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9.

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Bald schon ging es in der Brauerei mit der Arbeit los. Knoll traf sich mit Flügel und unterbreitete dem vier Jahre jüngeren Brauer die gleichen Vorschläge, die Oetz ihm gemacht hatte. Flügel war eine ungewöhnliche Erscheinung. Mittelgroß, aber mit unglaublich breiten Schultern und viel zu dünn geratenen Beinen, dazu schwarze, buschige Augenbrauen, eine wulstige Nase und ein breiter Mund, in dem einige Zähne fehlten, der jedoch, trotz der angespannten Lage, nicht verkniffen wirkte. In seinen recht jungen Jahren neigte er bereits zur Glatze und trug deswegen eine Perücke, die vor einiger Zeit einmal vornehm gewesen sein mochte, mittlerweile jedoch schon etwas verfilzt und verstaubt wirkte. Er führte immer einen Spazierstock in der Hand und hatte eine mächtige Pfeife im Mund, aus der dichte Wolken herausquollen. Die Söldner der verschiedenen Heere hatten diese Sitte des Rauchtrinkens mittlerweile auch beim einfachen Volk bekannt gemacht. Und nachdem Versuche zu Beginn des Jahrhunderts, den Konsum dieser Pflanze, die Nicotiana genannt wurde, zu verbieten, gescheitert waren, war auch der Preis so weit gesunken, dass sich jeder eine Pfeife leisten konnte.

»In den Erblanden, in Österreich, ist das Tabaktrinken verboten, bei uns aber nicht«, bemerkte Flügel lächelnd. Magdalena hatte früher mit Johannes im Heereslager gelegentlich zusammen diese trockene Trunkenheit genossen und fing bald, dank Flügels Vorbild, erneut an zu rauchen. Knoll teilte ihre Begeisterung weniger.

»Das kostet nur Geld, und wir leben derzeit auf Pump. Lass uns erst einmal eigenes Geld verdienen, dann kannst du rauchen, soviel du magst.«

Magdalena aber scherte sich nicht um Knolls Worte, denn ihr half der Tabak, den Krieg leichter zu verarbeiten. Außerdem gefiel es ihr, die Pfeife genau in die Lücke ihrer Schneidezähne festzuklemmen. Auf diese Weise konnte sie reden, ohne die Pfeife aus dem Mund zu nehmen oder sie festhalten zu müssen. Schließlich gab Knoll nach, akzeptierte das neue Laster seiner Frau und widmete sich mit Christoffel Flügel der Arbeit in der Brauerei.

Oetz hatte recht gehabt. Flügel war, nach anfänglichen Bedenken, die Brauerei gewissermaßen zu teilen, einverstanden gewesen. Sehr überzeugend hatte Knoll ihm dargelegt, was er alles wusste, wo und wie er früher Bier gebraut hatte. Obwohl die Brausaison offiziell bereits in vollem Gange war, hatte Flügel bis Anfang November noch nicht allzu viel zustande gebracht. Zu Beginn des Herbstes waren ihm zwei halbwegs gute Sude gelungen – darunter war auch derjenige, der im Hospiz Knoll wieder Kraft gegeben und und ihm auf die Beine geholfen hatte. Danach waren leider die Getreidelieferungen ausgeblieben und seither zehrten sie von den Anfängen. Zudem ging das Bier trotz drastischer Lieferbeschränkungen langsam zur Neige.

»Wir werden gemeinsam diesen Krieg überstehen. Dazu werden wir preiswertes und gutes Bier herstellen müssen. Damit die Leut’ es trinken und wir ein Auskommen haben. Nur vom Hospiz und den Schöffen können wir nicht leben.«

»Wie wollt Ihr das anstellen? Es gibt kaum gutes Getreide, und Hopfen ist teurer als Gold«, war Flügels pessimistische Erwiderung. »Die meisten Getreidefelder und alle Hopfengärten sind verwüstet.« Flügel ließ Knoll bei den nächsten Suden zusehen, die mit schlechtem Getreide und ohne Hopfen naturgemäß grauenhafte Ergebnisse erbrachten. Die Resultate waren sogar noch schlechter als Knolls letzte Magdeburger Broyhan-Biere. Aber eines registrierte Knoll gleich zu Beginn: Das Wasser in Bitburg, das sie aus dem Brunnen auf dem Petersplatz eimerweise aus der Tiefe zogen, war etwas Besonderes. Gerne ließ er es direkt aus dem Eimer in seine Hand und über die Finger rinnen. Kühl und weich fühlte es sich so viel besser an als das Elbewasser, das er von früher kannte. Es war fast so, als wäre dies eine gänzlich andere Substanz. Und es roch frisch und kalt, ansonsten nach gar nichts. Kein Kot oder Harn, keine Gerberabfälle, keine Tiere hatten dieses Wasser jemals verunreinigt. Damit würde er zu gern einmal einen Broyhan brauen, wenn auch erst später, sobald die Zeiten wieder besser geworden waren.

Flügel, den er darauf ansprach, verstand gar nicht, wovon er redete. »Wasser ist Wasser«, murmelte dieser nur. »Hauptsache, es löscht uns den Durst, wenn wir kein Bier haben. Und macht uns ein gutes Bier, wenn wir Getreide und Hopfen haben.«

Knoll fand es tröstlich, dass in Bitburg gutes Wasser so selbstverständlich war. Das würde also das Geringste ihrer Probleme sein.

