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9. Akrotiri

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Sie hatten sich am südlichen Haupteingang des Ausgrabungsgeländes von Akrotiri verabredet. Die antike Siedlung ist mit einer bioklimatischen Überdachung versehen, um die Gebäude nach der Freilegung vor dem Tageslicht zu schützen. Für die Außenkonstruktion verwendete man schwarzen Stein, den man mit Santorinerde bedeckte, damit sie sich vollständig in die Landschaft einfügt. Alexandros war als Erster am Treffpunkt. Um seine Gedanken zu ordnen, repetierte er das Wissen, das er im Studierzimmer des Professors aus den Platonischen Dialogen gewonnen hatte. Das half ihm, mit seiner Nervosität fertig zu werden.

„Hallo, Alexandros.“

Afroditi kam wie immer eine gute Viertelstunde zu spät. Doch das interessierte ihn im Moment recht wenig. Bei ihrem Anblick stockte ihm der Atem. Sie hatte ein dünnes Kleid aus weißem Leinen an, unter dem sich ihre Rundungen sanft abzeichneten, ohne dass es ihr am Körper klebte. Dazu trug sie braune Ledersandalen. Sie war leicht geschminkt und hatte ihre Haare hochgesteckt. Sie erschien ihm schöner und reifer, als er sie in Erinnerung hatte, sogar noch im Vergleich zu seinen Träumen, in denen sie ihn oft genug besuchte.

„Hallo Afroditi. Ganz schön heiß heute, was?“ Er hasste sich selbst für jeden dämlichen Satz, den er in ihrer Gegenwart sagte. Seine Verlegenheit ließ sich einfach nicht verbergen.

„Ja, stimmt, ein echt heißer Tag heute.“ Sie strich ihr Kleid glatt, das vom Wind und dem Sitzen im Auto zerknittert war.

„War es schwierig herzukommen?“

„Nein, überhaupt nicht, ich habe gleich ein Taxi gefunden. Ich bin ja so begeistert von eurer Forschung, dass ich von der Fahrt gar nichts mitbekommen habe. Die Zeit ist mir unterwegs wie im Flug vergangen!“ Ihr Gesicht strahlte. Wie sehr hatte sie ihm gefehlt!

„Na dann, gehen wir“, er wies in Richtung Eingang.

Sie lächelte und folgte ihm gehorsam.

„Wir haben Glück, denn die archäologische Stätte war ungefähr sieben Jahre geschlossen und hat erst kürzlich wieder aufgemacht.“ Er wusste, dass er seine Verlegenheit nur dann in den Griff bekommen konnte, wenn er das Gespräch auf etwas lenkte, worüber er gut Bescheid wusste.

„Ich weiß, aber warum war sie denn eigentlich so lange geschlossen?“

„Im September 2005 ist ein kleiner Teil der Überdachung eingestürzt, die damals noch in Arbeit war. Danach war das Gelände für Besucher gesperrt. Leider waren ganze sieben Jahre nötig, um der Öffentlichkeit diese archäologische Attraktion wieder zugänglich zu machen.“

„Ehrlich gesagt habe ich immer noch nicht kapiert, warum ihr bei einer archäologischen Forschung eine Geologin braucht ...“

Alexandros atmete auf. Besser konnte das Gespräch für ihn nicht laufen.

„Damit du richtig verstehst, wozu wir dich brauchen, muss ich dir zuerst eine kleine Einführungsvorlesung zur antiken Siedlung von Akrotiri geben.“

„Mit Vergnügen, Herr Professor. Ihre Studentin ist ganz Ohr.“ An ihrem Tonfall merkte er, dass sie Lust hatte, ihn zu foppen und mit ihm herumzualbern. Das anfängliche Eis zwischen ihnen war endgültig gebrochen.

