Читать книгу Ein Tag wird kommen - Giulia Caminito - Страница 17

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Die schönen Häuser, sagte Nicola. Wenn er als ganz kleines Kind an Lupos Hand durch diese Straßen ging, dann hob er die hellen Augen, die den Himmel verstehen wollten, und wies auf sie, die schönen Häuser im Dorf, die in den oberen Gassen, innerhalb der Mauern, neben den Kirchen, die schönen Häuser, die nicht das ihre waren.

Das sind bloß Häuser, entgegnete Lupo und zog Nicola an der Hand, die wie Butter in seiner zergehen konnte.

Er wollte nicht, dass Nicola träumte, dass er nachts in seinem Kopf diese Häuser seine werden sah, dass er im Traum Türen öffnete, die er nie würde öffnen können, dass er nach Höhen strebte, die in ihrer Landschaft stets unerreichbar am Horizont bleiben würden.

Der Grund für Lupos Wut, für seine zusammengekniffenen Augen und das Kribbeln in den Händen war nicht, dass er besitzen wollte, was andere hatten, er ging abends nicht mit dem Gedanken schlafen: Ich möchte das, ich möchte jenes.

Seine Gedanken waren immer einfach gewesen, ihm gefielen Pflanzen, Baumstämme, Rebstöcke, alles, was nach natürlichen Gesetzen wuchs, weil es wirklich musste, wohingegen sie, die Menschen in den Marken und im übrigen Italien, vielleicht auch über Italien hinaus, an all den unbekannten Orten sich ungesunde Gesetze geschaffen hatten.

Von sich aus hatten sie Ortschaften auf Hügel gebaut und beschlossen, dass oben eine Kirche sein sollte und dass unten die wohnten, die weniger hatten, diejenigen, die einsamer waren, die nicht genug zahlen konnten, dass unten die lebten, die Gott am meisten gebraucht hätten.

Deshalb hätte er Don Agostino hinunterschleifen wollen, aufs Land zerren, ihn in die Ebene führen, hätte ihn auf dem Feld sehen wollen, mit dem Kopf in der prallen Sonne.

Lupo lief durch die ansteigenden Gassen mit den schönen Häusern und erinnerte sich an den Tag, da er beschlossen hatte, nicht mehr in die Kirche zu gehen. Das war geschehen, als der alte Giuseppe ihm, dem Fünfjährigen, erzählt hatte, dass sie einem, wenn man es wollte, das Paradies gaben, mit Geld konnte man sich alles kaufen, auch die Reise dorthin, Engelsflügel konnte man bekommen, die Verfehlungen waren vergessen, die Haut wurde frisch, das Herz würde zum Himmel emporsteigen.

Und das Kind hörte zu, spitzte die Ohren, dann dachte es nachts allein darüber nach, was gut war und was nicht.

Fürs Paradies zu bezahlen war nicht gut, das war keine gerechte Sache.

Nicola war drei Jahre alt, als Lupo zu ihm gesagt hatte: Ich gehe nicht mit in die Kirche. Antonio hatte unterdessen seinen Sonntagsanzug angelegt.

Ich will nicht mitgehen, hatte er wiederholt, als Violante ihm widersprach.

Was würde der Pfarrer denken?, was würden die Leute denken?, dass sie keine Ehrfurcht hatten, ausgerechnet sie, diese Familie, die all ihre Sünden büßte, Luigi, der mit zusammengepressten Zähnen in die Kirche kam und kein halbes Gebet aufsagen konnte, der Onkel, der in der letzten Bank saß, immer auf dem Sprung, und der Großvater Giuseppe, der fluchte, sobald er ein Kruzifix sah.

Lupo hatte angefangen zu schreien und sich auf den Boden geworfen, der Fußboden war seine zweite Haut, niemand hätte sie ihm nehmen können. Das heilige Feuer seiner Weigerung war ein Schlag ins Gesicht und eine Verführung, sie hatten sich gefügt und gesagt: Ist ja gut, sei ruhig jetzt, nicht mehr schreien jetzt. Er war eine Plage, sie waren müde, und so hatte Adelaide, die damals in ihrer Ruhe als Tochter des Hauses glänzte, Nicola auf den Arm genommen, war hinausgegangen und hatte die Mutter mit sich fortgezogen.

Lupo war den Sonntag über allein geblieben, am Boden ausgestreckt, wie an allen folgenden Sonntagen.

Sie lassen uns fürs Paradies bezahlen, sie verlangen Geld von denen, die keins haben, für etwas, das nie jemand gesehen hat.

