für die Stones. Wir waren alle furchtbar auf­geregt, bis wir realisierten: „Hilfe, wir können ja überhaupt nicht spielen!“ Also haben wir dem Typen gesagt, dass wir da gerade in L. A. zum Vorspielen seien.

Kurze Zeit darauf erzählte mir Dave, dass er nach England gehe: „Habt ihr Lust, mitzukommen?“ Also habe ich mein Motorrad verkauft. Ich hatte eine Honda 305, die ich mir anstelle eines Autos gekauft hatte, als ich meinen Führerschein gemacht hatte. Also haben wir das Motorrad verkauft und sind nach England geflogen.

Dort haben wir uns The Who im Cavern angehört. Die Leute standen dicht gedrängt wie die Ölsardinen. Wir haben uns bis ungefähr drei Meter vor der Bühne durch die Menschenmenge gequetscht, und dann fing Pete Townshend an, seine zwölfsaitige Rickenbacker zu zertrümmern.

Das war meine erste Begegnung mit dem totalen Chaos. Es sah aus, als würde ein überdimensionaler Hundehaufen aus Menschen versuchen, sich Teile von Townshends Gitarre zu schnappen, und als die Leute versuchten, auf die Bühne zu klettern, schwang er seine Gitarre über ihren Köpfen. Das Publikum jubelte nicht, sondern es hörte sich viel eher an wie tierische Geräusche, wie ein Geheul. Im Saal herrschte inzwischen eine ziemlich primitive Atmosphäre – als hätte man einer halb verhungerten Horde von Tieren, die seit einer Woche nichts mehr zu fressen bekommen hat, einen Fleischfetzen hingeworfen. Ich bekam einfach Schiss. Mit Spaß hatte das für mich nichts zu tun, aber faszinie­rend war es trotzdem. Es herrschte eine Atmosphäre wie „Das Flugzeug brennt, das Schiff sinkt, da können wir uns auch gegenseitig die Köpfe einschlagen!“. Ich hatte noch nie erlebt, dass Leute dermaßen durchgedreht sind – diese Musik konnte die Leute zu unglaublichen Extremen treiben. Das war der Moment, an dem mir klar wurde: Das ist genau das, was ich auch machen will.

Als wir wieder zuhause waren, sind Dave und ich von der Schule geflogen, weil wir so lange Haare hatten. Ich hatte mir außerdem gigantische Koteletten wachsen lassen und trug kniehohe Beatles­Stiefel aus schwerem Leder mit klobigen Absätzen, dazu eine Lederweste und einen Rollkragenpullover. Der Rektor war völlig außer sich:„Das geht entschieden zu weit.“ Also sagte ich mir: „Leckt mich am Arsch“, und hing ab sofort vor Discount Records rum, wo Iggy arbeitete.

1966 hieß Iggy noch Jim Osterberg, und als ich ihn auf der Highschool kennen lernte, war er immer noch ein anständiger Junge. Er traf sich mit den anständigen Mitschülern, die Bundfaltenhosen, Kaschmirpullis und Slipper tru­gen. Iggy rauchte keine Zigaretten, nahm kein Rauschgift und trank nicht. Nach der Schule arbeitete er im Laden von Discount Records, und zu der Zeit lernte ich ihn näher kennen. Damals hingen auch mein Bruder Scott und Dave Alex­ander vor dem Plattenladen rum und spuckten vorüberfahrende Autos an.

Wayne Kramer: Eine bemerkenswerte Eigenschaft an Scotty Asheton, die ich unbedingt erwähnen möchte, ist, dass er ein couragierter Kämpfer ist. Einmal hat er mir und Fred Smith den Arsch gerettet.

Eines Abends sind wir nach Ann Arbor, weil wir Iggy hören wollten, der bei den Prime Movers Schlagzeug spielte – das war eine Bluesband, die wirk­lich viel eklektisches Zeug brachte. Iggy war zweifellos der beste Schlagzeuger in ganz Ann Arbor. Er war einfach nicht zu toppen.

