Читать книгу Briefgeschichte(n) Band 2 - Gottfried Senf - Страница 13
17. Juni 1999
ОглавлениеLieber Gottfried, vielen Dank für Deinen Brief und für die Bemühungen um die gewünschten Landkarten für Wolfgang von Larisch. In zwei Tagen kommt unsere Tochter mit Günter. Sie wollen sich hier Häuser ansehen. Angelika bekommt möglicherweise eine Stelle bei „Schenker“ in Toronto (jetzt ist sie bei „Schenker“ in Hamburg angestellt). Sie haben ihre Grundstücke in Ochsenwerder verkauft und wollen nun zurück nach Kanada kommen. Angelika hat ja noch ihre kanadische Staatsangehörigkeit, und Günter (den sie im vorigen Herbst heiratete) bekommt als Ehemann die Einreiseerlaubnis. Sie bleiben genau zwei Wochen. Danach kommt ein Vetter von mir mit Frau für eine Woche. Deshalb beantworte ich Deinen Brief sofort, denn wenn der Besuch erst hier ist, wird nichts daraus.
Ich danke Dir sehr, dass Du meine „Erinnerungen 1945“ in einer LVZ-Fortsetzungsreihe publik machst. Wie Du das alles schaffst ist doch erstaunlich: Deine Lehrtätigkeit, Deine Reisen, sowohl mit Schülern, als auch privat. Deine Tätigkeit im Heimatverein, Dein Radwandern, Haus und Garten in Tautenhain! Wie machst Du (und Karin, of course) das, ohne überfordert zu sein? Dank für die Tautenhain-Photos. Was für ein hübsches Grundstück!
Zu Deinem letzten Brief: „Die Zeit“ ist voller hochinteressanter Artikel über Kosovo. Da kommt jeder zu Wort. Ich habe den Eindruck, dass das Eingreifen der Nato, trotz aller Ungeregeltheiten, einmal als ein Schritt zur Befriedung der Welt gesehen werden wird. Auch ist es richtig, dass Russland mit dabei ist. Irgendwann, hoffentlich bald, muss Russland der Nato beitreten. Dieses große Land darf nicht vor den Türen Europas stehenbleiben, man muss es herein lassen. Wie lange soll oder darf man mit Diktatoren verhandeln? Im Zeitalter der Atomwaffen muss man da vorsichtiger sein als vor 60 Jahren. Hitler hätte man ein Ultimatum stellen sollen, als er ins Rheinland einmarschierte: entweder bist Du morgen wieder raus mit Deinen Truppen oder Du hast einen Krieg am Hals. Das hätte die ganze Hitlerei zerplatzen lassen. Heute ist das schwieriger. Doch kann man letzten Endes nur mit Ehrenmännern (und Frauen) verhandeln, und Milosevic ist keiner. Ein Eingreifen Westdeutschlands am 17. Juni 1953? Das wäre sicherlich schief gegangen. Ich fand es besser, dass sich das russische Imperium quasi selbst aufgelöst hat. Gorbatschow war die große Ausnahme und das Gegenteil von unbelehrbaren Leuten. Er sah, dass das System, das ihn selbst groß gemacht hatte, nicht mehr zu halten war. Er wollte es reformieren, doch gibt es Systeme, die nicht zu reformieren sind. Denke doch nur an den französischen Absolutismus am Ende des 18. Jahrhunderts, oder an Russland unter Kerenski. Wenn so ein nur auf Bespitzelung gegründetes Staatsgebäude ins Wanken kommt, ist kein Halten mehr. Die Gräfin Dönhoff bezeichnet Gorbatschow als großen Staatsmann und Menschen, und sie hat Recht damit. Die größten Menschen sind die, die über ihren Schatten springen können. Kannst Du Dir einen amerikanischen Präsidenten vorstellen, der dem mitleidlosen Kapitalismus den Kampf ansagt?
Die „Spaten“- Geschichte zur Preis- und Geldpolitik in der DDR ist köstlich. Herr Weiske verkörpert die Stimme des Volkes!
