Читать книгу Ein Tag wird kommen - Giulia Caminito - Страница 13

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Suor Clara erzählte den Novizinnen Geschichten, Geschichten von ihren Nöten und ihren Siegen, um sie die Notwendigkeit des Leidenswegs zu lehren, die Kraft, das Kreuz zu tragen, weil jede Stufe rechten Leidens ein Schritt zu Seiner Verherrlichung war.

Die Jungen dachten, es sei einfach, in der Entsagung zu leben. Von frommen und ehrwürdigen Familien mit Milch und guten Hoffnungen genährt, hatten sie die glühenden Gesichter derjenigen, die die Nacht vor einem lodernden Feuer zubringen, oder sie waren fahl und bleichgesichtig, überzählige Leben, von anderen dazu gebracht, um Aufnahme im Kloster zu bitten, sie bewegten sich ruckartig, eingezwängt, gerade noch so nach Luft ringend in stürmisch bewegter See, die sie mit sich fortriss.

Auch das waren die Klöster gewesen, Suor Cara wusste es wohl: die dunklen Winkel in den Familien, wo man den Staub hinkehrt, der die Luft im Haus erstickend macht.

Sie wusste sie auf den ersten Blick zu unterscheiden und hatte die Aufgabe, die einen wie die anderen zu erziehen: diejenigen, die an Christus dachten wie an einen wollüstigen Liebhaber und sich mit schriller Stimme zu jedem Verzicht bereit erklärten, musste sie an die Härte des Klosterlebens erinnern, an die Verzweiflung der Einsamkeit, die Selbstaufgabe; denjenigen, die mit Tränen in den Augen nur widerwillig niederknieten und die Außenmauern des Klosters absuchten, um eine Lücke, einen Spalt für die Flucht zu finden, musste sie die Hand auf die Schulter legen und das sagen, was auch ihr gesagt worden war.

Egal ob die Mutter sie verraten, ob der Vater sie verjagt oder ob die Geschwister sie gehasst hatten, das Kloster würde sie geborgen halten wie Kristalle in einer Höhle, und vor allem würde sie, Clara, sie beschützen, auch vor sich selbst.

Als sie Nella zum ersten Mal traf, hatte Suor Clara sie gefragt, warum sie hier sei.

Um zu werden wie Ihr, hatte Nella geantwortet.

Und bist du sicher, dass du das willst? Suor Clara hatte dieses Gesicht von reiner, weicher Schönheit zu ergründen versucht, dieses Gesicht aus warmem Fleisch, Wangenknochen wie Milch, Lippen wie Wassermelonen, Haaren wie Rauch.

Nella hatte den Blick gesenkt: Das ist es, was ich will, hatte sie geantwortet, dann hatte sie die Gazellenaugen zu ihr aufgeschlagen, Augen, wie man sie in den Nuba-Bergen hätte finden können.

Nellas Stimme war unschön, ihr Dialekt kaum verständlich, es war schwer vorstellbar, dass eine so raue Stimme zu diesem Renaissancegesicht gehören sollte.

Das Kloster ist ein Ort der Sammlung und des Zwiegesprächs mit dem Herrn, man muss bereit sein, alles, was uns von Ihm entfernen könnte, aufzugeben und draußen zu lassen. Ich habe die Möglichkeit aufgegeben, den Leuten zu helfen, bei denen ich geboren wurde und die mich geliebt und großgezogen haben, um das Wort Christi zu erkennen, um heute hier zu sein. Bist du bereit, das zu tun?

Ich bin bereit.

Du weißt, dass du geloben musst, Keuschheit, Armut und Stillschweigen zu wahren, dass das Kloster lange darauf gewartet hat, Novizinnen aufnehmen zu können, und dass das eine Sache von großer Bedeutung für unsere Gemeinschaft ist, für dein Dorf, eine Sache, die große Opfer und Verantwortung mit sich bringt. Du weißt, dass das Kloster keine Herberge und keine Pension ist. Wenn man hineingeht, kommt man nicht wieder heraus. Bist du bereit, das zu tun?

Ich bin bereit.