Damals habe ich mir mein Haar immer noch nach hinten gekämmt, ich hatte mich noch nicht mit der neuen Haarmode angefreundet. Fred hatte seine Haare nach vorn gekämmt, und sie hingen ihm fast bis über die Ohren, was für damalige Verhältnisse extrem lang war. Wir waren völlig friedlich und haben der Band zugehört, als plötzlich eine Gruppe von Verbindungstypen auf Fred zugingundanfing,ihmandenHinterkopf zuschlagen,undihnfragte:„Bistdu nun ein Junge oder ein Mädchen?“

Sie waren eindeutig in der Überzahl, und ich dachte mir:„Scheiße, da sind nur Fred und ich, da wird es höchstens zwei Minuten dauern, und die Typen haben uns kaltgemacht. Das sieht aber überhaupt nicht gut aus für uns.“

In dem Moment, als es wirklich brenzlig wurde, kam Scotty Asheton zu uns rüber. Er packte sich einen dieser Typen und beförderte ihn mit einem einzigen Arschtritt quer über die Tanzfläche, und dann sagte er zu diesem Typen, er solle gefälligst die Finger von uns lassen, weil wir seine Freunde wären.

Ich meine, ich war vollkommen verblüfft, so nach dem Motto:„Hey, Mann, super!“ Dabei kannte ich ihn praktisch gar nicht. Ich wusste nur, dass Scotty der Bruder von einem Mädchen war, mit dem Fred sich manchmal traf.

Kathy Asheton: Ich sah Iggys Band The Prime Movers zum ersten Mal in Ann Arbor in einem Club namens Mother’s. Ich war vierzehn und immer noch Jung­frau. Am Tag darauf traten die MC5 auf. Sie kamen aus Detroit, und kein Mensch kannte sie. Die MC5 waren typische Rowdys aus Detroit. Widerliche Typen. Wayne Kramer hatte total eingefettetes Haar, aber Fred hatte lange Haare, was damals eher selten war. Ich habe mich auf der Stelle in Fred verliebt. Und er kam tatsächlich von der Bühne herunter und fragte mich, ob ich Lust auf einen langsamen Tanz hätte, während der Rest der Band einfach weiter­spielte. Ich antwortete ihm: „NEIN!“

Fred war von meiner Antwort irgendwie ein wenig verblüfft, denn insge­heim hatte er wohl gedacht, ich würde vor Freude in die Luft springen. Aber er konnte mich trotzdem zu einem Tanz überreden – zu einem langsamen Tanz.

Wayne Kramer: Es hatte uns bereits in den verschiedensten Formationen gege­ben, bevor wir als MC5 bekannt wurden. Fred und ich hatten in Lincoln Park, einem Vorort von Detroit, in miteinander verfeindeten Bands gespielt. Freds Band nannte sich The Vibratones, und meine hieß The Bounty Hunters, die sich nach Conrad Collettas Dragster benannt hatte.

Wir alle teilten eine Leidenschaft für frisierte Autos und aufgemotzte Moto­ren. Ich habe an der Dragster­Piste sogar einen Job als Eiscremeverkäufer ange­nommen – „EISKALT, EISKALTE EISCREME!“, einfach nur, um jede Woche dort sein zu können. Dragster­Rennen lagen uns im Blut. Die waren nämlich laut und genauso schnell wie die Musik.

Diese gegenseitige Befruchtung von Dragster­Rennen und Rock ’n’ Roll ist witzig:Mein erstesRock ’n’Roll­Livekonzertfand an einerDragster­Pistestatt. Es war Del Shannon, der von so ’ner Instrumentalband aus Detroit namens The Ramrods begleitet wurde. Alle trugen denselben roten Blazer, sie hatten eine nagelneue Fender­Ausrüstung und machten choreografierte Tanzschritte auf der Rücklaufbahn der Dragster­Piste. Damals dachte ich, das wär das Coolste, was ich je gesehen habe.

Fred Smith und ich gründeten kurz darauf eine super Gruppe, die wir mit den besten Musikern aus unseren beiden Bands besetzten. Später kam noch Rob Tyner dazu, ein Beatniktyp. Von ihm stammt auch der Name MC5. Rob fand, das würde sich anhören wie eine Seriennummer – es passte also hervorragend zum Leben zwischen Autofabriken.

Immerhin kamen wir aus Detroit, und die MC5 hörten sich an, als wären sie auf dem Fließband entstanden. Und wir hatten diesen Jugendkriminellen­Look, diesen Automechaniker­Look. Wir hatten unser Haar zu einer Tolle zurückgekämmt und trugen hautenge Hosen.

