Читать книгу DER COLT IST IHR GESETZ – Western-Sonderedition: Drei Romane und eine Kurzgeschichte - Glenn Stirling - Страница 24
Оглавление20. Kapitel
Nach dieser harten und entscheidenden Nacht schien der neue Morgen mit doppelter Helle über das weite Tal heraufzuziehen. Das bunte Laub an den Berghängen leuchtete in üppigen Farben. Aber der Wind, der über den Pass strich, war schon kalt und wies darauf hin, dass der Winter nicht mehr allzu fern war. Richter Allan Longfield und Clint Farrox standen nebeneinander am Rande der Diggersiedlung und blickten zur Passhöhe hinauf. Sie verloren kein weiteres Wort über die Ereignisse der Nacht. Und es war ihnen auch klar, dass die Leute, die Harvey Madding droben am Pass postiert hatte, längst das Weite gesucht hatten.
Sie wandten sich um, als sie das knirschende Rollen von Rädern hinter sich hörten. Ein leichter Zweispänner kam in rascher Fahrt heran und hielt mit einem jähen Ruck vor den beiden Männern, die in dieser Nacht Freunde geworden waren. Auf dem Kutschbock saß Slim Jenkers, der Mann, dem Clint nach seiner Ankunft in New Hope den Unterarm zerschossen hatte. Er lenkte das Gefährt. Neben dem hageren, finster blickenden Jenkers saß Betty Loudson und sprühte die beiden Männer aus hasserfüllten Augen an.
»Ah, Miss Loudson«, lächelte Clint kalt. »Sie wollen uns also nicht länger mit Ihrer Anwesenheit beehren?«
Die junge Frau beugte sich weit vor, und ihr ebenmäßiges, schönes Gesicht verwandelte sich in eine hassentstellte Maske.
»Ihr werdet es noch bereuen!«, flüsterte sie heiser. Ihre Schultern bebten. »Ihr werdet es noch alle bereuen! Und Sie beide besonders!«
Ihre Hände hatten sich zu kleinen Fäusten verkrampft. Ihre Wangen waren bleich, und Schatten lagen unter ihren tiefschwarzen lodernden Augen.
»Ihr habt Harvey umgebracht!«, zischte sie. »Ihn, der es allein fertiggebracht hätte, mich reich und glücklich zu machen! Nie werde ich das vergessen! Nie! Oh, wir wären reich gewesen, Harvey und ich. Und wir wären nach St. Louis oder New Orleans gezogen und hätten dort ein Leben voller Luxus und ohne Sorgen geführt. Und ihr? Ihr habt das alles zunichte gemacht! Den Traum meines Lebens habt ihr mir zerstört! Das sollt ihr noch bereuen! Schwer bereuen sollt ihr das noch!«
Ihre Worte steigerten sich zu greller Heftigkeit. Richter Longfield wollte eine scharfe Antwort geben. Aber Clint legte ihm beschwichtigend eine Hand auf den Arm. Sie wandten sich beide ab. Da fuhr hinter ihnen der Wagen wieder an.
Richter Longfield schüttelte den Kopf.
»Sie wird es nie einsehen, dass Madding sie nur damit reich machen wollte, indem er mordete und plünderte. Sie liebte ihn gar nicht. Bestimmt nicht! Ihr Schmerz um seinen gerechten Tod beruht nur darauf, dass der Traum vom Reichtum für sie zerstört wurde. Das ist es, was sie so hasserfüllt macht.«
»Sie haben recht, Richter«, stimmte Clint nachdenklich zu. »Diese Betty Loudson ist eine Frau, die gar nicht weiß, was Recht und Unrecht ist. Sie ist eine gefährliche Frau, Richter.«
»Beim Himmel, das ist sie!«, nickte der Richter mit Nachdruck »Das hat sie bereits gestern bewiesen. Es wird noch ein schlimmes Ende mit ihr nehmen!«
Richter Allan Longfield wusste gar nicht, wie recht er damit haben sollte!
Während die beiden Männer zum Saloon zurück schlenderten, fragte Clint beiläufig: »Was werden die Goldgräber nun machen?«
»Sie wollen abziehen«, antwortete Longfield. »Sie hätten es schon längst getan, wenn Madding und seine Banditen sie nicht abgehalten hätten. Die Goldfunde im Tal sind längst erschöpft. Nur wenige hatten wirklich Glück. Für die übrigen reichte es kaum aus, um den Lebensunterhalt zu bestreiten.«
»Es wäre schade«, sagte Clint leise und nachdenklich, »wenn dieses Tal wieder zur Wildnis werden sollte – dieses Tal, in dem wir noch in der vergangenen Nacht um das Recht gekämpft haben.«
»Ich habe das auch gedacht«, nickte Richter Longfield. »Aber was soll man dagegen machen? Es lohnt sich für die Menschen nicht mehr, zu bleiben.«
Clint blieb stehen und sah Longfield an.
»Well«, lächelte Clint nachdenklich und verhalten, »ich war Cowboy in Texas, ehe ich hierher in die Rockies kam. Ich verstehe etwas von Rinderzucht und Weidewirtschaft und sage Ihnen, Richter, dieses Tal ist wie geschaffen für die Rinderhaltung.«
»Sie meinen…«
»Ja, ich meine, ein paar mutige Männer sollten dieses Tal nicht einfach verlassen, nicht einfach aufgeben. Sicher, es gab hier vielleicht wenig Gold. Aber der Name ›New-Hope‹ sollte keine Phrase gewesen sein. Dieses Tal sollte tatsächlich zu einer neuen Hoffnung für dieses raue Land werden. Das Goldgräbercamp New Hope sollte sich in die Rinderstadt New Hope verwandeln. Ich sage Ihnen, Richter, wenn man es richtig anfängt, kann man dieses prächtige Tal innerhalb weniger Jahre in eine erträgliche Weide verwandeln. Allerdings dürfte für die texanischen Longhorns das Klima hier oben zu rau sein. Ich würde da eher Herefords oder Whitefaces vorschlagen.«
Der schmale, sonst so ruhige und ernste Richter Longfield war plötzlich wie verwandelt. Seine Bewegungen waren hastig und aufgeregt. In seinen sonst so ernsten Augen sprühte feurige Begeisterung.
»Farrox!«, rief er. »Mein Gott! Das ist die große Idee! Ich bin selber auf einer Ranch im Süden groß geworden! Sie haben recht, Farrox. Es wird zwar nicht leicht sein, aber man kann es schaffen.« Er fasste Clint an den Schultern und rüttelte ihn vor Erregung.
»Farrox, ich werde sofort mit den Diggern sprechen! Beim Himmel! Wenn mich nicht alles täuscht, wird Ihre Idee eine prachtvolle Zukunft für dieses Tal heraufbeschwören!«
Ehe Clint etwas erwidern konnte, hatte sich Allan Longfield abgedreht. Mit einer Eile, die mit seiner richterlichen Würde keineswegs zu vereinbaren war, stürmte er die gewundene Lagerstraße entlang auf den Bretterbau zu, über dessen Eingang das große Schild mit der Aufschrift »Saloon« hing…