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Kapitel 1 Gehörnt
ОглавлениеWas soll Susanne jetzt tun? Soll sie ihn erschießen? Oder lieber diese Andere, die da so mir nichts dir nichts in ihre Ehe eingebrochen ist? Glaubt man den Zeitungsberichten, dürfte es kein Problem sein, sich hier in Berlin eine Waffe zu besorgen. Wie in einem Film laufen vor ihren Augen sämtliche ihr bekannte Tötungsarten ab.
Ihre Nebenbuhlerin aus dem fahrenden Auto heraus auf offener Straße zu erschießen, klingt gut. Allerdings scheint ihr die alte Familienkutsche nicht dafür geeignet. Sie ist zu klapprig und könnte am Ende noch mitten im Geschehen stehen bleiben.
Sie könnte die Andere auf der Straße abpassen und einfach überfahren, um es wie einen Unfall aussehen zu lassen. Diesen Gedanken verwirft Susanne auch wieder, da sie ja die Blutspuren ihrer Opfer von ihrem Auto beseitigen müsste und sich die Finger schmutzig machen würde. Nein, nicht an dieser Frau.
Gift kommt ihr in den Sinn. Nein, das ist zu einfach. Frauen nehmen immer Gift, da es die eleganteste und sauberste Art des Tötens ist, und wenn man es geschickt anstellt, ist es sogar ganz schlecht nachweisbar. Aber nein, Susanne will sich da nicht einreihen. Susanne will es nicht wie all die anderen mordenden Frauen vor ihr, neben ihr, nach ihr machen. Die gefrorene Lammkeule in ihrer Tiefkühltruhe fällt ihr eben noch ein. „Bloß nicht, viel zu viel Kraftaufwand, das lasse ich lieber sein“, murmelt sie leise vor sich hin.
Wieso denkt sie eigentlich darüber nach, die Andere umzubringen? Wieso nicht ihn? ‚Auch keine schlechte Idee‘, denkt Susanne. Aber zu augenscheinlich. Der Verdacht fiele sofort auf sie. Und schließlich möchte sie weder ihren Kindern den Vater nehmen noch seinetwegen den Rest ihrer Tage im Gefängnis sitzen.
Vielleicht sollte sie ihm einfach eine Szene machen und ihn anschließend rauswerfen. Oder soll sie so tun, als wäre gar nichts geschehen?
Also umbringen fällt leider erst einmal weg. Susanne braucht einen anderen Plan. Denn irgendetwas muss sie tun, will sie tun, vor allem jetzt gleich, damit sie ihre unbändige, zerstörerische, mörderische Wut unter Kontrolle bekommt.
Was findet diese Frau nur an ihrem Mann? Ihrem Mann, der langsam aber sicher aus den Fugen geraten ist. Ihrem Mann, der immer öfter allergisch auf Wasser zu reagieren scheint und gerne mal die Dusche meidet. Ihrem Mann, dem es nichts ausmacht, sich seiner Familie gegenüber völlig gehen zu lassen und sich ihr fast immer ungepflegt und unrasiert präsentiert. Was will diese Frau ausgerechnet von ihrem in die Jahre gekommenen Mann, der durch Bauchansatz und hellgraue, fast weiß schimmernde Halbglatze besticht, über die er im Winter eine Kappe stülpt, um sie vor möglichen Erfrierungen zu schützen?
„Komm, denke nach, überlege“, sagt Susanne zu sich selbst. Sie zündet sich eine Zigarette an und irrt gedankenverloren durchs Haus. Susanne läuft die Treppen hinauf und wieder hinunter, verharrt für einen Augenblick, schüttelt den Kopf und geht weiter. Sie überlegt. Was stand da geschrieben? „Ich habe die Nacht frei“, ließ die andere Frau ihren Mann in ihrer jüngsten E-Mail wissen. Erneut keimt Wut in ihr auf. Er hatte es noch nicht einmal für nötig befunden, diese brisanten News ganz sicher vor ihr zu verstecken, fast so, als wünsche er sich, entdeckt zu werden. „Bis zum Morgengrauen kann ich wegbleiben, das ließe sich meiner Frau erklären!“, lautete seine Antwort. Susanne liest die Zeilen auf dem Bildschirm wieder und wieder. Sie ist entsetzt. Panisch rennt sie abermals im Haus hin und her, Treppe hoch, Treppe runter, und das gleich mehrmals hintereinander. Hat sie sich vielleicht doch verlesen? Es alles nur missverstanden? Also geht sie noch einmal in sein Büro hinunter, um die E-Mail zum wiederholten Male zu lesen. Sie sucht nach den Stellen, die eindeutig sind. Sie findet die Worte. Da stehen sie, schwarz auf weiß. Sie sucht nach Gegenbeweisen, findet aber keine. Sie hat sich nicht geirrt. „Nein, mein Lieber. Nicht mit mir. Heute Nacht sicher nicht.“ Abermals spricht sie leise mit sich selbst, als brauche sie eine Bestätigung dafür, dass sie nicht träumt.
