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Kapitel 7 Das Essen mit Lena
ОглавлениеSusanne und ihre Alibifreundin Lena haben sich in einer Kneipe verabredet, die Lena vorgeschlagen hat. Susanne verliert, kaum aus der U-Bahn raus, die Orientierung, und muss nun erst einmal suchen. Sie kramt ihr Handy aus der Tasche und ruft Lena an, um sich von ihr zum Restaurant dirigieren zu lassen.
Schon von weitem sieht sie Lena und erkennt sie an ihrer typischen Haltung. Die Arme in die Seite gestemmt, auf dem linken Bein fest stehend, während das rechte zur Stolperfalle argloser Fußgänger abgewinkelt ist. Sie steht da wie ein Fels in der Brandung und zwingt die herannahende Fußgängermenge, sich hinter ihr zu spalten, um rechts und links an ihr vorbeizuströmen. Lena ist sehr klein, sehr schlank und schafft es trotzdem, sich bei den meisten Menschen einen Höllenrespekt zu verschaffen. Susanne hat einmal miterlebt, wie sie den Manager eines großen Autohauses an der Krawatte packte und so lange auf ihn einredete, bis dieser ihren Wagen aus Kulanz reparieren ließ und ihr obendrein noch kostenlos einen Leihwagen zur Verfügung stellte. Sie trägt meistens sehr auffällige Brillen, die ihr Gesicht zu erdrücken drohen. Auch liebt die Freundin es, ausgefallene Designermode zu tragen. Dabei achtet sie aber stets auf den Preis und ergattert auf unerklärliche Weise kostbare Stücke zum Schnäppchenpreis. Susanne fragt sich immer, wie sie das macht.
Sie umarmen sich zur Begrüßung und gehen dann in die Kneipe hinein. Die Einrichtung erinnert Susanne an eine Bahnhofshalle, die jede Gemütlichkeit vermissen lässt. Für einen Abend dieser Art genau das passende Ambiente. Sie wählen einen Tisch im hinteren Teil des Restaurants, um ungestört miteinander reden zu können.
„Worauf hast du Lust?“, fragt Lena.
„Ich glaube, ich esse Lasagne und vorher einen schönen Salat“, überlegt Susanne laut.
„Ich nehme eine Pizza mit scharfer Salami und zur Feier des Tages spendiere ich uns beiden eine gute Flasche Chianti. Einverstanden?“ Die Ironie in ihrer Stimme ist nicht zu überhören.
„Okay, die kriegen wir bestimmt leer, da sag ich natürlich nicht nein.“
Sie geben lachend ihre Bestellung auf, und Susanne beginnt ihrer Freundin zu berichten.
„Stell dir vor, er hat sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, diese E-Mails vor mir zu verstecken, obwohl er doch genau weiß, dass ich seinen Computer auch ab und zu benutze!“, schließt sie ihren Bericht.
Lena schüttelt den Kopf. „Nein, ich glaube das einfach nicht. Wieso er? Er hat immer so strong auf mich gewirkt. Ich kenne ihn ja nun schon ein paar Jährchen und habe ihn zu meinen Freunden gezählt!“
Als sie das sagt, klingeln bei der betrogenen Ehefrau die Alarmglocken und sie zweifelt einen Augenblick. War es wirklich richtig, ausgerechnet Lena, die ihnen beiden, ihrem Mann und ihr selbst, schon so lange verbunden ist, in die ganze Sache einzuweihen?
„Auch wenn das jetzt nicht einfach für dich ist, weil du ja zwischen uns stehst: Meinst du, du kannst über die ganze Sache erst einmal Stillschweigen bewahren? Ich brauche jetzt deine unbedingte Loyalität!“, beschwört Susanne ihre Freundin.
„Natürlich, du kannst auf mich zählen. Frauen halten doch in solch einer Situation zusammen! Ich bin doch deine Freundin, keine Angst.“
Susanne ist erleichtert. Sie trinkt gerade aus ihrem Glas einen Schluck Wein, als sie die Frage hört, die sie am meisten fürchtet, und von der sie doch wusste, dass sie irgendwann gestellt werden würde: „Liebst du ihn noch?“
Es ist so weit, zum ersten Mal verliert sie die Fassung. Tränen schießen ihr in die Augen. Sie kramt ein Taschentuch hervor, trinkt einen kräftigen Schluck Wein, um dieses beklemmende, einengende Gefühl aufsteigender Trauer loszuwerden. Dann erst kann sie weiterreden.
„Ich weiß es nicht, keine Ahnung, wirklich nicht. Wenn ich das wüsste, wenn ich sicher wüsste, dass ich ihn nicht mehr liebe, wäre es einfacher für mich. Ich würde ihn sofort in die Wüste schicken.“
Mühsam gewinnt sie wieder Kontrolle über sich.