Die Jahre vergingen, und wenige Monate nach Adelaides Tod, an deren Beerdigung er nicht teilgenommen hatte, ging Lupo in die Kirche und dann in den Pfarrsaal. Nicht einmal am Tag der Schafe hatte er das getan, er hatte die Tiere mit Paoletto hinaufgeführt, war an der Schwelle stehen geblieben und hatte zu ihm gesagt: Treib du sie hinein.

Als Lupo im Pfarrsaal erschien, glühend in seinem Hass, hob Don Agostino den Blick von der Bibel und sah ihn an.

Komm mit nach Haus, Ninì, sagte Lupo und packte den Bruder am Handgelenk.

Wie schon des Öfteren war Nicola mit anderen Kindern, Kindern der Reichen, in den Pfarrsaal gegangen, weil der Pfarrer Bücher und die Geduld hatte, sie zu unterrichten, er hielt sie den Nachmittag über dort, sprach über die Bibel und ließ sie die Evangelien lesen.

Nicola tat das, ohne Lupo etwas davon zu sagen, wenn der bei der Arbeit war, weil Nicola wusste, dass ihn das wütend machen würde, aber an diesem Tag war der Bruder früher heimgekommen, auf dem Feld hatten sie beschlossen, die Arbeit niederzulegen, und mindestens eine Woche lang würde er Tag und Nacht da sein, er würde Nicola nicht aus den Augen lassen.

Nicola stand auf und nahm mit der freien Hand sein Heft.

Dein Bruder ist hierhergekommen, um zu lesen, sagte Don Agostino erbost, dies ist das Haus Gottes und das Haus des Wissens, was wir hier tun, ist lernen, und Nicola braucht einen sicheren Ort.

Sein sicherer Ort bin ich, Lupo trat vor den Pfarrer hin mit der Entschiedenheit der Sonnenuntergänge, die unwandelbar jeden Abend wiederkehren und es Nacht werden lassen.

Nicola sagte nichts, auch wenn alle anderen Kinder ihn ansahen und untereinander grinsten, auch wenn der Priester ein enttäuschtes und beschämtes Gesicht machte.

Nicola ließ sich von Lupo durch die Gassen ziehen, vorbei an den Mauern der schönen Häuser, er hatte die Augen niedergeschlagen, hatte sie auf die Pflastersteine geheftet, auf die sie mit ihren Stiefeln traten, doch als sie zu Hause ankamen, zog er die Hand zurück und machte sich vom Bruder los.

Du darfst nichts tun, ohne es mir zu sagen, zischte Lupo wie ein Tier, das kriecht, beißen und Gift verspritzen kann.

Ich gehe für dich hin, damit ich mehr Dinge lerne, und du verstehst es nicht, du hast mich zum Trottel gemacht, sagte Nicola und sah ihn unverwandt an, die Augen starr von einem kleinen, aber tiefgehenden Schmerz, ein Schmerz wie ein eingeschlagener Eisennagel.

Dann kehrte er dem Bruder den Rücken zu, ließ Lupo mitten in ihrer Küche stehen, die Hände an den Seiten herabhängend.

Nicola …, sagte Lupo und versuchte ihm zu folgen, aber er hatte sich bereits im Bad eingesperrt, war zu der Wanne gegangen, in der sie sich wuschen, derselben, in die all die Totgeburten getaucht worden waren, die gewaschen werden mussten, bevor man sie bestattete, lang hatte er die Wanne angesehen, während Lupo an die Tür klopfte und sagte: Nicola, mach auf, ein-, zwei-, drei-, viermal.

Nicola, mach auf, und er machte nicht auf, Lupo wollte seinen Willen durchsetzen, rief, wenn ich sage, mach auf, musst du aufmachen, aber Nicola machte nicht auf, und Lupo brüllte: Mach auf, und trat gegen die Tür.

Sie wollen einen Pfaffen aus dir machen, sie wollen dich wegbringen, sie erzählen Lügen, aber Nicola machte nicht auf, ohne einen Laut blieb er durch eine Tür von ihm getrennt, und er sollte sie noch lang nicht öffnen.

Nicola füllte die Wanne mit Wasser aus den Kannen, zog sich aus, stieg ins Wasser und tauchte mit dem Kopf unter, die Hände auf die Ohren gepresst hielt er den Atem an, er hörte den Bruder noch immer an die Tür poltern, er wollte herein, weil er kein Nein und keine Grenze ertragen konnte, weil er nicht in einem eingeschränkten Bereich bleiben konnte.

Eingetunkt in seine eigenen Schwierigkeiten, war Nicola nicht bewusst, dass er, um ihn aufzuhalten, früher oder später das Gewehr auf ihn anlegen und schießen müsste.

Ein Tag wird kommen

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