Читать книгу Please Kill Me - Legs McNeil, Gillian McCain - Страница 9
ОглавлениеPROLOG: ALL TOMORROW’S PARTIES 1965–1968
Lou Reed: Ich bin ganz allein. Niemand da zum Reden. Komm rüber, damit ich mit euch reden kann.
Wir haben vor Urzeiten in einem total verdreckten Apartment, das nur dreißig Dollar Miete im Monat kostete, Musik gemacht und hatten wirklich überhaupt kein Geld. Es gab normalerweise mittags, morgens und abends Haferflocken, und wir haben Blut gespendet oder für diese wöchentlich erscheinenden FünfzehnCentBoulevardheftchen als Fotomodelle gearbeitet. Ich habe dann für sie posiert, und die Bildunterschrift unter meinem Foto besagte, dass ich ein Sexbesessener und Triebtäter sei, der vierzehn Kinder umgebracht und davon einen Film gedreht habe, der um Mitternacht in einer Scheune in Kansas City gezeigt wurde. Und als ein Bild von John Cale in der Zeitung erschien, hieß es, er hätte seinen Liebhaber gekillt, weil der seine Schwester heiraten wollte, so habe er verhindert, dass seine Schwester eine Schwuchtel ehelicht.
Sterling Morrison: Lou Reeds Eltern hassten es, dass Lou Musik machte und sich mit zwielichtigen Typen rumtrieb. Ich hatte ständig Angst vor Lous Eltern – aber eigentlich hatte ich immer nur dann mit ihnen zu tun, wenn sie wieder einmal damit drohten, dass sie sich Lou schnappen wollten, um ihn in die Irrenanstalt einzuweisen. Das schwebte ständig über unseren Köpfen. Jedes Mal, wenn Lou eine Hepatitis bekam, warteten seine Eltern schon darauf, ihn zu schnappen, damit sie ihn einsperren konnten.
John Cale: Aus dieser Zeit stammten die besten Arbeiten von Lou. Seine Mutter war so etwas wie eine Exschönheitskönigin, und sein Vater war, glaube ich, ein ziemlich reicher Wirtschaftsprüfer. Wie dem auch sei, jedenfalls steckten sie ihn in ein Krankenhaus, wo er Elektroschocks bekam. Er studierte anscheinend an der University of Syracuse und wurde zwangsweise vor die Wahl gestellt, entweder Sport zu treiben oder die Reserveoffizierslaufbahn einzuschlagen. Er behauptete, er könne keinen Sport machen, weil er sich dann das Genick brechen würde, und wenn er am Training für Reserveoffiziere teilnehmen müsste, drohte er, würde er den Ausbilder umbringen. Dann zerschlug er mit der bloßen Faust ein Fenster oder sonst was und wurde in die Irrenanstalt eingeliefert. Ich kenne nicht die ganze Geschichte, weil Lou sie immer wieder leicht verändert hat, wenn er sie erzählte.
Lou Reed: Die stecken dir das Ding in den Rachen, damit du deine Zunge nicht verschluckst, und dann befestigen sie Elektroden an deinem Kopf. Das wurde jedenfalls damals in Rockland County empfohlen, um homosexuelle Neigungen auszumerzen. Das Resultat ist, dass man sein Gedächtnis verliert und zu Gemüse wird. Man kann kein Buch mehr lesen, weil man nur bis Seite siebzehn kommt und dann noch mal zurückblättern und wieder bei Seite eins anfangen muss.
John Cale: 1965 hatte Lou Reed bereits „Heroin“ und „Waiting For The Man“ geschrieben. Ich traf Lou Reed zum ersten Mal auf einer Party, wo er seine Songs auf einer Akustikgitarre gespielt hat, deshalb habe ich überhaupt nicht richtig zugehört, weil mir Folkmusik ziemlich am Arsch vorbeigeht. Ich hasste Joan Baez und Dylan – jeder Song kam als Scheißfrage daher. Aber Lou hörte nicht auf, mir immer wieder seine Songtexte unter die Nase zu halten. Also las ich sie und stellte fest, dass sie mit dem, wovon Joan Baez und all die anderen sangen, absolut nichts zu tun hatten. Ich habe damals mit La Monte Young im Dream Syndicate gespielt, und das Konzept unserer Gruppe bestand darin, eine einzige Note zwei Stunden lang zu halten.
Billy Name: La Monte Young war die beste Drogenquelle in ganz New York. Er hatte die besten Drogen – wirklich die besten! Gigantische Acidpillen und Opium, aber auch Haschisch. Wenn man zu La Monte oder zu Marian ging, blieb man dort im Schnitt nie weniger als sieben Stunden – es kam sogar vor, dass man gleich zwei oder drei Tage blieb. Die Wohnung war sehr türkisch angehaucht. In dieser Bude lag immer alles auf dem Fußboden herum, es gab immer das beste Haschisch, und die Leute von der Straße kamen, um sich ihren Stoff zu beschaffen – und im Hintergrund lief ständig diese monotone Musik.
La Monte liebte es, diese Performances abzuhalten, die über mehrere Tage gingen, und dafür hat er sich dann Leute gesucht, die zusammen mit ihm summen würden. Bei diesem Summen ging es darum, dass man eine einzige Note für eine sehr lange Zeit hält. Die Leute kamen einfach vorbei und wurden dann aufgefordert zu summen. Damals war auch John Cale mit dabei.
La Monte Young: Ich war sozusagen der Liebling der Avantgarde.Yoko Ono sagte ständig zu mir: „Wenn ich doch nur so berühmt sein könnte wie du.“ Ich hatte eine Affäre mit Yoko und habe in ihrem Loft eine Musikserie komponiert und für meinen allerersten Flyer folgende Warnung verfasst: DIESE MUSIK DIENT NICHT ZU UNTERHALTUNGSZWECKEN. Ich war einer der Ersten, der auf der Bühne ein Instrument zerstört hat. Ich habe im YMHA eine Geige angezündet, und aus dem Publikum kamen dann Rufe wie: „Fackelt den Komponisten ab!“ Dann begann John Cale, mit meiner Gruppe The Dream Syndicate zu musizieren, die buchstäblich sieben Tage in der Woche und sechs Stunden täglich probte. John spielte auf der Bratsche ganz spezifische Brummoder Summtonhöhen – bis Ende 1965, als er anfing, mit Velvet Underground zu proben.
John Cale: Als mir Lou zum ersten Mal „Heroin“ vorspielte, hat es mich total umgehauen. Der Text und die Musik waren so vulgär und vernichtend. Und außerdem passten Lous Songs perfekt zu meinem Musikkonzept. Lou hat diese Songs geschrieben, in denen es immer wieder um die Zerstörung des Charakters geht. Er hat sich mit den Charakteren, die er besingt, immer sehr stark identifiziert. Bei ihm war es die auf seine Songs übertragene StanislawskiMethode.
Al Aronowitz: Ich habe Velvet Underground ihren ersten Auftritt ermöglicht. Ich habe sie in der SummitHighschool in New Jersey als Vorgruppe auftreten lassen, und sie hatten nichts Besseres zu tun, als mir meinen brieftaschengroßen Cassettenrecorder zu klauen. Sie waren eben einfach Junkies, Gauner und Stricher. Damals hatten die meisten Musiker geistig hoch stehende Ideale, die Velvets hingegen hatten nichts als Scheiße im Kopf. Sie waren einfach nur Stricher. Und ihre Musik war absolut unzugänglich. Das war auch das, was Bob Dylans Manager Albert Grossman immer zuerst gefragt hat: ob die Musik zugänglich oder unzugänglich ist. Und die Musik von den Velvets war total unzugänglich. Aber ich habe mich trotzdem auf sie eingelassen. Also habe ich sie ins Café Bizarre bestellt und ihnen gesagt:„Wenn ihr hier auftretet, bekommt ihr die nötige Publicity, also übt fleißig und reißt euch zusammen.“
Ed Sanders: Um das Café Bizarre machten alle einen großen Bogen, weil man dort diese komischen Drinks bestellen musste – mit fünf Kugeln Eiscreme und Coconut Fizz. Das war was für Touristen. Aber Barbara Rubin sagte ständig: „Ihr müsst euch unbedingt diese Band anhören!“
Paul Morrissey: Andy Warhol wollte mit dem Rock’n’RollBusiness nichts zu tun haben; ich wollte allerdings schon ins Rock’n’RollBusiness einsteigen, um damit Geld zu verdienen.Andy hatte damit nichts am Hut und wäre nicht im Traum auf die Idee gekommen. Selbst nachdem ich es mir gründlich überlegt hatte, musste ich ihn zwingen, bei der Sache mitzumachen. Ich weiß, dass ihr jetzt denkt, dass ANDY immer derjenige war, der unbedingt dies wollte und das wollte, und dass immer alles auf ANDYS Mist gewachsen war. Wenn ihr die tatsächlichen Abläufe in der Factory kennen würdet, wäre euch klar, dass Andy überhaupt nichts getan hat, sondern immer nur von anderen erwartet hat, dass man alles für ihn macht.
