Читать книгу Schwiegermutteralarm - Gisela Sachs - Страница 12

Оглавление

6. Kapitel

Am 1. Dezember, morgens um 7.00 Uhr laufen meine Schwiegermutter und ich zum Frühstücken im Café Planie ein. »Mensch Olli, ich bin hungrig wie ein Wolf«

Sie haut rein wie ein Bürstenbinder, isst Lachs, Schokocroissants, verschiedene Sorten von Brötchen, diverse Eierspeisen, trinkt Unmengen Kaffee und erzählt mir Unmengen Geschichten, die ich schon alle kenne. Um die Mittagszeit bestellt sie sich ein Glas Champagner.

»Zur Feier des Tages« sagt sie, streckt das Glas hoch in die Luft und lacht mich an wie ein Hamster: »Auf uns, Bub«

»Ja, das ist aber mal eine Überraschung. Die Frau Schulze! Na so was aber auch«

Gisela springt von ihrem Stuhl auf. »Grüß Gott, Frau Schulze, das ist aber nett, dass wir uns hier treffen. Wie geht es Ihnen denn, sie waren ja seit Ewigkeiten nicht mehr bei uns im Salon. Sie waren doch nicht etwa krank? Darf ich Ihnen meinen Schwiegersohn vorstellen, Frau Schulze?« Sie streckt die Hand aus, zeigt auf mich: »Das ist Olli!« sagt sie stolz.

»Wir machen nämlich heute unseren Schwiegermutter/ Schwiegersohntag«

Sie lächelt breit: »Der Olli ist ein wunderbarer Schwiegersohn. Einen besseren Schwiegersohn hätte ich mir gar nicht vorstellen können« Hoffentlich wuschelt sie jetzt nicht auch noch durch meine Haare, denke ich. Oder streichelt mir über die Wangen wie so oft, denke ich. Sie ignoriert die Tatsache, dass ich das nicht leiden kann, total. Aber sie hält sich im Zaum heute, Gott sei Dank.

Artig stehe ich vom Stuhl auf, strecke Frau Schulze meine rechte Hand entgegen, sage freundlich: »Grüß Gott« setze mich wieder und versinke im Anblick meines Eierbechers.

»Ja, wen sehe ich denn da? So eine Überraschung aber auch« Die Stimme meiner Schwiegermutter überschlägt sich: »Anja« Vor Schreck lasse ich mein Ei fallen.

»Anja LaCombe, du bist es doch?«

Sie springt vom Stuhl auf. Ihr Blick streift die junge Frau von den Schuhen bis zu den Ohren. »Gut siehst du aus« stellt sie fest. »Ein bisschen fülliger als früher, vielleicht« sagt sie. »Aber es steht dir gut«

Anja lächelt.

»Wie geht es deiner Mutter? Was macht dein Vater? Arbeitest du noch in der Buchhandlung?« blubbert meine Schwiegermutter weiter. Sie lässt dem armen Mädchen keine Zeit für eine Antwort, klatscht sich an die Stirn. »Deine Eltern sind ja geschieden, hab ich doch total vergessen« Anja kaut an ihrer Unterlippe.

»Und dein Vater ist wieder nach Amerika gegangen, soweit ich informiert bin«

»Und deine Mutter hat sich einen Neuen geangelt, einen Jüngeren … Anja schnappt nach Luft wie ein an Land geworfener Fisch. »Wie geht‘s denn deiner Oma, Anja?«

»Sie ist vor drei Jahren gestorben« sagt Anja knapp. Sie hat Tränen in den Augen.

Gisela fällt Anja um den Hals: »Mensch, Mädchen« ihr Blick streift den Kinderwagen: »Sag bloß, du bist schon Mutter?«

»Ja« sagt Anja knapp.

»Darf ich dir Anja vorstellen, Olli?« sagt Gisela mit einem Seitenblick auf mich. »Sie ist eine Freundin aus Danias Kindergartentagen. Später gingen sie zusammen in die Grundschule, danach in die Realschule. Sie hatten zusammen Ballett-Unterricht, sie haben …

Ich lege den Löffel neben den Eierbecher zurück, stehe vom Stuhl auf, strecke der jungen Mutter meine rechte Hand entgegen, sage freundlich:

»Grüß Gott« setze mich wieder und mache mich über mein Ei her, über den knusprig gebackenen Schinkenspeck, das Müsli mit den frischen Obststücken. Ab und an sehe ich hoch. Mein Blick streift über Anjas Körper. Ich sehe, dass sie wieder schwanger ist. Anja merkt, dass ich bemerkt habe, was sie meiner Schwiegermutter verschwiegen hat. Sie lächelt mich scheu an. Ich lächle zurück.