Sauer wie eine Gurke und grün vor Schock blickt ihr kurz darauf ihr eigenes Spiegelbild entgegen. Reingefallen! Was jetzt? Soll sie verzweifeln oder lieber froh sein, dass sie ihn los ist und diesen Mann nicht mehr befriedigen muss. Alle Unarten, die er sich im Laufe ihrer langjährigen Ehe angewöhnt hat, gehen ihr durch den Kopf. Alles fällt ihr wieder ein, nichts entgeht ihr. Es ist nicht nur das Glas, das er immer auf statt in die Spülmaschine stellt, oder die Unordnung, mit der er sich und die Familie umgibt, nein, es ist hauptsächlich seine Trägheit, die sie stört. Um es auf den Punkt zu bringen: Es ist sein Sessel. Gegen diesen dummen, alten Sessel hat Susanne keine Chance. Dieser Sessel ist ihres Mannes bester Freund geworden.
Kaum ist er zur Tür hereingekommen, ist es, als säusle dieses Möbel: „Setz dich zu mir, mach’s dir in mir bequem.“ Ihr Mann fällt darauf herein, wie Odysseus auf die Sirenen, und lässt sich hineinfallen, um sich den restlichen Abend nicht mehr aus ihm zu erheben.
Wann sind sie denn das letzte Mal über den Ku’damm gebummelt? Haben sich in ein Café gesetzt, miteinander geredet oder schweigend den Menschen nachgeschaut, die mit bunten Tüten bepackt vorüberzogen? Es muss Jahre her sein. Sie kann sich nicht erinnern. Ein Kino- oder Konzertbesuch? Kommt nicht in Frage. Der Sessel hat die Übermacht. Er ist wichtiger.
Sie überlegt fieberhaft. Was braucht eine Frau, die ihrem Mann auf die Schliche gekommen ist und deren aufkeimender Verdacht, dass er tatsächlich eine Geliebte hat, sich auf so dermaßen dämliche Art und Weise auch noch bestätigt? Sie braucht jetzt erst mal eine Freundin. Doch wer käme da in Frage? Denn jeder Mensch hat ja die unterschiedlichsten Arten von Freundschaften. Da gibt es die Langjährigen, manchmal sogar noch aus dem Sandkasten. Es gibt Freundinnen für Unternehmungen. Oder Freundinnen gegen Wut und Frust. Es gibt wieder andere, die Nachrichten an den gewünschten Stellen platzieren, also eher die Nachrichtenfreundinnen. Susanne aber braucht jetzt eine, auf die sie sich hundertprozentig verlassen kann. Sie entscheidet sich für Lena Bremer. Die ist immer da, wenn Hilfe nötig ist. Auf ihre Verschwiegenheit kann sie zählen. Susanne beschließt sie anzurufen.
„Hi, ich bin es“, begrüßt sie wenig später ihre Freundin mit matter Stimme.
„Tachchen, Frau Kramer. Was für eine nette Überraschung! Was verschafft mir denn die Ehre am frühen Abend?“
„Ach, eigentlich was nicht ganz so Erfreuliches. Halt dich am besten fest: Mein Mann hat eine Geliebte“, fällt sie gleich mit der Tür ins Haus.
Sekundenlanges, betretenes Schweigen. Dann ein lang gezogenes „Waaassss? Bist du sicher? Ganz sicher?“ und mindestens hundert Fragezeichen schwirren durch die Luft.
„Ja, ich bin mir sicher“, bekräftigt sie. Sprachlosigkeit am anderen Ende.
„Das hätte ich ihm nie zugetraut, niemals von ihm gedacht!“, sagt Lena schließlich fassungslos.
„Aber ich rufe noch aus einem anderen Grund an. Kannst Du mir für den Fall der Fälle für heute ein Alibi geben? Ich meine, wenn er irgendwie durch Zufall danach fragen sollte, dann sag einfach, wir waren zusammen essen. Okay?“
Susanne bittet sie darum, obwohl sie weiß, dass ihre Freundin Lena es mit Daten nicht so hat. Schon so einige Male hat sie Einladungen vergessen. Aber jeder hat eben so seine Macken und trotzdem vertraut sie Lena.
„Und was soll das, was willst du jetzt tun?“, wispert Lena.
„Das erkläre ich dir ein anderes Mal, lass uns morgen vielleicht mal in Ruhe telefonieren. Ich muss jetzt los“, antwortet Susanne mechanisch.
„Aber bitte erklär mir doch noch schnell …“, hört sie noch die leiser werdende Stimme ihrer Freundin, während sie schon den Hörer vom Ohr nimmt, um die Austaste zu drücken.
Ja, was will sie tun? Das weiß sie in diesem Moment selbst noch nicht so genau.