Читать книгу Briefgeschichte(n) Band 2 - Gottfried Senf - Страница 14
01. November 1999
ОглавлениеLieber Gottfried, liebe Karin,
wir danken sehr herzlich für den langen Brief mit Bildbeilagen vom 1. Oktober. Auch gratulieren wir zum Rentnerleben. Wann ist Karin ebenfalls soweit? Ich bin es seit 10 Jahren und das waren, in mehr als einer Beziehung, schöne und ereignisreiche Jahre, die uns, zum Beispiel, die Freundschaft mit Euch einbrachten, und nicht einen Moment von langer Weile! Ich glaube nicht, dass Dir die Umstellung schwerfallen wird. Dafür bist Du zu interessiert und neugierig an allem, was Dir in den Weg kommt. Wer sich in dieser aufregenden Zeit, in der wir leben, langweilt, muss schon etwas beschränkt sein. Leider sind das nicht wenige.
Auch wir hatten einen „richtigen“ Sommer, wie Du sagst. Sehr heiß und sehr trocken. Unbedingt erfreulich ist das nicht. Ich denke da an den „Greenhouse Effect“. Doch ist es schön, wenn man auf Reisen ist. Frankreich ist schon ein außerordentliches Land. Es zieht uns dort immer wieder hin. Ob wir`s noch einmal schaffen? Wir hatten eine herrliche Woche in Neufundland, aber darüber schrieb ich sicherlich schon.
Angelika und Günter sind seit dem 17. September hier. Sie kauften ein Haus in Georgetown, zu Fuß 20 Minuten von uns, 10 Minuten mit dem Rad, 2-5 Minuten mit dem Auto. Natürlich mussten sich die beiden sogleich ein Auto zulegen. Nun steht das die meiste Zeit herum. Auf Arbeitssuche geht Angelika demnächst. Bisher hatten sie zu viel damit zu tun, sich einzurichten. Wir sehen sie fast jeden Tag, und das ist natürlich sehr schön. 31 Jahre lang war sie in Deutschland.
Ich fand beim Umräumen ein kleines vergilbtes Heft und las es wieder. Es enthielt die rasante Rede, die der große Sozialdemokrat Kurt Schumacher auf dem ersten Nachkriegs–Parteitag der SPD gehalten hat. Ein klarer, unbestechlicher Geist, der sofort erkannte – schon 1946! - in welche Sackgasse die SED führen würde. Diese Rede machte 1946 einen großen Eindruck auf mich und sie tut es, beim Wiederlesen, noch. Kein Wunder, dass die „Aufarbeitung der SED-Vergangenheit“ vielen in Ost und West Schwierigkeiten macht. Eins ist klar, ohne die Macht der Russen im Rücken hätten sich Ulbricht und Genossen und Nachfolger nicht 40 Jahre lang halten können. Möglicherweise wäre das Regime der SED schon 1953 zu Ende gegangen. Interessant finde ich auch die 89/99 -Artikelfolge in der „Zeit“. Es wird noch mindestens 20 Jahre dauern, bis die zwei Deutschland wieder gemeinsame Erinnerungen haben, auf die sie stolz sind.
Zu Guenthers Testament von 1932 nehme ich an: Paul Guenther verkaufte seine Fabriken im Jahre 1927. Olga lebte seit Anfang der zwanziger Jahre nicht mehr in Dover. Möglicherweise war Guenther 1927 schon leidend. Der Verkauf der Fabriken muss ihm einen schönen Batzen Geld eingebracht haben. Den hat er natürlich nicht zu Hause rumliegen lassen, sondern hat dafür Wertpapiere (Aktien) gekauft. Zwei Jahre später kam der Börsenkrach, der die Stagnation der dreißiger Jahre zur Folge hatte. Ich bin sicher, dass Guenther damals einen großen Teil seines Vermögens verloren hat. Auf jeden Fall war nach seinem Tode nicht genug Geld da, um alle im Testament vermerkten Spenden auch auszuzahlen. Princeton bekam nichts. Olga lebte in einem Apartment am Central Park in New York, der teuersten Gegend der Stadt. Sie hatte ein Auto mit Chauffeur und reiste mit denen (per Schiff) nach Europa, und das nicht nur einmal. Als wir einmal mit Virginia und Robert zusammensaßen, fragte ich Virginia, wo sie war, als 1939 der Krieg ausbrach. „Da waren wir in Garmisch. Den ganzen Sommer 39, einem herrlichen Sommer mit schönstem Wetter, reiste ich mit meiner Großmutter im Auto durch Deutschland. Als der Krieg ausbrach, fuhren wir von Garmisch nach Amsterdam, um dort per Schiff nach den Staaten zu kommen. Doch mussten wir zwei Wochen in Amsterdam warten, ehe wir auf einen Dampfer kamen, der auch das Auto mitnahm.“ Virginia weiß von ihrer Großmutter viel mehr als von ihrem Großvater. Deshalb freut sie sich über unsere Forschungen zur Biografie Paul Guenthers. . …Alles erdenklich Gute wünschen wir Euch. Kommt einmal wieder her. Much love from John + Gisela