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Resilienz lernt man nicht im Wellness-Hotel

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Auf das Thema der Resilienz sind Entwicklungspsychologen gestoßen, als sie sich mit der Frage beschäftigten, wann sich Kinder selbst unter widrigen Umständen gut entwickeln. Mittlerweile gibt es eine Reihe großer Studien, wie beispielsweise die Kauai- Studie, die Mannheimer Risikostudie, die Bielefelder Invulnerabilitätsstudie oder die Freiburger Resilienzstudie. Die Ergebnisse der Freiburger Resilienzstudie wurden von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung auch zur allgemeinen Umsetzung zusammengefasst (BZgA 2009). Man registrierte, dass Kinder, die unter widrigen Umständen leben, etwa durch Probleme der Eltern oder allgemeine soziale Probleme, sehr unterschiedlich gut klarkommen. Hier interessierten vor allem die Kinder, die sich »resilient«, also robust gegenüber widrigen Bedingungen, zeigten und sich trotz schwieriger Umstände gut entwickelten. Die amerikanische Pionierin der Resilienzforschung, Emmy Werner, beschäftigte sich in einer Studie auf der hawaiianischen Insel Kauai mit der Frage, warum sich bestimmte Kinder trotz einer Vielzahl von Risikofaktoren und entgegen aller gängigen Annahmen zu kompetenten und erfolgreichen Erwachsenen entwickelten (Werner 1993, 2000).

Gründe für diese scheinbare Unverwundbarkeit wurden zunächst vorrangig in den Persönlichkeitsstrukturen der Kinder gesucht. Man forschte nach einem Persönlichkeitsfaktor Resilienz. Da man diesen aber nicht fand, rückte die Resilienzforschung von diesem Verständnis sehr bald ab und interpretiert die Resilienz heute als dynamisches, veränderbares und durchaus auch entwickelbares Konstrukt (Masten / Reed 2002). Inzwischen legt man ein multifaktorielles Geschehen zugrunde. Sowohl soziale und kommunikative Verhaltensmuster als auch systemisch-konstruktivistische Kompetenzen werden betont. Also zum Beispiel, ob man in der Lage ist, einem Ereignis eine Bedeutung zu geben.

In der Folge beschäftigten sich viele Forscher mit der Frage, welche Schutzfaktoren zu einer Stärkung von Menschen in Risikomilieus führen (Fröhlich-Gildhoff/ Rönnau-Böse 2009; Masten / Reed 2002). Wenn die Familie schwierig ist, sind etwa Bezugspersonen außerhalb der Familie – die Kindergärtnerin, eine Tante, die Nachbarn – und die Förderung von Talenten (Denken, Musikalität, Sportlichkeit usw.) wichtige Resilienzfaktoren bei Kindern. Verstärkt traten also extrapersonale Protektoren zum Vorschein, welche selbst in hochriskanten Umfeldern existieren (Opp / Fingerle 2007). Solche Unterstützer bzw. extrapersonale Protektoren treten selbst unter sozialen Bedingungen auf, die ansonsten für die psychische Entwicklung eines Kindes katastrophal sind.

Die Hauptfrage der Resilienz bleibt, welche Faktoren Menschen in und nach sehr widrigen Umständen helfen, gut zurechtzukommen. Auch die Übertragung der Befunde von Kindern auf Erwachsene muss geprüft werden. Es gibt einige vertraute Ideen zur Resilienz. Das sind die Konzepte der schon erwähnten persönlichen Charakteristik, der Abwesenheit von Psychopathologie oder eine durchschnittliche Stufe psychologischen Funktionierens. Diese Ideen sieht Bonanno (2012) allerdings nicht als ausreichende Forschungsbasis an. Mit seinen Überlegungen lässt sich das Konzept stärker präzisieren und für Forschung und Praxis handhabbar machen. Bonanno schlug vor, auf sogenannte trajectories (Anpassungswege nach traumatischen Erlebnissen) zu schauen, die sehr verschiedene Muster über eine gewisse Zeit nach einem traumatischen Ereignis zeigen. Beispielsweise reagieren manche Menschen direkt sehr heftig und beruhigen sich dann über einen längeren Zeitraum wieder. Andere erscheinen zunächst gefasst und entwickeln erst nach und nach Symptome. Eine weitere Gruppe von Personen springt durch ein Trauma auf eine höhere innere Erregungsstufe, die sich kaum mehr verlassen lässt und konstant erhalten bleibt. Resilienz wird erreicht, wenn eine Person eine sehr widrige Situation erfahren hat, dennoch einen einigermaßen stabilen Weg von gesundem Funktionieren und positiver Anpassung in der Folgezeit zeigt (Bonanno 2012, 755).