Ich erschrecke sehr, als die Toilettentür aufgeht und Gisela aufkreischt.

»Der Herr Dr. Schuster. Na so eine Überraschung aber auch. Das ist aber eine Freude, sie hier zu sehen«

Sie nimmt ihn in die Zange, schüttelt seine Hand, so heftig, dass ich befürchte, sie reißt ihm den ganzen Arm aus.

»Wo haben sie denn ihre liebe Frau gelassen, lieber Herr Dr. Schuster?« Der Zahnarzt meiner Schwiegermutter kratzt seinen Hals.

»Sie hütet wohl die Kinderchen?« bohrt sie weiter.

Gisela nickt verständnisvoll. »Einer muss halt immer zu Hause bleiben, wenn Kinderchen da sind, gell?«

Der Arzt nickt.

Meine Schwiegermutter plappert munter weiter. »Eine Oma wäre da sehr geschickt« Dann besinnt sie sich auf mich. »Darf ich Ihnen meinen Schwiegersohn vorstellen, Herr Dr. Schuster?« fragt sie, seine Hand lässt sie nicht los. Mit seinem und ihrem ausgestrecktem Arm zeigt sie auf mich. »Das ist unser Olli, Herr Doktor Schuster«

Sein kurzer Blick streift mich. Er nickt mir zu. Ich nicke zurück.

»Ich habe Ihnen ja schon so viel von ihm erzählt« Und wiederum nickt der Arzt nur mit dem Kopf.

Ich wische meinen Mund mit der Serviette ab, stehe artig vom Stuhl auf, strecke Dr. Schuster meine rechte Hand entgegen, sage freundlich:

»Grüß Gott‚ und setze mich wieder.

Der Doktor wünscht einen angenehmen Tag, nickt meiner Schwiegermutter kurz zu und kratzt dann so schnell er kann die Kurve. Anja trippelt ratlos auf dem Fleck. Das Kind im Kinderwagen quengelt.

Wir treffen noch Susanne, Gertrud und Irene. »Darf ich dir meinen Schwiegersohn vorstellen …«

»Sie scheinen einen Bus mit Giselas Bekannten hier abgeladen zu haben« sage ich zu Anja. Die junge Mutter verabschiedet sich lächelnd.

Nach dem Genießerfrühstück zeigt mir meine Schwiegermutter das Haus, in dem der Kindergarten war, den sie vor fast sechs Jahrzehnten besucht hatte. Danach ihre Grundschule. Die Kirche, in der sie ihre erste heilige Kommunion empfangen hatte. Den Platz, auf dem das Haus stand, in dem sie ihre Ausbildung zur Friseurin gemacht hatte.

»Und dann haben sie das schöne Haus abgerissen, stell dir das einmal vor, Bub. Man hätte eine Sozialstation daraus machen können, ein Asylbewerberhaus vielleicht? Oder eine Außenstelle der Volkshochschule. Was glaubst du, wie geschickt das hier gewesen wäre, aber mit dem Abreißen sind sie ja schnell, wenn ich daran denke, dass …

Sie zeigt mir die Räumlichkeiten, in denen ihre Tanzkurse stattfanden.

»Ich war die begehrteste Tänzerin, die »Dancing Queen« sozusagen. Über Jahre hinweg. Die Jungs haben sich förmlich geprügelt um mich, Olli. Einmal, da hat der Wilhelm sich mit dem Karle angelegt, das war ein Ding, kann ich dir sagen, die beiden haben sich grün und blau geprügelt wegen mir. Karle musste sogar zum Notarzt, seine Nase …

Gisela will zum Mittagstisch in die Akademie der schönen Künste.

»Hoffentlich bekommen wir noch einen Platz« überlegt sie. Laut, viel zu laut, wie immer.

»Ich hätte vielleicht doch besser einen Tisch reservieren sollen, Olli«

»Leiser« bitte ich sie.

