Читать книгу Die Blutkönigin - Günter Ruch - Страница 11
Оглавление3
Die nackten Masken
Das Licht des Tages war erloschen, und die Beltanefeuer brannten rundum auf den Bergen. Jetzt wurden die Schädel der Tiere, die sie am Samhainfest geschlachtet hatten, verbrannt. Es war ein Freudenfest des Volkes. Die dunkle Hälfte des Jahres war vorbei. Das musste gefeiert werden. Die Pärchen gingen bei Sonnenuntergang in den Wald und liebten sich. Die Feuerräder loderten hoch. Funkenstreifen zogen zum Himmel, vereinten sich mit den Sternen. Es war der Tag von Belenus, dem Feuergott, dem Lichtgott. Musik war im Tal, und Gesang. Das Volk tanzte.
Sinned wurde in der Sänfte der Hohen Druidin von Magos zur Heiligen Grotte gebracht. Es war warm. Der Weg war nicht weit. Die junge Druidin war nackt, fror aber nicht. Ihre Haut war von den Priestern kunstvoll mit eburonischen Symbolen bemalt worden. Das Einzige, das sie trug, war der goldene Torques um ihren Hals, ein Erbstück aus der alten Linie der Hohen Druidinnen im Ahrgau. Der goldene Halsreif war breit und schwer, er reichte bis zu den Schultern. Durch den süßen Saft ihrer Mutter war sie in einem erwartungsvollen Trancezustand. All ihre Sinne waren gereizt, angespannt. Nur ganz vage sah sie das flackernde Licht, das der Zeremonien-Sänfte vorangetragen wurde und den schmalen Pfad durch den dichten Wald geisterhaft erhellte.
Die Heilige Grotte lag versteckt in einem Seitental der Ahr. Unterhalb des Grotteneingangs hatte man zur Warnung und Abschreckung Pfähle mit Tier- und Menschenschädeln in den schweren, feuchten Waldboden gerammt. Ein Heiliger Bezirk, den niemand unbefugt betreten durfte. Die Grotte war ein von den Göttern gesegneter Platz, an dem sich die Anderswelt mit der Welt der Menschen verband. Es roch erdig. Es war Gesetz, dass jeder Eindringling, dem man habhaft wurde, sterben musste. Ihm würde von der Druidin als der Blutkönigin des Stammes die Kehle durchgeschnitten. Er würde als Menschenopfer auf dem Altar des Oppidums enden und sein Blut würde den keltischen Kriegsgöttern zum Trank gereicht.
Die Sänfte hielt vor dem schmalen Spalt, der den Eingang zur Heiligen Grotte markierte. Er hatte die Form einer Vagina. Meredyd, die alte Druidin, wartete bereits auf ihre Tochter, eine Fackel in der Hand. Sinned verließ die Sänfte.
„Die Wahrheit gegen die Welt!“, begrüßte Meredyd sie mit der alten Losung der Druiden. „Komm!“
Die Alte nahm ihre Tochter bei der Hand. Gemeinsam traten sie durch den Höhlenspalt, hinter dem es – wie Sinned aus den Vorjahren wusste – ein Doppeldutzend Schritte weit ins Berginnere ging. Die Höhlenwände waren mit Symbolen übersät, die das zitternde Fackellicht schemenhaft aus der Finsternis erlöste.
„Ich segne dich im Namen der Göttin Dana, der Beherrscherin der Elemente“, sagte die Druidin formelhaft. „Denn sie ist das erstgeborene Kind der Zeit, die Höchste der Gottheiten, die Königin der Seelen, die die Gestalten aller Götter und Göttinnen in sich vereint.“
Der Gang machte eine scharfe Wendung, dann erreichten sie die Haupthöhle, die eigentliche Heilige Grotte.
„Du gehst voran“, befahl die Mutter. Sinned nickte und trat in aufrechter, selbstbewusster Haltung in die Grotte. Ein langer, schmaler, ungleichmäßiger Raum. Alt, faltig, zerklüftet. Fackeln verbreiteten ein seltsam schimmerndes, durch Rauchschwaden gebrochenes und verwobenes Licht. Die in geheimnisvoller Düsternis liegende Decke der Höhle war so hoch, dass das Licht der Fackeln sie nicht erreichte.