Irgendjemand wollte Andy dafür bezahlen, damit er in einen Nachtclub in Queens mitkommt, also wurde er dafür bezahlt, dass er mitkommt. Ich meinte: „Das macht zwar überhaupt keinen Sinn, aber immerhin bringt es Geld.“ Also sagte ich: „Ich hab da eine Idee. Wir gehen nach Queens in diesen Nachtclub und werden dafür bezahlt, aber der eigentliche Grund, weshalb wir dort hingehen, ist, dass wir eine Gruppe managen, die dort auftritt.“
Ich hatte mir vorgestellt, dass man einen Haufen Kohle verdienen könnte, wenn man eine Rock ’n’RollBand managen würde,deren Name häufig in den Zeitungen steht, und für so was war Andy unheimlich gut zu gebrauchen: dass sein Name in die Zeitungen kam. Und dann fragte Barbara Rubin Gerard Malanga, ob er ins Café Bizarre kommen könnte, um dort ein paar Aufnahmen von dieser Band, den Velvet Underground, zu machen. Im West Village gab es diese vielen BeatnikCoffeeshops, denen das Wasser bis zum Hals stand und die deshalb versuchten, von Beatniks und Folksongs zu irgendwelchem Rock ’n’ Roll überzugehen. Ich bin dann also ins Café Bizarre gegangen. Ich glaube, an diesem Abend waren die Velvets zum ersten Mal aufgetreten, und sie hatten diese elektronische Bratsche dabei. Dadurch fielen sie natürlich enorm auf. Und dann hatten sie diesen total androgynen Schlagzeuger. Man konnte beim besten Willen nicht erkennen, ob Maureen Tucker ein Mann oder eine Frau war. Das waren sie also, die großen Attraktionen.
John Cale, der Bratschist, sah mit seiner RichardIII.Frisur einfach umwerfend aus, und dann trug er auch noch diese mächtige Kette aus Klunkern. Es ist kaum zu glauben, aber damals war das ziemlich verrückt.
Rosebud: Dann kam also Andy Warhol mit seiner Entourage ins Café Bizarre, und es war ganz offensichtlich, dass Andy auf der Stelle wie hypnotisiert war.Ausstrahlung war das Einzige, was zählte, und die war bei Velvet Underground ohne Zweifel vorhanden. Ich konnte es einfach nicht fassen, dass dort überall Touristen rumsaßen, an ihren komischen Drinks nippten und sich anhörten, wie Velvet Underground von Heroin und Sadomaso sangen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das Publikum überhaupt nicht mitgekriegt hat, worum es ging, denn die Songtexte waren absolut unverständlich. Aber ich dachte, das ist der Hammer!
Lou Reed: Musik kann nie laut genug sein. Am besten steckt man seinen Kopf in den Lautsprecher. Lauter, lauter, lauter. Mach schon, Frankie, mach schon. Oh, mach schon, mach schon.
Paul Morrissey: Ich wusste, dass ich bei der richtigen Band gelandet war. Ich sprach an besagtem Abend mit der Band und fragte sie, ob sie einen Manager hätten, und der wortkarge kleine Lou Reed antwortete: „Also, hm, irgendwie, vielleicht, hm, nicht wirklich, aber, hm, ja, nein.“ Er hat alle möglichen Antworten gegeben.
Ich sagte ihnen: „Also ich suche jemanden, den ich managen und für den ich einige Alben produzieren kann. Ihr hättet einen geregelten Job in einem Nachtclub und würdet nominell von Andy Warhol gemanagt.“
Sie antworteten: „Wir haben aber keine Verstärker.“
„Dann besorgen wir euch eben Verstärker.“
„Das wäre natürlich großartig, aber wir haben leider kein Dach über dem Kopf …“
„Okay, okay, okay. Wir werden uns morgen noch mal treffen, und dann reden wir über alles.“
Also erzählte ich Andy, dass wir eine Band gefunden hätten, die wir ab sofort managen würden. Andy antwortete: „Oh uuuuuuuu ohouuuuuuuuuuuuuuu!“
Andy hatte immer Angst, eine Aufgabe in die Hand zu nehmen, sobald er aber merkte, dass jemand Vertrauen hatte in das, was er tat, insbesondere in meinem Fall, sagte er einfach nur: „Oh, oh, oh, oh, oh, oh, oh, oh … okay.“
Sterling Morrison: Ich habe mir nicht die Mühe gemacht, Andy Warhol zu beeindrucken. Warum sollte ich auch? Für mich war er nur jemand aus der Kunstszene, der immerhin genug an unserer Musik interessiert war, dass er sich auf den Weg machte, um uns zu hören – aber das war nicht wie der Besuch von einem einflussreichen Plattenboss. Er war einfach nur ein Künstler, über den ich nicht allzu viel wusste – außer dass er ziemlich berühmt war. Damals entsprach PopArt nicht unbedingt meinem Geschmack. Ich stand eher auf flämische Malerei, ich weiß es auch nicht. Die Impressionisten … nein, die Präraffaeliten. Ich glaube, dass mir damals die Präraffaeliten am besten gefallen haben, die möglicherweise die Vorläufer des Pop waren.
Al Aronowitz: Ich habe Velvet Underground zu einem Auftritt im Café Bizarre verholfen, und als Nächstes habe ich dann erfahren, dass sie sich von Andy Warhol managen lassen wollten. Sie haben mir nie ein Wort davon gesagt, und auch Andy Warhol hat sich mir gegenüber nie darüber geäußert. Das verstieß gegen jeden ethischen Grundsatz, es war wirklich gegen jedes Gesetz. Sie haben sich per Handschlag geeinigt, aber was bedeutet schon ein Handschlag für Lou Reed – der war doch nichts weiter als ein opportunistischer Scheißjunkie. Wenn wir mit den Velvets einen schriftlichen Vertrag gemacht hätten, hätte ich Andy Warhol spielend die Hölle heiß machen können.
Lou Reed: Andy Warhol hat mich darauf hingewiesen, dass das, was wir mit unserer Musik machen, dasselbe wäre, was er bei seiner Malerei und Filmerei und beim Schreiben macht – nämlich, die Sache ernsthaft angehen. Soweit ich das beurteilen kann, hat außer uns keine von den Bands Musik gemacht, die auch nur annähernd den Kern der Sache trifft. Wir haben eine ganz spezifische Sache verfolgt, die sehr, sehr authentisch war. Was wir gemacht haben, war weder auf irgendeine Art gefällig oder unaufrichtig, und das war der einzige Weg, mit ihm zusammenarbeiten zu können. An Andy hat mir auf Anhieb gefallen, dass er sehr authentisch war.
Paul Morrissey: Bei Velvet Underground ist mir als Erstes aufgefallen, dass sie keinen Leadsänger haben, denn Lou Reed war wirklich ein lausiger Performer. Ich hatte immer das Gefühl, dass er sich selbst zu etwas gezwungen hat, weil er verdammt ehrgeizig war, aber Lou war eben nicht der geborene Performer. Also sagte ich zu Andy: „Sie brauchen einen Sänger. Erinnerst du dich an das Mädchen, das neulich mal da war? Nico? Sie hat ihre Platte dagelassen, diese hübsche kleine Platte, die sie zusammen mit Andrew Loog Oldham in London aufgenommen hat.“
Gerard Malanga: Als wir nach Paris fuhren, hat sich Nico an Andy und mich drangehängt. Ich habe einfach zwei und zwei zusammengezählt, denn für mich war es klar, dass Nico mit Dylan geschlafen hat. Das war mehr als offensichtlich. Bob hat einen Song für sie geschrieben,„I’ll Keep It With Mine“, und er hat dafür bestimmt eine Gegenleistung bekommen, einen Ersatz.
Aber Nico war ein Freigeist. Sie war nicht das typische HollywoodSternchen. Sie hatte ihre eigene persönliche Geschichte geschrieben: Brian Jones, Bob Dylan, sie hatte eine Rolle in Fellinis La dolce vita und war die Mutter von Ari, dem unehelichen Sohn von Alain Delon. Nico hatte also bereits ihren persönlichen Lebensstil, bevor wir sie kennen gelernt haben.
Nico: Als wir uns in Paris getroffen haben, war Edie Sedgwick viel zu sehr mit ihrem Lippenstift beschäftigt, um anständig zuzuhören, aber Gerard Malanga hat mir von diesem Studio in New York erzählt, in dem sie zusammen arbeiten. Es hieß Factory. Er sagte mir, dass ich herzlich eingeladen wäre, wenn ich das nächste Mal in New York bin. Edie hat die Unterhaltung immer wieder mit ihren dämlichen Kommentaren über meine Haarfarbe unterbrochen. Aber Andy war beeindruckt, dass ich bereits in Filmen mitgespielt und mit den Rolling Stones zusammengearbeitet habe.
Billy Name: In der Factory waren alle total begeistert von Nico. Sie war wirklich eine faszinierende Erscheinung, und sie war absolut ungehemmt und unprätentios, aber sie hatte auch etwas sehr Magisches. Und sie trug nicht diesen HippieBlumenkram, sondern immer diese schwarzen oder weißen Hosenanzüge – eine wirklich nordische Schönheit. Sie war einfach zu viel, wirklich, und wir konnten an nichts anderes mehr denken, als dass sie unbedingt bei unserem Projekt mitmachen müsste. Sie sollte bei dem, was wir machten, eine zentrale Rolle spielen, und da sie eine Sängerin war, dachte Paul Morrissey, es wäre eine ausgezeichnete Idee, wenn sie bei den Velvets sänge– was natürlich zu dem Zeitpunkt ihrer Entwicklung das denkbar Ungünstigste war, was man den Velvets vorschlagen konnte.