„Die ersten Ausgrabungen in Akrotiri wurden von dem französischen Geologen und Vulkanforscher Ferdinand Fouqué um 1866 durchgeführt. Das Jahr 1967 war dann der Ausgangspunkt für systematische Grabungen, die unter der Leitung von Spyridon Marinatos begannen. In diesem Gebiet hier wurde die weltweit am besten erhaltene prähistorische Stadt entdeckt. Der hervorragende Zustand der Funde ist dem Vulkanausbruch zu verdanken. Nachdem sich die Vulkanasche und der Gesteinshagel gesetzt und die Siedlung unter sich begraben hatten, folgte ein wolkenbruchartiger Regen und verwandelte Bimsstein und Asche in eine schlammige Masse. Dieser Schlamm füllte die Hohlräume in den Gebäuden aus und konservierte alles, was sich darin befand. Außerdem stabilisierte er die Böden der oberen Stockwerke in ihrer Position.“

„Ein neues Pompeji also!“, unterbrach ihn Afroditi, sichtlich beeindruckt von der Schilderung.

„Sehr richtig, mein Fräulein Studentin.“ Die Rolle des Dozenten machte ihm Spaß. Voller Selbstvertrauen setzte er die Vorlesung fort. „Trotzdem gibt es zwischen beiden Städten wesentliche Unterschiede. Akrotiri ist bei Weitem die bedeutendere Entdeckung.“

„Was sollen das für große Unterschiede sein? Beide Städte wurden unter der Lava eines Vulkans begraben und blieben so erhalten.“ Die junge Geologin hatte sich inzwischen von der Magie der Archäologie mitreißen lassen.

„Die Zerstörung Pompejis erfolgte 79 n. Chr., in einer Zeit also, aus der wir unzählige schriftliche Informationen und archäologische Funde besitzen, die uns Auskünfte zu ihrer Geschichte und ihrer Kultur geben. Akrotiri wurde eintausendsechshundert Jahre vor Pompeji verschüttet. Wir haben hier das hervorragende Beispiel einer gut organisierten, vorgeschichtlichen Stadt. Jede Wandmalerei, jedes Gefäß, jeder kleine oder große archäologische Fund in dieser Stadt liefert wertvolle Hinweise auf eine geheimnisvolle, unerforschte Epoche in der Geschichte des Menschen.“

Sie hatten ihren Gang durch die antike Stadt aus der Bronzezeit bereits begonnen. Alexandros machte eine kurze Pause und fuhr dann fort:

„Die Wissenschaftsgemeinde war von diesen Funden überwältigt. Die kunstvolle Architektur und das florierende, urbane Leben, die zum Vorschein kamen, weisen auf eine besonders hoch entwickelte Zivilisation hin. Du siehst es ja selbst, wenn du dich umschaust: Die Bebauung war dicht, die Gebäude sind mehrstöckig, reich mit Wandmalereien geschmückt und verfügen über organisierte Lagerräume und Werkstätten. Die eigentliche Bauweise der Gebäude ist relativ schlicht, aber ihre räumliche Anordnung zeigt eine für die damalige Zeit beispiellose städtebauliche Auffassung. Planung und Ausführung waren ihrer Zeit weit voraus, wobei das Hauptmerkmal die vielen gemeinnützigen Bauprojekte sind. Das Anlegen und Pflastern von Straßen, die Gestaltung von Plätzen und ein voll funktionierendes Abwassersystem, das unter dem Pflaster verlegt und direkt mit den Häusern verbunden war.“

„Ein komplettes Abwassersystem!“, unterbrach sie ihn verblüfft. „Kaum zu glauben, dass eine vorgeschichtliche Zivilisation über ein so entwickeltes Know-how verfügte!“

Wieder einmal konnte Alexandros die Bewunderung für seine Gesprächspartnerin nicht verhehlen. Er hatte nur eine allgemeine Beschreibung der archäologischen Stätte abgegeben, und sie zeigte mit ihren Bemerkungen, dass sie bereits bis zum Kern ihrer Forschung vorgedrungen war. Die Hände in den Hosentaschen schlenderte er weiter und fuhr mit Feuereifer fort:

„Als Baumaterial wurden Steine, Ton und Lehmziegel, die mit Stroh, Holz und Gips verstärkt wurden, verwendet. Die große Zahl an Wandmalereien, mit denen viele Räume der Gebäude, in der Regel die Obergeschosse, verziert waren, weist auf eine entwickelte, kultivierte urbane Gesellschaft hin. Eine Gesellschaft, die sich mit Luxus, Eleganz und intensiven Farbspielen umgab. In einem der Gebäude fand man die älteste Toilette der Welt, von der das Abwasser durch einen Schacht direkt in die Kanalisation abfloss.“

