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Resilienz – ein neues Modewort?
ОглавлениеResilienz ist ein Begriff, der der Materialwirtschaft entlehnt ist. Damit geht es ihm ähnlich wie dem Stressbegriff, der ebenfalls aus der Physik stammt. Der materialwirtschaftliche Resilienzbegriff gibt an, wie sehr ein Material nach Beanspruchung wieder in der Lage ist, seine Ausgangsposition einzunehmen, etwa bei einer Spiralfeder, die gedehnt wird und sich danach wieder entspannt. Übertragen auf die psychologische Resilienz bedeutet dies, nach sehr widrigen Erlebnissen wieder zu einem einigermaßen erträglichen Empfinden zurückzufinden. Aber dieses Bild ist für die psychologischen Situationen zu ergänzen, da in vielen Fällen als Resultat eines Resilienzprozesses ein neues Gleichgewicht entsteht. Es wird selten ganz wieder so, wie es vorher war. Im günstigen Falle erfolgt ein persönlicher Wachstumsprozess nach dem oder sogar durch das Trauma (posttraumatic growth). Menschen entscheiden sich dann oft, in ihrem Leben andere, ihnen selbst wesensgemäßere Prioritäten zu setzen.
Der Resilienzbegriff wurde in der Forschung – in den letzten Jahren besonders von dem Psychologen George Bonanno – ganz besonders auch als Reaktion auf traumatische Erlebnisse untersucht (Bonanno 2012). Er spricht von potenziell traumatischen Ereignissen (PTEs), wie z. B. schweren Unfällen, Verlust von nahen Angehörigen oder auch Gewalteinflüssen. Deren Auftretenswahrscheinlichkeit wird nach Auffassung des niederländischisraelische Traumaforschers Daniel Brom von Menschen gerne verdrängt. Brom spricht hier von einer Illusion, die Menschen haben. Jeder Mensch sei mindestens einmal im Leben mit einer solchen Situation konfrontiert (Brom 2014). Insofern ist das Lernen von Resilienz sinnvoll.
Beeinträchtigungen im Leben können auf zwei Weisen entstehen: durch ein Trauma oder durch »steady poison«. Fundamentale beeinträchtigende Lern- und Erfahrungsprozesse bei Menschen können einerseits durch ein einschneidendes Ereignis bewirkt werden, das alles verändert, andererseits durch eine ständige Konfrontation mit negativen Einflüsse. Dies passiert etwa, wenn einem Kind das Selbstvertrauen oder andere natürliche Fähigkeiten, für die es Wertschätzung braucht, kontinuierlich abgesprochen werden. In der Regel wird im letzteren Falle nicht von Traumatisierung im engeren Sinne der Definition gesprochen; es ist eher eine kontinuierliche, schwere Stresssituation. Der Übergang zwischen schwerem Stress und Trauma gestaltet sich fließend. Interessant ist aber gerade bei den Kindheitserlebnissen, dass hier oft eine Traumatisierung intergenerationell (von Generation zu Generation) weitergegeben wird. Traumata und schwere Stresserfahrungen verschwinden nicht einfach, wenn sie nicht behandelt, sondern verdrängt, abgespalten oder verschwiegen werden. Sie gären unterschwellig weiter und werden mehr oder weniger bewusst weitergegeben. Gerade viele Deutsche haben in diesem Punkt durch die Erfahrungen der Kriegsgeneration und der Nazizeit unbearbeitete Traumata. Die Weitergabe geschieht oft nicht durch ein einschneidendes Erlebnis, sondern subtil. In diesem fundamentalen Zusammenhang der Weitergabe von Traumata zeigt sich schon ein wichtiger systemischer Prozess, der in Systemen wie Familien, Gesellschaften, Bevölkerungen, Staaten auf die Resilienz des Einzelnen Einfluss nimmt.
Mittlerweile wird daher das Resilienzkonzept auf Individuen (Kinder und Erwachsene) aber auch auf Systeme allgemein und Organisationen im Speziellen angewendet. Jessica Di Bella hat beispielsweise die Resilienz von kleinen Unternehmen in einer vergleichenden Studie untersucht, die von fünf italienischen Brüdern geführt wurden (Di Bella 2014). Immer geht es darum, die Faktoren zu ermitteln, die zur Robustheit gegenüber widrigen Ereignissen und Einflüssen führen. Zahlreiche Untersuchungen haben sich mit Resilienz bei Kindern beschäftigt, aber auch im Erwachsenenalter ist es möglich, Resilienz zu entwickeln. Resilienz hat mit der Bewältigungsfähigkeit von Ereignissen und Situationen zu tun. Deshalb zunächst ein kurzer Einblick in die Anforderungsbedingungen, die der Mensch heute zu bewältigen hat.