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Kapitel 6 Beweise
ОглавлениеSusannes Mann, dieser unfehlbare, fehlerlose Mann, hat sich selbst verraten, hat ihr in einem unbedachten Augenblick den Weg zu seiner Geliebten gewiesen. Nun kann sie es nicht mehr ignorieren, kann ihre Augen nicht mehr davor verschließen.
Drei Tage zuvor war sie in den Keller gegangen, für sein alterndes Gehör wohl zu leise. Die leicht knarrende fünfte Stufe von oben hatte sie ausgelassen. Warum, wusste sie in dem Moment auch nicht so genau. Wahrscheinlich hoffte sie, ihn erschrecken zu können. Vorsichtig schob sie sich durch die Tür in den Kellerraum. Er saß mit dem Rücken zu ihr an seinem unordentlichen, chaotischen Schreibtisch, der zum Arbeiten nicht wirklich Platz bietet.
Susanne sah, dass er eine E-Mail schrieb. Ihr Herz hämmerte wie wild. Er hörte sie nicht kommen, bemerkte sie erst, als die bereits hinter seinem Schreibtisch stand. Er erschrak, wurde rot und zugleich fürchterlich verlegen. Sofort klickte er die Mail nach unten auf die Leiste weg. Nicht schnell genug. Susanne hatte zwar nicht lesen können, was er geschrieben hatte, aber sein Verhalten sprach Bände. Sie tat, als hätte sie nichts bemerkt, besprach mit ihm, was zu besprechen war, genoss dabei aber jede Sekunde, in der stotternd um Antworten rang. Sie ließ sich Zeit, sprach langsam und bedächtig. Nachdem sie das Gespräch beendet hatten, verließ sie im Schneckentempo den Keller, um wieder nach oben zu gehen. Sie konnte es nicht leugnen, die Situation hatte ihr Spaß bereitet. Ungeduldig fieberte sie dem Augenblick entgegen, da er das Haus verlassen würde.
Es war so weit! Er ging endlich! Susanne wollte sich gerade auf den Weg in den Keller machen und war schon an der Treppe, als sie zögerte. Irgendetwas hielt sie von ihrem Weg ab. Glück gehabt – in diesem Moment hörte sie, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte und die Haustür geöffnet wurde. Er rauschte kurz herein, murmelte: „Ich habe mein Handy vergessen!“ und zischte wieder ab. Handy, guter Tipp, dort sollte sie auch mal nachsehen. Sie ließ noch etwas Zeit verstreichen, atmete tief durch und ging in sein Büro, um seinen Computer hochzufahren. Sie benutzt ab und zu seinen Rechner, das weiß er. Nie hatte er etwas dagegen. Sie öffnete das Mailprogramm und musste nicht lange suchen. Als Unterordner eines Unterordners fand sie die Geliebte, fand die Datei, in der er ordentlich seinen gesamten Mailaustausch mit ihr aufgehoben hat. „Dazu“ hat er den Ordner genannt. Wie meinte er das? Dazu zu ihr? Er und sie und die Frau dazu?
In großer Eile hatte sie an diesem Freitag nur die letzten Mails gelesen und danach fluchtartig den Keller verlassen.
Wieder ärgert sich Susanne, dass sie sich auf das Detektivspiel eingelassen hat. Sie hätte schon viel früher beginnen können, Beweismaterial zu sichern. So muss sie nun bis Montag warten. Darauf, dass er Montag in der Frühe das Haus verlässt. Während des ganzen Wochenendes kann sie ihrem Mann nicht in die Augen schauen, vermeidet es mit ihm reden zu müssen, zieht sich völlig zurück. Sie stellt ein imaginäres Schild mit der Aufschrift ‚Bitte nicht stören‘ auf, was leider auch ihre Kinder zu spüren bekommen.
Trotz des Wissens, dass es schmerzlich werden wird, kann sie es kaum erwarten. An diesem Wochenende, das sonst immer recht schnell vorübergeht, steht die Zeit still, die Zeiger der Uhr scheinen sich partout nicht weiterzubewegen. Wie oft schaut der Mensch auf die Uhr, wenn er möchte, dass die Zeit schnell vergeht? Der Samstag schleicht vorüber, der Sonntag im Schneckentempo hinterher.