Paul Morrissey: Nico war absolut spektakulär. Sie hatte definitiv Charisma. Und sie war interessant. Sie war unverwechselbar. Und dann hatte sie diese wunderbar tiefe Stimme. Sie sah umwerfend gut aus. Sie war groß. Sie war eine Erscheinung. Ich sagte:„Sie ist großartig, und sie sucht einen Job. Wir nehmen sie in die Band auf, weil die Velvets unbedingt jemanden brauchen, der singen kann und hinter dem Mikrofon die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen weiß. Sie sollte Leadsängerin werden, und die Velvets könnten immer noch machen, was sie wollten.“
Al Aronowitz: Nico hat mich benutzt. Sie hat mich ziemlich angemacht, weil ich eben jeden kannte und mit allen Umgang pflegte. Ich meine, mir ist jeder in den Arsch gekrochen, und Nico hat mich immer scharf gemacht und mir ihre Möse versprochen, aber mich nie rangelassen. Für sie war ich einfach immer nur das einfältige Arschloch. Sie hat es mit jedem getrieben, aber ich war meiner Frau treu. Nico sagte zu mir:„Los, lass uns einen Ausflug machen.“ Also machten wir einen Ausflug zur DelawareSchlucht, und sie hatte ein Fläschchen LSD dabei, das sie aus der Schweiz herausgeschmuggelt hatte, und tauchte ständig ihren kleinen Finger hinein. Sie hat mir auch welches gegeben, und irgendwann waren wir total stoned, und dann wollte sie bei einem Motel anhalten. Ich sagte: „Klar doch.“
Wenn eine Frau sagt, dass sie gern bei einem Motel anhalten möchte, was bedeutet das für einen Mann? Aber für sie bedeutete das überhaupt nichts – es ist mir wirklich ein Rätsel, warum sie bei einem Motel anhalten wollte. Wir haben die Nacht nebeneinander und unter einer Bettdecke verbracht, aber sonst ist nichts passiert, denn sie hatte ihre Liebhaber immer am liebsten im halb toten Zustand – wie Lou Reed. Alle haben sie einen Teil von Nico bekommen, außer mir, hahaha. Bob Dylan hatte keine Affäre mit Nico, sondern hat nur einen Teil von ihr bekommen. Ich meine, sie alle haben nur einen Teil von ihr bekommen. Aber das war ihnen egal, sie wollten sie nur ganz schnell wieder loswerden und nicht von ihr belästigt werden.
Dann habe ich Nico zu Velvet Underground mitgenommen. Nico hatte einfach nie Geschmack, aber für Lou Reed hat sie sofort eine Leidenschaft entwickelt – weil sie eben die Vision hatte, selbst ein Popstar zu werden.
Und dann fing auch Nico an, bei Andy Warhol rumzulungern, der diese ganze Freakshow um sich versammelt hatte. Das war alles, was Andy Warhol hatte – eine Freakshow. Und das war es, was alle so magisch anzog. Er hatte diesen Ort namens Factory, und da ging es zu wie auf einer Nebenbühne: „Hereinspaziert, schaut euch diese Freaks an!“ Und die gesamte High Society von Uptown kam hereinspaziert, um zu schauen. Mir haben sich immer die Nackenhaare aufgestellt, wenn ich in die Factory gegangen bin, weil mich diese arroganten Freaks mit ihrem arroganten und aufgesetzten Getue und ihrem stolzierenden Gang immer total angeekelt haben. Das war alles nur ein Getue. Nico wurde eine von ihnen – sie machte genau dasselbe. Aber ihr konnte man das verzeihen, weil sie so schön war, genauso, wie mir viele Leute vieles verziehen haben, weil ich gut schreiben kann.
Paul Morrissey: Natürlich hat es Lou Reed beinahe die Sprache verschlagen, als ich ihm sagte, dass wir in unserer Band eine Sängerin bräuchten, damit wir mehr Publicity bekämen. Ich konnte ihm schlecht plausibel machen, dass wir jemanden bräuchten, der mehr Talent hätte als er, aber das war schon das, was ich meinte. Es ging Lou enorm gegen den Strich, mit Nico zusammenzuarbeiten, aber ich denke, dass sich John Cale gegen ihn durchsetzen konnte und er es als Teil der Abmachung akzeptiert hat. Und Nico biederte sich bei Lou an, in der Hoffnung, er würde noch einen Song für sie schreiben, was er allerdings nie tat. Er ließ ihr zwei oder drei unbedeutende Songs und ließ sie nichts anderes tun.
John Cale: Lou war damals völlig auf sich selbst fixiert und ziemlich tuntig. Wir nannten ihn Lulu, und ich war Black Jack. Lou wollte die Oberhexe sein und giftete jeden an, der sich in seiner Nähe aufhielt. Lou trieb sich immer mit irgendwelchem Pack herum, und in der Factory wimmelte es nur so von Transvestiten, mit denen er um die Häuser ziehen konnte. Lou war allerdings von Andy und Nico geblendet. Er war total verunsichert durch Andy, weil er einfach nicht glauben konnte, dass jemand so wohlwollend und trotzdem so bösartig sein konnte – auf dieselbe transvestitische Art, wie Lou es war, wenn er seinen sprudelnden schwulen Humor raushängen ließ.
Lou versuchte, mit ihnen in Konkurrenz zu treten. Zu seinem Unglück war Nico ihm haushoch überlegen – Nico und Andy hatten leicht unterschiedliche Ansatzweisen, aber sie übertrumpften Lou immer wieder aufs Neue. Andy war uns gegenüber immer sehr aufmerksam, was Lou nie ganz nachvollziehen konnte. Er konnte Andys freundschaftliche Gefühle nie richtig begreifen. Was noch schlimmer war: Immer wenn Lou etwas richtig Zickiges geäußert hatte, war Andys Antwort noch viel zickiger – und charmanter. Das machte Lou wütend. Nico hatte dieselbe Wirkung auf ihn. Sie konnte beispielsweise Äußerungen machen, auf die Lou überhaupt nichts zu sagen wusste. Man sieht also, dass Nico und Lou so etwas wie eine Affäre hatten, sie ergänzten und behinderten sich gegenseitig in einer Zeit, in der Lou ihr psychologisch angehauchte Liebeslieder wie „I’ll Be Your Mirror“ und „Femme Fatale“ auf den Leib schrieb.
Als ihre Affäre in die Brüche ging, konnten wir uns davon überzeugen, dass Nico mit nur einem einzigen destruktiven Einzeiler die Herrin rauskehrte. Ich erinnere mich, dass wir uns eines Morgens zu Proben in der Factory verabredet hatten. Nico kam wie immer zu spät. Lou begrüßte sie mit einem ziemlich unterkühlten Hallo.
Nico stand einfach nur da. Man konnte merken, dass sie sich mit ihrer Antwort so lange Zeit lassen wollte, wie es ihr passte. Nach reiflicher Überlegung und wie aus heiterem Himmel sagte sie schließlich: „Ich will nicht länger mit Juden schlafen.“
Nico: Lou liebte es, Frauen zu manipulieren, so, als würde er sie programmieren wollen. Das hätte er mit mir auch am liebsten gemacht. Das waren seine eigenen Worte. Als wollte er mich computerisieren.
Danny Fields: Jeder war in jeden und jede verliebt. Wir waren alle wie die Kinder, und es ging zu wie auf der Highschool. Ich fühlte mich wie mit sechzehn, der eine liebt die eine in dieser Woche, und ein anderer liebte jemand anderes in der Woche nicht, dafür aber jemand anderes, und immer gab es diese Dreiecksbeziehungen, irgendwie war das alles nicht ganz ernst zu nehmen. Es ging zufällig um Leute, die später einmal sehr berühmt wurden, weil sie schön und sexy waren, aber das war uns damals überhaupt nicht bewusst, wir haben uns einfach immerzu verliebt und entliebt – wie sollte man da verdammt noch mal nicht den Faden verlieren?
Jeder war in Andy verliebt und dann natürlich wieder nicht mehr, und Andy war in jeden verliebt und dann wieder nicht mehr. Aber die Leute, die am meisten verliebt waren, waren diejenigen, die am wenigsten gevögelt haben – wie Andy zum Beispiel. Ich meine, die Leute, die man wirklich gut kannte und die mit Andy ins Bett gegangen sind, konnte man wirklich an den Fingern einer Hand abzählen. Und es waren nur sehr, sehr wenige, die mit Edie oder Nico ins Bett gegangen sind. Es gab wirklich nicht sehr viel Sex, sondern eher Verliebtheiten. Sex war irgendwie schweinisch. Und ist es immer noch.
Jonas Mekas: Mir kamen Andy Warhol und seine Factory immer vor wie der Sigmund Freud der Sechzigerjahre. Andy war Freud. Er war der Psychoanalytiker, und in der Factory stand die große Couch, und Andy war da und sagte nie viel, aber man konnte alles in ihn hineinprojizieren und alles bei ihm abladen, ihm alles an den Kopf werfen, ohne dass er einen dafür fertig machte. Andy war für die anderen Mutter, Vater und Bruder, alles in einer Person. Das war der Grund, weshalb sich die Leute in seiner Gegenwart so wohl gefühlt haben – sie konnten Teil eines Films sein, sie konnten einfach sagen und tun, was sie wollten, weil sie niemals kritisiert wurden. In dem Punkt war Andy einfach genial. Andy bewunderte all diese Stars und wollte all diesen kaputten und einsamen Seelen, die in die Factory kamen, Freude bereiten. Andy bezeichnete sie als „Superstars“.
Sterling Morrison: Irgendjemand machte den Vorschlag, dass wir bei einer Psychiaterversammlung spielen sollten, und ich fragte:„Fällt uns wirklich nichts Besseres ein?“
Maureen Tucker: Ich habe absolut keine Ahnung, weshalb sie uns gebeten haben, dort zu spielen – zweihundert Psychiater und wir, diese Freaks aus der Factory. Hinterher haben Gerard und Barbara Rubin einfach mit ihren Cassettenrecordern und Kameras weitergemacht, sind an alle Tische gegangen und haben die merkwürdigsten Fragen gestellt. Die Leute waren völlig perplex und von den Socken. Ich habe mich einfach zurückgelehnt und gefragt: „Was zum Teufel machen wir hier eigentlich?“ Dann kam mir in den Sinn, dass diese Seelenklempner meinten, dass sie sich vielleicht Notizen machen sollten oder so.
Billy Name: Die Psychiaterversammlung begann als ausgemachter Schwindel. Wir haben uns sofort unter sie gemischt, als sie ankamen, aber es herrschte sowieso eine Atmosphäre, als würde Edie Sedgwicks Tante eine Riesenparty schmeißen. Wir hatten uns natürlich vorgenommen, uns mit jedem zu unterhalten, wir wollten sie aber nicht behandeln, als ob sie Gäste, sondern eher als ob sie Edies Verwandtschaft wären. Einigen von ihnen habe ich erzählt, dass ich als Teenager Otto Rank gelesen hätte, und ich sagte: „Als ich hörte, dass Rollo May an der New School unterrichtete, habe ich einige Kurse belegt, einfach nur, um mir einen Eindruck zu verschaffen …“
Die Velvets haben dann auf offener Bühne ihre Instrumente gestimmt, und als sie dann ihre Vorstellung gaben, war das einfach Teil der Atmosphäre, wie eine Unebenheit im Abendprogramm.