Kathy Asheton: Nach dem MC5­Konzert im Mother’s fuhr mich Fred Smith nachhause. Ich war damals mit einer Freundin unterwegs, die bei mir über­nachtete, also bat ich sie, schon mal ins Haus zu gehen, weil ich noch ein wenig mit Fred allein sein wollte.

„Sag einfach, ich käme gleich.“

Fred entpuppte sich als sagenhaft guter Küsser. Er war vermutlich der beste Küsser, den ich je hatte.

Meine Brüder flippten natürlich aus, dass ich mit einem fremden Typen draußen rumstand. Meine Mutter hatte es auch mitbekommen und war außer sich. Ich war ja erst vierzehn. Aber als Fred mich an die Tür brachte, kam mein Bruder Ronny raus. Ronny hatte damals lange Haare und Fred ebenfalls, und sie verstanden sich auf Anhieb: „Ist schon in Ordnung.“

Aber ich war völlig aus dem Häuschen. Ich war in Fred verschossen wie ein kleines Mädchen. Ich hatte definitiv ein Auge auf ihn geworfen.

Ron Asheton: Nachdem Dave und ich aus England zurück waren, spielte ich in dieser Band, The Chosen Few, und als sich die Band nach der Highschool auflöste, spielte ich bei The Prime Movers, bei denen Iggy Drummer war.

Aber ich wurde gefeuert. Später arbeitete ich dann als Roadie für sie, und manchmal durfte ich bei einigen Stücken auch schon mal mitspielen. Iggy ver­ließ die Band ziemlich bald. Er hatte entschieden, dass Sam Lay, der berühmte schwarze Bluesdrummer, sein Mentor werden sollte, und ging deshalb nach Chicago.

Iggy Pop: Nachdem ich die Paul Butterfield Blues Band und John Lee Hooker und Muddy Waters und sogar Chuck Berry seine eigenen Stücke hatte spielen hören, konnte ich unmöglich zurück und die Musik dieser Briteninvasion hören, eine Band wie die Kinks zum Beispiel. Die Kinks waren wirklich groß­artig, keine Frage, aber wenn man jung ist und herauszufinden versucht, wo seine Eier sind, kam man leider sehr schnell zu der Feststellung, dass diese Jungs wie Mösen klangen.

Ich habe versucht, aufs College zu gehen, aber das hat leider nicht funk­tioniert. Ich hatte Mike Bloomfield, den Gitarristen von Paul Butterfield, ken­nen gelernt, und der sagte mir: „Wenn du wirklich Musik machen willst, musst du nach Chicago gehen.“ Also bin ich mit neunzehn Cent in der Tasche nach Chicago gegangen.

Ein paar Mädchen, die bei Discount Records arbeiteten, nahmen mich im Auto mit. Die haben mich dann bei einem Typen namens Bob Koester abge­setzt. Bob war Weißer und der Betreiber vom Jazz Record Mart. Ich pennte dort, und dann ging ich raus in die Gegend, in der Sam wohnte. Ich war der einzige Weiße dort. Das war irgendwie beängstigend, aber andererseits auch ein Reise ­abenteuer – all diese kleinen Schallplattenläden und Voodoo­Amulette und die Leute in ihren bunten Klamotten. Ich ging zu Sams Adresse, und seine Frau war sehr erstaunt, dass ich nach ihm suchte. Sie sagte: „Er ist leider nicht zuhause, aber möchten Sie vielleicht ein Brathähnchen?“

So lernte ich Sam Lay kennen. Er spielte zusammen mit Jimmy Cotton, und ich beobachtete sie beim Spielen und versuchte, so viel wie möglich von ihnen zu lernen. Und hin und wieder durfte ich sogar mitspielen, ich hatte dann einen billigen Gig für fünf oder zehn Dollar. Einmal habe ich für Johnny Young gespielt – er war von einem weißen Kirchenchor angeheuert worden. Viel Gage verlangte ich nicht, also ließ er mich mitspielen.

