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KAPITEL 7: JAILHOUSE ROCK

Wayne Kramer: Für die MC5 begann es, abgesehen von dem Stress mit der Plattenfirma, auch aus anderen Gründen ziemlich ungemütlich zu werden. Immer wenn man einen politischen Standpunkt äußert, vor allem, wenn man anfängt, gewaltsame politische Parolen auszugeben, kann man sicher sein, dass eine ebenso gewaltsame Reaktion der herrschenden politischen Kräfte nicht lange auf sich warten lässt.

In und um Detroit forderten beispielsweise die Schulen, Eltern, Polizei und Staatsanwaltschaft: „Wann wird endlich etwas gegen die MC5 unternommen? Wir können einfach nicht zulassen, dass sie das äußern dürfen, was sie äußern!“

Bei unseren Auftritten hatten wir das Publikum aufgefordert, Grass zu rau­chen, ihre BHs zu verbrennen und auf der Straße zu ficken. Wir waren nicht nur ein bisschen zu wild für die Schallplattenindustrie – das waren wir zweifel­los –, sondern es ging noch darüber hinaus. Love und Peace mochten im König­reich der Schallplattenindustrie ja noch angehen, wenn man allerdings einen Schritt weiter in Richtung Revolution ging … dann wurde es übel.

Dennis Thompson: Nixon und seine cleveren Jungs steckten im Hinterzimmer der Politik die Köpfe zusammen und waren sich einig: „Die einfachste Mög­lichkeit, mit diesem verdammten Pack umzugehen, besteht darin, ihnen die Gunst der Partei zu entziehen.“

Die Regierung hatte nach einer Problemlösung gesucht. Das war offen­sichtlich.„Diese Leute rauchen Haschisch, nehmen psychedelische Drogen, und dann proben sie den Aufstand und propagieren ihre neuen Ideen wie:‚Lasst uns die Welt verändern und den faschistischen Politikern das Handwerk legen!‘ Das Intelligenteste wäre, ihnen das zu verabreichen, was sich auch in den Gettos über lange Zeit bestens bewährt hat.“ Und ganz plötzlich bist du, wo du auch gehst und stehst, immer nur mit Heroin konfrontiert. Es ist billig, und schon ist es da. So wurde Heroin unsere bevorzugte Droge, vor allem deshalb, weil man zur Rettung seiner Seele schlecht ein Kilo Grass kaufen konnte. Und es besteht überhaupt kein Zweifel, dass die Musik von den Substanzen beeinflusst wird, die man konsumiert.

Danny Fields: Ich wurde am 20. Januar 1969, dem Tag von Richard Nixons Amtseinsetzung als Präsident der Vereinigten Staaten, von Elektra vor die Tür gesetzt. Der Typ, der mich gefeuert hat, verprügelte mich und hat mir heftig eins aufs Maul gegeben, nur weil ich das Gerücht wiederholt hatte, dass eine seiner Familienangehörigen schwanger sei.

Ich glaube, das war ihr letzter Strohhalm. Ich denke, sie wollten mich aus der Firma rausschmeißen, weil ich Elemente in ihr sorgsam gehütetes Folkie­Yuppie­Gefüge eingeschleppt hatte, die ihnen nichts als Scherereien eingebracht haben. Ich weiß nicht, ob ich ihnen ebenso viel Geld wie Ärger eingebracht habe.

Wenn ich daran denke, was ich bei Elektra alles gemacht habe … Ich habe mich mit den Doors rumgeschlagen – Jim Morrison und ich hassten einander abgrundtief. Ich habe die MC5 unter Vertrag genommen – die sie dann gefeuert haben. Ich habe die Stooges unter Vertrag genommen – die sie gefeuert haben. Ich habe Nico unter Vertrag genommen – die nie eine Platte verkauft hat. Und ich habe David Peel and the Lower East Side unter Vertrag genommen, der die Firma mit seiner Platte „Have A Marijuana“ vor den Kopf gestoßen hat; sie ver­kaufte sich fast eine Million Mal, wobei sich ihre Produktionskosten gerade mal auf dreitausend Dollar beliefen.

Kurz nachdem ich gefeuert worden war, wurde John Sinclair wegen zweier Joints verhaftet und zu neun Jahren Gefängnis verurteilt.

Wayne Kramer: Warner Stringfellow war ein Rauschgiftspitzel aus Detroit. Er war es, der John zum ersten Mal wegen Drogenbesitz festgenommen hat, wor­aufhin John „The Poem for Warner Stringfellow“ verfasste.