Im Inneren der Grotte – wie erwartet – die Priester, die nackten Masken … und ihr Hirschgott wartete sicher schon im hinteren Teil der Höhle auf ihre Ankunft. Die Druidin und die Priester waren in blutrote Fest-Tuniken gekleidet. Wer auch immer es in diesem Jahr des Bibers, das dem Jahr des Wolfes und der Wildkatze folgte und dem Jahr des Bussards und des Salamanders voranging, war.
Als Sinned eintrat, spürte sie die Blicke aller auf ihrer nackten Haut, auf ihren Brüsten und auf ihrer Scham. Außer auf dem Kopf hatte sie nirgendwo mehr ein Haar am Körper.
Zum dreizehnten Mal.
An der breitesten Stelle der Grotte hatten die Priester ein Bett aus duftenden Kräutern und weichem Gras errichtet. Sinneds Atem ging schneller, als sie das Beischlaflager erblickte. Dort würde sich der Hirschgott mit ihr vereinigen. Um das Lager herum standen acht dicke Pfosten, auf die menschliche Schädel gesteckt waren – eine grässliche Verzierung. Es waren die Köpfe von Feinden des Eburonenstammes, vornehmlich germanische Räuber und Strauchdiebe sowie Köpfe von Schwerverbrechern.
Die sechs Priester des Druidenhofs umstanden das Lager. Der jüngste von ihnen, der hübsche Cameron, fühlte sich offensichtlich nicht besonders wohl dabei. Am finstersten blickte der einarmige Taran, der älteste der Priester. Ein grober Mann. Hinter ihnen die nackten Masken: ein Dutzend alter Frauen und Männer aus dem Stamm, die als Zeugen geladen waren. Bis auf die schwarzen Masken mit den Augenschlitzen waren die Alten ebenso nackt wie Sinned. Sie stimmten einen uralten, geheimnisvollen Gesang an. Sinned hatte plötzlich eine Gänsehaut. Die Priester verspritzten unterdes geweihtes Wasser, als Zeichen der Fruchtbarkeit. Sinned verzog keine Miene, als sie die kalten Spritzer trafen.
„Die Sonne übernimmt nun wieder die Herrschaft über die Zeit“, sagte die Druidin mit klarer Stimme und hob die Arme hoch über den Kopf. „Die Kraft der Sonne nährt und stärkt. Die Zeit der Kälte ist endgültig vorbei. Das Männliche und das Weibliche sind jetzt herangereift, um Neues zu schaffen. Heute sind die Grenzen zur Anderswelt offen. Und so kommt der Gott zu uns, Zernunos, der Mächtige, der Hirschgott, der Samenspender. Zernunos, schaue auf uns und erhöre uns, gib, dass wir heute schön werden in unseren Seelen, dass wir vollkommen werden wie du, dass wir am Ende versöhnt sind mit dir und der Welt!“
Die Priester brachten Schalen mit berauschendem Rauchwerk und stellten sie rund um das Beischlaflager auf, auf dem sich Sinned niederlegen sollte. Der schwere, süßliche Geruch der Rauchdrogen hüllte alle ein. Plötzlich musste Cameron niesen. Die Anderen starrten ihn empört an, und er senkte mit gespielter Verschämtheit den Blick. Man hätte meinen können, dass aus seinen vorwitzigen Augen der Schalk blitzte.
„Jetzt leg dich hierher auf dieses Bett. Es besteht aus Kräutern, die dem Gott Zernunos heilig sind. Sobald du liegst, öffne deine Schenkel und schenke dich der Gottheit hin. Weihe dich dem Hirschgott, Kind.“
Darauf hatte Sinned gewartet. Sie tat, wie ihre Mutter es ihr geheißen hatte. Sie spreizte die Beine. Sie war weit, offen und bereit, ihren Gott zu empfangen.