„Weißt du, ich kenne ja seine Geliebte.“
Lena blickt sie irritiert an.
„Ja, er hat sie mir vorgestellt. Im Sommer bei einem Golfturnier. Ich hatte damals eine Vermutung, war mir aber nicht sicher. Nun, nachdem ich die E-Mails gelesen habe, bin ich mir sicher. Sie war mir eigentlich recht sympathisch, und ich würde sie gerne einmal näher kennenlernen.“
„Du willst was? Spinnst du? Wie willst du das überhaupt anstellen?“
Lenas Blick verrät, dass sie am Verstand ihrer Freundin zweifelt. Inzwischen sind sie beim Espresso angekommen, in dem Lena hektisch rührt, wobei sie mehr als die Hälfte verschüttet.
„Ich werde sie zu unserem jährlichen Adventskaffee einladen“, antwortet Susanne. „Du bist natürlich auch eingeladen. Kannst du nicht so wunderbar Menschen ausfragen? Du weißt also, was zu tun ist.“
„Das kann doch niemals gut gehen. Die merkt das doch sofort. Ich würde mir schon überlegen, wieso ich lange nachdem ich der Frau meines Geliebten begegnet bin, ausgerechnet von ihr eingeladen werde. Auch noch zu ihr nach Hause! Nie und nimmer nimmt die deine Einladung an. Und wenn doch, ist sie entweder eiskalt oder …“ Lena macht eine Pause und trinkt einen Schluck Wein.
„Oder was?“
„Oder die ist völlig bekloppt!“
Den ganzen Abend geht es um nichts anderes als um dieses Thema. Lena erzählt ihr, dass sie acht Jahre lang die Geliebte eines verheirateten Mannes gewesen ist, von Lug und Trug ihr und auch der Ehefrau gegenüber. Eines Tages, sagt Lena, hatte sie die Nase gestrichen voll und beendete die Beziehung. Susanne weiß das alles. Doch nun sieht sie das Ganze mit den Augen der Gehörnten und schaut ihre Freundin einen Moment lang skeptisch an. Sie verwirft ihre negativen Gedanken jedoch sofort wieder, schließlich war Lena damals noch sehr jung.
Gegen Mitternacht trennen sich die beiden Freundinnen. Jede geht in ihre Richtung nach Hause. In der U-Bahn hat Susanne Zeit, über den Abend nachzudenken. Die Kernfrage des Abends ist, was sie nun tun wird, wie sie nun vorgehen wird. Dass sie kämpfen wird, ist ihr nun klar geworden. Dass dieser Kampf nicht einfach werden wird, auch. Dass sie dafür starke Nerven braucht, auch das ist ihr bewusst. Sie steht nicht mehr allein da, hat jetzt eine Verbündete im Rosenspiel. Ob es richtig ist, ist egal, schließlich sind im Krieg und in der Liebe alle Mittel erlaubt.
Es hat ihr gut getan, sich all den Müll von der Seele zu reden. Sie fühlt sich einerseits erleichtert, andererseits schmerzt es ungemein, jetzt wo die Worte ausgesprochen sind. So lange sind sie nun schon verheiratet, sie hat ihm vertraut, und das, obwohl er sie nicht das erste Mal betrügt. Sie hatte nichts bemerkt, sie muss blind gewesen sein oder er damals schlauer. Doch nun hat sich etwas verändert. Ihr Mann hat ein Tabu verletzt, die Schlafzimmertür geöffnet, für seine Geliebte, hat sie dabei verraten. Dafür wird er büßen, das wird sie ihm im alles heimzahlen.
Beide waren sie unzufrieden, beide unfähig, dies gemeinsam zu ändern. Er hat diesen Zustand geändert – für sich, ohne Susanne. Hätte sie früher gewusst, dass er fremdgeht, dann hätte sie die Gelegenheiten, die sich ihr geboten haben, wahrgenommen. Hätte sie es damals gewusst, sie wäre gegangen, hätte diese Ehe beendet. Aber jetzt ist es zu spät, obwohl es eigentlich nie zu spät ist. Damals wäre es einfacher gewesen zu gehen. Sie war jünger, hatte den Kopf noch voller Ideale und Ziele gehabt. Alles hat sich verändert. Das einzige Ziel, das sie noch hat, ist es, den Essensplan für die Woche so zu gestalten, dass alle zufrieden sind.
Ihr Vorhaben nimmt immer konkretere Formen an. Es wird sich etwas ändern. Doch dieses Mal zu Susannes Gunsten. Sie wird die Schlafzimmertür nicht schließen. Zum Teufel noch mal! Sie wird sie mit aller Kraft offen halten!
