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Kapitel 5 Männer und Frauen in den Jahren

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Susanne steht vor dem Spiegel. Dem unbarmherzigen Spiegel. Er zeigt ihr Details, die sie stetig versucht zu verdrängen. Der Zahn der Zeit nagt an ihr. Sie beginnt, sich von Kopf bis Fuß zu betrachten. Ihre Wangen sind nicht mehr so voll und rosig, wie sie einmal waren. Falten ziehen sich durch ihr Gesicht wie die Linien einer Landkarte. Wann sind diese Falten aufgetaucht? Sind sie in so einem lautlosen, heimtückischen Prozess entstanden, dass sie es nicht mitbekommen hat? Susanne schüttelt den Kopf. Dabei sieht sie es im Licht des Badezimmers grau aufblitzen. Sie muss zum Ansatzfärben. Wieder einmal. Ständig rennt sie zu ihrem Friseur, der ihr hilft, die Zeichen der Zeit zu vertuschen.

Sie setzt ihre Körperinspektion fort. Kein Zweifel, die Schwangerschaften haben ihre Spuren hinterlassen, ihr Hintern, irgendwann einmal knackig, findet sich ein Stockwerk tiefer in Richtung Kniekehlen wieder. Ihre Brüste verhalten sich auch nicht anders. Alles folgt eben dem Gesetz der Schwerkraft. Rein nach Gewicht betrachtet, hat sie eine klasse Figur, nur die Proportionen sind in die Unstimmigkeit verrutscht. Sie könnte das durch regelmäßige sportliche Aktivitäten vielleicht noch retten. Aber da sieht sie schwarz, sehr schwarz. Helena versucht zwar, ihre Mutter zu motivieren, mit ins Sportstudio zu kommen, aber Susanne trotzt der Versuchung immer mit außergewöhnlich großem Widerstand, den sie normalerweise nicht zeigt, wenn ihre Kinder sie um etwas bitten. Nein, sie wird nichts daran ändern können, aber sie kann lernen, ihren älter werdenden Körper zu akzeptieren. Susanne seufzt. Das sind wohl die ersten Zeichen der Wechseljahre.

Das Sehnen nach der Jugend. Sie schaut sich im Badezimmer um. Ihre Seite des Schranks ist zum Bersten gefüllt mit Kosmetika. Jede Tube, jeder Tiegel verspricht ewige Jugend und Faltenfreiheit. Über Nacht einwirken lassen und am nächsten Morgen aussehen wie zwanzig. Hat es etwas gebracht? Nein, aber sie hat sich wenigstens Mühe gegeben.

Susanne öffnet den Schrank ihres Mannes. Eine Zahnbürste liegt dort, ein Rasierer und Rasierschaum, ein Deostick und das war’s auch schon. Sie kocht vor Wut. Sie gibt sich Mühe, versucht alles, um für ihren Mann jung und attraktiv auszusehen, und er? Er putzt sich die Zähne und rasiert sich hin und wieder. Nicht einmal eine Haarbürste kann sie finden. Ihrem Mann sind seine Haare herzlich egal. Gut, er hat nicht das Glück, dass seine Haare mit ihm gealtert sind, viele von ihnen haben inzwischen beschlossen, sich von ihm zu verabschieden. Susanne hat in ihrem Leben die witzigsten Umgangsformen mit Halbglatzen gesehen. Sie kann es nicht leiden, wenn Männer die verbleibenden Haare wachsen lassen und diese dann über ihre Glatze kämmen, um die Lücken aufzufüllen, aber irgendetwas hätte ihr Mann schon mit seinen Haaren unternehmen können. Vielleicht wieder schwarz färben oder so kürzen, dass sie nur noch grau meliert erscheinen. Es gibt mannigfaltige Möglichkeiten, doch ihr Mann hat sich für Ignoranz entschieden. Getreu dem Motto „wenn ich ein Problem nicht beachte, dann ist es auch nicht da“. Die gleiche Ignoranz hegt er seiner regelmäßigen Rasur gegenüber. Er glaubt sich mit einem Dreitagebart attraktiv, wie viele andere Männer auch. Die meisten vergessen dabei aber, dass graue Stoppeln in einem faltigen Gesicht nicht unbedingt der Hingucker sind. Frauen hingegen sind stets bestrebt, unliebsame im Alter sprießende Härchen an allen möglichen Stellen unter Schmerzen immer wieder auszurupfen. Eigentlich unfair, oder?

Susanne schließt die Augen und sieht ihren Mann vor sich. Er hat auch seine zonenspezifischen Probleme, scheint das aber ebenfalls zu ignorieren. „Alles Muskeln!“, sagt er immer. Sie sieht seinen Bierbauch vor sich. Sie stand ja nie auf einen Waschbrettbauch, aber einen Bierbauch in diesem Ausmaß? In dessen Gesellschaft will sie auch nicht alt werden. Sie weiß, dass der Bierbauch bei Männern ein heikles Thema ist.

Beim Anblick schöner Frauen versuchen sie, ihn verzweifelt durch Luftanhalten zu korrigieren. Aber ihm wirklich endgültig den Garaus machen? Keine Chance. Er ist allenfalls ein vorübergehender Bierunfall, wird gestreichelt, gehegt und gepflegt. Kritik von ihren eigenen Frauen wird mit der Bemerkung „Er hat ja schließlich Geld gekostet!“ oder „Was hast du nur, so schlimm ist er auch wieder nicht!“ abgetan. Susanne hat Männer gesehen, die ihrem Bauch durch ihre darunter festgezogene Hose Halt und Unterstützung boten und ihm gleichzeitig die Möglichkeit gaben, sich weiter zu entfalten. Die meisten Männer mit so einem Bauch haben ihren kleinen Freund sicher schon ewig nicht mehr gesehen.