Traumatische Situationen verändern einen Menschen auf allen Ebenen: kognitiv, im Fühlen und selbst körperlich. Wenn das gesamte Körper-Psyche-System in den Survival Mode (Überlebensmodus) umschaltet, verändert sich nach neuerem Wissen sehr deutlich etwas im Körper. Deshalb ist der Körper in allen Behandlungsvarianten zu beachten. Dies trifft für abrupte Traumata zu, als auch für Situationen in denen über längere Zeit eine sehr widrige Konstellation mit hohem Stresspegel herrscht. Kriegssituationen beinhalten oft beide Formen der Traumatisierung.

Raketenalarm

Wird eine Rakete im Gazastreifen Richtung Jerusalem abgefeuert, hat man theoretisch eineinhalb Minuten Zeit. In dieser Zeit sollte man einen sicheren Platz aufsuchen. »In Case of« heißt es in den ausführlichen Erklärungen auf dem Infoblatt in der Jerusalemer Universität. Ich wohne im neunten Stockwerk. Aufzug-Fahren ist da nicht angesagt. Die meisten Opfer bei Alarm gibt es durch Stürze beim Rennen oder durch Herzinfarkt. Den Shelter- Room mit Stahltüre bewohnt Tom, ein amerikanischer Chinese. Ich durfte schon einen Blick in sein Zimmer werfen, ist ziemlich zugestellt. Wie sollen da die Leute aus der ganzen Etage rein? Und wird er sein Zimmer nicht abschließen wollen?

Beim ersten Raketenalarm arbeite ich gerade im Computer-raum und gehe in das empfohlene Treppenhaus im zweiten Stock. Man soll immer zwei Wände zwischen sich und draußen haben, und die Treppenhäuser sind solide gebaut. Dort sitzt auch einer meiner Freunde, der im »Coexistence«-Programm arbeitete. Wir unterhalten uns ein wenig, bis jemand ruft: »it’s over«. Was soviel bedeutet wie: Der Alarm ist vorbei.

Eine Stunde später läuft das Halbfinalspiel der Fußballweltmeisterschaft Deutschland-Brasilien, die Kneipe ist brechend voll. Ich bin zurück im Zimmer im neunten Stock und arbeite noch an einer Präsentation, höre ein paar Mal Jubel von unten und denke, die halten bestimmt alle für Brasilien. Die Sache ist gelaufen. Dann reizt es mich doch und ich gehe nachschauen. Unten begegnet mir eine österreichische Kollegin. Sie ruft: »Es steht 5 zu 0!« Mein Gedanke: »Das ist aber ein bisschen heftig für die Deutschen. Die haben ja einen ganz schlechten Tag. Aber wenn Brasilien mal ins Rollen kommt …« Dann sagt sie: »für Deutschland.« Wenn man einen Raketenalarm hinter sich hat, erhöht ein 5:0 nach 27 Minuten gegen Brasilien die ohnehin schon surreale Atmosphäre enorm.

Für die Nacht lege ich mir für den eventuellen »case« alles zurecht. Wenn der Alarm kommt, muss es schnell gehen. Meine Schuhe lege ich so nah, dass ich sie schnell anziehen kann. Meine Wertsachen (Portemonnaie, Tasche mit Pass, Visum, deutscher Sim-Karte) stecke ich jeweils in einen Schuh, damit ich sie schlaftrunken nicht etwa vergesse. Der Computer ist sowieso im Rucksack, der neben den Schuhen steht. Nichts passiert in der Nacht. Tom, der morgens immer etwa zur gleichen Zeit aufsteht wie ich, gratuliert mir zum deutschen Fußballerfolg gegen Brasilien. Er ist schon der vierte, der mir gratuliert. Ich bin ein bisschen betreten. Aber das gehört irgendwie auch zum Surrealen in dieser Gesamtsituation. Er sagt, dass der Schlüssel für sein Zimmer, unter der Mikrowelle liegt. Zwei Tage später sitze ich in der Kneipe. Nur wenige Leute sind da. Wieder ein Alarm. Keiner bewegt sich. Ich frage unsicher »the sirene?« Die Antwort eines Unbewegten: »It’s only a fire alarm.«

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