Das hat mir den totalen Kick gegeben. Es war total aufregend, in so unmit­telbarer Nähe von diesen Typen zu sein, die alle ein spezielles Auftreten, eine spezielle Sprache hatten. Was mir bei diesen schwarzen Jungs besonders auf­gefallen ist, war, dass ihnen ihre Musik einfach so aus den Fingern floss. Rich­tig kindhaft und charmant in ihrer Einfachheit. Einfach eine sehr natürliche Art, wie sie ihren Lebensstil zum Ausdruck brachten. Sie waren ständig betrun­ken und führten sich nicht wie die üblichen Sexprotze auf, sondern waren ein­fach nur Jungs, die keine Lust zum Arbeiten hatten, sondern lieber gute Musik machen wollten.

Mir wurde schnell klar, dass mir diese Typen haushoch überlegen waren und dass das, was sie da machten, so vollkommen natürlich daherkam und dass es für mich völlig absurd gewesen wäre, wenn ich sie einfach nur kopiert hätte, so, wie es die meisten weißen Bluesbands taten.

Und dann habe ich eines Abends meinen ersten Joint geraucht. Drogen wollte ich schon immer mal nehmen, aber das konnte ich leider nie, denn die einzige Droge, die ich kannte, war Marihuana, und ich litt unter schwerem Asthma. Davor habe ich mir nichts aus Drogen gemacht und war auch noch nie betrunken. Ich wollte einfach nur Musik machen und etwas in Bewegung set­zen, das war alles, worum es mir ging. Aber dieses Mädchen,Vivian, mit der ich in ihrem Auto nach Chicago gefahren bin, hatte mir ein wenig Grass gegeben. Also ging ich eines Abends zur Kläranlage unten beim Loop, wo der Fluss kom­plett industrialisiert war. Nichts als zubetonierte Ufer und Abwässer von den Marina Towers. Ich rauchte also diesen Joint, und dann durchfuhr es mich.

Ich dachte mir, ich sollte einfach meinen eigenen einfachen Blues spielen. Ich konnte meine Erfahrungen auf der Grundlage dessen beschreiben, wie diese Jungs auch ihre Erfahrungen beschrieben …

Und das tat ich dann auch. Ich eignete mir so einiges von ihrem Gesangs­stil und auch ihre Phrasierungen an, die ich entweder herausgehört oder falsch gehört oder aus Bluessongs verdreht mitbekommen hatte. So ist dann wahr­scheinlich „I Wanna Be Your Dog“ entstanden, was ich fälschlicherweise als „Baby Please Don’t Go“ herausgehört habe.

Ron Asheton: Iggy rief mich aus Chicago an und meinte: „Hey, Jungs, habt ihr nicht Lust, hierherzukommen und mich abzuholen?“ Das war der Moment, als sich Iggy entschieden hatte: „Warum gründen wir nicht eine Band?“

Iggy Pop: Als wir zum ersten Mal zusammen geprobt haben, war es tiefster Winter, und ich wohnte bei meinen Eltern, weil ich kein Geld hatte. Ich musste ungefähr eine achthundert Meter durch den Schnee bis zur Bushaltestelle gehen. Und dann musste ich nach einer vierzigminütigen Busfahrt noch mal zehn Minuten bis zum Haus der Ashetons laufen.

Ron Asheton: Iggy lebte damals in einem Wohnwagen in der Carpenter Road, am Stadtrand von Ann Arbor. Wenn er zu uns kam, nahm er den Bus nach Ann Arbor. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass er von seiner Mutter Geld brauchte, weil er sich eine Orgel kaufen wollte. Seine Mutter gab ihm das Geld nur unter der Bedingung, dass er sich die Haare schneiden ließ: „Ich werde dir die Orgel nur kaufen, wenn du dir die Haare schneiden lässt.“

Also bekam er diesen Raymond­Burr­Haarschnitt verpasst. Kennt ihr den Film, wo Raymond Burr zusammen mit Natalie Wood diesen geisteskranken Typen spielt? Er hatte diesen kurzen Mädchenpony, fast schon so eine Art Bürs­tenhaarschnitt. Jedenfalls bekam Iggy aus irgendeinem Grund diesen komi­schen Haarschnitt verpasst, und dann trug er diese weißen weiten Hosen, die beinahe wie ein Overall aussahen. In diesem Aufzug wurde er von der Polizei angehalten, weil die Bullen dachten, er wäre aus der Irrenanstalt ausgebrochen.

