Читать книгу Der Fluch des Bierzauberers - Günther Thömmes - Страница 16

8.

Оглавление

Der Stadtrichter wusste anscheinend genau, worüber Knoll und Magdalena sich sorgten und redete dementsprechend nicht lange, sondern kam gleich zum entscheidenden Punkt: »Möchtet Ihr in unserer Stadt bleiben?«

Die beiden nickten.

»Auch wir haben viele Tote und Weggegangene zu beklagen. Überall gibt es Mangel an guten Arbeitskräften. Ihr scheint ein guter und gebildeter Mann zu sein. Und Ihr«, er wandte sich an Magdalena, »eine tapfere und starke Frau.«

»Wir werden hart arbeiten, Ihnen keine Schande machen und der Stadt nicht zur Last fallen«, beeilte sich Knoll zu erklären.

»Das weiß ich doch!« Oetz schüttelte verständnisvoll den Kopf. »Aber eines solltet Ihr wissen: Es wird immer wieder Scharmützel um die Stadt geben, und Soldaten werden uns so lange Ärger bereiten, bis dieser gottverfluchte Krieg anständig beendet ist. Und wenn es Ärger gibt, dann stehen wir alle zusammen. Egal ob Katholiken oder Protestanten, wer innerhalb der Stadtmauern ist, kämpft auf unserer Seite. Wenn ich Euch die Bürgerrechte verleihe, dann ist es auch Eure Stadt. Versteht Ihr das?«

»Genauso selbstverständlich, wie ich Magdeburg verteidigt hätte, wenn es möglich gewesen wäre.«

»Und um die Hand- und Spanndienste, die jeder Bürger zum Erhalt unserer Stadtbefestigung leisten muss, werdet Ihr ebenfalls nicht herumkommen.«

Knoll nickte zustimmend.

»Die gute Nachricht jedoch lautet: In Zeiten wie diesen sind Neubürger für die ersten zehn Jahre von allen Steuern und Abgaben befreit.« Oetz grinste breit. »Ein Privileg, dessen ansonsten nur ich als Stadtrichter, unsere Schöffen und unser städtischer Kuhhirte teilhaftig werden.« Er legte Knoll väterlich die Hand auf die Schulter.

»Indes, Ihr müsst Euch den Lebensunterhalt verdienen. Mit Arbeit. Ehrlicher Arbeit.«

Der Stadtrichter nahm eine Liste vom Tisch mit der Bemerkung: »Das ist die Herdpfennigsliste. Da stehen alle drin, die zur Zahlung des Herdpfennigs verpflichtet sind, also auch alle Handwerker.« Dann las er laut vor.

»Wir haben zurzeit folgende Berufe ansässig bei uns in Bitburg: Türwärter, Gerichtsschreiber, Stadtschreiber, Stadtbote, Stadtschöffe, Stadtpförtner, Küster, Landwirt, Schankwirt, Krämer, Schmied, Schlosser, Schuhmacher, Schneider, Leinenweber, Wollweber, Zimmermann, Fassbinder, Schreiner, Brauer, Bäcker, Metzger, Barbier, Tagelöhner.«

Er hielt inne und fragte Knoll: »Könnt Ihr Euch irgendein Handwerk vorstellen, welches hier nicht erwähnt ist und uns von Nutzen sein könnte?«

Knoll erkannte bewundernd, dass Oetz von Anfang an schon weitergedacht und die Liste nicht zufällig auf dem Tisch gelegen hatte. »Nun, was ich kann, das ist Bier brauen und Fässer binden. Und beides nicht schlecht.«

»Hört, Knoll, ein zweites Brauhaus wird es nicht geben, die Ernte wirft schon nicht genug gutes Getreide ab für eines. Zumindest solange der Krieg andauert, schlagt Euch das aus dem Kopf.«

»Und die Fassbinderei?«

»Wir haben zwei davon, ob eine dritte ihren Mann ernährt?«

Plötzlich stutzte Oetz. Ein Leuchten ging über sein Gesicht, seine Knollennase rötete sich, als habe er soeben die Lösung aller Probleme gefunden. »Geht zu Flügel, gleich morgen. Ich glaube, wir sollten auch an morgen denken.«

Dann weihte er Knoll unter vier, beziehungsweise sechs Augen in seinen Plan ein.