Susanne muss auf ihrem Weg nach Hause umsteigen. Energisch verlässt sie die U-Bahn und geht schnellen Schrittes zur Bushaltestelle. Hoffentlich hat sie ihren Bus gerade verpasst. Sie braucht diese Galgenfrist, denn es zieht sie nicht nach Hause. Nun ist es an der Zeit, die Pläne ihres Mannes für die Nacht zu durchkreuzen. Sie tippt eine SMS, um ihm mitzuteilen, dass sie noch unterwegs ist und noch nicht in ihrem Bett liegt. Sie hält kurz inne, während sich der feine Nieselregen auf ihrem Handydisplay sammelt. Ein Grinsen huscht über ihr Gesicht, während sie die SMS ergänzt: „Wie wäre es, wenn wir uns noch einen kleinen Imbiss mit Ciabatta, Schinken und einem Pinot Grigo genehmigen würden?“
Mit Speck fängt man Mäuse, mit Essen und Wein Männer! Auch wenn sie noch pappsatt von der Lasagne ist, was zählt, ist, dass er nur keinen Gedanken daran verschwendet, sich eventuell noch mit Dazu zu treffen! ‚Warum muss es immer regnen, wenn ich unterwegs bin? Dieser perfide Nieselregen scheint überall durch die Kleidung zu dringen’, denkt sie nun, während sie an der Bushaltestelle zwei junge Männer beobachtet, die ebenfalls auf den Bus warten. Der eine hat gerade ein Handygespräch beendet.
„ Und? Was läuft? Geht noch was bei Chrille?“
„Ja, Mann, die sind noch voll am Partymachen. Lass ma‘ noch hinrocken!“
Die beiden sehen aus, als hätten sie schon die ganze Nacht Partyhopping betrieben und wollten kein Ende finden. Sie könnten ihre Söhne sein. Ach was soll’s, sie gönnt ihnen ihre Unbekümmertheit. Jetzt reicht ihr die Warterei im Regen doch. Wenn nur der Bus bald käme. Weit und breit nichts zu sehen, aber Susanne sieht das Wort ‚Taxi‘ hell leuchtend auf sich zukommen. Ein Privileg ihres Alters, kein Bus, sondern ein Taxi, denkt sie und lässt sich nach Hause fahren. Es ist jetzt ein Uhr in der Nacht, es wird wohl ungefähr zwei Uhr werden, bis er nach Hause kommt. Genug Zeit für sie, noch in Ruhe ein Glas Wein zu trinken.
Nun gut, sie ist also die betrogene Ehefrau. Irgendwie schaffe sie es noch nicht, diesen ständig hämmernden Gedanken aus ihrem Kopf zu verbannen. Nicht andauernd daran denken zu müssen. Es ist noch neu, ist noch alles so frisch. Er, dieser Mann, dem niemand es zugetraut hätte, betrügt sie. Er, dieses stille Wasser, in dem jede Frau aus ihrem Bekannten- und Freundeskreis unbedenklich nackt gebadet hätte, betrügt und belügt sie. Was hält sie davon ab zu gehen? Was hält sie davon ab, diese Niederlage einzugestehen? Wäre sie schwach, wenn sie es täte, oder stark? Wäre sie schwach, wenn sie das Rosenspiel spielte, oder eher stark, spielte sie es nicht? Sie will nicht stark sein, nicht jetzt. Sie musste immer stark sein, ihr Leben lang. Susanne hätte jetzt so gerne eine Schulter, an die sie sich anlehnen könnte. Aber was nicht ist, das ist eben nicht. Einmal mehr muss sie durchhalten. Ihre Hand schließt sich so fest um ihr Weinglas, dass sie Angst hat, der filigrane Stiel könnte bersten. Sie steht auf, holt einen Stift und einen Zettel. Schnell schreibt sie eine Nachricht an ihren Mann: „Bin doch müde und ins Bett gegangen.“ Nun hat er seine Verabredung völlig umsonst platzen lassen müssen. Susanne lacht in die nächtliche Stille des Hauses hinein.
Sie trinkt ihr Glas aus und geht nach oben. Sie möchte gerne im Bett liegen, wenn er nach Hause kommt, möchte ihm nicht begegnen. Um zwei Uhr hört sie, wie die Tür geöffnet wird. Er ist da. Angestrengt lauscht sie. Sie hört, wie er in die Küche geht. Nun müsste er den Zettel finden. War das etwa ein Fluchen? Susanne lacht dieses Mal geräuschlos. Kein Treffen mit Dazu, kein zärtliches Rendezvous, genauso wenig ein Treffen mit ihr. Kein Brot, keinen Schinken, keinen Wein – sie hat ihm die Nacht gründlich versaut. Läuft gut an, das Rosenspiel.