Die Presse hat dann darüber berichtet, als handle es sich um eine ironische Konfrontation, was es allerdings überhaupt nicht war. Wir haben niemanden schockiert. Psychiater mögen steif sein, aber sie haben einen Sinn für Humor und sind alles andere als blöd. Es war eher spielerisch und nicht auf Konfrontation ausgerichtet. Barbara Rubin machte dann so merkwürdige Dinge wie ihre Augen mit Lichtblitzen zu blenden oder ihnen Mikrofone ins Gesicht zu halten, diese Konfrontationstechnik eben, die im Grunde bereits mit dem Living Theater begonnen hatte. Für mich war das ein alter Hut. Ich kannte diese Nummer bereits, deshalb hat es mich nicht vom Hocker gerissen.
Die Psychiaterversammlung war trotzdem wichtig, weil sie in der Factory eine neue Ära einläutete, nämlich das Zeitalter der Chelsea Girls. Bevor Nico und Velvet Underground auftauchten, standen immer Edie Sedgwick und Andy Warhol im Mittelpunkt. Andy und Edie. Wie siamesische Zwillinge. Eine Zeit lang hat sie sich ihre Haare auch silber gefärbt, und die beiden sind dann als Paar aufgetreten. Sie waren so was wie Lucy und Desi der Künstlerszene (Lucille Ball und Desi Arnaz waren in den Sechzigerjahren ein populäres Komikerduo; Anm. d. Ü.).
Aber die Nacht der Psychiaterversammlung läutete das Ende der EdieSedgwickÄra ein.
In dieser Nacht tanzte sie mit den Velvets auf der Bühne. Sie tanzte ziemlich cool – Edie war sowieso immer ziemlich cool.
Gerard Malanga: Direkt im Anschluss daran spielten die Velvets eine Woche lang in der Cinemathèque. Jonas Mekas hatte Andy den Vorschlag gemacht, dass er dort eine Filmretrospektive starten wollte. Andy hatte die Idee, eine EdieSedgwickRetrospektive zu drehen, aber nachdem er dann die Velvets im Café Bizarre getroffen hatte, wandelte sich seine Idee doch zu etwas Größerem.
Paul Morrissey: Die Woche in der Cinemathèque soll eine EdieSedgwickFilmretrospektive gewesen sein? Totaler Quatsch. Völlig absurd. Gut möglich, dass wir damals immer noch versucht haben, Edie zu helfen, und vielleicht hatten wir auch noch Filmaufnahmen von ihr, auf denen sie nichts weiter tut, als in der Gegend rumzulaufen.
Jonas Mekas hat nicht Andy die Cinemathèque angeboten. Er hat sie mir angeboten. Er fragte mich:„Hast du irgendetwas, das wir in diesem Theater, das ich gemietet habe, aufführen können?“ Und ich habe ihm geantwortet: „Wieso zeigst du nicht einige Filme, und wir stellen unsere Gruppe vor?“
Wir zeigten eine Stunde lang Filme auf einer Doppelleinwand, und danach spielten Velvet Underground vor einigen weiteren Filmen ebenfalls eine Stunde lang. Das war alles. Es war schon okay. Ein Job eben.
Lou Reed: Andy hat seine Filme auf uns projiziert. Wir waren alle schwarz angezogen, damit man die Filme sehen konnte. Aber wir waren sowieso immer alle schwarz angezogen.
Billy Name: Das nannte sich „Uptight with Andy Warhol“ , aber es war nicht ausschließlich ein AndyWarholFilmfestival, es war eher ein Happening, bei dem auch Filme von Andy Warhol gezeigt wurden – die Filme wurden auf die Leute projiziert, die in den Filmen mitgewirkt haben, während sie zur Musik auf der Bühne getanzt haben. Wir hatten einen Film von Velvet Underground und Nico, den wir dann auf sie projizieren konnten, während sie in der Cinemathèque aufgetreten sind.
Die ganze Veranstaltung hieß zuerst „Uptight“, denn wenn Andy ein Projekt realisieren wollte, wurden erst mal alle nervös. Andy verkörperte so etwas wie die Antithese dessen, was die romantischen Avantgardekünstler damals darstellten.
Filmemacher wie Stan Brakhage und Stan VanDerBeek waren nach wie vor die Helden unter den Bohemiens der Künstleravantgarde. Andy dagegen war noch nicht einmal ein Antiheld. Er war einfach nur eine Null. Und es ging ihnen mächtig gegen den Strich, dass Warhol als der Initiator dessen angesehen wurde, was eigentlich ihre Erfindung war. Deshalb wurden alle immer furchtbar nervös, wenn er irgendwo auftauchte.
Dann zuckten all die anderen UndergroundFilmer zusammen, als hätte jemand mit der Kreide auf der Wandtafel gequietscht: „Oh nein, nicht schon wieder dieser Andy Warhol!“
Nico: Mein Name stand in der Programmankündigung irgendwo ganz weit unten, und ich brach sofort in Tränen aus. Andy tröstete mich, sagte, ich sollte mir nichts daraus machen, da es sich nur um einen Probeauftritt handle. Sie spielten die Aufnahme von dem DylanSong „I’ll Keep It With Mine“, weil ich sonst nicht genug zum Singen gehabt hätte. Lou wollte alles singen. Ich musste einfach nur dastehen und mitsingen. Und zwar eine Woche lang jeden Abend. Das war mit Abstand das dümmste Konzert, das ich je gegeben habe.
Edie Sedgwick versuchte ebenfalls mitzusingen, aber das war ein absoluter Reinfall. Danach hat man sie nie wieder auf der Bühne gesehen. Es war sozusagen ihr Abschied und gleichzeitig meine Premiere.
Billy Name: Edie war über die Entwicklung ihrer Karriere mit Andy alles andere als glücklich, was natürlich auch damit zu tun hatte, dass sie unterdessen, zusammen mit mir, Ondine und Brigid Polk, auf Speed war – was natürlich verheerende Auswirkungen auf jede Karriere hatte, denn man konnte nichts anderes tun, als zuhause zu hocken, weil man sechs Stunden lang völlig fertig war.
Nico: Es gibt Dinge, die werden einem in die Wiege gelegt, und Edie wurde in die Wiege gelegt, dass sie an ihren Vergnügungen sterben würde. Sie sollte an ihren Drogen sterben, wo auch immer sie die herhatte.
Sterling Morrison: Als wir das erste Mal in die Factory kamen, waren wir alle auf Beruhigungsmitteln – wir haben Thorazine und alle möglichen Barbiturate gefressen. Seconal und Thorazine waren die absoluten Renner. Thorazine konnte man sich ganz einfach vom Arzt verschreiben lassen – irgendjemand hatte immer ein Rezept. Das war ein richtig gutes Zeug aus der Apotheke.
Normalerweise wurde Thorazine nur bei gefährlichen Psychoten angewendet, weil es einen definitiv ruhig gestellt hat. Es versetzte einen in eine Art katatonischen Zustand, hahaha. Ich habe das Zeug immer mit Alkohol runtergespült und war dann jeden Morgen ganz gespannt, ob ich noch am Leben bin.
Ronnie Cutrone: Wenn man in der Factory aus dem Lift stieg, sprang einem als erstes das Schild ABSOLUTES DROGENVERBOT ins Auge, das Paul Morrissey dort aufgehängt hatte. Mittlerweile war es üblich geworden, dass sich alle ihre Schüsse im Treppenhaus setzten. In der Factory nahm denn auch tatsächlich niemand irgendwelche Drogen, außer Andy, der immer Obetrol genommen hat, diese kleinen orangefarbenen Speedpillen. Er nahm jeden Tag eine, wenn er anfing zu malen, denn er war ein Workaholic. Das war wirklich seine Droge. Alle anderen setzten sich ihre Schüsse im Treppenhaus.
Allerdings nur Methedrin. Da waren wir Puristen. Die anderen nahmen Acid. Ich war damals bereits weg vom Acid. Ich war auf Methedrin, weil man ja schließlich uptight werden musste. Mit uptight assoziierte man normalerweise etwas Positives, zum Beispiel den gleichnamigen Song von Stevie Wonder, bei uns bedeutete es allerdings eher rigid und paranoid. Daher also Methedrin.
Ed Sanders: Ich kannte Andy Warhol bereits, bevor er sich mit diesen merkwürdigen Subjekten umgab. Das war auch der Grund, weshalb ich ihn nicht mehr besuchte, ich fühlte mich einfach nicht mehr wohl dort. Es ging dort mittlerweile sogar ein wenig zu brutal zu. Ich hatte von solchen Leuten wirklich die Nase voll. Wir nannten sie AKöpfe, als Abkürzung für Amphetaminköpfe, weil sie alle auf Speed waren.
Irgendwann habe ich dann allerdings angefangen, Dokumentarfilme über diese Amphetaminköpfe zu drehen. Ich mietete dieses verfallene Loft in der Allen Street, besorgte ein paar Unzen Amphetamin und türmte mitten im Raum ein Amphetaminhäufchen auf und umstellte den Rand mit Lichtern. Als einzige Regel galt, dass ich alles filmen konnte, weil ich eben diesen Dokumentarfilm mit dem Titel Amphetamine Head drehen wollte. Ich habe es allen gesagt, und dann kamen all diese AKöpfe auch tatsächlich und haben mit ihren Spritzen zuerst farbige Tinte auf eine Leinwand gespritzt und sich hinterher mit denselben Spritzen ihren Schuss gesetzt. Das ist ein ziemlich heißer Streifen geworden, aber leider wurde das Filmmaterial von der Polizei beschlagnahmt.