Iggy Pop: Ich musste mir schon was einfallen lassen, damit Ronny oder Scotty mir die Tür aufmachten. Die beiden haben nämlich immer bis Nachmittags gepennt. Ich klingelte und klingelte und klingelte, und manchmal machten sie die Tür auf, manchmal aber auch nicht. Also musste ich den Gartenschlauch nehmen und gegen ihre Fenster spritzen oder Steine gegen die Fenster werfen oder irgendwas Blödes rufen oder Schneebälle werfen. Schließlich gelangte ich irgendwie ins Haus rein, und dann musste ich sie noch ein paarmal wecken. Sie waren ziemlich launische Zeitgenossen – ich spielte ein paar Schallplatten, damit sie in Stimmung kamen. Später kam dann immer Dave Alexander dazu, der in derselben Straße wohnte. Ronny, Scotty und Dave waren sehr gute Träu­mer, denn darum geht es vor allem in diesem staubigen Mittleren Westen. Das Land, das von der Zeit vergessen wurde. Pete Townshend hat dazu etwas Gutes gesagt. Er sagte, dass es für einen klugen Menschen im Mittleren Westen ver­dammt hart sein muss, weil kein London oder New York City in der Nähe ist, um einen mit neuen Eindrücken zu versorgen, an dem man sich reiben kann und das einem jegliche Illusionen ausradiert …

Ron Asheton: Iggy hörte die Doors zum ersten Mal, als sie im Yost Field House für die Studienabgänger der University of Michigan gespielt haben. Wir sind alle mitgefahren, aber Iggy war der Einzige, der reingelassen wurde, vielleicht, weil er mal an der University of Michigan studiert hat und noch seinen alten Studentenausweis besaß. Ich trieb mich draußen rum, weil ich die Band trotz­dem hören wollte. Morrison war sturzbesoffen, und die Kids schrien ständig nach „Light My Fire.“

Morrison machte sich einen Spaß daraus, sie zu verarschen. Er sagte: „Der Mann aus Michigan!“, und imitierte einen Gorilla. Ich glaube, sie haben mit Bierflaschen nach ihm geworfen und schrien während des ganzen Konzerts immer wieder „Light My Fire“.

Iggy Pop: Vor dem Gig im Yost Field House war ich eigentlich noch kein rich­tiger Fan der Doors, denn ihr musikalischer Ansatz war so grundlegend anders als der bei den Rockmusikern aus Detroit. Und die MC5 konnten die Doors nicht ausstehen. Fred Smith sagte immer: „Mein Gott, wie ich diese Mösen hasse.“

Ich habe sie in dieser Turnhalle gesehen, und das Konzert muss so eine Art Schulball für all diese typisch amerikanischen Fettsäcke und ihre Mädchen gewesen sein. Wahrscheinlich waren sie nur gekommen, weil sie die Band sehen wollten, die „Light My Fire“ spielte.

Die Band kam zuerst ohne Morrison auf die Bühne, und sie klangen wirk­lich wie die allerletzte Scheiße. Es klang schrecklich, noch schrecklicher als Mösen – wie alte Mösen nämlich, hahaha. Es klang hölzern und eklig und völ­lig unharmonisch – immer wieder spielten sie das Riff von „Soul Kitchen“, bis der Sänger endlich die Bühne betrat.

Morrison torkelte zwar auf die Bühne, tat das aber auf eine sehr sinnliche Art. Er sah umwerfend aus. Ich musste sofort an Hedy Lamarr in Samson und Delilah denken, weil er seine Locken trug, als hätte ihn ein Hollywood­Friseur zurechtgemacht. Sein Haar schimmerte blauschwarz und war pomadisiert und glänzte. Er hatte prima Haare, das kann ich euch flüstern.

