Читать книгу Der Fluch des Bierzauberers - Günther Thömmes - Страница 11
3.
ОглавлениеCord Knoll trieb sich und Gisbert an, während er versuchte, den verängstigten Ulrich zu beruhigen. Einige Hundert Fuß lang war der schmale, in den Fels hineingetriebene Stollen, der das Brauhaus mit dem Eiskeller verband. Der von innen verriegelte Eingang befand sich in einem kleinen Wald außerhalb der Stadtmauern. Kaum jemand wusste davon, denn der Eingang lag verdeckt und war, durch die Kriegsereignisse der letzten Monate, lange nicht mehr geöffnet worden. Dieses Frühjahr würden sie kein Eis mehr brauchen …
Die Höhle war vor langer Zeit von einem der frühen Brauer Magdeburgs entdeckt und als Eiskeller eingerichtet worden. Er hatte dies natürlich erst einmal für sich behalten, da es doch einen enormen Vorteil bedeutete, bis in den Sommer hinein das Bier kühl lagern zu können. Fuß für Fuß, Klafter für Klafter, war die Höhle über die Jahrzehnte verlängert worden, bis sie schließlich mit dem Keller des Brauhauses in der Magdeburger Altstadt verbunden wurde.
Jahre-, jahrzehntelang war der Gang von Nutzen gewesen, die Brauerfamilie Knoll hatte das Geheimnis mit dem Kauf des Brauhauses übernommen und bewahren können. Nur wenige Eingeweihte wussten Bescheid. Der Rat hätte sich nicht erfreut gezeigt, wenn allgemein bekannt gewesen wäre, dass es einen unbewachten Zugang zur Stadt gab.
Als der enge Stollen endete, und sie in der Höhle ankamen, erschraken sie zuerst, da es so gespenstisch still war im Vergleich zu dem Lärm des Gemetzels in der Stadt. Von draußen hörten sie vereinzelt Rufe und Hufgeklapper, aber das waren Menschen, die entweder unterwegs in die Stadt oder aus ihr hinaus waren. Gekämpft und geplündert wurde nur innerhalb der Stadtmauern.
Knoll setzte den kleinen Ulrich auf den Boden, entzündete eine weitere Kerze und schaute sich um. Es war alles am Platz, wie er es in aller Eile vorbereitet hatte. Ein kleines Bierfass stand dort, in der Ecke ein paar Eimer Wasser, in der anderen Ecke zwei Eimer – mangels einer Latrine oder eines ›stillen Örtchens‹ – für ihre Ausscheidungen. Ein stabiler Leiterwagen, mit dem ansonsten das Eis aus dem Wald geholt wurde, würde ihnen sicher gute Dienste leisten. Etwas Stroh und ein paar alte Decken lagen auch herum. Brot, Käse und Wurst befanden sich im Korb. All das, wonach er bei ihrer Flucht in aller Schnelle in der Küche gegriffen hatte; auf jeden Fall war es fürs Erste genug.
Einen Beutel voll mit Reichstalern hatte er auch dabei. Die große Zeit der Falschmünzer, der Wipper und Kipper, wie die Fürsten genannt wurden, die ihr Silber mit wertlosem Kupfer gestreckt, ihr eigenes Volk betrogen und die größte Inflation aller Zeiten verursacht hatten, ging trotz dieses Krieges ihrem Ende entgegen. Anscheinend waren die Fürsten durch den Krieg auch auf anderen Wegen reich geworden. Sein Geldbeutel mit Talern aus echtem Silber würde also für eine gute Weile vorhalten.
Jetzt, wo er sich mit den Jungen halbwegs sicher fühlte, begann er sich um Lisbeth und die Mädchen große Sorgen zu machen. Heftig gestritten hatten sie am Vorabend, nachdem die Nachricht bekannt gegeben worden war, dass am nächsten Morgen der Sturm losbrechen sollte.
»Lass uns in den Dom gehen, den anzutasten werden sie nicht wagen«, war Lisbeths Meinung gewesen. Sie glaubte nicht nur fest an Gott und seine Gebote, sondern auch an die Unantastbarkeit einer geweihten Kirche.
»Aber was, wenn der Dom überfüllt ist und sie uns nicht hineinlassen? Und wie lange müssen wir unter Umständen dort ausharren?« Cord Heinrich Knoll war skeptisch gewesen. Und am Allerwenigsten traute er Tilly und seinen Soldaten. In Göttingen und Neubrandenburg hatten diese sich, den Gerüchten zufolge, einen Dreck um Moral, Anstand oder gar Heiligkeit der Gotteshäuser geschert. Lisbeth war stur geblieben. Und als Knoll früh am Morgen aufgestanden war, waren sie und die Mädchen schon fort gewesen. Der Dom sollte heute übervoll werden …
Knoll schickte ein Gebet zu Gott für seine Familie.
Er wusste nicht, wie lange sie hier versteckt bleiben mussten, also galt es, sparsam mit den Vorräten umzugehen. Eine kleine Mahlzeit, dann legte er Ulrich schlafen. Aber der Junge weigerte sich, er spürte die Unruhe und die Gewalt um sich herum. Und so sang Knoll ihm mit zitternder Stimme und Tränen in den Augen ein Kinderlied vor, das erst in diesem Krieg entstanden war, nachdem Wallensteins Heer sich mordend und brandschatzend durch Norddeutschland gewälzt hatte: »Maikäfer flieg, dein Vater ist im Krieg, die Mutter ist im Pommerland, Pommerland ist abgebrannt, Maikäfer flieg …«
Ulrich schlief ein. Die Dämmerung kam und mit ihr die Stille. Es wurde Nacht. Knoll schob behutsam den Riegel beiseite und ging hinaus, einige Schritte in den Wald hinein. Niemand trieb sich hier in der Dunkelheit herum. Obwohl, dunkel konnte man dies nicht nennen, denn der Feuerschein der sterbenden Stadt erleuchtete den Himmel.
Er kletterte auf einen Baum und blickte hinüber zu den mächtigen Mauern, die doch nicht mächtig genug gewesen waren. Er versuchte, sein Brauhaus zu erkennen, aber alles, was er ausmachen konnte, war, dass alle Häuser dieses Stadtteils, auch die in der Krockentorgasse, anscheinend lichterloh in Flammen standen. Nicht nur seine Brauerei schien zu brennen, sondern auch die gute Stube mit der Bildergalerie seiner Vorfahren. Seine eigene Vergangenheit und die seiner Sippe fielen in diesem Moment offensichtlich den Flammen zum Opfer. Nicht nur Pommerland, auch Magdeburg war abgebrannt. Voller Trauer und Verzweiflung schweifte sein Blick noch einmal zurück auf seine Heimatstadt, auf das untergehende Magdeburg. Er wusste nun wie sich Äneas hatte fühlen müssen, als dieser das brennende Troja hinter sich verließ.
Er kehrte zurück in die Höhle, verschloss sie sorgfältig, sprach ein Gebet und umarmte seine beiden Söhne. »Wir haben unser Leben, das ist alles, was uns geblieben ist«, flüsterte er den beiden schlafenden Kindern ins Ohr. »Wir werden neu anfangen. An einem anderen Ort.«