„Was du mir da beschreibst, ist eine vollendete zivilisierte Gesellschaft in ihrer Blütezeit. Und das alles vor dreitausendfünfhundert Jahren. Kaum zu fassen!“ Sie war ganz offensichtlich hingerissen von der Welt, die sich vor ihr auftat. „Eben hast du aber von Unterschieden zu Pompeji gesprochen und bis jetzt habe ich nur von einem einzigen gehört.“

„Ungeduldig wie immer ...“ Alexandros lachte glücklich und zufrieden. Endlich hatte er die alte natürliche, spontane Afroditi wieder vor sich. „Du hast recht, meine eifrige Schülerin. Da ist ein weiterer enormer Unterschied zu Pompeji: Es gibt in dieser Stadt hier nämlich keine Toten. Die Tatsache, dass in der Siedlung überhaupt keine menschlichen Skelette gefunden wurden, besagt, dass die Einwohner durch eine Reihe von Erdbeben vorgewarnt wurden, die sie dazu zwangen, den Ort rechtzeitig zu verlassen.“

Alexandros blieb stehen, deutete auf eine in der Mitte zerbrochene Steintreppe, die die Theorie von einem vorangegangenen Erdbeben bestätigt, und fuhr zügig mit seinen Erklärungen fort:

„Bevor die Siedlung unter der Vulkanasche begraben wurde, war sie von einem starken Erdbeben erschüttert worden. Einige Einwohner kehrten danach zurück, um diejenigen aus den Trümmern zu befreien, die es nicht geschafft hatten zu fliehen, und um Wertsachen und persönliche Dinge zu retten. Dann zwangen Vorboten des Vulkanausbruchs die Einwohner dazu, die Stadt erneut zu verlassen. Das lässt sich daran ablesen, dass die Straßenbauarbeiten nie zu Ende geführt wurden. Es wurden auch Schutthaufen mit einer großen Menge an Gefäßen gefunden, die offenbar zunächst dort abgelegt worden waren, um sie dann später an einen geschützten Ort zu bringen. Bis jetzt wurden bei den Ausgrabungen nur wenige Wertgegenstände entdeckt. Die Häuser waren verlassen, ohne eine Spur von Waffen oder Schmuck, nicht einmal von Grundnahrungsmitteln. Wir gelangen zu dem Schluss, dass die Einwohner versuchten, sich in Sicherheit zu bringen und auf der Flucht alles mitnahmen, was sie an wertvollen Dingen besaßen.“

Fragend hob sie ihre schmalen gebräunten Schultern.

„Das ist alles wahnsinnig interessant, was du mir da beschreibst, aber welche Rolle soll ich bei eurer archäologischen Forschung spielen?“ Das Ganze gefiel ihr zwar, aber es machte sie auch verlegen.

Alexandros hatte schon erwartet, dass ihr Gespräch irgendwann an diesen Punkt kommen würde, doch dank Nikodimos hatte er die Antworten auf alle Fragen parat.

„Der Professor hat vor Kurzem hier auf der Insel eine unglaubliche archäologische Entdeckung gemacht, die seiner alten Theorie zur Zivilisation von Thera wieder neuen Zündstoff gibt. Er sieht eine direkte Verbindung zwischen dem Mythos vom untergegangenen Atlantis und der Zivilisation auf dieser Insel, die durch den welthistorischen Vulkanausbruch ausgelöscht wurde. Platon behauptet zwar, die Geschichte sei vollkommen wahr, aber trotzdem ist sie weiterhin in einen Schleier aus Legende und Geheimnis gehüllt. Ein Mythos über einen wunderbaren Kontinent, wie Platon schreibt, und ein bewundernswertes Volk, das in fernen Jahrhunderten Großes leistete, bis sich der Zorn seines Beschützergottes Poseidon über ihm entlud und der ganze Kontinent auf dem Meeresgrund versank ...“

Er hielt inne und wartete ab, wie sie auf das Gesagte reagieren würde. Er konnte es sich nicht verkneifen, verstohlene Blicke auf seine Lieblingsstelle ihres Körpers zu werfen. Eine kleine Mulde unterhalb des Halses, die wie ein kühles Rinnsal in ihrer gebräunten, üppigen Brust auslief. Wenn er früher traurig oder schlecht gelaunt war, fand er dort den Ruhepol, wo er seinen Kopf anlehnen konnte. Ihre neue Frage riss ihn aus seinen Träumereien.