Nicht nur Flügels Brauhaus litt unter dem Krieg. Es gab kaum Getreide, und das, was gut war, wurde selbstverständlich verbacken, nicht verbraut. Die Hopfengärten in Holsthum, etwas außerhalb von Bitburg gelegen, waren genauso häufig von durchziehenden Truppen verheert worden wie die Obstgärten und Getreidefelder.

Auch der Wohlstand der ganzen Familie Flügel, über Jahrhunderte mit gutem Bier erarbeitet, stand mittlerweile auf Messers Schneide. Als eine der wohlhabenderen Familien der Stadt hatten sie sich immer und überall an Kost und Logis vermeintlich befreundeter Truppen beteiligen müssen. Die Rationen waren nicht ohne: pro Tag und Mann zwei Pfund Fleisch, zwei Pfund Brot, zwei Maß Bier. Und als Schankwirt musste Flügel auch Soldaten bei sich unterbringen. Dieser sogenannte Servis durfte nicht berechnet werden und bestand aus Heu und Hafer, Salz, Brennholz und Licht.

Flügels Brauereigasthof ›Zum feisten Römer‹ bestand seit über zweihundert Jahren. Gegründet von Niklas von Hahnfurt, auf den auch die ursprüngliche Brauerei gleichen Namens an der Albachmühle zurückging. Schon vor längerer Zeit war diese Brauerei stillgelegt worden, da sie etwas außerhalb der Stadtmauern gelegen war, was in diesen unsicheren Zeiten ein zu großes Risiko darstellte. Gebraut wurde nur noch in der Petersgasse. Jedoch, der Name war mitgezogen, das ehemals ›Gescheuerte Arschleder‹ war umbenannt worden, da ›Römerbier‹ allen ein Begriff war.

Mit der Ermordung von Dieter vom Markte war die Brauersippe der de Foros ausgestorben. Mehr als eine Familie hatte sich in der Zeit danach am Bierbrauen versucht, um dem unseligen Reihebrauen mit seinen grauenhaften Brauresultaten endlich wieder ein Ende zu setzen. Keiner Sippe war Erfolg beschieden gewesen. Und das Reihebrauen hatte sich mit Kriegsbeginn von selbst erledigt, da die Rohstoffe zu knapp wurden. Lediglich die großen Tordurchfahrten vieler Stadthäuser erinnerten noch daran, dass hier mit schöner Regelmäßigkeit die Sudgefäße zu dem Bürger hineingefahren worden waren, der gerade mit Brauen an der Reihe gewesen war. Flügels Brauhaus unterschied sich darin von den anderen Häusern. Hier hatte es immer eine Brauerei gegeben, daher war ihre Tordurchfahrt kleiner, nur ein Karren mit Bierfässern musste hindurchpassen.

