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Kapitel 2 Detektivspiel

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Susanne hat den Entschluss gefasst, ihrem Mann nachzufahren. Sie weiß, wo er sich in diesem Moment aufhält oder zumindest aufhalten sollte. Er ist, wie jeden Freitagabend, bei seinem Männerabend. Sie weiß auch, wo er für gewöhnlich danach noch hingeht, weiß aber nicht, ob er seine Pläne nicht doch geändert hat oder vielleicht spontan ändern wird. Sie fährt einfach los und muss ihre Gedanken auf die Straße zwingen. Diese Nacht ist dunkel und regnerisch. Der nasse Asphalt spiegelt die Schwärze wider. Fußgänger in dunkler Kleidung laufen, ohne sich umzusehen, über die Straße. Immer und immer wieder kreisen die Gedanken um ihre Entdeckung in ihrem Kopf herum.

Ja, natürlich, er kann sehr charmant und liebevoll sein, sonst hätte sie ihn schließlich nicht geheiratet. Aber rein optisch betrachtet? Inzwischen? Nein! Da gibt es besser geformte Körper. Sie weiß, dass es Probleme in ihrer Ehe gab und immer noch gibt. Probleme, wie sie bei unendlich vielen anderen Paaren auch existieren: Geld, Sex, Eintönigkeit des Alltags, Fremdgehen. Okay, wegen einer Infektion hatten sie seit drei Monaten keinen Sex. Aber das war offenbar nicht ihr Verschulden. Ärger kommt hoch. Warum gleich so ein großes Ding, warum nicht nur so eine kleine Affäre, die er ordentlich vor ihr verheimlicht? Warum tut er ihr und seinen Kindern das an?

Als sie ihr Ziel erreicht und das Auto schräg gegenüber vom Eingang geparkt hat, fragt sie sich, wie sie es geschafft hat, ohne Unfall dort anzukommen. Es ist kalt, sie fröstelt. Kein Wunder, es ist ja auch Mitte November, was aber nicht der einzige, eisige Grund ist. Sie wartet. Im Radio gibt eine Wahrsagerin den Zuhörern Ratschläge für die Zukunft. Klingt irgendwie immer gleich, dennoch tippt Susanne die angesagte Telefonnummer in ihr Handy. Es klingelt. Jemand nimmt ab. Man rufe zurück, hört sie. Verdammt! Jetzt hätte sie Hilfe, jetzt hätte sie jemanden zum Reden gebraucht. Als man sie Tage später zurückruft, braucht sie keinen Rat mehr aus den Karten.

Jeder wird sich fragen, wieso sie ihn, diesen Verräter, nicht einfach in die Wüste schickt. Oder verpackt und mit Schleife dekoriert bei der Anderen abgibt. Aber sie gibt zu, sie verliert nicht gern. Schon gar nicht so. Sie sitzt immer noch im Auto. Damit ihr die Wärme nicht ganz verloren geht, fährt sie von Zeit zu Zeit um den Block. Sie ist nicht besonders geeignet, ihrem Mann nachzuspionieren, und schilt sich selbst eine dumme Kuh. Die Zeit will und will nicht vergehen, egal wie oft sie auch noch auf ihre Uhr schauen mag. Wieder holen sie ihre Gedanken ein.

Sie, die Andere, sieht ihn doch nur, wenn er sich fein rausgeputzt hat. Dann hat er gute Laune, und ein jugendliches Grinsen sitzt schelmisch auf seinem Gesicht. Zugegeben, von vorn im Gesicht sieht er noch ganz attraktiv aus, insbesondere wenn er kurze, ganz kurze Haare hat, so wie Susanne sie ihm gern schneidet. Warum ist ihr eigentlich die Schere nie ausgerutscht? Er hat, im Gegensatz zu ihr, die magische Grenze von fünfzig Jahren inzwischen überschritten.

Die Geliebte trifft ihn geschniegelt und gebürstet, mit beschwingtem Gang. Sie sieht ihn nicht, wenn er morgens neben ihr aufwacht, später dann, am ganzen Körper steif vom sich nun doch bemerkbar machenden Alter, die Treppe hinunter¬ hinkt. Denn das jugendlich-schwungvolle Hinunterschreiten hat sich in den letzten Jahren eher in schwerfälliges Schleichen verwandelt. Sie sieht auch nicht seine Wäsche mit den Spuren des vergangenen Tages und der letzten Nacht. Nein, sie sieht ihn frisch geduscht, vor allem in einem frisch gewaschenen Slip. Vielleicht trägt er sogar für sie den String, den Susanne ihm gekauft hat, um ihr eigenes Sexleben ein wenig anzuheizen? Irgendwann war er plötzlich aus seiner Schublade verschwunden. Ob die Andere ihn als Trophäe behalten hat?