Susan Pile: Die Leute machten schon sehr merkwürdige Sachen, wenn sie auf Speed waren. Irgendwann tauchte im Max’s Kansas City ein Typ auf, der seinen Arm in einer Schlinge trug, und jeder fragte ihn: „Was hast du denn gemacht?“
„Oh, ich habe mir einen Schuss Speed gesetzt und konnte hinterher drei Tage lang nicht aufhören, mir die Haare zu bürsten.“
Lou Reed: Alkohol war völlig aus der Mode. Mit dieser Tradition wurde endgültig gebrochen. Musik, das war fortan Sex, Drogen und Spaß. Und Spaß war das Motto, das durch die Musik bestens umgesetzt werden konnte. Ultraschallsound auf Platte, um damit frontale Lobotomien zu erzeugen. Hey, sei kein Angsthase! Du solltest lieber Drogen nehmen und lernen, PLASTIK zu lieben.Alle möglichen Arten von Plastik – biegsames, hartes, buntes, gefärbtes, selbstklebendes Plastik.
Ronnie Cutrone: Den Sechzigerjahren sagt man nach, sie wären frei und offen und cool gewesen, in Wirklichkeit aber waren alle total spießig. Es waren wirklich alle total spießig, und dann gab es da noch uns – diese Hand voll durchgeknallter Typen. Wir hatten lange Haare, und dafür wurden wir buchstäblich um den Block gejagt. Die Leute brachten es wirklich fertig, einen um zehn Blocks zu jagen und „Beatle!“ hinterherzurufen. Die tickten irgendwie nicht ganz sauber – so sah es nämlich wirklich aus in den Sechzigerjahren. In den Sechzigerjahren hatte niemand lange Haare – und wenn, dann wurde man als durchgeknallter Freak, als Spinner abgestempelt, man war einfach nicht wie der Rest der Welt.
Ich hatte schon immer ein ausgeprägtes Faible für die dunkle Seite des Lebens. Lou und Billy gingen immer in dieseVaselinebar namens Ernie’s, da stand dasVaseline wirklich eimerweise auf der Theke, und es gab dort ein Hinterzimmer, in das sich die Typen verziehen konnten, um sich gegenseitig in den Arsch zu ficken. Ich war zwar nie schwul, aber für Sex habe ich mich trotzdem interessiert, aber wenn man dreizehn oder vierzehn ist, dann ist es nicht so einfach, mit einer Frau Sex zu haben. Deshalb habe ich mir ausgemalt, dass es geil wäre, schwul zu sein.
Ich habe das dann auch ausprobiert, aber es ist leider voll in die Hose gegangen. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich einem Typen mal einen geblasen habe, und der Typ sagte: „Sorry, aber ich glaube, das ist nicht dein Ding.“
„Ja, ich weiß, tut mir leid.“
Lou Reed: Honey, ich bin ein Schwanzlutscher. Und was bist du?
Billy Name: Lou, Mary Woronov und ich sind regelmäßig ins Max’s Kansas City und in diese Schwulentanzbars, wie zum Beispiel das Stonewall, gegangen. Das machte morgens um vier Uhr dicht, aber um die Zeit waren Lou und ich immer noch auf Methedrin und wollten natürlich noch etwas erleben. Also sind wir in die Bars gegangen, die noch länger offen hatten und wo man um die Uhrzeit noch tanzen konnte. Und wenn es dann langsam hell wurde, sind Lou und ich gemächlich rüber zur Factory spaziert und haben dort eine Nummer geschoben. Wir hatten keine Liebesbeziehung, sondern waren einfach nur gute Kumpel, die es ab und zu miteinander getrieben haben.
Ich glaube nicht, dass wir uns richtig einen geblasen haben, ich hasse es, jemandem einen zu blasen. Das ist so kompliziert. Ich hasse es, wenn mein Kopf von etwas okkupiert wird – das wird schnell eng und klaustrophobisch. Lou hat eigentlich immer nur gewichst, und dann ist er von mir runtergestiegen, ist aufgestanden und wollte sich aus dem Staub machen. Ich musste ihm dann immer sagen: „Halt, hier geblieben, Freundchen, mir ist es doch noch überhaupt nicht gekommen.“
Lou setzte sich dann auf mein Gesicht, während ich mir einen runtergeholt habe. Man konnte das mit kleinen Jungs vergleichen, die heimlich hinter der Scheune Zigaretten paffen, es war wirklich Kinderkram. Mit Hingabe oder Romantik hatte das nun wirklich nichts zu tun. Wir haben uns in solchen Momenten eher gegenseitig die Hoden entladen, denn wenn man sich mit Mädchen einließ, hatte das immer eine Beziehung zur Folge und diesen ganzen Scheiß. Mit einem Typen war das einfach unverfänglicher.
Danny Fields: Ich war bis über beide Ohren in Lou Reed verliebt. Für mich war er der heißeste Typ, der mir je begegnet ist. Ich glaube, er ging davon aus, dass jeder in ihn verliebt war, er tat immer so cool. Und dann diese Sonnenbrille! O mein Gott, all die emotionale Energie, die ich auf diesen Typen verwendet habe – was habe ich mir bloß dabei gedacht?
Ronnie Cutrone: SadomasoSex hat mich schon immer fasziniert, obwohl ich damit überhaupt keine Erfahrung hatte. Ich hatte einfach nur eine angeborene Neugier, und deshalb fragte ich Lou: „Worum geht es eigentlich in Venus in Furs?“
„Das ist so eine Art Schundroman.“
Ich fragte ihn, wo ich ein Exemplar kaufen könnte, und Lou antwortete: „Einen Block weiter gibt es eine Buchhandlung.“
Also ging ich los und kaufte das Buch. Ich ging damals noch auf die Highschool und habe Venus in Furs, die Geschichte der O und Justine mit in die Schule genommen und das Zeug dort gelesen.
Das ist auch der Grund, weshalb mir die Musik von den Velvets auf Anhieb gefallen hat. Da ging es um Großstadtgeschichten und um Sex, vor allem ging es um Sex – in manchen Songs ging es um Sex, von dem ich keinen blassen Schimmer hatte, aber ich war dabei, mich schlau zu machen.
Allmählich entwickelten Gerard, Mary und ich eine ausgesprochene Routine für den Song „Venus In Furs“, weil darin drei Hauptcharaktere vorkommen: die Domina, der Sklave Severin und der düstere russische Prinz, der am Schluss den Sklaven killt. Ich wollte kein Sklave werden und hatte auch nicht das Zeug, eine gute Domina abzugeben, also war die Rollenverteilung von Anfang an klar: Mary und ich tanzten mit Peitschen und kreuzigten Gerard.
Im Grunde genommen haben wir ausschließlich zu unserem eigenen Vergnügen gespielt, ohne dass das Publikum mit einbezogen wurde, und wir haben das Publikum auch nicht eingeweiht, ich meine, wir haben eine Stunde und fünfundvierzig Minuten unsere Show abgezogen, ohne dass wir zum Publikum auch nur ein Wort gesagt haben, kein „Dankeschön“, kein „Schön, dass ihr gekommen seid“ oder „Heute Abend machen wir mal richtig einen drauf“.
Wir sind einfach auf die Bühne gegangen, haben uns einen Schuss gesetzt, Gewichte gestemmt, haben sie mit Blitzlichtgeräten geblendet, Peitschen vor ihren Gesichtern knallen lassen und auf der Bühne so getan, als würden wir uns gegenseitig ficken, und im Hintergrund liefen Andys Filme, und die Velvets spielten mit dem Rücken zum Publikum.
Gerard Malanga: Nach unserem Auftritt in der Cinemathèque haben wir die Show als seriöses Gesamtkonzept angesehen – der Peitschentanz und „Venus In Furs“ waren wirklich eine gelungene Kombination. Deshalb habe ich angefangen, für einige der anderen Songs Tableaus zu entwickeln, weil ich einfach keine Lust hatte, auf der Bühne zu jedem Song meine Peitsche zu schwingen, weil das ziemlich bescheuert ausgesehen hätte.
Paul Morrissey: Gerard machte es großen Spaß, mit uns zu tanzen. Er stand einfach nur auf der Bühne und ließ neben ihnen die Hüfte kreisen. Und dann holte er eine Peitsche hervor, und dann stand plötzlich Mary Woronov da, und ziemlich ausgefallene Frauen kamen auf die Bühne, so eine Art GogoGirls.
Die waren für unsere Show eine enorme Bereicherung. Gerard war großartig. Es war wirklich eine enorme Bereicherung, die Leute auf diese Art tanzen zu sehen. Und man muss es den Velvets wirklich hoch anrechnen, dass sie sich auf der Bühne nicht bewegt haben. Das war eine Art Huldigung. Und dann betrat natürlich Nico die Bühne, mit ihrem faszinierenden Gesicht und dieser wunderbaren Stimme, und stand vollkommen regungslos auf der Bühne. Sie strahlte eine unglaubliche Noblesse und Würde aus.
Jetzt musste ich mir also für diese Show einen Namen ausdenken, für die Lichteffekte und die Tänzer, die Velvet Underground und Nico begleitet haben, und deshalb schaute ich mir dieses dämliche DylanAlbum an, das mich irgendwie auch ein wenig faszinierte, ich weiß nicht mehr genau, welches es war, aber ich glaube mich zu erinnern, dass auf der Rückseite des Covers ein Foto von Barbara Rubin abgebildet war. Also las ich mir das Gestammel auf dem Cover durch und sagte: „Hier, hört mal, nehmt das Wort ‚explodierend‘, ein bisschen ‚Plastik‘ und ‚unvermeidlich‘, was auch immer das heißen mag.“
Andy Warhol: Uns war allen klar, dass hier etwas Revolutionäres passierte. Wir spürten das einfach. Es war einfach undenkbar, dass etwas derart Merkwürdiges und Innovatives geschah, ohne dass irgendwelche Grenzen niedergerissen wurden. „Das ist wie das sich teilende Rote Meeeeer“, sagte Nico zu mir, als sie eines Abends neben mir auf dem Balkon des Dom stand und das Szenario von
oben betrachtete.