Sie wühlt in ihrer übergroßen Handtasche: »Scheiße, ich hab mein Handy vergessen, Olli«

Die Leute drehen sich nach uns um. Ich weiß nicht, wohin ich schauen soll.

Wir haben Glück, bekommen zwei Plätze direkt an der Fensterfront und Gisela ist begeistert. »Sie haben ja schon weihnachtlich dekoriert, Olli«

»Die Läden, in denen wir heute schon waren, auch«

»Guck dir das mal an, Olli. Welch ein hinreißendes Ambiente! Ganz neue Impulse. Findest du nicht auch, Olli?«

Sie knetet die Anhänger des Weihnachtsbaums durch, bevor sie sich setzt. »So was Schönes aber auch«

Und wieder bestellt sie sich ein Glas Champagner. Ich nippe an meinen Cappuccino, lausche ihren Erzählungen, bis unser verspätetes Mittagessen serviert wird. Es gibt Lammsattel mit Speckbohnen und goldgelben Kartöffelchen. Gisela stöhnt entzückt: »Mmmmh. So was Feines aber auch«

Nach dem Mittagessen will sie mir unbedingt das Grab einer vor kurzem verstorbenen Kundin auf dem Pragfriedhof zeigen, danach die Wohnungen ihrer früheren Schulfreundinnen, ihrer Arbeitskolleginnen, die Villa ihres ehemaligen Chefs und noch so einiges. Wir fahren in alle Himmelsrichtungen, landen letztendlich vor dem Polizeipräsidium in der Hahnemannstraße. Irgendein Bekannter meiner Schwiegermutter war da irgendwann einmal für ein halbes Jahr Hausmeister gewesen.

»Die Markthalle noch, Olli«

Ich ergebe mich meinem Schicksal zum x-ten Mal an diesem Tag.

Und ich begebe mich zum x-ten Mal an diesem Tag auf Parkplatzsuche.

Die Einkäufe gehen heute auf mich. Ich hatte auch das Frühstück und das Mittagessen bezahlt. Dania hatte mich darum gebeten. An die Höhe der Parkplatzgebühren mag ich gar nicht denken. Stuttgart ist ein teures Pflaster für Autofahrer, und die Parkplatzsuche gleicht einem Hindernislauf. Man braucht außer einem gut gefüllten Geldbeutel auch gute Nerven. Endlich finde ich einen Parkplatz im APCOA Parkhaus Schillerplatz für 3 Euro die Stunde.

»Ich war ja seit Ewigkeiten nicht mehr in der Markthalle, Olli« stellt Gisela fest. »Früher, als Dania noch klein war, bin ich mindestens einmal in der Woche mit meinen Arbeitskolleginnen hier zum Einkaufen gewesen« beginnt sie mit ihrem Vortrag. »Obwohl ich mir das eigentlich gar nicht leisten konnte. Aber frisches Gemüse und Obst sind ja so wichtig für ein Kind. Der Teller muss bunt und gesund sein, Olli«

Sie seufzt: »Die Mütter heutzutage vergessen das immer wieder«

Sie schüttelt den Kopf: »Ich habe meiner Kleinen immer Obstund Gemüsehappen angeboten«

»Vernünftig« murmele ich vor mich hin.

»Jeden Tag! Keine Naschsachen wie Gummibärchen, Milchschnitten und so zuckerhaltiges Zeug. Das macht nur die Zähne kaputt, Olli. Das musst du dir merken, wenn ihr auch einmal Kinder habt. Ihr werdet doch …

Ich schalte meine Ohren auf Durchzug, während meine Schwiegermutter mich wortreich durch die Markthalle zieht. »Pflanzliche Lebensmittel sind immer der besser Weg, Olli«

Gisela ersteht eine Tüte mit getrockneten Kirschtomaten.

»Die getrockneten Tomätchen sind zu jeder Jahreszeit aromatisch und kräftig. Da gibt es raffinierte Rezepte, Olli, wenn du willst, dann probiere ich demnächst einmal einige aus«

Sie sieht mich fragend an. »Ich könnte zum Beispiel Penne mit Fenchel und getrockneten Tomaten machen, Tortellini mit Kirchererbsen und getrockneten Tomaten, Vegane Aioli Spagetti mit getrockneten Tomaten. Oder wie wäre es mit …

»Geht‘s auch mit Spätzle und ohne getrocknete Tomaten?« frage ich.