Also, Schluss für heute. Gisela und ich wünschen Karin und Dir alles Schöne und Gute für den Sommer. Mit herzlichsten Grüßen und „much love“ from John
Geithain, 01.10.99
Liebe Gisela, lieber John, herzlichen Dank für den Brief vom 17. Juni. Nach meinem Brief vom 04.06. erhielt ich von Dir fast postwendend Antwort.
Während ich seit August in Rente bin, hat Karin seit Schulbeginn wieder viel Arbeit und wenig Zeit. In Erfurt gibt es bei der Tochter wahrscheinlich mit der Arbeit in der nächsten Zeit Probleme. Sie ist beim zweitgrößten deutschen Baukonzern Philipp Holtzmann AG als Bauingenieurin angestellt. Hier stehen Entlassungen in Größenordnungen an! Mal sehen, wie die Sache ausgehen wird. Es müssen in der Führungsetage in Frankfurt schlimme Dinge gelaufen sein, aber auch insgesamt sieht es zur Zeit in der Baubranche nicht so gut aus! Ich lege einen Zeitungsausschnitt bei. Die andere Beilage zum Handwerk in unserer Region wird Dich vielleicht auch interessieren.
Unsere Woche in Bad Birnbach war großartig! Die Werbung spricht vom "ländlichen Bad" und hat alles gehalten: eine herrliche Ruhe, schöne Fahrten mit eigenem Auto oder mit Bus nach Salzburg, Passau und zu dem einmaligen Museumsdorf im Bayerischen Wald, die meiste Zeit jedoch Erholung in den Thermalbädern des Ortes, mit Sauna, Kneippbad, Unterwassermassage ... Alles wirklich sehr angenehm - Hotel mit Bademantelgang zu den Bädern - und trotzdem preiswert! Wir haben für die Winterferien im Februar schon wieder eine Woche gebucht.
Viel Zeit habe ich in den letzten Wochen gebraucht, um die Paul-Guenther-Materialien erst einmal - nach langer Pause - wieder zu sichten und etwas weiterzuführen. Auch Deinen Briefwechsel zur Suche nach Virginia habe ich mir noch einmal genau angesehen. Es war eine aufwendige Arbeit damals für Dich! Da machen sich viele gar keine Vorstellung und für manchen sind allein die Spendengelder relevant! Nun ja, es gibt eben solche und solche!
Neulich erhielt ich die Trauerrede des Geithainer Pfarrers von 1912 zur Beerdigung von Bruno Guenther. Er starb am 23.5.1912 nach langer, schwerer Krankheit. Elf Jahre war er gelähmt, Folge eines Unfalls beim Obstpflücken. Es verwundert schon etwas, dass der einzige Sohn weder zur Goldenen Hochzeit seiner Eltern im Jahre 1909 noch zum Tode seines Vaters 1912 nach Geithain gekommen ist. In diesen Jahren war Paul Guenther doch schon sehr reich und finanzielle Gründe dürften es sicher nicht gewesen sein, die eine Reise von USA nach Deutschland im Wege standen. War er im Betrieb zu sehr eingespannt? War es die lange Reisezeit? Unmittelbar nach dem Tod der Mutter (18.11.1918) reiste Paul Guenther nach Geithain und errichtete die "Bruno-und Therese-Guenther-Stiftung". Ein zweiter und letzter Besuch in Geithain erfolgte 1929, als er sich zu einer Kur in Deutschland aufhielt. Ob die Auswanderung in die USA mit oder ohne Wissen der Eltern geschah, ob mit oder ohne deren Billigung – zu all dem kann man eben zum jetzigen Zeitpunkt nur Vermutungen anstellen. Es muss natürlich weiter geforscht werden.