Wie würde es diesmal sein? Nichts sehnte sie sich in diesem Augenblick mehr herbei, als dass er endlich in sie eindrang. Und dass sie ihn in sich aufnehmen konnte.
Dann war es so weit. Das Gebet der nackten Masken wurde fordernder, heiserer, rhythmischer. Sinned wagte kaum zu atmen. Sie spürte, wie sich alles zwischen ihren Beinen zusammenzog. Ihr Herzschlag raste. Ihre Hand tastete sich streichelnd zwischen ihre Beine. Sie war bereit für Zernunos, den Wunderbaren, den Gehörnten. War bereit, die Spende seines Samens in der Furche ihres Ackers aufzunehmen, damit neues Leben sprießen konnte.
Abrupt verstummte der Gesang der Masken.
Die Fackeln knisterten.
Die statuenhafte Gestalt des nackten Zernunos trat langsam und selbstbewusst aus der Dunkelheit in das Licht.
Das gewaltige Geweih auf seinem Kopf überhöhte ihn zu einem Wesen aus der Anderswelt, das zu ihnen gekommen war.
Doch noch wichtiger war etwas anderes: Er war ein wirklich mächtiger Hirschgott! Sein Geschlecht war hoch aufgerichtet, so als wäre es auf Beute aus. Ein schöner, gerader Sporn. Er hatte dicke, gut sichtbare Hoden. Das unbändige Tier zwischen ihren Beinen kannte nur noch den einen Gedanken – sich diesen wohlgeformten Gottessporn einzuverleiben und mit Haut und Haaren zu verschlingen.
Hastig atmete sie den berauschenden Rauch aus den Töpfen ein, die die Priester um sie herum aufgestellt hatten. Die Wirklichkeit veränderte sich. Sie spürte es, und sie wusste, dass sie keine Angst zu haben brauchte. Alles wirkte bunter, greller, lauter, intensiver.
Der Mann, der sich hinter der Maske des Hirschgottes verbarg, war wie alle anderen zum Schweigen verpflichtet, sonst traf ihn der Fluch der Göttin. Allein Meredyd und ihre Tochter durften sprechen, denn nur sie beide gehörten dem Druidenorden an.
Der Hirschgott beugte sich mit seinem gewaltigen Schädel und dem Geweih über die zukünftige Druidin des Tales. Sie hörte, wie er atmete. Sein Körper war ebenso eingeölt und bemalt wie der Sinneds. Er schien sie zu betrachten, wie sie mit gespreizten Schenkeln vor ihm lag. Der Mann schwitzte und wirkte einen Augenblick lang unschlüssig.
Dann setzte erneut der Gesang der Masken ein – nur dazu durften sie den Mund öffnen.
Langsam kniete sich der Hirschgott zwischen Sinneds Schenkel. Er schob ihre Beine noch weiter auseinander.
Genau das … genau das hatte sie sich gewünscht.
Dann hörte Sinned eine Art Grunzen, tief aus dem Bauch des Hirschgottes, er atmete noch einmal tief durch, brünftig, und dann versenkte er voller Macht und Stärke seinen Sporn in Sinneds Unterleib, tief, intensiv, langsam und fordernd, drängend, dann wieder zurückziehend. Er roch nach scharfen, fremdartigen Düften und Gewürzen.
Die Tochter der Druidin war wie von Sinnen. Alles war anders als in den Jahren zuvor. Dieser Hirschgott eroberte sie. Griff an, besiegte. Wie er sie berührte. An den Brüsten. An den Hüften. An den Schenkeln. Wie er immer wieder in sie eindrang. Wie er sie sanft umspielte, um dann wieder hart zuzupacken. Sinned hörte den Gesang der nackten Masken nicht mehr. Es gab nur noch sie und ihren Hirschgott. Sie bildeten eine Einheit. Sie öffnete sich ihm vollkommen und versuchte eins zu werden mit seinen geschmeidigen, kraftvollen, männlichen Bewegungen.
Sie spürte, dass es eine günstige Nacht war, um vom Hirschgott Zernunos endlich ein Kind zu empfangen. Endlich würde sie den Vorwurf in den Augen der Mutter besiegen!