Sie bleibt vor dem Stand mit den Oliven stehen: »Oliven sind ja so gesund, Olli. Sie sind reich an ungesättigten Fettsäuren, gleichen die Blutfettwerte aus und schützen das Herz. Jede Olive hat ihren eigenen Geschmackscharakter. Sie schmecken nach Urlaub, Olli. Wenn du willst, dann mache ich demnächst einmal einen leckeren Oliven-Salat. Einen bunten. Mit schwarzen Oliven. Mit gelben Oliven. Mit grünen Oliven. Mit Putenstreifen und filetierten Orangen. Was hältst du davon, Olli?« Sie kreischt auf. »Ein Brotstand, Olli, guck mal«

»Wir könnten italienisches Brot dazu essen. Ciabatta oder Pizzabrot, vielleicht. Piadina, wäre auch nicht schlecht. Also was hältst du davon? Sag schon was, Olli«

»Ein Rostbraten mit Spätzle und Kartoffelsalat wäre mir lieber«

»Brot ist nämlich nicht gleich Brot, Olli«

»Ich weiß. Mir schmeckt zum Beispiel Besenbrot am besten«

»Ach, Olli«

»Ich bin Schwabe, Gisela«

Sie peilt den Stand mit den Nüssen und Trockenfrüchten an, wählt sich Macadamia Nüsse und getrocknete Mangos aus. Danach stürzt sie sich auf den Stand daneben.

»Ein Gläschen Honig noch vielleicht? Was meinst du, Olli?«

»Das musst du wissen, Gisela«

»Dann nehme ich die Sommervielfaltauslese«

»Wenn du meinst«

Sie grabscht nach dem Honigglas: »Oder doch lieber die Imkerspezialität? Was meinst du dazu?«

Sie überlegt, laut. »Vielleicht sollte ich beide nehmen?«

Ich mache mir Sorgen um meinen Geldbeutel. Unser Auto war mal wieder in Reparatur.

»Jetzt sag doch endlich auch mal was, Olli«

»Nimm halt beide«

ihre Augen leuchten auf: »Du bist so unwahrscheinlich großzügig, Olli«

Ich schaue auf meine Armbanduhr: »Die Parkgebühren«

»Wir machen aber noch eine Pause im Schlosskaffee, gell? Du hast es versprochen, Bub«

Ich muss wohl geistig umnachtet gewesen sein, als ich das versprochen hatte, denke ich.

Sie drückt mir die Tüten in die Hände: »Guck mal, Olli, ich glaub‘s ja nicht, die haben sogar …

Nach einer Stunde drückt sie mir noch mehr Tüten in die Hände: »Es ist doch ein Segen, dass wir uns so gut verstehen, gell, Bub«

Nach dem Cappuccino im Schlosskaffee klappern wir sämtliche Boutiquen in der Innenstadt ab. Und im »La dolce Vita« passiert es. Meine Schwiegermutter entdeckt eine goldene Handtasche. Sie stürzt mit einem Aufschrei auf das Regal zu, reißt die Tasche an sich und stöhnt: »Was ist die doch schön«

Sie dreht das Preisschild um, flüstert andächtig: »385 Euro« Dann hängt sie sich das edle Stück um die Schultern, dreht und wendet sich vor dem Spiegel. »Mein Gott, mein Gott, was ist das doch für ein schönes Stück! Findest Du nicht auch, Olli?«

»Echtes Rindsleder« sagt die Verkäuferin.

»Echtes Rindsleder« wiederholt Gisela andächtig leise: »So was Edles, aber auch«

Irgendwie hat sich dann meine Schwiegermutter mit der Umhängeschleife verheddert. Das edle Täschchen fällt zu Boden, sie will es aufheben und knallt mit voller Wucht gegen das Regal mit den luxuriösen Accessoires. Geldbörsen, Sonnenbrillen, Gürtel, Halsketten, Armbänder und Mini-Taschen-Schirme machen sich mit lautem Knall selbstständig, kullern quer durcheinander auf dem Boden, unter den Regalen, unter der Verkaufstheke.