Paul Morrissey: Wir sind etwa einen Monat lang im Dom am St. Mark’s Place aufgetreten, und dann sind wir nach L. A. gegangen und haben dort unsere Show in einem Nachtclub namens Trip am Sunset Boulevard abgezogen, falls man sich darunter etwas vorstellen kann. Pathetische Hippiescheiße. Dem Dom haben wir den Rücken gekehrt, weil es dort keine Klimaanlage gab und der Sommer vor der Tür stand, und es wollten sowieso alle nach L. A. Das hörte sich nach ’ner Menge Spaß an.
Dann kam Bill Graham aus San Francisco und flehte mich an, ich solle Velvet Underground für seine runtergekommene Spelunke, das Fillmore, dieses SaufausKotzorium, buchen. Mein Gott, war der Mann eine Nervensäge! Und alle sprechen immer von ihm, als wäre er ein Heiliger. Zum Kotzen! Einfach vollkommen daneben. Ein richtiges Monster. Er kam nach L. A. und heulte fast. Er versuchte mich mit dem Argument zu überzeugen, dass dann ein verlängertes Feiertagswochenende wäre und „wissen Sie, ich muss so hart dafür kämpfen, dass ich mich mit meinem Laden über Wasser halten kann, und ich stehe kurz vor dem Bankrott, und die Polizei will mir meinen Laden dichtmachen, und sie flicken mir dies am Zeug und das am Zeug, und ich weiß beim besten Willen nicht, wie ich überleben soll, und Ihre Show ist so berühmt, und es würde meinen Laden retten, wenn Sie nach San Francisco kämen …“
Mary Woronov: Wir hatten überhaupt keine Lust, nach San Francisco zu gehen. Dieses Kalifornien war wirklich merkwürdig. Wir waren vollkommen anders als die Leute dort. Sie hassten uns, weil wir schwarze Lederklamotten trugen, während man dort in den wildesten Farben herumlief und alles super fand: „Oh, super, ein Happening!“ Wir hingegen lasen Jean Genet. Wir waren für Sadomaso und sie für die freie Liebe. Wir standen wirklich auf Schwule, aber an der Westküste herrschte ein total homophobes Klima. Deshalb dachten sie von uns, wir wären das Übel, und wir dachten von ihnen, dass sie ziemlich bescheuert wären. Außerdem kam hinzu, dass wir alle ziemliche Nervenbündel waren, weil wir alle … nun, ich war auf Speed. Und als wir das Fillmore betraten, spulten die Mothers of Invention nicht einfach ihr Programm runter, wie man das von ihnen gewohnt war, sondern es tanzten Leute im Vordergrund, genauso, wie Gerard und ich es bei den Velvets gemacht hatten. Darüber waren wir natürlich stock sauer, und Lou hätte sie am liebsten alle erwürgt; nach ihrem Auftritt haben die Mothers ihre Instrumente einfach an den Verstärker gelehnt, wodurch es eine Rückkopplung gab, und sind dann einfach von der Bühne marschiert.
Und San Francisco hat noch nicht einmal gemerkt, dass der Set gelaufen war.
Maureen Tucker: Ich konnte diese LoveundPeaceScheiße auf den Tod nicht ausstehen.
Gerard Malanga: Einmal kam auch Jim Morrison ins Trip. Er war damals Filmstudent in L. A. und kupferte, so erzählt man es sich jedenfalls, meinen Look ab, die schwarze Lederhose, nachdem er mich damit auf der Bühne tanzen sehen hatte.
Paul Morrissey: Während unseres Aufenthalts in L. A. sind wir in ein Tonstudio gegangen und haben unser erstes Album aufgenommen. Dieses Album war in zwei Nächten fertig und hat ungefähr dreitausend Dollar gekostet, was damals eine Menge Geld war. Andy hatte noch nie für etwas so viel Geld ausgegeben. Die WarholFilme haben alle nur ein paar hundert Dollar das Stück gekostet. Andy dermaßen viel Geld aus dem Kreuz zu leiern war für mich …
Andy Warhol: Während der ganzen Zeit, als das Album aufgenommen wurde, schien niemand mit dem Ergebnis so richtig glücklich zu sein, vor allem Nico nicht.„Ich will, dass es wie Bawwwhhhb Deeelahhhn klingt“, jammerte sie und war völlig verzweifelt, weil es nicht klappen wollte.
Lou Reed: Andy versuchte immer wieder sicherzugehen, dass die Sprache auf unserem ersten Album authentisch blieb. Ich glaube, dass es Andy vor allem darum ging, die Leute zu verblüffen und zu schocken und zu verhindern, dass wir uns bequatschen ließen und Kompromisse eingingen. Er sagte: „Ihr müsst unbedingt darauf bestehen, dass die schmutzigen Wörter drinbleiben.“ In dem Punkt war er völlig unnachgiebig. Er wollte nicht, dass irgendwelche schmutzigen Wörter rausgeschnitten wurden, und weil er ständig dabei war, passierte das auch nicht. Und als Konsequenz daraus wussten wir sehr schnell, was es bedeutet, sich nicht beirren zu lassen.
Iggy Pop: Zum ersten Mal habe ich die Platte von Velvet Underground und Nico auf einer Party auf dem Campus der University of Michigan gehört und habe den Sound auf Anhieb gehasst und mir gedacht: „WIE IST ES BLOSS MÖGLICH, DASS JEMAND EINE PLATTE MACHT, DIE SICH WIE EIN RIESENGROSSES STÜCK SCHEISSE ANHÖRT? MANN, IST DAS EKELHAFT! ALL DIESE LEUTE MACHEN MICH VERDAMMT KRANK! DIESES VERDAMMTE HIPPIEGESOCKS! VERDAMMTE BEATNIKS! DENEN WÜRDE ICH AM LIEBSTEN ALLEN DEN HALS UMDREHEN! DAS KLINGT JA WIE DER ALLERLETZTE SCHROTT!“
Und dann, sechs Monate später, bin ich total drauf abgefahren. „O mein Gott! WOW! Das ist einfach eine verdammt gute Platte!“ Die Platte wurde für mich zum Schlüsselerlebnis, nicht wegen dem, was sie aussagte, und weil sie großartig war, sondern weil ich andere Leute hörte, die ebenfalls gute Musik machen konnten – ohne dass sie herausragende Musiker waren. Das gab mir Hoffnung. Das war dasselbe wie damals, als ich Mick Jagger zum ersten Mal singen hörte. Er kann nur eine Note singen, es hat überhaupt keinen Klang, und er singt einfach nur „Hey, well baby, baby, I can be oeweowww …“ Jeder Song ist gleich monoton, und es ist einfach nur dieses Kindergeschwätz. Bei den Velvets war es genauso. Der Sound war ziemlich billig und trotzdem ziemlich gut.
Paul Morrissey: Bei Verve/MGM wusste man nicht, was sie mit dem Album Velvet Underground and Nico anfangen sollten, weil es einfach sehr merkwürdig war. Sie haben es auch nach einem Jahr noch nicht veröffentlicht, und ich glaube, dass sich in dieser Zeit in Lous Kopf der Gedanke manifestiert hat, dass das Album bald erscheinen und eine Menge Geld abwerfen würde. „Also lasst uns aus dem Vertrag mit Andy und Paul aussteigen.“ Tom Wilson von Verve/MGM hat mir das Album nur wegen Nico abgekauft. Bei Lou konnte er überhaupt kein Talent entdecken.
Sterling Morrison: Mit Nico gab es von Anfang an nur Scherereien, weil es nur soundso viele Songs gab, die zu ihr passten, und sie wollte sie alle singen – „I’m Waiting For The Man,“ „Heroin“, einfach alles. Und dann fing sie an, innerhalb der Band unterschwellig sexuell aktiv zu werden. Wer immer einen auch nur kleinen Einfluss auf den Gang der Ereignisse hatte, dem heftete sich Nico an die Fersen. Sie trieb es zuerst mit Lou und dann mit Cale, aber keine dieser Affären dauerte sehr lange.
Ronnie Cutrone: Nico war einfach zu sonderbar, als dass man mit ihr eine längere Beziehung hätte haben können. Sie war keine von den Frauen, mit der man zusammenlebt oder die man liebt oder mit der man spielt oder mit der man seine Zeit verbringt. Nico war wirklich sonderbar. Sie war einerseits sehr unterkühlt und reserviert, aber andererseits so unsicher, dass es lästig war.
Nico war total uncool, weil sie nie aus dem Haus gehen konnte, ohne vorher hundertmal in den Spiegel zu schauen: „Ronnie, wie sieht das aus?“ Und dann machte sie ein paar kleine Tanzschritte, und ich sagte ihr nur:„Verdammt noch mal, Nico, geh doch einfach tanzen.“ Sie war zwar eine Eisprinzessin, aber trotzdem hinreißend, eine richtige Killerblondine. Aber Nico war wirklich eine verdammt merkwürdige Nummer, anders kann man es nicht bezeichnen. Schön, aber äußerst merkwürdig. Zu Nico konnte man einfach keine Beziehung haben. Und Lou ging Nicos Gegenwart enorm gegen den Strich, denn Lou wollte derjenige sein, der Velvet Underground verkörpert, und er wollte Rock ’n’ Roll machen. Lou hatte dieses AufKunstMachen gründlich satt. Er wollte den unverfälschten Rock ’n’ Roll. Genug war genug.