Der nächste der fahrenden Händler, die trotz dieser unsicheren Zeiten – mit zugegebenermaßen reduziertem Warenangebot – durch die Lande zogen, erhielt von Knoll den Auftrag, nach bestimmten Fachbüchern Ausschau zu halten und beim nächsten Besuch mitzubringen. In der Zwischenzeit machte Knoll eine ausgiebige Erkundung der Flügel’schen Brauerei. Er begutachtete alle Gefäße, Töpfe und Gerätschaften, ließ sich von Flügel erklären, wie dieser Bier braute und erkundigte sich, wo das Getreide und der wenige Hopfen herkam und wie viel dafür gezahlt wurde. Auch was sonst noch in und um Bitburg von den Bauern angepflanzt und erzeugt wurde, ließ er sich berichten.

Als er alles gesammelt hatte, was an Informationen verfügbar war, vergrub er sich in seinem Haus einige Tage lang hinter Papieren, auf denen er Berechnungen anstellte, Rezepturen austüftelte und Listen erstellte.

Schneller als erwartet war der Händler nach ein paar Wochen wieder da.

»In Lüttich habe ich einiges von dem gefunden, was ihr mir aufgetragen habt«, verkündete er freudestrahlend. Zufrieden nahm Knoll die Bücher entgegen, die der Marketender ihm voller Stolz überreichte. Das erste Buch, ein kleines Bändchen mit schwarzblauem Einband, trug den Titel ›Der kunsterfahrene Brauer‹.

»Das habe ich einst auch besessen«, entfuhr es Knoll erregt. »Da steht eigentlich alles drin, was wir wissen müssen.«

Ein anderes Buch hatte seinen prahlerischen Namen mit schwarzen, fetten Lettern auf blauem Grund gedruckt: ›Der vollkommene Bierbrauer‹.

Knoll strahlte mit dem Händler um die Wette.

»Hier habe ich noch eines, das aus Hamburg den Weg nach Lüttich gefunden hat.« Der Händler hielt Knoll die ›Vollständige Beschreibung der Braunbier-Brauerei‹ unter die Nase.

»Habt Ihr den Doktor Knausten auch gefunden?« Knoll hätte dieses Werk gern wieder besessen. Erschienen in Erfurt im Jahre 1573, war Knaustens Bier-Enzyklopädie das erste wirkliche Fachbuch über die Bierbrauerei gewesen. Auch wenn sich mittlerweile einiges darin als falsch oder zumindest stark übertrieben herausgestellt hatte, seine Beschreibungen der verschiedenen Biere halfen jedem Brauer, sich einen guten Überblick zu verschaffen, was im gesamten Reich so alles hergestellt wurde.

Triumphierend griff der Händler erneut in seine große, lederne Tasche und entnahm ihr ein Bündel von gleich mehreren Büchern. »Das kommt Euch aber teuer!«

Knoll nahm die Wälzer in die Hand und überflog die ihm von früheren Zeiten her bekannte pompöse Titelzeile: ›Fünf Bücher von der göttlichen und edlen Gabe, der philosophischen, hochteuren und wunderbaren Kunst, Bier zu brauen: Auch von Namen der vornehmsten Biere in ganz Deutschland und von deren Naturen, Temperamenten, Qualitäten, Art und Eigenschaft, Gesundheit und Ungesundheit, sie sein Weizen oder Gersten, Weisse oder Rote Biere, gewürzt oder ungewürzt. Aufs Neue übersehen und in vielen Wegen über vorige Edition gemehret und gebessert. Durch Herrn Heinrich Knausten, beider Rechten Doctor. Gedruckt zu Erfurt erstmals im Jahre 1573. Dritte Ausgabe von 1614.‹

Knoll erinnerte sich noch, dass er zum Studium dieses Werkes eigens etwas Latein hatte lernen müssen, da der gelehrte Herr Doktor Knausten seine Erläuterungen teilweise in der Sprache der Akademiker abgefasst hatte. Dadurch war diesem Werk, trotz seiner Güte, auch der durchschlagende Erfolg bei den meist ungebildeteren Brauern verwehrt geblieben. Der Händler förderte weitere Schriften zutage: ›De Cervisia‹ von Tadeáš Hájek, ein lateinisches Bierbuch, geschrieben von einem böhmischen Gelehrten. Sogar eine neuere Ausgabe des allerersten Bierbuches in deutscher Sprache konnte er vorweisen, das bereits fast hundert Jahre alte ›Über Natur und Kräfte der Biere‹ von Johann Brettschneider, der sich selbst ›Placotomus‹ nannte. Zu guter Letzt zeigte er noch das ›Weinbuch‹ von 1580, geschrieben von dem Österreicher Johann Rasch.

»Was soll ich mit einem Weinbuch?«, fuhr Knoll den Händler etwas schroffer an, als der es verdient hatte.

Der Händler erwiderte gar nichts, sondern schlug lediglich das letzte Kapitel auf, und Knoll las vor: »›Wie man gut Bier machen und behalten soll.‹ Der Rasch wollte die Weinbauern tatsächlich das Bierbrauen lehren!« Knoll lachte.

Flügel stimmte ein. »Schuster, bleib bei deinen Leisten«, setzte er warnend an einen imaginären Winzer hinzu. Kurz verhandelten beide über den Preis für alle Bücher, der anfangs horrend hoch war. Der Händler legte als letztes Zugeständnis ein Buch obendrauf. Das war, zu Knolls vollständiger Begeisterung, ›Der praktische Rathgeber für den Pierpreu in Noth- und Kriegszeiten‹ aus Leipzig.

Die beiden Brauer zahlten anstandslos, dann machten sie sich ans Studium.

Der Fluch des Bierzauberers

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