Familienoberhaupt der alteingesessenen Bitburger Brauerfamilie war im Jahre 1635 der siebenundzwanzigjährige Christoffel Flügel. Er hatte die Brauerei erst drei Jahre zuvor übernommen, nachdem sein acht Jahre älterer Bruder Matthias, der das Brauerhandwerk von der Pike auf gelernt hatte, plötzlich an der Pest gestorben war. Furcht und Schrecken hatte die Krankheit verbreitet, als Matthias die ersten Symptome gezeigt hatte. Schwarze Beulen waren auf der Haut erschienen, der Körper war innerhalb kürzester Zeit entkräftet gewesen, und er selbst hatte lethargisch und verwirrt gewirkt. Der schnelle Tod war ein recht gnädiges Los gewesen, ebenso glücklich war die Familie, als feststand, dass sich sonst niemand angesteckt hatte. Aber für ihn, Christoffel, war es eine große Herausforderung gewesen, ein Sprung ins Ungewisse. Seinen Handel mit Waren und Gewürzen aller Art, den er eröffnet hatte, musste er aufgeben. Und ohne Ausbildung, nur mit dem Braurecht seiner Familie ausgestattet, hatte er schnell lernen müssen. Sehr schnell, um die Brauerei fortzuführen. Der Krieg war schon in vollem Gang gewesen, da verboten sich Bildungsreisen von selbst. Matthias hatte noch nach Köln und Aachen ziehen können, um dort das Brauereihandwerk zu erlernen. Christoffel lernte nur, was innerhalb der Mauern Bitburgs an Wissen verfügbar war. Das reichte zwar aus, um das Handwerk weiter zu führen, zu mehr aber nicht. Nicht, um auf das gebraute Bier wirklich stolz zu sein. Und erst recht nicht, um den alten Ruf Bitburgs als Bierstadt zu festigen. Er freute sich bereits jetzt auf den Tag, da der Krieg zu Ende sein würde. Dann würde er seinen Kindern die Ausbildung ermöglichen können, die er selbst nie erhalten hatte.

Während Flügel nicht ahnte, dass sich seine Situation schon sehr bald ändern würde und er demnächst reichlich Gelegenheit bekäme, seinen Wissensdurst zu stillen, ging der Mann, der dies bewerkstelligen sollte, mit einem tiefen Gefühl der Befriedigung zu seinem neuen Zuhause. Das Gespräch mit dem Stadtrichter war mehr als vielversprechend verlaufen. In ihrem kleinen Häuschen angekommen, nahm Knoll Magdalena in den Arm, sah ihr direkt in die Augen und ohne große Umstände, mehr gemurmelt als gesprochen, ließ er es heraus: »Wenn wir uns hier eine neue Existenz aufbauen wollen, dann sollten wir vorher heiraten.«

Magdalena lächelte wissend, nickte und fragte, mit leichtem Spott in der Stimme: »Wo ist denn die nächste reformierte Kirche?«

Knoll lachte: »Das Opfer bring ich gern, um des lieben Friedens willen werden wir katholisch heiraten. Sobald ich konvertiert bin.«

Sie riefen die Kinder und Knoll verkündete die Neuigkeit. Dann wurde er ernst. Schaute alle drei an und erklärte feierlich: »Wir sind gemeinsam durch viel zu viel Ungemach gegangen. Dieser unselige Krieg hat mein Brauhaus in Magdeburg zerstört, mein erstes Weib und vier meiner Kinder auf dem Gewissen, und uns beinahe den Hungertod gebracht. Ich werde nie wieder«, seine Stimme bebte vor Entschlossenheit, »nie wieder kampflos hinnehmen, dass meine Familie und unsere Existenz bedroht oder gar zerstört werden. Das gelobe ich hiermit feierlich vor Gott, dem Allmächtigen.«

Auch Magdalena war feierlich zumute, als sie Cord erwiderte: »Ich hoffe, ich werde dich nicht allzu oft an diesen Schwur erinnern müssen.«

Der Wechsel der Konfession und die anschließende Hochzeit gingen erstaunlich schnell vonstatten. In Kriegszeiten ließen neben der Moral auch Formalismus und Bürokratie Federn. Oetz höchstpersönlich fungierte als Trauzeuge und überreichte Cord Heinrich Knoll mit der Heirats- auch die neue Bürgerurkunde mit den Worten: »Ich hoffe, Ihr erweist Euch dessen als würdig. Die Gebühr in Höhe von sechzehn Reichstalern werden wir Euch stunden, bis Ihr ein sicheres Einkommen habt.«

Der Stadtrichter bürgte sogar persönlich für den Kredit von fünfzig Talern, die Knoll als Starthilfe beim jüdischen Geldverleiher ausborgte.

Stolz trug er nach der Trauung Magdalena über die Schwelle des kleinen Hauses. Sie küssten sich und beide glaubten, noch niemals in ihrem Leben so glücklich gewesen zu sein.

Der Fluch des Bierzauberers

Подняться наверх