Die Velvets wurden nicht im Radio gespielt. Es gab keine großen Schallplattenverträge. Aber das war nicht Andys Schuld, wenn man bedenkt, wovon die Songs handeln, nämlich von Heroin und von Matrosen, die tot am Boden liegen. Ich meine, es lag doch auf der Hand, dass „Venus In Furs“ nicht im Radio gespielt wurde!
Nico: Velvet Underground setzten sich aus lauter Egomanen zusammen. Jeder wollte ein Star sein. Ich meine, Lou wollte immer der Star sein – was er ja natürlich auch immer war. Aber die Zeitungsfritzen kamen die ganze Zeit immer nur zu mir. Ich wollte immer „I’m Waiting For The Man“ singen, aber Lou ließ mich nicht. Lou war der Boss und ließ das immer raushängen. Habt ihr Lou mal kennen gelernt? Was haltet ihr von ihm – ist er sarkastisch? Das liegt nur daran, dass er ständig diese Pillen frisst – an diesem Pillencocktail, den er immer frisst … Er ist schnell, ungeheuer schnell. Ich hingegen bin sehr langsam.
Ronnie Cutrone: Man darf vor allem nicht vergessen, dass wir neun Tage die Woche auf Methedrin waren. Und ich selbst weiß bis heute nicht, wie es wirklich war, denn wenn du neun Tage am Stück auf den Beinen bist, kann einfach alles passieren, dann wird die Paranoia so massiv, dass du sie mit der Axt spalten kannst. Und so staute sich die ganze Wut über Monate, vielleicht sogar über Jahre. Ich werde nie den Abend vergessen, an dem wir schlechtes Speed erwischt haben. Wir sind dann allerdings trotzdem aufgetreten und haben später herausgefunden, dass jeder vom anderen dachte, er wollte einem eins auswischen. Während „Venus In Furs“ habe ich meine Peitsche normalerweise immer auf den Boden geschmissen, und Mary hat sich ihr dann mit Tanzbewegungen genähert, aber an diesem Abend, als ich meine Peitsche auf den Boden geschmissen habe, ist Mary draufgetreten, und ich konnte sie nicht unter ihren Füßen wegziehen. Gerard machte genau dasselbe, und jeder dachte, dass der andere einem eins auswischen wollte.
Das war nicht untypisch. Es hieß häufig: „Ich weiß, dass der und der hinter meinem Rücken schlecht über mich redet.“ Oder: „Er versucht dies und das.“ Oder: „Er versucht ständig, mir eins auszuwischen.“
Jeder buhlte um Andys Aufmerksamkeit. Es herrschte ständig dieses sublime und manchmal eben nicht sehr sublime Klima von Rivalität und schwerer, wirklich sehr schwerer Paranoia. Ich meine, wir waren neun Tage nonstop auf den Beinen, das Nervenkostüm wurde immer dünner, alles im Zimmer bewegte sich, man stieg durch nichts mehr durch, und eine beiläufige Bemerkung bekam plötzlich eine irrsinnig tiefe Bedeutung und wurde so wichtig wie der Kosmos. Das macht einen natürlich ganz schön fertig.
Danny Fields: Ich habe Lou und John immer wieder gepredigt: „Ihr wisst ganz genau, dass ihr für so was viel zu schade seid. Wieso versucht ihr es nicht als Band?“ Ich dachte dabei an die visuellen Effekte von Exploding Plastic Inevitable und fand sie richtig bescheuert und völlig daneben. Barbara Rubins Diaprojektionen fand ich ebenfalls blöd und total daneben. The Exploding Plastic Inevitable war die reinste Kindergartenscheiße und hatte auch nicht ansatzweise die Aussagefähigkeit der Musik. An der Musik war wirklich überhaupt nichts auszusetzen. Wäre die Lightshow ebenso gut gewesen wie die Musik, ja dann vielleicht, aber das war sie nun mal nicht – Lichtpunkte und Filme, ich meine, was soll das? Deshalb dachte ich, dass die Velvets sich besser als Band machen würden, aber ich vermute, dass sie sich unter Andys Fittichen sicher gefühlt haben, weil ihnen das Möglichkeiten eröffnete, die sie sonst vielleicht nicht gehabt hätten. Als ich Lou und John sagte, dass ich sie bei weitem besser fände als dieses Exploding Plastic Inevitable, haben sie geantwortet:„Aber Andy behandelt uns immer anständig. Wieso sollten wir ihn im Stich lassen?“
John Cale: Andy war ein prima Katalysator. Egal, mit wem er zusammenarbeitete, er nahm sich ihrer an und rückte jeden ins rechte Licht. Es wurde allerdings mühsam, als er begann, das Interesse an unserem Projekt zu verlieren. Wir tourten durch die ganzen USA, aber Andy hatte plötzlich das Interesse verloren, und innerhalb der Band machten sich unerträgliche Spannungen breit. Vor allem, weil es schon an Manie grenzte, wenn man mit siebzehn Leuten und einer Lightshow und allem auf Tournee geht und dann noch nicht einmal genug Geld damit verdient. Der einzige Grund, weshalb wir genug Geld bekamen, war der, dass Andy dabei war.
Paul Morrissey: Lou hatte sich eigentlich schon von der Band gelöst, noch bevor das Album Velvet Underground and Nico erschienen war, und verkündete, er wolle aus dem Vertrag aussteigen, weil er sich professionellere Manager suchen wollte. Professionellere Manager? Hätte ich nicht interveniert, wären sie zurück nach Queens gegangen und in der Versenkung verschwunden.
Lou Reed: Andy war außer sich. Ich habe Andy nie wütend erlebt, außer an diesem Tag. Er war richtig in Rage. Er lief puterrot an und hat mich als Ratte beschimpft. Das war das Mieseste, was ihm einfallen konnte. Mir kam es vor, als hätte ich das Nest verlassen.
Paul Morrissey: Andy fühlte sich nicht mehr wohl in seiner Haut, wenn Lou Reed in der Nähe war. Aber Andy fühlte sich bei keinem wohl in seiner Haut – aber in Lou Reeds Gegenwart fühlte er sich noch tausendmal unwohler, denn für ihn war Lou ein doppelzüngiger, unzuverlässiger und raffgieriger Typ. Somit ist jede Konfrontation, die Lou als etwas zwischen ihm und Andy herunterspielt, ein pures Hirngespinst. Andy sagte immer: „Oh, da kommt schon wieder dieser Lou, seht bloß zu, dass der ganz schnell wieder verschwindet. Sagt ihm, ich bin nicht da.“ Andy wollte mit Leuten wie ihm einfach nichts zu tun haben. Und ich kann ihm da keinen Vorwurf machen. Ich habe mich immer für Andy mit Lou herumschlagen müssen, aber Lou hat sich immer über alles hinweggesetzt.
John Cale: Lou fing an, äußerst komisch zu werden. Er hat diesen falschen Hund Steve Sesnick angeschleppt. Der sollte unser Manager werden. Es dauerte nicht lange, und jeder intrigierte gegen jeden. Lou bezeichnete uns als seine Band, und Sesnick versuchte, für Lou eine Solokarriere zu lancieren. Gut möglich, dass sich Lou durch seinen damaligen ständigen Drogenkonsum so negativ verändert hat. Geholfen hat es ihm letztlich nicht.
Ronnie Cutrone: Ich kann mich noch gut erinnern, als wir uns als The Exploding Plastic Inevitable aufgelöst haben. Wir sind im Scene aufgetreten. Damals konnte niemand richtig tanzen. Wenn wir auf der Bühne getanzt haben, konnte man merken, wie uns das Publikum beobachtet hat, als wollten sie sagen: „Oh, wow, cool.“ Aber nach fünfzig oder einhundert Auftritten mit EPI hatte das Publikum den Bogen raus.
Die Bühne im Scene war wirklich sehr niedrig, und ganz plötzlich traten wie aus dem Nichts ungefähr fünf oder zehn Leute auf die Bühne und machten mit. Mary und ich schauten uns bloß an, als wollten wir sagen: „Das war’s dann wohl, oder?“
Ich war eigentlich ziemlich erleichtert. Ich hatte damals eine Freundin und konnte mir diesen GroupieLifestyle nicht länger erlauben. Ich trug damals acht Fingerringe und hatte immer einen Ochsenziemer um die Hüften geschlungen, so eine Peitsche mit einem kurzen Griff und einer extrem langen, geflochtenen Lederschnur. Also ging ich hinter die Bühne, streifte mir die Ringe von den Fingern und warf sie aus dem Fenster, nahm den Ochsenziemer von der Hüfte und warf ihn ebenfalls aus dem Fenster. Dann drehte ich mich zu meiner Freundin um und sagte: „Ich liebe dich. Ab sofort ist Schluss mit diesem Theater.“ Vermutlich hat sie sich gesagt: „Wunderbar, ab jetzt gehört er nur noch mir allein. Jetzt können wir endlich nachhause gehen und uns in aller Ruhe unsere Schüsse setzen.“
Ed Sanders: Wenn man seine Sache für die Gosse öffnet, wird es problematisch. Ich finde, das ist dasselbe, als würde man sich mit Satanismus beschäftigen oder mit bestimmten Lebensstilen oder Drogen experimentieren, die das Bewusstsein erweitern. Ich meine, ich bin kein religiöser Mensch, aber wenn du dem Raum gibst, hat es dich ganz schnell in der Hand. Da sollte man vorsichtig sein.