Das Gedicht ging ungefähr so: „Warner, was willst du dagegen tun, wenn deine Kinder Grass rauchen? Was willst du dagegen tun, wenn alle Rechts­anwälte dieser Welt Grass rauchen? Warner, was willst du tun, du engstirniges Arschloch?“

Überflüssig zu sagen, dass Warner es fortan auf John abgesehen hatte und ständig versuchte, uns diese Polizeispitzel auf den Hals zu hetzen. Sie waren immer in der Nähe, halfen uns beim Transport unserer Ausrüstung oder bedienten den Vervielfältigungsapparat und fragten: „Hat denn keiner Lust, einen Joint zu bauen?“

Leni Sinclair: Der Typ, der John verhaftet hat, war derselbe, der ihn auch beim ersten Mal eingelocht hat, nur kam er diesmal in einer völlig anderen Auf ­machung daher. Er war wirklich ein begnadeter Schauspieler. Diesmal sah er aus wie ein Hippie und hatte seine Freundin dabei. Seine Freundin war wirklich noch sehr jung. Sie hatte kurze Haare und trug immer Miniröcke. Sie kamen regel­mäßig zu unseren Abendessen und bedienten unsere Vervielfältigungsmaschine.

Eines Tages kam das Mädchen allein und fragte John:„Könnte ich vielleicht ein paar Joints haben, ich bin auf dem Weg zu einer Party.“

John, Frauenheld, der er war, überlegte nicht groß, denn es war ja ein Mäd­chen, und gab ihr zwei Joints. Ungefähr einen Monat lang passierte gar nichts, aber dann veranstalteten sie plötzlich eine Razzia, bei der fünfundsechzig Leute festgenommen wurden. Und dann hieß es: „GROSSER RAUSCHGIFTRING AUSGEHOBEN!“

Es war ganz offensichtlich, dass sie es ausschließlich auf John abgesehen hatten, weil alle anderen, abgesehen von John, mit einem blauen Auge davon­kamen.

Warner Stringfellow hatte eine Tochter, und die war eine von uns. Sie erzählte uns immer, dass ihr Vater von John als der Inkarnation des Bösen sprach. Er bezeichnete ihn als den Barbaren mit den schmutzigen Zehennägeln. Seine Tochter hing dann eines Tages an der Nadel, und er machte John dafür verantwortlich. Deshalb wurde John für ihn zum Symbol all dessen, was in unserer Gesellschaft schief gelaufen ist, und er dachte, er könnte die Revolution verhindern, indem er John die Hölle heiß macht, hahaha.

Später wurden die beiden Spitzel vom Gouverneur für ihre hervorragende Polizeiarbeit ausgezeichnet.

Danny Fields: John Sinclair war eine leichte Beute. Sein Engagement für den Marihuanakonsum hat ihm letztlich wohl viel mehr geschadet als seine Revo­lutionsgelüste oder die Aufforderung, auf der Straße zu ficken.

All die Hüter von Recht und Ordnung wurden in der Anfangsphase der Nixon­Regierung zu raschem Handeln aufgefordert – das war auch die Zeit, als der soeben ins Amt eingeführte Justizminister John Mitchell seine rigiden Anti­drogen­, Antijugendgesetze und Law­and­Order­Botschaften durchsetzte. Und John Sinclair war berühmt und unerschütterlich, und sie hatten sich ausgemalt, sie könnten der Bewegung das Handwerk legen, wenn sie ihn hinter Gitter brächten. Also verhafteten sie ihn wegen zweier Joints und verhängten die Höchststrafe gegen ihn. Die Gesetze waren damals drakonisch, ließen sich aller­dings selten durchsetzen, außer man wollte es unbedingt.

Und sie wollten John Sinclair.

John Sinclair: Warner Stringfellow war mein Rachegott. Ich war der Unruhe­stifter. O Mann, sie hatten uns im Visier. Ich meine, wir waren ja auch ständig auf Acid, wenn ihr versteht, was ich meine.

Ich war wirklich angeschissen. Für mich war es unausweichlich, dass ich entweder in den Knast wandern oder gekillt würde. Aber das war mir egal. Ich hätte nie gedacht, dass ich aufgrund der herrschenden Marihuanagesetze für zweieinhalb Jahre in den Knast wandern würde, aber eigentlich haben sie mich ja auch verurteilt, weil ich für die Gesellschaft eine Gefahr darstellte. Und ich wäre auch tödlich beleidigt gewesen, wenn sie nicht behauptet hätten, ich sei eine Gefahr für die Gesellschaft. Ich war entschlossen, eine Gefahr zu sein.

Wayne Kramer: Ich habe mich mit John Landau beraten, und wir haben ver­sucht, einen Prozentsatz unseres Verdiensts zu errechnen, den wir John Sinclair zur Verfügung stellen wollten, während er im Knast saß. Kurz nach Johns Ver­haftung haben Fred Smith und ich uns mit seiner Frau getroffen, weil wir wis­sen wollten, ob sie Geld bräuchte. Sie sagte uns, sie bräuchte keins und dass alles in Ordnung wäre.