Morrison hatte große, beinahe schwarze Augen, was an seinen enorm ver­größerten Pupillen lag. Er hatte offensichtlich irgendwelche Drogen genommen oder war einfach nur aufgeregt. Und er war wirklich gut angezogen mit seiner schwarzen Lederjacke und der Lederhose und den Filzstiefeln und dem Rüschen ­hemd. Er torkelte in Richtung Mikrofon, als wollte er sagen: „Ich werde schon noch singen, aber nicht sofort …“

Und diese amerikanischen Durchschnittstypen werden sich bestimmt gedacht haben: „Was ist denn das für eine Möse?“

Als Morrison seinen Mund zum Singen aufmachte, sang er mit einer Mösenstimme – einer Falsettstimme. Er sang wie Betty Boop und weigerte sich, in einer normalen Tonlage zu singen. Ich glaube, sie waren fast am Schluss des Songs angekommen und hörten ganz abrupt auf. Morrison schaute sich um, ging zum Gitarristen rüber und sagte: „Hey, Mann, spiel das hier …“

Ich glaube, es war „Love Me Two Times“. Und es ging ab. Bis Morrison wie­der anfing, mit dieser Betty­Boop­Stimme zu singen. Im Großen und Ganzen ging das ganze Konzert in diesem Stil weiter. Ich war völlig aufgeregt. Mir gefiel dieser Antagonismus; mir gefiel, dass er sein Publikum nervte, ja, ja ja. Lauter Verbindungstypen, Footballspieler, die zukünftigen Führer von Amerika – Leute, die heutzutage die Rockstars von Amerika sind –, und Morrison nervte sie nicht nur, er zog sie gleichzeitig in seinen Bann. Ich sprang das junge Mäd­chen an, das ich mitgenommen hatte, und dachte: Das hier ist große Klasse.

Der Gig dauerte nur fünfzehn oder zwanzig Minuten, weil sie Morrison von der Bühne zerren und ihn schnell in Sicherheit bringen mussten, da das Publi­kum kurz davor war, auf ihn loszugehen. Das hat mich schwer beeindruckt.

In dem Augenblick dachte ich: „Mein Gott, wie furchtbar die sind, und die haben es in den amerikanischen Singlecharts auf Platz eins geschafft! Wenn der das kann, kann ich das auch. Und zwar auf der Stelle. Ich habe absolut keine Zeit zu verlieren.“

Ron Asheton: Den ersten Gig hatten wir im Grande Ballroom. Ich sagte: „Ich finde, Dave Alexander sollte Bass spielen, ich spiele Gitarre, und mein Bruder sollte Schlagzeug spielen, auf was immer wir für ihn auftreiben werden.“

Am Vorabend unseres Auftritts wussten wir nicht, was Iggy anziehen würde, aber er meinte nur: „Keine Panik, er werde schon irgendwas Passendes finden.“

Als wir ihn abholten, hatte er ein altes weißes Nachthemd aus dem acht­zehnten Jahrhundert an, das ihm bis zu den Knöcheln ging. Er hatte sein Gesicht weiß geschminkt wie ein Pantomime und sich aus zusammengedreh­ter Alufolie eine Afroperücke gebastelt.

Während der Fahrt zum Grande Ballroom haben wir ein paar Joints geraucht. Es war unser erster Auftritt, und wir waren furchtbar nervös. Dann fuhr plötzlich dieses Rowdypack direkt neben uns und versuchte, uns von der Straße zu drängen. Als wir beim Ballroom ankamen, waren wir alle mit den Ner­ven völlig fertig, und als wir aus dem Auto stiegen, fragte uns der schwarze Park­platzwächter:„Motherfucker, ist das ein Android oder was?“ Er bepisste sich fast vor Lachen.

Scott Asheton: Iggy hatte sich die Augenbrauen abrasiert. Wir hatten einen Freund namens Jim Pop. Jim hatte durch irgendeine Nervenkrankheit all seine Haare verloren, inklusive seiner Augenbrauen. Nachdem Iggy seine Augen­brauen abrasiert hatte, nannten wir ihn nur noch Pop.

An dem Abend herrschte im Ballroom eine Bullenhitze, und Iggy geriet mächtig ins Schwitzen. Von da an wusste er, wozu der Mensch Augenbrauen braucht. Am Schluss unseres Sets waren seine Augen von all dem Öl und Glit­zerkram total geschwollen.

John Sinclair: Es war alles so verdammt realistisch, dass es einfach kaum zu glauben war. So etwas wie Iggy hatte man vorher noch nie erlebt. Es war nicht wie eine Band, es war nicht wie MC5, es war nicht wie Jeff Beck, es war einfach mit überhaupt nichts zu vergleichen. Es war auch kein Rock ’n’ Roll.