Das Problem bei den Hippies war immer, dass sich innerhalb dieser Gegenkultur sofort Feindseligkeiten entwickelt hatten zwischen denen, die auf etwasVergleichbares wie ein Vermögen zurückgreifen konnten, und denen, die sich auf eigene Faust durchschlagen mussten. Es stimmt, dass die Schwarzen im Sommer der Liebe 1967 gegen die Hippies einen gewissen Groll gehegt haben, weil diese Kids in ihren Augen nichts anderes taten, als Blumenmuster in ihre Notizblöcke zu zeichnen,Räucherstäbchen abzufackeln und Trips zu fressen, aber jederzeit wieder aussteigen konnten, wenn ihnen danach war. Sie konnten jederzeit nachhause zurückkehren. Sie konnten ihre Mama anrufen und sagen:„Mama, hol mich hier raus.“ Wohingegen es für jemanden, der in einer Mietskaserne auf der Columbia Street groß geworden ist und im TompkinsSquarePark rumhing, kein Entkommen gab. Diese Kids hatten keinerlei Ausweichmöglichkeiten. Sie konnten nicht einfach nach Great Neck oder nach Connecticut zurückgehen. Sie konnten nicht auf ein Internat nach Baltimore zurückgehen. Sie saßen nämlich in der Falle.
Somit entwickelte sich eine andere Art, die des verwahrlosten Hippies nämlich, der wirklich eine schlimme Kindheit hinter sich hatte – mit Eltern, die ihn hassten und aus dem Haus geworfen haben. Vielleicht kamen sie auch aus religiösen Familien, wo die Kinder als Schlampen beschimpft wurden: „Was, du musstest eine Abtreibung machen lassen? Raus mit dir!“ Oder:„Ich habe in deiner Handtasche Antibabypillen gefunden! Verschwinde und lass dich nie wieder blicken.“ Solche Kids entwickelten sich in der Folge zu feindlich gesinnten Typen, zu Punks eben.
Lou Reed: Es spricht viel dafür, nicht im Rampenlicht zu stehen. Mit anderen Worten: Andy hatte es nicht nötig, diese Sonnenbrille und die schwarze Lederjacke zu tragen, zwei Attribute, mit denen er die Aufmerksamkeit auf sich zog. Es ist jedem klar, dass du damit einen ganz bestimmten Personenkreis ansprechen willst, sowohl in negativer wie auch in positiver Hinsicht, wenn du ausgehst und dich so zurechtmachst.
Paul Morrissey: Andy Warhol gewährte Valerie Solanas finanzielle Unterstützung, weil er ein netter Mensch war. Aber dann sagte Andy zu ihr: „Warum verdienst du nicht dein eigenes Geld, Valerie? Du könntest in einem Film auftreten.“ Anstatt ihr also zwanzig Dollar in die Hand zu drücken, um sie schnell wieder loszuwerden, versuchte er, sie zu rehabilitieren, so, wie er es immer und mit jedem versuchte. Versuchte, dass sie sich nützlich machte: „Sag einfach irgendetwas vor der laufenden Kamera, und dann geben wir dir zwanzig Dollar, und dann sieht es so aus, als hättest du das Geld selbst verdient.“
I, a Man wurde an einem Abend gedreht. Der ganze Film wurde in zwei oder drei Stunden fertig gestellt, und Valerie trat in einer fünfoder zehnminü tigen Szene auf, und das war’s dann schon.
Ultra Violet: Valerie Solanas war ein wenig schreckhaft, aber ich mochte sie, weil ich das Gefühl hatte, sie sei brillant. Ich habe ihr Manifest SCUM – The Society for Cutting Up Men (Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer, Maro Verlag; Anm. d. Ü.) gelesen und fand es zwar ziemlich verrückt, aber auch brillant und witzig. Ich bin zwar von Haus aus keine Feministin, aber als ich ihr Manifest gelesen habe, musste ich zugeben, dass es einige sehr intelligente Aussagen enthält – eben dass seit Adam die Männer die Welt beherrschen und dass es höchste Zeit ist, diesen Zustand zu ändern.
Paul Morrissey: Ich musste mir Valerie Solanas dreimal vom Hals halten. Und dann tauchte sie eines Tages in Andys Begleitung auf und zog in dem Moment, als niemand hinschaute, einfach eine Pistole und fing an, wild um sich zu ballern. Dieses verrückte Weib. Eigentlich wollte sie an diesem Tag jemand anderen über den Haufen schießen, aber der war nicht zuhause, also beschloss sie, Andy zu erschießen. Was soll man von so jemandem halten? So jemanden kann man nicht analysieren. Dahinter verbirgt sich kein tieferer Sinn. Und mit Andy hatte das überhaupt nichts zu tun.
Billy Name: Ich hörte die Schüsse, als ich in der Dunkelkammer stand. Ich hörte irgendwelche undefinierbaren Geräusche, aber ich arbeitete gerade an etwas und wusste, dass Fred Hughes und Paul zu Besuch waren, also dachte ich, was immer das auch sein mag, sie werden schon selbst damit fertig. Ich wollte erst meine Arbeit erledigen und dann nachschauen, ob irgendetwas runtergefallen war.
Als ich die Tür öffnete und den vorderen Teil der Factory betrat, lag Andy auf dem Fußboden in einer Blutlache. Ich kniete mich sofort neben ihn, weil ich sehen wollte, ob ich etwas für ihn tun konnte. Ich schob meine Hand unter seinen Körper und fing an zu heulen. Es war einfach nur komisch, denn Andy sagte zu mir: „Bitte, bring mich nicht zum Lachen, es tut so verdammt weh.“ In dem Moment tauchte der Sanitäter auf, und ich habe nicht weiter darauf geachtet, was um mich herum passierte …
Gerard Malanga: Es war furchtbar. Er wäre beinahe gestorben. Sein Puls war so niedrig, dass er so gut wie klinisch tot war. Er ist von mindestens zwei oder sogar drei Kugeln getroffen worden. Er hat bei dem Anschlag seine Milz ver loren und einen Teil seiner Lunge oder Leber. Er musste ein Jahr lang ein Korsett tragen, damit seine Eingeweide an Ort und Stelle blieben.
Lou Reed: Irgendwie war ich zu feige, Andy anzurufen. Als ich es dann aber schließlich doch tat, fragte mich Andy: „Wieso hast du dich nicht blicken lassen?“
Ronnie Cutrone: Nachdem Andy beinahe erschossen worden war, hat der Vorfall eine sehr, sehr schwere Paranoia in ihm ausgelöst. Er fragte sich, ob er in seinem Leben vielleicht die eine oder andere falsche Richtung eingeschlagen hätte und ob er sich nicht hätte mit Leuten umgeben sollen, die dermaßen verrückt sind. Nach diesem Vorfall hielten die Anzugund Krawattenträger Einzug in die Factory.
Andy hatte sich sehr verändert, nachdem auf ihn geschossen worden war. Andy grüßte mich zwar immer noch und unterhielt sich mit mir, aber er war wirklich total verängstigt. Er war verängstigt über die Erkenntnis, die ihm diese Art geistige Verwirrtheit beschert hat – nämlich sechs Kugeln in seinem Bauch. Andy versuchte also sein Leben zu ändern, ich versuchte ebenfalls mein Leben zu ändern, Lou versuchte kommerziell zu werden, und Nico … ich habe absolut keine Ahnung, was damals mit Nico passierte. Sie hat sich einfach nicht mehr blicken lassen, vielleicht dachte sie, dass sie wieder ins Filmbusiness einsteigen sollte … Ich weiß es wirklich nicht genau, denn damals war wahrlich nicht die Zeit, dass die Leute ihre Gefühle zeigten.
Sterling Morrison: Lou bat mich und Maureen Tucker um ein Treffen im Riviera Café im West Village, weil er uns mitteilen wollte, dass John Cale aus der Band ausgestiegen war. Ich fragte: „Du meinst, er ist für heute oder für diese Woche ausgestiegen?“ Und Lou antwortete: „Nein, er ist für immer ausgestiegen.“ Ich sagte, dass wir die Band sind, fertig aus, da gäbe es nichts zu diskutieren. Danach haben wir noch ausgiebig und heftig gestritten und mit den Fäusten auf den Tisch gehauen,und schließlich sagte Lou:„Ihr könnt euch nicht entscheiden? Okay, die Band ist hiemit aufgelöst.“
Ich hätte jetzt sagen können, dass es viel wichtiger gewesen wäre, die Band zusammenzuhalten, statt sich wegen John Cale graue Haare wachsen zu lassen. Aber das war nicht unbedingt das, was mich wirklich bewegte. Deshalb wägte ich schließlich zwischen meinem eigenen und John Cales Interesse ab und verpfiff ihn. Ich sagte Lou, ich würde es schlucken, aber passen würde es mir trotzdem nicht.
Ich muss dazu sagen, dass Lou John aus purer Eifersucht rausgeekelt hat. Einer meiner Freunde sagte mir, Lou hätte ihm gestanden, dass er schon immer ein Solostar sein wollte. Lou hat uns nie in seine Pläne eingeweiht, aber John und ich haben schon immer gewusst, dass er die Aufmerksamkeit nicht nur als Mitglied einer Band auf sich lenken wollte.
John Cale: Am Anfang sind Lou und ich mit einem beinahe religiösen Eifer an die Sache herangegangen und haben zum Beispiel versucht, einige Ideen von La Monte Young oder Andy Warhol in den Rock ’n’ Roll einfließen zu lassen. Aber bereits nach dem ersten Album haben wir den Ehrgeiz und die Geduld verloren. Wir konnten uns nicht einmal mehr daran erinnern, was für eine Richtschnur wir angelegt haben.
Lou Reed: Rock ’n’ Roll ist so großartig, dass die Leute anfangen sollten, dafür zu sterben. Das versteht ihr vielleicht nicht, aber Musik gibt einem den Rhythmus zurück, damit man träumen kann. Eine ganze Generation, die mit einem FenderBass durch die Gegend rennt …
Die Leute müssen einfach für diese Musik sterben wollen. Die Leute sterben doch für allen möglichen Scheiß, warum also nicht auch für Musik? Stirb dafür! Ist das nicht schön? Würdet ihr nicht für etwas Schönes sterben wollen?
Vielleicht sollte ich sterben. Schließlich sind die großen Bluessänger auch schon alle gestorben. Aber das Leben wird jetzt besser.
Ich will nicht sterben. Oder etwa doch?