Susanne lugt vorsichtig ins Schlafzimmer. Ihr Mann ist inzwischen aufgestanden und zum Frühstücken nach unten gegangen. Sie öffnet seine Schrankseite. Uralte Kleidungsstücke tummeln sich darin. Shirts, die so alt sind wie ihre Kinder. Einzig die Hosen sind neu. Größer. Sie hatte ihren Mann einmal gefragt, ob er sich in letzter Zeit mal gewogen hätte. Nein, hatte er geantwortet, er würde schließlich merken, wenn er zugenommen hätte, denn dann würden ihm seine Hosen ja nicht mehr passen. Klar passen ihm alle Hosen, sie wurden nur über die Jahre still und heimlich immer eine Nummer größer gekauft, und so unterliegt ihr Mann an dieser Stelle dem Irrglauben, er gleiche immer noch Adonis in seinen besten Jahren. Susanne ist sich sicher, dass ihr Mann nicht der Einzige ist, der auf diese Weise agiert. Peinlich genau wird darauf geachtet, dass nichts spannt oder kneift, und vorsorglich eine Nummer „auf zu“ gekauft. Es sei ja auch unangenehm, wenn man den ganzen Tag im Büro mit zu enger Hose dasitzen würde.

Susanne öffnet ihre Seite des Schranks. Sie hat stets darauf geachtet, modisch und dezent gekleidet zu sein. Nicht wie diese Frauen, die Leggings tragen und darüber ein extrem weites T-Shirt. Sie schüttelt sich. Nicht nur, dass dieses Outfit nicht gut aussieht, es ermöglicht seiner Trägerin zudem, unbemerkt und rapide an Gewicht zuzunehmen. Der Katzenjammer stellt sich spätestens dann ein, wenn die nächste Hose wieder eine Nummer größer ausfällt. Susanne mag es schlicht und nicht allzu bunt, das möchte sie lieber jungen Frauen überlassen. Kreischend bunte Farbkombinationen, über die Männer sich nur allzu gern amüsieren, meidet sie. Allerdings haben Männer keinen Anlass, sich über die Kleidung der Frauen lustig zu machen. Auch ihnen stünde der Blick in den Spiegel oft gut. Susanne steht überhaupt nicht darauf, wenn Männer, ihr Mann tat das gelegentlich auch, ihren Pullover in den Hosen tragen, die natürlich weit genug gekauft worden sind, damit nichts zwickt und kneift. Hosen, die den Pullover ihrer Träger innerhalb des Bundes ertragen müssen, finden meist ihr oberes Ende direkt unter den Achseln. Der Anblick einer Bierkugel unter einem enganliegenden Pullover ist da auch nicht unbedingt besser. Susanne hat schon oft überlegt, ob man nicht die Hersteller solcher Pullover bitten sollte, Raum für eine solche Kugel zu schaffen.

Susanne findet bei einem Mann, vorausgesetzt, er hat eine ordentliche Figur, nichts so sexy wie eine Jeans, die gut sitzt, ein ganz normales T-Shirt und darüber ein Jackett. Geschmackssache, das weiß sie sehr wohl.

Sie weiß, dass es bei Männern einen zweiten Frühling gibt, und auch, dass sich die Männer dann selbst nicht mehr kennen. Sie turteln und flirten, was das Zeug hält. Werben stolz wie Pfaue um die Gunst der Weiblichkeit, die der jüngeren Frauen, versteht sich. Sie schauen kurzen Röcken nach, was sie eigentlich schon immer taten. Leider nehmen sie jetzt dabei in Kauf, das Auto aus lauter Triebgesteuertheit auch mal an den Randstein zu setzen. Würden Frauen in gleichem Maße einem männlichen Knackarsch nachschauen und das Auto dabei den Randstein auch nur berühren lassen, bekämen sie was zu hören! Aber Männer – ein dümmliches Grinsen werfen sie dann ihren Partnerinnen zu – scheinen das zu dürfen.

Männer brüsten sich im Allgemeinen mit ihren Seitensprüngen. Fühlen sich als tolle Hirsche, wenn sie „wieder mal eine flachgelegt haben“. Das zieht sich allerdings durch alle Altersstufen. Susannes Mann hat das nicht getan, hofft sie jedenfalls, da sie einen gemeinsamen Freundes- und Bekanntenkreis haben. Frauen, haben sie Liebhaber, werden hingegen gleich als Schlampen, Huren und einiges andere mehr beschimpft. Halten sich Männer junge Geliebte, dann ist das sehr wohl in Ordnung. Machen Frauen es ihnen gleich, zweifelt man an ihrem Verstand und tuschelt hinter vorgehaltener Hand: „Das könnte glatt ihr Sohn sein.“ Man hat sich an die Pärchen im Straßenbild gewöhnt, bei denen der Mann im besten Fall ihr Vater, im schlimmsten Fall ihr Großvater sein könnte. Beim Anblick einer reifen Frau mit einem jüngeren Mann wird nach wie vor die Stirn fragend in Falten gelegt. Ganz klar sind Frauen immer noch im Nachteil, auch in dieser Beziehung. Erstaunlich ist es schon, wie viele Frauen fremdgehen. Sicher ist aber, dass es mehr Frauen als Männer gibt, die ihre Partner betrügen. Wäre Susanne jemals fremdgegangen, ihr Mann hätte es nie mitbekommen. Sie hätte es niemandem erzählt, nicht einmal ihrer besten Freundin. Er hätte auch nie eine Hotelrechnung oder eine Restaurantquittung in ihrer Hosentasche gefunden. Zum einen hätte sie so etwas sofort vernichtet, zum anderen ist sie diejenige, die sich um die Wäsche kümmert und die Hosentaschen sorgfältig ausleert.


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