Wie kann sie nur so albern sein, ihrem Mann hinterherzufahren? Was bringt es ihr? Hierzu gibt es schließlich Detekteien, die sich auf den Nachweis von Untreue spezialisiert haben. Nein, das ist nicht ihr Ding. Was hat sie davon zu wissen, ob er sich mit der Anderen hinterher noch trifft? Sie überlegt hin und her, schimpft sich erneut eine dumme Kuh, harrt aber aus.

Sie stellt sich vor, wie das so wäre, wenn die Andere nach drei Monaten des Zusammenlebens feststellt, dass der vermeintliche Haupttreffer leider doch eine ziemliche Niete ist. Sie weiß doch gar nicht, ob Susanne sich vielleicht nicht schon lange von ihm scheiden lassen will und es lediglich aus rein finanziellen Erwägungen noch nicht getan hat. Eins ist sicher, wie es auch ausgehen mag: Wenn er einmal fort ist, wird sie ihn nicht zurücknehmen, selbst dann nicht, wenn er eines Tages im Rollstuhl sitzend vor ihre Tür geschoben werden sollte. Nein, danke!

Bis du, liebe Dazu – sie nennt die Andere jetzt Dazu – erkennst, dass du keinen Haupttreffer gelandet hast, wird eure Beziehung schon abgekühlt sein und der ganze frische „Darling-Effekt“ weicht mit einem Schlag dem Einerlei des Alltags:

Dazu: Hi Darling, ich freue mich wieder ganz, ganz, ganz schrecklich auf dich.

Viel Liebe, viele Küsse, viele Knutscher, viele Streichler viele Krauler ...

Das ist dann mit einem Schlag dahin und sie wird überlegen, wie sie ihn wieder loswerden kann. Vergiss nicht, Dazu: Umtausch ausgeschlossen!

Ach, und seine neue Geliebte möchte, dass er endlich aufhört zu rauchen. Daran arbeitet sie ausdauernd und nachdrücklich. Sie lässt keine Gelegenheit aus, ihn daran zu erinnern. Susanne bezweifelt jedoch stark, dass er ihr zuliebe mit dem Rauchen aufhören wird. Und schon gar nicht zum neuen Jahr als guten Vorsatz. Das gelingt nie und nimmer. Falls doch, wäre der Punkt gekommen, an dem sich Susanne wirklich langsam ernsthafte Sorgen um ihre Ehe machen müsste.

Ach ja, das fällt ihr auch noch ein: Das gemeinsame Schlafengehen ist auch so eine Sache … Er ist inzwischen zum absoluten Nachtmenschen mutiert. Susanne dagegen ist das unermüdliche Stehaufmännchen der Familie. Seit unzähligen Jahren weckt sie morgens als Erste die gemeinsamen Kinder, versorgt sie mit Frühstück und Pausenbrot, erträgt ihre Launen. Da sie viel früher aus den Federn steigt, ist sie natürlich auch früher müde und geht zwei Stunden eher schlafen als ihr Mann. Wie soll man da noch zusammenkommen? Sein schlechtes Gewissen lässt es wohl seit Monaten nicht zu, gleichzeitig mit ihr und Dazu Sex zu haben. Ihm ist es ganz recht, dass Susanne eher ins Bett geht, denn sonst könnte ja als schwacher Mann von seiner Frau verführt werden, und dann würde er sie, seine Geliebte, ebenso wie seine Frau betrügen. Welch‘ eine Schande! Er wird, wie die meisten Fremdgänger, Dazu vorgejammert haben, wie unerfüllt sein Sexleben doch sei. Das weiß Susanne sicher. Ob Dazu bedenkt, dass ihres auch nicht besser war? Es macht nicht viel Spaß mit einem Mann im Bett, der sich ungepflegt zeigt! Und dann diese blöde Pilzinfektion. Wo hatte er sich die noch mal eingefangen? Vielleicht sogar bei noch einer anderen?