Die Verkäuferin schlägt die Hände vors Gesicht: »Mein Gott, mein Gott«

»Davon geht die Welt nicht unter, Mädle« tröstet meine Schwiegermutter. »Hilf mal auflesen, Olli«

Ich krabbele im Vierfüßerstand durch den Laden und versuche so viel wie möglich von dem Kleinkram einzusammeln, schiebe alles auf einem Haufen zusammen. Meine Schwiegermutter fängt zu kichern an: »Du siehst wie eine Robbe aus, Olli« ihr Kichern mündet in eine Lachsalve. »Oder doch eher wie eine Trüffelsau«

Wenn Gisela lacht, kriegt sie sich nicht so schnell mehr ein. Sie sitzt auf dem Boden und biegt sich, wischt sich immer wieder die Lachtränen aus dem Gesicht, macht Grunzgeräusche: »Schnuff, schnuff«

»Sie finden das auch noch lustig?« fragt die Verkäuferin pikiert.

»Und wie«

»Gisela!« mahne ich mit hochrotem Kopf.

»Wenn ich das Klärchen erzähle, hahaha« prustet meine Schwiegermutter, »die kriegt sich nicht mehr ein«

»Gisela!« mahne ich nochmals. Ich komme mir vor wie der allerletzte Depp.

»Hoffentlich haben die keine Tetanuserreger auf dem Boden, Olli«

Die Verkäuferin ist entsetzt: »Sie wollen damit doch nicht etwa sagen, dass es bei uns nicht sauber ist?«

Gisela ändert ihre Mimik. Todernst erklärt sie: »So ein Fußboden kann eine Infektionsquelle sein, müssen sie wissen, gute Frau. Der Straßenstaub ist es, was die Sache so gefährlich macht. Und wenn sie da eine kleine Wunde haben …

Sie sieht die Verkäuferin abschätzend an: »Sie sind doch hoffentlich geimpft?«

Die Verkäuferin ist verdutzt.

»Oder etwa nicht?« fragt sie nach. Ihr Blick drückt eine Mischung aus Unverständnis und Verachtung aus«

»Neein« stottert die Verkäuferin. »Das heißt, ich weiß nicht« Sie zuckt die Achseln. »Keine Ahnung«

»Das sollten sie aber wissen, gute Frau. So etwas nenne ich grobe Vernachlässigung der Gesundheit. Wissen sie, die Sache verhält sich nämlich so …

Gisela holt tief Luft bevor sie weiter spricht: »Der Tetanuserreger sondert ein Gift ab, welches durch das Blut ins Gehirn gelangt. Weltweit sterben jährlich geschätzte 500.000 Menschen daran. Es ist ein qualvoller Tod, es kommt zu …

Gisela ist voll in ihrem Element, die Verkäuferin steht wie in Schockstarre da.

»Ich habe einen Tisch in der Alten Weinsteige reservieren lassen« versuche ich die Situation in den Griff zu bekommen, sage: »Wir sollten jetzt gehen, Schatz«

Abrupt hält sie in ihrem Vortrag inne. »Das ist aber eine schöne Überraschung, Olli«

Wir rappeln uns vom Boden auf, streifen zur gleichen Zeit die Staubfusseln von unserer Kleidung, peilen zur gleichen Zeit die Tür an und sagen zur gleichen Zeit: »Auf Wiedersehen«

Und Gisela fängt schon wieder an zu lachen: »Das ist doch wirklich zu komisch«

»Du hast Schatz zu mir gesagt, Olli« freut sie sich. Sie schlägt ihre Beine über Kreuz. »Ich muss aufs Klo, Olli«

In der Weinsteige

Wir sitzen in der Weinsteige bis kurz vor Mitternacht, da fällt meiner Schwiegermutter ein: »Ich hab dir ja gar nicht das Krankenhaus gezeigt, in dem Dania geboren wurde. Ihren Kindergarten auch nicht. Auch nicht ihre Grundschule, die Realschule, das Gymnasium …

»Das machen wir ein anderes Mal« sage ich. »Es ist schon recht spät«

»Aber nach Echterdingen auf den Flugplatz raus könnten wir doch noch, Olli, da gibt es seit gestern …

»Es ist Zeit, heim zu fahren« erwidere ich hartnäckig.