Als ihr Mann am Montagmorgen endlich das Haus verlassen hat, lädt sie sich weitere E-Mails auf ihren Laptop. Das will gekonnt sein, will man nicht auffliegen. Susanne denkt nach. Einfach eine Mail weiterleiten, das geht nicht, weil das Spuren hinterlässt, das kann man an dem kleinen Zeichen vor der Mail erkennen. Es muss eine andere Möglichkeit geben. Den Text kopieren und dann in einer Mail an ihre Mailadresse schicken. Das sollte gehen. Es würde ausreichen, aus einem Themenkreis immer nur die letzte Mail zu kopieren. Denn die Konversation zwischen ihrem Mann und Dazu wurde so geführt, dass der Antworttext einfach über den der zuvor eingegangenen Mail gesetzt wurde. Das erleichtert das Kopieren ungemein. Sie öffnet also immer nur die letzte Mail aus dem jeweiligen Themenkreis, kopiert den Inhalt in eine neue Mail, die sie an sich selbst adressiert. Dann schickte sie diese ab. Um alle restlichen Spuren zu verwischen, löscht sie die gesendete Mail endgültig sowohl aus dem Ordner der gesendeten Mails als auch aus dem Ordner der gelöschten Mails. Sie weiß nicht, wie oft sie den Computer mittlerweile wieder hochgefahren hat, aus Angst, dass sie einen Arbeitsschritt nicht richtig durchgeführt hat. Das ganze Procedere ist zeitaufwendig, und Susanne ist den ganzen Vormittag damit beschäftigt. Vor Verlassen des Computerplatzes vergewissert sie sich, dass alles wieder an Ort und Stelle ist.
Nach einigen Tagen hat sie dann alles, was sie finden konnte, heruntergeladen. Zu den gespeicherten Mails kommen dann immer die täglichen Mails hinzu. Susanne begnügt sich damit, jeden Morgen den Inhalt der Mail zu kopieren, die Dazu ihrem Geliebten in der Frühe bereits geschickt hat. Da Susanne immer früher als ihr Mann aufsteht, ist das kein Problem, außerdem verlässt er ja das Haus gegen neun, um zur Arbeit zu gehen. Penibel achtet sie darauf, dass sie eine kopierte Mail immer wieder auf den Status „ungelesen“ zurückgesetzt hat.
Da sind sie nun, die Beweise, die Susannes längst gehegten Verdacht bestätigen. Sie kann so manches Mal nicht begreifen, was er da geschrieben hat, wie wenig Respekt er ihr gegenüber doch hat. Sie hat die Woche über viel zu tun, sodass sie es kaum schafft, neben dem täglichen Allerlei alles, was sie da liest, zu verarbeiten. Sie glaubt von sich selbst nicht, dass sie gegenüber einem Liebhaber so über ihren Mann reden würde. Es ist hart, versetzt ihr Schlag um Schlag. Natürlich, sie hätte es ja nicht lesen müssen, bezweifelt aber, dass es auch nur eine Frau gibt, die das nicht tun würde.
Es ist wieder Freitag und somit Herrenabend. Mit ihrer Freundin Lena hat sie vereinbart, sich in einer ruhigen netten Kneipe mit italienischer Küche zu treffen. Susanne kann diesen Tag kaum erwarten, lässt das Auto zu Hause, um sich ein Glas Wein zu gönnen. Ihr Glaube an seine Treue, Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit und Loyalität ist am absoluten Nullpunkt. Ihr Glaube an sich selbst auch. Hinzu kommt, dass sie aus einer der Mails entnehmen musste, dass Dazu und die andere, die Susanne noch entdeckt hat, nicht die ersten und einzigen Geliebten in seinem Leben waren. Warum hat er nie etwas gesagt, er, der immer so auf Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit gepocht hat? Jahrelang hat er sie hintergangen, betrogen, belogen und zu Hause den biederen, braven Familienvater gespielt! Wehe, wenn er das Haus verlassen hatte – dann fiel diese Maske von ihm, als sei der Karneval vorbei.
In der Zeit dieser ehemaligen Geliebten ist er jedoch noch respektvoll mit ihr und den Kindern umgegangen. Wäre es auch diesmal so gewesen, dann hätte sie mit diesem Wissen besser umgehen können. Oder vielleicht doch nicht? Sie weiß es noch nicht. Jetzt ist es anders. Er lässt Dazu in ihre Ehe einbrechen. Wie weit werden sie bereit sein zu gehen? Wird er sie wegen Dazu verlassen? Wird er den Kindern das antun? Wobei die Kinder inzwischen alt genug sind, selbst fast erwachsen. Wird er es schaffen, sich von der finanziellen Sicherheit, die er durch die Institution Ehe hat, zu lösen? Wird er sich freiwillig in ein Minus auf seinem Konto begeben, wegen ausstehender Unterhaltszahlungen? Wird er den Mut aufbringen, jemals mit ihr zu reden?
Nein, er wird gar nichts von alledem tun. Wird alles vor sich hintreiben lassen, andere wird er zum Handeln zwingen. Sie kennt ihn doch. Sie weiß, wie er sich in brenzligen Situationen verhält. Er lässt nichts anbrennen, aber gibt anderen immer die Schuld für sein Handeln. So ist er nun einmal. Und so wird sie wie immer das weitere Vorgehen selbst bestimmen. Durch das Rosenspiel.