John Sinclair: Als die Geschworenen von ihrer Beratung zurückkamen und mich schuldig sprachen, bin ich sofort in den Knast gewandert und für zweiein­halb Jahre dringeblieben. Ich hatte absolut keine Chance, meine Angelegenhei­ten zu regeln. Meine Frau war gerade schwanger, und ich hatte eine zweijährige Tochter, und ich wurde einfach so abgeholt. Und die MC5 haben mich ziem­lich hängen lassen, wenn ihr versteht, was ich meine. Sie haben mich einfach im Knast schmoren lassen.

Wayne Kramer: John war wütend und verletzt. Ich glaube, er hatte das Gefühl, wir hätten ihn einfach aus unserem Bild radiert. Er sagte, er hätte nie wegen des Geldes in der Band mitgemacht, sondern weil er die Musik liebte. Er sagte: „Ihr wolltet immer berühmter sein als die Beatles, aber ich wollte, dass ihr berühm­ter würdet als der große Vorsitzende Mao.“

Dennis Thompson: Wir hatten mit dem großen Vorsitzenden Mao nichts am Hut. Wir wollten nicht jeden durchfüttern – das wären ja an die zweihundert Leute gewesen.

Wir haben eine Band namens Up unterstützt, bei denen im Haus nebenan ungefähr zwanzig Leute wohnten – Roadies, Köche, Flaschenreiniger, Freun­dinnen und Mädchen, die Kleider nähten. Da konnte ich wenigstens sehen, wo unser ganzes Geld blieb – von unserem Geld konnten sich alle braunen Reis und Rosinen kaufen, hahaha.

Wir wurden alle wie kleine Kommunisten behandelt, aber ich bin lieber ein guter Schlagzeuger in einer berühmten Rock ’n’Roll­Band.

John Sinclair war immer wieder stocksauer auf mich: „O du elender Polacke.“

Und ich sagte dann zu John: „Und du John? Bist ein alter Beatnik­Hippie, der sich vom selben Bullen, nur weil er einen anderen Schnurrbart trug, gleich zweimal in den Knast sperren ließ.“ Hahaha.

Wayne Kramer: Normalerweise rasten die Leute komplett aus, wenn sie in den Knast gesperrt werden. In den Knast gesperrt zu werden ist auch eine sehr trau­matisierende Angelegenheit, und uns schien es fast, als wäre John für seine Arbeit mit den MC5 eingelocht worden.

Deshalb dachte er wohl auch, dass ich ihn ausbooten wollte. Aber in Wirk­lichkeit hatte er jede Menge Leute hinter sich, die darüber weit mehr aufge­bracht waren als er selbst – seine Frau, den Verteidigungsminister und seinen Bruder. Sie alle hassten uns.

Nachdem wir bei Elektra rausgeflogen waren, kam uns Danny Fields erneut zu Hilfe und fädelte für uns diesen Deal mit Jerry Wexler bei Atlantic Records ein – sie gaben MC5 fünfzigtausend Dollar, weil Wexler an die Band geglaubt hat.

Aber trotz der fünfzigtausend Dollar hatten wir kein Geld. Keiner von uns hat jemals Geld dafür bekommen, weil er in der Band mitspielte. Das Geld wan­derte immer in einen großen Topf, aus dem die laufenden Rechnungen bezahlt wurden. Wir hatten ein Dach über dem Kopf, wir hatten zu essen, wir hatten was zum Anziehen, aber wenn wir was zu rauchen brauchten, mussten wir um Kleingeld für eine Schachtel Zigaretten betteln.

Gut, wir hatten zwar unser Grass, aber wir hatten nie Geld oder irgend­welchen persönlichen Besitz.

John Sinclair: John Landau produzierte ihr nächstes Album, und er übte trotz­dem einen schlechten Einfluss auf sie aus, indem er ihnen immer erzählte, dass sie es nie zu etwas bringen würden, solange sie sich mit uns abgeben würden: „Diese Leute sind doch total daneben, sie betrügen dich, sie nehmen dir dein ganzes Geld weg, und dann wollen sie dich einfach nur benutzen …“

Dabei war ich derjenige, der diese Typen zwei Jahre lang durchgefüttert hat, als sie pro Auftritt nur fünfundzwanzig Dollar verdienten. Ich war derjenige, der sie durch die Gegend chauffiert und ihnen ihre Anlage aufgebaut und ihre Pressemitteilungen geschrieben hat. Und plötzlich soll ich derjenige gewesen sein, der sie ausgenutzt hat?

Und das alles nur, weil sie einen Schallplattenvertrag bekommen hatten.