Denn er hat ja noch eine andere neben Dazu, ohne dass diese davon weiß. Jawohl, noch eine, sozusagen eine Dazu-Dazu. Das wird ihr jetzt erst so richtig klar, wenn sie die vorgefundenen E-Mails alle richtig deutet. Da gab es noch einen Unterordner namens Dazu-Dazu. Und der bezog sich eindeutig auf andere Situationen. Jetzt versteht sie es erst. Sie muss lachen, schallend lachen, hier allein im kalten Auto, als Laiendetektivin, zu der sie sich nicht wirklich eignet.

Wen betrügt er nun? Betrügt er Susanne oder Dazu oder sie beide mit einer Dritten im Bunde? Es handelt sich bei Dazu-Dazu wohl um so etwas wie eine verflossene Geliebte, zu der er noch locker Kontakt hält für das ein oder andere Stelldichein. Susanne ist ja nicht mehr so naiv anzunehmen, dass Dazu und die davor die einzigen sind oder waren, mit denen er sie betrogen hat und immer noch betrügt. Fragt sich nur, wann er damit angefangen hat. Doch ist das wichtig? Es schmerzt. So oder so! Wenn Dazu das wüsste! Soll Susanne es ihr vielleicht jetzt schon mitteilen?

Endlich strömen Scharen von Männern aus dem Haus, An seinem Körperbau erkennt sie den ihren mühelos. Er steigt in das Auto eines Mitstreiters, um noch eben jene Kneipe anzusteuern, wo der Abend regelmäßig seinen Ausklang findet. Sie ist sich sicher, dass er zumindest darüber nachdenkt noch zu Dazu zu fahren, einzig, wie soll er es seinen Kumpels erklären, dass er schon nach Hause fahren möchte, ohne dass das dann bei Susanne breitgetreten wird? Sie reibt ihre eiskalten Finger aneinander. Nein, Detektivarbeit ist wirklich nicht ihr Ding. Das war das erste und das letzte Mal, dass sie das getan hat. Es muss doch einen anderen Weg geben, ihren Mann zu kontrollieren. In flagranti wollte sie das Paar ohnehin nicht ertappen. Noch nicht jedenfalls. Diese Option hält sie sich noch offen, für später vielleicht.

Susanne hat es satt, im Auto zu warten, und überlegt, wie sie ihm stattdessen ein mögliches Rendezvous vermiesen könnte. Obwohl sie keine Sorge haben müsste, denn an einem reinen Männerabend fließt reichlich Alkohol. Es sei denn, er sich bis jetzt zurückgehalten und nichts getrunken. Trotzdem wäre es nicht allzu einfach, Dazu noch einen Besuch abzustatten. Er müsste immerhin erst nach Hause fahren, um das Auto zu holen, für ein Taxi ist er zu geizig. Nichts zu trinken, wenn die Gelegenheit da ist, das traut sie ihm auch nicht zu, allerdings fährt er auch nicht mehr Auto, wenn er etwas getrunken hat. Ihn sicher in der Kneipe wissend, fährt sie im Auto ihrer Tochter nach Hause und schickt ihm von dort eine SMS, in der sie ihm mitteilt, dass sie eventuell noch vorbeikommt. Wenn sie tatsächlich noch in die Kneipe kommen würde, könnte er unmöglich woanders sein. Es wirkt. Prompt kommt er nach Hause. Sehr schön! Es geht also auch anders. Sie ist sich sicher, es werden ihr da noch ein paar andere Gemeinheiten einfallen, um zärtliche Begegnungen zwischen Dazu und ihrem Mann zu verhindern. Aber jetzt sollte sie sich unbedingt erst mal ausruhen.

Susanne kann nicht einschlafen und wälzt sich in ihren Kissen hin und her. Als sie lautes Schnarchen aus dem Nachbarbett vernimmt, hat sie genug, steht auf und geht nach unten. Sie sieht aus dem Fenster in den Garten. Friedlich schaukeln die Zweige im Wind.

Das Licht des Bewegungsmelders geht an; sicher ist wieder ein Fuchs unterwegs. Der Garten ist hell erleuchtet, wodurch ihr Blick auf den Golfball gelenkt wird, der sich am Rand des Rasens mittlerweile häuslich eingerichtet hat. Susanne erstarrt – plötzlich fällt es ihr wieder ein: Sie kennt sie, die Andere, die Geliebte.

Rosenspiel

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