„Ich kenne den Mythos von Atlantis zwar nicht in allen Einzelheiten, aber ich kann einfach nicht begreifen, was das alles mit mir zu tun haben könnte.“ Ihre Stimme klang jetzt aggressiver. Ein Schatten über ihren blauen Augen verriet düstere Gedanken. Darin lagen Zweifel, ob ihre Hilfe auch wirklich gebraucht würde.

Jetzt war der Moment gekommen, ihr genau zu erklären, was sie von ihrer wissenschaftlichen Qualifikation erwarteten. Vor wenigen Stunden hatte er sich im Studierzimmer des Professors darangemacht, sein Wissen über die antiken Texte noch einmal gründlich aufzufrischen.

„In den Platonischen Dialogen gibt es ziemlich viele Textstellen mit Beschreibungen des Ortes, wo Atlantis lag. Angesichts der Tatsache, dass sich die Morphologie der Insel nach der Eruption radikal verändert hat, brauchen wir einen Geologen, der Platons Beschreibungen damit vergleicht, wie Thera in vorgeschichtlichen Zeiten geologisch aussah.“

Ihre mandelförmigen Augen funkelten, und ihr Blick wurde sanfter, als sie ihre aktive Rolle bei dieser Forschung begriff. Sie hatte sich lange nicht mehr mit ihrem Fachgebiet beschäftigt, und die Aussicht auf diese Unternehmung reizte sie.

„Wenn ich recht verstanden habe, wollt ihr, dass wir rekonstruieren, wie die Morphologie von Thera in vorgeschichtlicher Zeit wohl ausgesehen hat, und ihre Gemeinsamkeiten mit dem Mythos herausfinden. Was für eine Art von Beschreibungen finden wir denn in den Texten?“ Sie empfand es als überflüssig, darauf zu antworten, ob sie die Herausforderung überhaupt annahm. Sie gehörte bereits zur Gruppe dazu.

Alexandros musste sich stark zusammenreißen, um seine unbändige Freude zu verbergen, die durch eine einfache berufliche Zusammenarbeit nicht gerechtfertigt war. Erleichtert nannte er ihr ein paar Einzelheiten:

„In den Dialogen wird Atlantis als eine runde Insel beschrieben. In deren Mittelpunkt gibt es einen Hügel, der abwechselnd von Wasser- und Landringen umgeben ist. An einer anderen Stelle des Textes ist die Rede von der Schaffung eines gewaltigen Zugangs, also eines Kanals durch den äußeren Landring. Kleinere Kanäle wurden auch bei den übrigen Ringen angelegt, damit Schiffe passieren konnten. Für Bauten wie Kanäle, Häfen und Dämme wurden schwarze, weiße und rote Steine verwendet. In einer anderen, allgemeineren Beschreibung weist die Insel hohe, unzugängliche Küsten auf, die wie Wände aus dem Meer ragten. Die Hauptstadt war in einer Ebene erbaut und von Bergen umgeben. Das habe ich alles detailliert hier in diesem Heft notiert, zusammen mit den Literaturangaben zu den genauen altgriechischen Textstellen.“

Er holte ein kleines Schulheft aus seiner Tasche und übergab es ihr ehrfurchtsvoll mit beiden Händen, so wie er jemandem einen Gegenstand von unschätzbarem Wert darbieten würde.

„Perfekt! Ich kann es gar nicht erwarten, wieder ins Hotel zu gehen und mich auf die Arbeit zu stürzen. Das wird ein paar Stunden Internetrecherche erfordern, aber zum Glück habe ich Zugang zu allen Online-Bibliotheken der geologischen Institute an europäischen Unis. Ich glaube, dass wir sehr schnell zu ersten Ergebnissen kommen.“