Dennis Thompson: Nachdem wir den Vertrag unterzeichnet hatten, kriegte jeder von uns gerade mal eintausend Dollar auf die Hand. Klasse, was? Also mussten wir unsere Eltern überreden, für die Kaufverträge unserer Autos zu bürgen.

Wayne Kramer kaufte sich einen Jaguar XKE, Mike Davis einen Buick Riviera, Fred Smith eine Fastback Corvette, Baujahr 1966, und Rob Tyner einen Kombi, hahaha.

Ich hatte den besten Schlitten der Band – eine Corvette, Baujahr 1967, sie­ben Liter und dreihundertneunzig PS mit sechs Rücklichtern und einem lila Hardtop. Das Auto war ein Biest. Es hatte immerhin fast vierhundert PS. Ich habe es in ungefähr acht Monaten auf sechsundsechzig Punkte im Strafregister gebracht. Ich bin meinen Führerschein ungefähr drei­oder viermal losgewor­den und in den Knast gewandert, weil ich gefahren bin, obwohl man mir den Führerschein weggenommen hatte.

Michael und ich sind mit dem Schlitten nach Florida gedüst. Das war der schnellste Trip nach Florida, den ich je mit einem Auto gemacht habe – wir fuh­ren im Durchschnitt ungefähr einhundertneunzig Sachen. Hat Spaß gemacht. Was hatten Autos mit Leuten zu tun, die sauer auf uns waren?

Wayne Kramer: Wir sind wegen der Verfolgung konterrevolutionärer Ideale aus der White Panther Party ausgeschlossen worden, weil wir uns Sportwagen gekauft haben, für die unsere Eltern die Kaufverträge unterschrieben hatten. Ich hatte mir einen Jaguar XKE gekauft. Das war neben Rock ’n’ Roll das coolste Teil, das ich je gehabt habe. Von diesem Auto träume ich heute noch. Oh, war das ein Zuckerstück. Fred Smith hatte sich eine gebrauchte Corvette gekauft, Dennis eine Corvette Stingray, sieben Liter – ein wahres Kraftpaket. Michael Davis einen Riviera. Und Rob Tyner bekam den Kombi der Band.

Wir waren schrecklich. Kurz nachdem Rob den Kombi bekommen hatte, kam er eines Tages voll beladen mit Einkäufen aus dem Supermarkt und musste entsetzt feststellen, dass sein Auto nicht mehr da war. Keiner von uns hatte je daran gedacht, irgendwann mal die laufenden Raten abzudrücken, also haben sich die Händler die Karren einfach wieder unter den Nagel gerissen.

Dennis Thompson: Ich meine, wir sind alle an der Dragster­Piste groß gewor­den. Aber schnelle Autos und Bier passten eben nicht so gut mit braunem Reis und Zen zusammen. Da waren die Konflikte vorprogrammiert. Nicht unbe­dingt politische Konflikte, sondern eher kulturelle.

Nun ist es überhaupt nicht so, dass wir John im Stich gelassen hätten. Wir konnten nur einfach nichts für ihn tun. John war wie der Rest dieser durchge­knallten Hippies immer noch der Überzeugung, dass die Revolution eines Tages siegen würde. Sorry, aber Nixon hatte eine Menge Nazibullen rekrutiert, die schon dafür sorgten, dass das NICHT passierte, liebe Genossen.

Ron Asheton: Schließlich hatten die Five die Nase voll, immer alles zu teilen. Sie wussten immer, wenn die Stooges gutes Haschisch hatten, und kamen dann ins Fun House rüber: „Können wir ein bisschen Haschisch rauchen und ein­fach ein bisschen bei euch rumgammeln? Diese ständige Teilerei bei uns im Haus, das ist schon ziemlich unheimlich.“

Danny Fields: Nachdem John im Knast gelandet war, habe ich viel Zeit damit verbracht, zwischen New York und Ann Arbor zu pendeln, weil John Landau und ich das Management von MC5 unter uns aufgeteilt hatten. So haben wir uns mit dem Babysitten immer gegenseitig abgewechselt.

John Landau hatte mich und die Band an Atlantic Records vermittelt. Jerry Wexler war der Präsident von Atlantic und stand auf junge intelligente und coole Typen. Deshalb hingen Lisa Robinson, Lenny Kaye und ich oft bei ihm zuhause rum und fraßen jede Menge Acid. Ich kann mich besser an die Acid­trips erinnern als an das, was damals passiert ist. Ich bin durch das Universum geflogen und habe mit Gott geplaudert, ich bin auf die Knie gegangen und konnte in die Zukunft schauen. Auf einem Trip war ich fest davon überzeugt, ich hätte einen IQ von dreitausend. Aber nicht nur das. Ich konnte mir sogar Wesen ausmalen, die einen IQ von dreihunderttausend hatten …

Höher hinauf als mit LSD wollte ich nicht.

Please Kill Me

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