»Noch ein allerletztes Glas Champagner, Olli«

Meine Schwiegermutter streckt ihre rechte Hand in die Luft, ruft: »Herr Ober, Herr Ober …

Es ist schon weit nach Mitternacht, als wir in Feuerbach ankommen. Gisela lässt sich auf das Sofa in unserem Wohnzimmer sinken. »Und jetzt noch ein Bier, Olli«

Dania legt ihr Strickzeug aus der Hand, eilt in die Küche, holt drei Flaschen Stuttgarter Hofbräu aus dem Kühlschrank, drei Pilsgläser aus der Vitrine, eine Tüte mit Salzbrezeln aus dem Vorratsschrank.

»Mach du das mal, Schatz« sagt sie und drückt mir den Flaschenöffner in die Hand. Sie setzt sich neben ihre Mutter, legt den Arm um ihre Schultern: »Jetzt erzähl mal, meine liebe Mami«

Meine Schwiegermutter ist eine exzellente Erzählerin. Sie erzählt immer sehr ausführlich. Etwas übertrieben manchmal, wie ich meine. Und sie bleibt auch nicht immer bei der vollen Wahrheit.

»In der Weinsteige ist es einfach wunderbar. Himmlisch. Gigantisch. Exklusiv. Zauberhaft. Du wirst es nicht glauben, Dania, aber wir wurden schon erwartet. Der Chef persönlich hat uns begrüßt und zu unserem Tisch geführt«

»Ach? Das ist aber nett«

»Es war wunderschön eingedeckt, Dania. Mit weißen Damastservietten, weißen Kerzen und schneeweißen Röschen in schneeweißen Väschen. Wie bei einer Hochzeit! Das Silberbesteck hättest du einmal sehen sollen. Das hatte ein traumhaftes Design. Old English. Ich glaube, es ist das gleiche Besteck wie die Royals bei ihren Festlichkeiten benutzen«

»Ach?« sagt Dania staunend. »Wie bei den Festlichkeiten der Royels?« ihr Blick sieht verträumt aus. »Schneeweiße Röschen in schneeweißen Väschen. Wie schön, Mama«

»Und überall standen Kellner herum« blubbert meine Schwiegermutter weiter. »Mit schwarzen Fräcken, weißen Hemden, schwarzen Fliegen und schwarzen Lackschuhen. Die kamen sofort angeflitzt, wenn ich einen Schluck getrunken hatte, haben nachgefüllt und immer wieder nachgefragt, ob auch alles in Ordnung ist«

»Ja, und das immer wieder Nachschenken hat mich eine ganze Stange Geld gekostet« werfe ich ein. Was mir einen strafenden Blick meiner Ehefrau einbringt.

»Also, die haben ein Ambiente in der Weinsteige, das ist unglaublich« Und mit einem Seitenblick auf mich sagt sie: »Es ist zwar teuer dort, aber einmal im Jahr, zum Schwiegermuttertag, geht das schon, gell, Olli«

Ich nicke, was mir ein liebevolles Lächeln meiner Ehefrau einbringt. Und meine Schwiegermuter fährt unbeirrt in ihren ausschweifenden Erzählungen fort. »Die haben hinreißende Blumenarrangements, Dania. Die solltest du einmal sehen. Ganz neue Impulse. Die Frau des Hauses gestaltet sie selbst. Sie liebt große Blüten, Gräser, Blätter. Sie hat ganz besondere Farbzusammenstellungen. Alles wirkt so edel. Die Frau hat ein Händchen für Gartenkunst, Dani«

»Woher weißt du das denn alles, Mami?«

»Ich habe mich lange mit ihr unterhalten. Eine ganz patente Frau. Wir haben uns zufälligerweise auf der Toilette getroffen. Selbst dort stehen Blumen, Dani, stell dir das einmal vor«

»Ach?«

»Sie hat gerade verwelkte Blümchen entsorgt. Eigentlich wollte sie Floristin werden, aber dann hatte sie ihren Mann kennengelernt, die Lehre abgebrochen, als sie schwanger wurde. So wie das Leben einem manchmal halt mitspielt. Und stell dir einmal vor, Dani, nachdem die Kinder groß waren, hat sie …

Ich habe die Lebensgeschichte der Wirtsleute nicht bis ans Ende mitbekommen, bin vor Erschöpfung auf dem Sofa eingeschlafen.

Schwiegermutteralarm

Подняться наверх