Als ich ins Kloster eintrat, war ich die Jüngste von allen, und viele Jahre lang bin ich das geblieben; bevor ich hier nach Serra kam, war ich ein Kind, und sie waren alt, wir waren nur zu sechst in einem Kloster bei Jesi, und ich musste alles für sie tun, was sie nicht mehr für sich selbst tun konnten, ich habe von frühmorgens bis spätabends gearbeitet, ich habe sie gepflegt, saubergemacht, vielen von ihnen habe ich die Augen geschlossen, bist du bereit, das zu tun?

Ich bin bereit.

Da war eine sehr alte Schwester, sie hieß Caterina, Suor Caterina aus Triest, seit Tagen waren die Zuckungen ihrer Krankheit übergegangen in schreckliche Krämpfe, dämonische Laute kamen aus ihrer Brust, jedes Mal, wenn ich sie mit unserem Essen füttern wollte, spie sie alles auf mein Gewand, ihre Augen wurden gelb, sie sprach mit einer Stimme, die nicht die ihre war, sie nahm meine Hände und wollte mich in ihre Finsternis hinüberziehen. Nie bin ich davongelaufen, jedes Mal habe ich mein Kleid wieder saubergemacht, jeden Tag habe ich ihr Essen gebracht, das ich für sie zubereitet hatte, und habe sie gesegnet. Bist du bereit, das zu tun?

Ich bin bereit.

Welchen Menschen liebst du am meisten, Nella? Suor Claras Augen leuchteten vor Kraft.

Das Mädchen war stumm geblieben.

Es muss jemanden geben, der für dich mehr zählt als alle anderen.

Mein So … Bruder, hatte Nella mit einer Lüge geantwortet und dabei die schwarzen Augen wie Knöpfe auf einem hellen zerknitterten Kleid unverwandt geradeaus gerichtet.

Bist du bereit, ihn zu verlassen und ihn zu vergessen, uns alle zu deinen Schwestern zu machen, das Kloster zu deinem Bruder?

Nella hatte einen Moment lang geschwiegen.

Ich bin bereit, hatte sie schließlich gesagt. Aber ich will im Chor singen, hatte das Mädchen hinzugesetzt.

Was für eine Ausbildung hast du?, hatte Suor Clara sie gefragt und auf das Verzeichnis mit Namen und Nachnamen der Anwärterinnen, ihre Familien und Herkunftsorte geschaut. Da stand: Nella Ceresa, Tochter des Luigi Ceresa, Bäcker in Serra de’ Conti.

Keine, mein Großvater hat mir zu Hause Lesen und Schreiben beigebracht.

Sicher weißt du, dass unsere Chorsängerinnen perfekt Italienisch und Latein können, Partituren lesen und imstande sein müssen, zu singen, hatte Suor Clara erklärt.

Das kann ich lernen, hatte Nella gesagt.

Das glaube ich nicht, liebes Kind, du bist schon zu alt, um Sprachen und die Musik zu erlernen, Lesen und Schreiben reichen nicht aus, um Chorsängerin zu werden, aber ich bin sicher, du wirst eine sehr gute Laienschwester. Jede von uns muss den geeigneten Weg finden, Unserem Herrn zu dienen, und nichts ist erbaulicher, als es mit der eigenen Arbeit zu tun. Du kannst zum Beispiel bei Suor Anna in der Küche sein und ihr am Ofen helfen, und wenn das Jahr des Noviziats vorüber ist, können dir deine Fähigkeiten als Bäckerin gewiss nützlich sein, Brot ist die größte Gabe Gottes.

Ich bin keine Bäckerin, hatte Nella zwischen weißen Zähnen hervorgepresst.

Wer wird sich um deinen Bruder kümmern, wenn du hier bist?, hatte Suor Clara kalt erwidert und ihr Verzeichnis zugeklappt, ohne ein Ja oder Nein für sie.

Gott wird sich um ihn kümmern.

Zehn Jahre waren seit jenem Tag vergangen, und jetzt stand Suor Nella reglos an der Tür, in ihrer quälenden Schönheit betrachtete sie die Füße von Suor Evelina und dachte an die Kordeln, Schnüre und Bänder, die auch sie in ihrer Zelle unter der Matratze verwahrt hatte, oft holte sie eins davon heraus, betrachtete es, stellte sich vor, es werde die Waffe ihres Verbrechens.

In jedem ihrer Albträume waren ihre Schenkel voller Blut, das Kind war im Wald gefressen worden, und ihre Mutter sagte zu ihr: Eines Tages wirst auch du blind.

Ein Tag wird kommen

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