Irgendwie erzeugte Iggy diesen mächtigen psychedelischen Sound für das, was er als Frontmann abzog. Die anderen Musiker waren buchstäblich nichts weiter als seine Marionetten. Sie haben einfach nur dieses wahnsinnige Gedröhne in Gang gesetzt, das waren keine richtigen Songs, sondern eher ziem­lich schräge Grooves – „Trancezustände“ nannte ich das. Das hatte viel mehr Ähnlichkeit mit nordafrikanischer Musik als mit Rock. Und dann tanzte Iggy durch die Gegend, dass man dachte, das ist Warten auf Godot fürs Ballett cho­reografiert. Er war nicht wie Roger Daltrey, falls ihr versteht, was ich meine.

Ron Asheton: Wir haben ein paar Instrumente erfunden, auf denen wir bei unse­rem ersten Auftritt gespielt haben.Wir hatten einen Mixer, in den wir ein bisschen Wasser reingeschüttet hatten. Dann haben wir ein Mikrofon reingehängt und das Ding eingeschaltet. Wir haben das Teil ungefähr eine Viertelstunde laufen las­sen, bevor wir auf die Bühne gegangen sind. Es war ein irrer Sound, vor allem, weil er über die voll aufgedrehte Anlage kam. Dann hatten wir noch ein Wasch­brett mit Kontaktmikrofonen. Iggy zog Golfschuhe an und ist auf das Waschbrett gesprungen und darauf mit den Füßen herumgeschlurft. An den Zweihundertfünfzig Liter Ölfässern, auf denen Scotty trommelte, hatten wir ebenfalls Kon­taktmikrofone angebracht, und als Trommelschlägel benutzte er zwei Hämmer.

Ich habe mir sogar den Staubsauger meiner Mutter ausgeliehen, weil der sich wie ein Flugzeugmotor anhörte. Den Sound von Düsenflugzeugen habe ich schon immer geliebt. WWWWWWRRRR!

Scott Asheton: Die Leute wussten wirklich nicht, was sie davon halten soll­ten. John Sinclair, der Manager der MC5, stand einfach nur da und kriegte den Mund nicht wieder zu. Das war unser Masterplan: Mauern niederreißen und den Leuten die Scheiße aus dem Hirn blasen. Es anders zu machen als die ande­ren war das Einzige, was wir wollten.

Es gab eine Menge Leute, die damit überhaupt nichts anfangen konnten, aber das waren letztlich die Leute, die dann doch bei jedem Auftritt auftauch­ten. Die schrien herum, weil sie eine Reaktion wollten, aber Iggy gab ihnen zu verstehen, dass sie sich verpissen sollten.

Iggy Pop: An meinem einundzwanzigsten Geburtstag sind wir als Vorgruppe von Cream aufgetreten. Ich hatte den Tag damit verbracht, ein Siebenhundertfünfzig Liter Ölfass von Ann Arbor noch Detroit zu transportieren, an das wir ein Kontaktmikrofon angebracht haben, und auf dem schlug Jimmy Silver den einen durchgehenden Beat unseres besten Songs. Ich habe das Ding ganz allein die drei Stockwerke zum Grande Ballroom hinaufgeschleppt. Und dann haben wir festgestellt, dass unsere Verstärker nicht funktionierten. Und als wir auf die Bühne gegangen sind, schrie das Publikum: „Wir wollen Cream hören, wir wol­len Cream hören, runter von der Bühne, wir wollen Cream!“

Ich stand da, hatte vorher zwei Trips gefressen und sagte: „Fuck you!“ Das war einer unserer beschissensten Gigs überhaupt.

Danach bin ich dann zu Dave Alexander mit nachhause gegangen. Ich war am Boden zerstört und dachte: „Und das an deinem einundzwanzigsten Geburtstag! Das war’s dann wohl. Das haut alles überhaupt nicht hin.“

Daves Mama servierte mir einen Cheeseburger mit einer Kerze in der Mitte. Es ging darum, die Dinge am Laufen zu halten, damit es besser werden kann. Bloß nicht aufgeben.

Please Kill Me

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