Afroditi war begeistert. Sein Planet leuchtete wieder und war erneut die strahlendste Zierde des Himmels. Ganz ins Gespräch vertieft hatten sie bereits, ohne es zu merken, eine lange Strecke in der vorgeschichtlichen Stadt zurückgelegt. Jetzt gingen sie an dem Gebäude mit der Bezeichnung Haus der Damen vorbei. Der wuchtige zweistöckige Bau verdankt seinen Namen den Wandmalereien mit Frauendarstellungen, die seine Süd- und Nordwand bedecken. Die beiden gingen weiter durch die Stadt und kamen zum nächsten Gebäude, das als Westhaus bezeichnet wird. In seinem Inneren fand man die bis heute eindrucksvollste Wandmalerei. Sie zeigt eine Flotte auf einer Seereise in einem Wechsel aus friedlichen, kriegerischen und feierlichen Szenen. Offenbar handelt es sich um die Erzählung von einer heroischen Seeschlacht, dargestellt in einem Fries von ungefähr sechzehn Metern, der sich von Wand zu Wand fortsetzt. Es wird vermutet, dass es sich um das Wohnhaus eines Kapitäns oder Admirals der damaligen Zeit handelt. Vor ihnen lag nun der Platz, der wegen seiner Form dreieckiger Platz oder Dreiecksplatz genannt wird.

„Afroditi ... mir wird ... auf einmal ... so komisch.“

Sie waren gerade beim Zugang zum Platz angekommen. Alexandros hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren, und er brach zusammen. Eine neue Vision überkam ihn.

Sein Geist löste sich aus dem Hier und Jetzt und irrte durch einen aus der Zeit gefallenen Schauplatz. Sein Blick ging ins Leere, weit über den Ort hinaus, an dem er sich befand. Plötzlich spürte er, wie sich sein Herz zusammenkrampfte, und er wurde von einer nie erlebten Angst gepackt, die sich nicht kontrollieren ließ. Eine schreiende Menschenmenge in Panik, galoppierende Pferde, Lärm und Getöse, ein heftiges Erdbeben. Schwarzer Rauch, der alles einhüllt. Die Umrisse eines Mannes beherrschen die Bilder, ein bloßer Schattenriss ohne Gesichtszüge, ohne Stimme. Im tiefsten Inneren weiß er, dass es dieselbe Gestalt ist, die ihm auch bei seiner vorherigen Vision im Keller erschienen war und Anweisungen gegeben hatte. Wie ein Leuchtturm irgendwo im Nichts, stolz und herrisch inmitten eines Ozeans, die Wellen brechen sich an ihm, einsam steht er in den Weiten eines tosenden Meeres.

Als er die Augen aufschlug, sah er das erschrockene Gesicht Afroditis vor sich. Er konnte fast den Geschmack ihrer Lippen spüren, die nur wenige Zentimeter von seinem Mund entfernt waren. Sie hatte sich neben ihn gekniet und seinen Kopf zärtlich auf ihren Schoß gebettet. Die Unruhe in ihrem Blick verriet ihm, dass sie sich um ihn gesorgt hatte, bis er wieder zu sich kam.

„Alexandros, Liebster, geht’s dir gut?“ Noch immer schockiert durch seinen unerwarteten Schwächeanfall rutschte ihr die vertraute Anrede heraus.

„Ist schon gut, mach dir keine Sorgen.“

Sein Schwindelgefühl war mit einem Mal verflogen. Ein komisches, glückseliges Lächeln zeigte sich auf seinem verdreckten Gesicht. War er vielleicht im Paradies? Nein, tausend Mal besser. Er lag in den Armen seiner früheren Geliebten, die ihn „Liebster“ genannt hatte!

Kaum hatte sich Afroditi vom ersten Schock erholt, half sie ihm sehr schnell wieder auf die Beine. Sie wirkte aufgewühlt und beunruhigt. Nicht so sehr wegen seiner plötzlichen Ohnmacht, sondern viel mehr wegen ihrer eigenen Reaktion auf ihn. Vergessene Gefühle waren in ihr erwacht, und sie war nicht bereit, sich ihnen zu stellen.

Seine Brille war neben ihm auf den Boden gefallen, zum Glück war sie heil geblieben. Er hob sie auf und wischte mit dem Zipfel seines Hemds notdürftig den Staub ab. Alexandros ahnte, was in ihr vorging. Doch er ließ ihr keine Gelegenheit, sich hinter ihren Gedanken zu verschanzen.

