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Die erste Krise: Krankheit

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§ 30 „Was eine organische Störung bedeutet, hängt weitgehend von der Erlebnisweise der jeweiligen Person … ab.“39 – Häufige Katarrhe mit einem Fieber, das auf lange andauernden Katarrh zu folgen pflegt und zur Gewohnheit wird, das war Senecas Fall in diesen seinen jungen Jahren (ep. 78,1). Mit 17 oder 18 Jahren wurde er damit ganz gut fertig, so berichtet er; dann aber wurde die Sache so schlimm, daß er sich das Leben nehmen wollte, und nur die Liebe zum Vater hielt ihn davon ab (a. O. § 2). Was war das für eine Krankheit, eine rein somatische oder eine seelisch mitbedingte (s. Rozelaar, bes. 46ff.)? „Katarrhe, die noch nicht chronisch geworden sind, verursachen Husten; wenn sie chronisch geworden, führen sie zur Schwindsucht“ (ep. 75,12) – hatte er Tuberkulose? Noch als alter Mann litt er unter derartigen Zuständen (ep. 55,2 aus dem J. 63: Grimal 318). „Galliger“ Auswurf und Atemnot begleiteten die Anfälle, und der Arzt Celsus (3,22; Rozelaar 56f.) zählt Eiter- und Blutauswurf zu den Symptomen der Tuberkulose. Auch den älteren Bruder quälte eine ähnliche Schwäche (Plin. n.h. 31,62; Abel 665, Anm. 105). Celsus rät zu einer längeren Reise (3,22,8f.).

§ 31 Eine längere Reise – sie unterbrach die Karriere. Naturgemäß hoffte der Vater auf eine Ämterlaufbahn der Söhne; später bewarb sich Lucius denn auch um die Quaestur (Helv. 19,2), aber in diesen jungen Jahren dachte er mehr an die Erfolge einer Anwaltstätigkeit (Griffin 46), bei der er als Redner brillieren konnte und das wohl auch tat (s. unten § 32). Leicht wäre es, aus einem „Kampf zwischen den beiden Grundtrieben“, dem zur Philosophie und dem anderen zur Rhetorenpraxis (Grimal 42), ein Krampfasthma abzuleiten – doch danach sehen die Symptome nicht aus, auch hatte der Bruder ein gleiches. Auch daß die Liebe zur Philosophie „erkaltete“ (Grimal a. O.), ist aus nichts abzuleiten, ebensowenig, daß er sich politisch-verwalterisch als Vigintivir betätigte.40 Nichts von all dem ist nachweisbar, wir wissen nur dies: er erkrankte und mußte auf eine „längere Reise“. Er reist nach Ägypten, dem gepriesenen Land für derlei Erkrankungen wegen seiner Trockenheit, und zudem lebte dort seine Tante (s. § 12, Anm. 17) mit ihrem Mann, der Statthalter war (von 16 bis zu seinem Tode im J. 31). Eine Seereise von Ostia nach Alexandria dauerte zur Zeit des Plinius d. Ä. rund 10 Tage (nach n.h. 19,3: von Pozzuoli bei Neapel aus), manchmal auch drei Wochen (Friedländer, Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms 2, 51881,26). Aber dabei blieb es nicht, per longum tempus lebte Seneca dort (Helv. 19,2), jahrelang.

§ 32 Was tat er dort? „Was eine organische Störung bedeutet, hängt weitgehend von der Erlebniswelt der jeweiligen Person … ab“ (§ 30 Anf.) – aber wir wissen über sie nichts. Nichts auch von all dem, was P. Grimal 44ff. vermutet, hält genauer Prüfung stand41: eine Begegnung insbes. mit Philo von Alexandria ist, so interessant es wäre, etwas darüber zu hören, reine Phantasie, und eine tiefe Ergriffenheit durch ägyptische Götterlehre läßt sich nicht nachweisen. Wir können nur dies eine mit Bestimmtheit sagen: Seneca kehrte im J. 31 zurück,42 fern von jeglichem Ehrgeiz. Er sprach vor Gerichten, er sprach gut und gefiel (Suet. Gai. 53,2; Cass. Dio 59,19,7); doch noch im J. 35 oder 36 schrieb der Vater, seine beiden älteren Söhne „bereiteten sich auf Forum und Ämter vor“ (contr. 2, praef. 4): Seneca hatte es nicht eilig mit der Quaestur (Griffin, Nero 70), obschon seine Tante ihm die Wege ebnete (Helv. 19,2; Abel in RE Suppl. 12, 1970, 432). Eine Unlust am Politischen ist spürbar (Griffin 46). Auch war die Zeit voller abschreckender Gewalt: der Kaiser Tiberius lebte fern der Hauptstadt, Sejan beherrschte die Szene. Man opferte ihm wie einem Gott-Kaiser (RE 10,512,57f.), und Kaiser wollte er auch werden, wütete gegen die Familie des Germanicus, dann fiel er selbst (Oktober 31), es folgte eine lange Reihe von Hinrichtungen von Freunden und Verwandten des Gestürzten. Der Kaiser betrat seine Hauptstadt nie mehr, der Senat regierte auf seine Winke hin: eine Atmosphäre gespannter Ungewißheit herrschte.

Welches war nun aber, um zusammenzufassen, die „Erlebnisweise“ (§ 30 Anf.) Senecas, was hat er aus dieser ersten Lebenskrise gemacht? Wir sahen, daß er jeglichem Ehrgeiz fern stand, daß er spät erst und ohne Eile sein erstes Amt übernahm; er muß während der Jahre, in denen er die Erkrankung verarbeitete, gereift sein, und genau dies ist es, was er in einem der wenigen erhaltenen Selbstzeugnisse auch berichtet: vor der Verbannung des J. 41 habe er sich eine distanzierte Haltung zum Äußerlichen erarbeitet, „niemals habe ich der Fortuna geglaubt“ (Helv. 5,4), „eine Distanz habe ich zwischen ihr und mir, und zwar eine große, gehalten“ (ebd.), und so konnte er sagen (ebd. § 6): „Bei den Dingen, die alle anstreben, habe ich immer gemeint, sie enthielten nichts wirklich Gutes.“

Seneca

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