Nächste Woche nehme ich an einer Veranstaltung des Heimatvereins in Limbach teil. Ich hoffe ja immer noch, die Schülerlisten der Wirkereischule aus den 1870er Jahren irgendwann einmal zu bekommen. Auch mit Thalheim und dem Amtsgericht Chemnitz (Grundbuchamt, das im Testament erwähnte Grundstück in Neukirchen betreffend) wurde Verbindung aufgenommen bzw. weitergeführt. Übrigens, warum ist von der Spende Guenthers an die Universität in Princeton - habe ich alles noch einmal in Deinem Briefwechsel gelesen - an der Uni selbst nichts bekannt? Es stand doch nicht nur im Testament, sondern wurde auch in verschiedenen Zeitungen veröffentlicht. Und noch etwas: Ich habe mit Frau Shuler in Dover wieder Verbindung aufgenommen und erwarte von ihr nicht nur ihre Email- und Fax-Adresse, sondern auch die von der Bibliothek in Dover, vom Schulamt und anderen Stellen! -
-- Es ist gerade mal 10 Jahre her, als die Welt außerhalb der DDR für uns wirklich "eine andere, geradezu außerirdische, uns nicht zugängliche Welt" darstellte!
Die vielen Feierlichkeiten zum 10. Jahrestag des Mauerfalls, die Fernsehfilme, Debatten und Talkshows, die Flut von Zeitungsartikeln und Rundfunkberichten ebben nun langsam ab. Es gab viel Gutes und Interessantes, aber ebensoviel Schrott!! Und wie schnell vergessen die Leute! Manche Diskussion bewegte sich ähnlich wie in Hammers Buch über das Leben an der Juri-Gagarin-Schule! Unbeteiligte müssten sich fragen: Warum ist eigentlich die DDR untergegangen? Es war doch alles so gut geregelt!? --- Vielleicht sollte ich doch nicht nur in der Biografie Guenthers etwas weitermachen, sondern aus meiner Sicht einige Aspekte des Schullebens in der DDR darstellen. Mich ärgert schon die abermals einseitige Betrachtung und überhaupt die ganze kleinliche Ossi-Wessi-Klagerei! Ein Titel einer Fernsehdiskussion in der letzten Woche gefiel mir besonders:
"Deutschland einig Jammerland!"
Das ist auch eine Erfahrung meiner Irland- Wochen: Fast nur mit Leuten aus USA, Kanada und Westeuropa zusammen, immer nur höchstens drei bis vier Deutsche und davon ich stets als einziger Ostdeutscher --- einhelliger Tenor: Was wollt Ihr Deutschen bloß? Sind Eure Probleme wirklich echte Probleme? --------
Ich setze den Brief heute fort. Gestern Abend wurde es dann doch zu spät. Wir sind gerade von einem Winterspaziergang zurück. Heute ist Totensonntag und wir waren am Grab unserer Oma auf dem Geithainer Friedhof. Herrliches Winterwetter. Wir sind an der Damm-Mühle und der Stadtmauer die Promenade entlang, dann durch die Pforte wieder in die Stadt und durch die Laachgasse, am Pulverturm vorbei, nach Hause gegangen. Geithain ist schon eine sehr schöne alte Stadt! Das sagen mir meine E-mail-Partner aus USA und Kanada immer, obwohl sie nur die Homepage von Geithain im Internet kennen. Dort sind sehr schöne Farbbilder von Geithain zu sehen, leider z. Zt. alles nur in Deutsch beschrieben. Ich werde bei der Redaktion einen "link" vorschlagen, damit die Erklärungen in Englisch abrufbar sind.
Zum Schluss noch eine kleine Bitte an Dich. Es ist eigentlich mehr ein Spaß. Die hier sehr beliebte Popgruppe "Die Prinzen" (alles ehemalige Thomanerchor-Mitglieder!) sind mit einem frechen Song zum Radfahren in aller Munde. Unser Enkel hat die CD von den „Prinzen“ und kann alles auswendig. Daher kenne ich den Text. Die Norweger von der letzten Irlandwoche verstehen etwas Deutsch. Aber den Amerikanern sagt er absolut nichts. Es wäre ein Gaudi, wenn ich in den nächsten mails ihnen den Text in Englisch schicken könnte. Für mich ist die Übersetzung zu schwer. Hilfst Du? Vielleicht lässt sich manches gar nicht übersetzen. Mal sehen, wie gesagt, es ist mehr ein "joke"! Füll` einfach nach Deinem Ermessen die Zeilen in dem beiliegenden Blatt aus.
Herzlichst Eure Geithainer