„Lass uns zu unserer Vorlesung zurückkehren, es gibt noch viel zu erklären.“

„Geht es dir auch bestimmt wieder gut?“

„Ja ... ja, alles gut. Mir war nur ein bisschen komisch.“ Er hielt dabei seine ramponierte Brille gegen das Licht und prüfte, ob die Gläser sauber waren.

Afroditi blieb stehen. Sanft nahm sie seine Hand und drückte sie. Sie sah ihm tief in die Augen, deren Blick von der Ohnmacht noch etwas verschwommen war.

„Du machst mir nichts vor, du konntest mich noch nie anlügen.“ In ihrer Stimme lag eine heimliche Melancholie. „Nicht einmal damals, als meine beste Freundin dich sturzbetrunken geküsst hat, bei dieser Party im Studentenwohnheim. Weißt du nicht mehr? Schon am nächsten Tag hast du mir die ganze Geschichte brühwarm aufgetischt, ohne dass ich dich danach gefragt hätte.“

Er nickte langsam ein paar Mal und setzte seine Brille wieder auf. Es stimmte schon, er hatte ihr nie etwas vormachen können. Immer merkte sie, wenn ihn etwas beschäftigte. So sehr er auch versuchte, es zu verbergen, bei ihr fühlte er sich wie ein gläserner Mensch. Er beschloss, ihr die ganze Wahrheit zu sagen, alles, was mit seinen beiden Ohnmachtsanfällen und den seltsamen Visionen zu tun hatte. Afroditi hörte ihm aufmerksam zu, ohne ihn zu unterbrechen, bis er seine Geschichte beendet hatte. Danach machte sie einen Vorschlag.

„Ich habe eine Idee ... natürlich nur, wenn du einverstanden bist. Ich glaube, ich kenne da jemanden auf der Insel, der dir vielleicht helfen kann.“

„Und wer könnte das sein?“

In seiner Antwort lag ein Hauch von Ironie, sie ging jedoch darüber hinweg und fuhr ungerührt fort.

„Vor einem Jahr habe ich an einem Meditationskurs teilgenommen, und der Kursleiter hat mit uns ein bisschen über Visionen gesprochen. Er schien einige Erfahrung auf diesem Gebiet zu haben.“

„Du meinst einen Spiritisten? Das fehlte uns gerade noch, dass wir jetzt zu Magiern und Gurus rennen ...“

Afroditi hatte mit dieser Reaktion gerechnet, doch sie hatte noch ein Ass im Ärmel.

„Ich wusste, dass du ungefähr so reagieren würdest, aber ich bitte dich, hör mir einfach mal zu und entscheide dich dann.“

„In Ordnung“, antwortete Alexandros unwillig.

„Dieser Typ ist auch Physiker, genau wie du, Absolvent des Massachusetts Institute of Technology in den USA. Soweit ich mich erinnere, hat er seinen Doktor über parallele Dimensionen und die Einsteinsche Relativitätstheorie gemacht.“

„Die Relativitätstheorie?“, wunderte er sich. Allmählich schien ihn dieser Fall doch zu interessieren. „Und was hat ein gemachter Wissenschaftler mit all seinen Titeln in Guru-Kursen verloren?“

Afroditi war es gelungen, ein kleines Fenster im engstirnigen, absolut naturwissenschaftlichen Denken ihres Freundes aufzutun, und sie war dazu entschlossen, es weit aufzustoßen.

„Ich kann es dir nicht genau erklären. Er war der Ansicht, dass Physik und Metaphysik zwei Felder sind, die sehr nah beieinanderliegen; das eine ergänzt das andere.“

„Interessant ... auch wenn es etwas nach einem Scharlatan klingt ...“

„Was hast du zu verlieren? Du verwendest etwas Zeit auf ein Treffen mit einem Kollegen, der eine interessante Theorie vertritt ... und wer weiß ... vielleicht hilft er uns auch bei deinem Problem.“

„Einstein als Lösung für meine Visionen? Von mir aus. Wenn die Möglichkeit besteht, dass es für meinen Fall eine wissenschaftliche Erklärung gibt, dann möchte ich sie sehr gern erfahren ...“

Atlantis wird nie untergehen

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