Читать книгу Die Blutkönigin - Günter Ruch - Страница 8
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Prolog
Die römischen Unholde ermordeten Fianas Mann vor ihren Augen. Der Legionär mit dem hübschen Jungengesicht durchschnitt ihm die Kehle, als er sein Haus, seine Frau und sein Kind verteidigen wollte. Wie einem Schwein, das man zum Jahresende am Samhainfest schlachtet. Von einem Ohr zum anderen.
Die Frau musste hilflos dabei zusehen. Genauso der Sohn an ihrer Hand. Er war noch so jung und schon dazu verurteilt mitzuerleben, wie die Augen des Vaters in tödlichem Entsetzen aus ihren Höhlen traten, als die Klinge des Legionärs ihr blutiges Werk vollendete. Wie das warme Blut in sein Knabengesicht spritzte. Warum ließen die Götter das zu? Warum hinderten sie die fremden Todesbringer nicht an ihrer Freveltat?
Als der blutbesudelte Legionär sie ins Haus zurückdrängte, sahen Fiana und ihr Sohn, wie der Vater röchelnd vor der Türschwelle ihres Heimes zusammensackte und sich nicht mehr rührte. Mit unmissverständlichen Gesten machte der Legionär der Keltin klar, dass sie dort bleiben solle. Fiana konnte sich genau vorstellen, was er wollte.
Sie hatte Todesangst. In Cedrics blassem Gesichtchen stand Fassungslosigkeit. Sein Aufschrei war dem Jungen im Angesicht des Todes im Halse stecken geblieben. Genauso wie seiner Mutter.
„Wir können nicht hierbleiben, Cedric“, sagte die Keltin. Sie versuchte ihre Stimme so ruhig klingen zu lassen wie nur möglich, gegen das Schreien und Sterben draußen im Dorf.
„Mama, ich kann nicht an Papa vorbei“, stammelte der Junge und presste sich an seine Mutter.
Ihr Atem war mehr ein Hecheln. Ihr ganzer Körper zitterte. Sie war in Schweiß gebadet. Sie sagte sich, dass sie stark sein musste. Sie schaute nicht auf den Leichnam ihres Gefährten. Es ging nur noch um Cedric. Ihr Mann hätte gewollt, dass sie sich um den gemeinsamen Schatz kümmerte.
„Mama, ich hab Angst.“
„Ich weiß, mein Liebling.“
„Hast du auch Angst, Mama?“
„Ja. Aber frag jetzt nichts mehr. Ich werde dir später alles erklären.“ Der Junge nickte. „Cedric, kannst du dich noch daran erinnern, als wir die Stele für die große Göttin Dana aufgestellt haben? Im letzten Sommer?“
Der Junge schaute Fiana fragend an, nickte dann aber tapfer. „Ich weiß es noch.“
„Sie ist nicht weit weg. Direkt am Waldrand. Hör zu. Du musst jetzt tapfer sein. Versprichst du mir das?“
„Ja, Mama.“
„Sag es.“
„Ich verspreche es.“
Fiana holte tief Luft und spannte ihre Muskeln an. „Ich zähle gleich bis drei. Wenn wir bei drei angekommen sind, dann laufen wir beide zusammen, so schnell es geht, los.“
„Zur Stele der Göttin, Mama?“
„Genau. Und dann in den Wald, Cedric. Geradeaus in den Wald. Und wir bleiben nicht stehen, bis ich es sage. Hast du das alles verstanden?“, fragte sie mit ernster Miene.
Fiana holte tief Luft und nahm ihren ganzen Mut zusammen. Sie und ihr Sohn traten ins Freie. Regen. Graue Wolken. Keiner beachtete sie.
„Eins, zwei, drei!“
Sie liefen los. Stolpernd. Torkelnd. Stockend.
Überall waren Leichen. Zielloser Mord. Vergewaltigung selbst der jüngsten Mädchen. Schändung. Blut, überall Blut. Schreckliche, entsetzliche Schreie. Bizarre Wollust zwischen all dem Tod. Folterung alter Männer mit dem Ziel herauszufinden, wo die Schätze mit den Goldschüsselchen, den eburonischen Münzen, vergraben wären. Die Römer waren Schweine. Die Legionäre trieben die jungen Frauen, die Mädchen und die wenigen jungen Burschen, die noch lebten, in der Mitte des Dorfes zusammen. Das waren wahrscheinlich diejenigen, die sie zu Sklaven machen wollten. Keltische Sklaven zu machen war ein einträgliches Geschäft.
Cedrics kleine kalte Hand war fest in der ihren. Während ihrer Flucht schaute Fiana sich immer wieder um. Ihre Welt war zur Kulisse eines Alptraums geworden. Alle, die sie nicht zu Sklaven machen wollten, wurden gnadenlos niedergemetzelt. Am Dorfende brannte es plötzlich lichterloh. Das Haus des Druiden. Die Römer hassten alles Druidische. Sie wussten schon, warum.
Im Augenblick schien sich keiner für sie und ihr Kind zu interessieren. Der Waldrand mit der Stele der Göttin war so nah!
Dreißig Schritte hatten sie schon.
Das infernalische Chaos aus Blut und Feuer, Leid und Tod, das sich wie bei einem blutigen Opferritual um sie ausbreitete, betäubte ihren Geist. Sie hatte nur den Stamm der Göttin Dana vor Augen.
Sechzig Schritte.
Sie musste die Heilige Stele erreichen, und dann war es nicht mehr weit bis in den Schutz des Waldes. Die Hälfte des Wegs hatte sie schon zurückgelegt. Sie hielt die Hand ihres Jungen, so fest es ging.
Als dann plötzlich das Pferd mit dem römischen Offizier zwischen ihr und dem Stamm auftauchte, blieb der Entsetzensschrei in Fianas Kehle stecken.
Sie stolperte, duckte sich, sank mit ihrem Sohn zu Boden, drückte Cedric feste an sich. Der Offizier hatte eine silberne, verzierte Rüstung und einen Federbausch auf seinem Helm. Er war bartlos wie ein Mädchen, sein Kinn groß und energisch. Offenbar der Anführer der römischen Unholde. Dieses Gesicht … Es brannte sich unlöschbar in Fianas Gedächtnis ein.
Dann geschah alles ganz schnell. Zu schnell, als dass Fiana etwas hätte tun können. Der Anführer sprang aus dem Sattel seines Kriegspferdes, zog sein Schwert und bohrte es Cedric in den Bauch, noch während die entsetzte Mutter den Jungen an sich drückte. Der Offizier drehte die Waffe mit der grässlich scharfen Klinge kurz um sich selbst. Spuckte kalt lächelnd aus. Sein Gesicht zeigte eine geile Zufriedenheit über das Ergebnis seines Tuns.
Der Kopf Cedrics fiel in den Rücken. Ein großer Schwall Blut kam aus dem Mund des Jungen. Im letzten Augenblick schaute er sie mit seinen lieben, blauen Augen fassungslos an. Der Körper erschlaffte. Er war tot. Die Legionäre überwältigten sie, rissen den Leichnam Cedrics aus ihren Armen, warfen ihn achtlos zu Boden.
Fiana blieb am Leben. Sie war noch jung genug für den Sklavenmarkt. Es hatte jedoch keine Bedeutung mehr für sie, dass sie ihr den Eisenreif einer Sklavin um den Hals legten und sie zu den anderen Dorfbewohnern brachten, die das Massaker überlebt hatten. Es waren nur wenige.
Die Römer schleppten sie fort. Ihr Kind war tot. Ihr Mann war tot. Ihre Seelen waren auf dem Weg zur Anderswelt. Fiana war von diesem Augenblick an genauso tot wie die beiden Menschen, die sie in ihrem Leben am meisten geliebt hatte.
Ihr einziger Gedanke war, dass die Götter ihr irgendwann die Gelegenheit bieten würden, blutige Rache zu nehmen.