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ENTMACHTUNG UND HINRICHTUNG.
DIE DRITTE KRISE

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§ 44 Seit dem J. 58 schwindet Senecas Einfluß. Es ist dies das Jahr des Suillius-Prozesses (§ 4ff.); daß dieses Subjekt so dreist auftrumpfen durfte, deutet das auf ein Abnehmen von Senecas Macht? Die Ernennungen dieser Jahre deuten auf eine nunmehr aggressive Grenzpolitik: in Britannien wird ein Mann zum Legaten bestellt, Q. Veranius, der Gebietserweiterungen im Sinn trug (Tac. 14,29,1), danach C. Suetonius Paullinus, der solche in die Tat umsetzte (Tac. 14,31). Und das führte zum Aufstand. Man führt für ihn gewöhnlich als Ursachen Übergriffe römischer Beamten (Tac. 14,31) und plötzliche Darlehensrückforderungen an (Cass. Dio 62,2,1), und zwar des Kaisers Claudius und Senecas (40 Millionen Sesterzien, also eigentlich kein allzu hoher Betrag). Es müssen aber Jahre dazwischen gelegen haben; allein diese Tatsache stimmt bedenklich, und hinzu kommt, daß Seneca offenbar (§ 40 Ende) auf Ruhe in Britannien und auf Wahrung der Grenzen im Sinne eines Augustus und Tiberius bedacht war – sollte er da wirklich den britannischen Häuptlingen Gelder zu hohen Zinsen geliehen und bald wieder zurückgefordert haben (Zweifel bei Grimal 109)? Oder forderte er sie erst dann zurück, als sich der Sturm bereits abzeichnete, und mit ihm der Verlust des Kapitals?

§ 45 Um weiter von der Finanzpolitik zu reden: war es Seneca, oder: auch Seneca, der dem Kaiser den Plan ausredete, sämtliche Zölle und indirekte Steuern aufzuheben (Tac. 13,50,1ff.)? Die Klagen über die Eintreibungspraktiken mochten sehr berechtigt sein, und sie waren unüberhörbar. War es eine bloße Aufwallung des Kaisers, mit einem Federstrich und unter Hinnahme schwerer Verluste im Staatseinkommen Ruhe schaffen zu wollen? Daran dachten Vittinghof (Anm. 57) und Griffin (123). Grimal 117ff. vermutet dagegen die Hand des Burrus und Seneca hinter diesen Reformplänen. Sie hätten ein Fünftel der Staatseinkünfte gekostet (Grimal 117), hätten eine beträchtliche Erhöhung der direkten Steuern nach sich gezogen. Grimal dachte daran, daß man derlei Gedanken aussprach, um den Protest hervorzulocken, diesen dann scheinbar ernst zu nehmen, auf daß die Gegenpartei (die Senatoren) dann zu einer Kompromißlösung bereit gewesen wäre – eine Ansicht, die an und für sich möglich, aber in den Texten durch nichts an die Hand gegeben ist. Man wird vielmehr doch wohl nur an eine Aufwallung während der langjährigen Diskussion der Zölle und indirekten Steuern denken; vielleicht wollte der Kaiser nur einen Prozeß schon jetzt und mit einer Blitzaktion zu Ende bringen, der seit langem spürbar war. Es kam noch zu keiner durchgreifenden Reform; sie kam erst später. „Die Zentralisierung der gesamten Finanzwirtschaft und der Ausbau einer staatlichen kaiserlichen Kontrollverwaltung legte … in der 2. Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr. den Gedanken nahe, wenigstens in den großen Zollgebieten die portoria … verantwortlichen Einzelpächtern … zu überlassen.“57 Immerhin kam es schon in jenen neronischen Tagen zu Maßnahmen von begrenzter Reichweite, denn Rom war immer „geneigt, ohne Verwaltungsschematisierung, sich den jeweiligen Verhältnissen und Notwendigkeiten anzupassen“ (Vittinghoff 384,51ff.). Soweit man erkennen kann, befand sich das Steuerwesen seit Augustus in einer Änderungsbewegung, die in neronischer Zeit schmerzlich fühlbar wurde und einige Maßnahmen erzwang, aber noch keine Reform (sie wurde erst später, und dann ruckartig beschleunigt eingeführt) – war es Senecas Hand, oder wenigstens: auch seine Hand, die jene Aufwallung des Kaisers bremste?

§ 46 Gewiß aber war es seine Hand, die für gerechte und relativ milde Urteile sorgte (RE, Suppl. 3,372,28ff.; 373,22; 374,19ff.), wenn man auch nicht hört, daß er scharf und öffentlich gegen jenes Bluturteil (§ 41) protestiert habe, so wie etwa Thrasea Paetus es getan hatte (Anm. 55). Ganz anders ging da sein Nachfolger Tigellinus zu Werke, und mit ihm die neue Frau des Kaisers, Poppaea Sabina58: eine Serie von Tötungen begann, die neuen Mächte fingen zu wüten an (RE a. O. 379,60ff.). Das war möglich geworden, als Afranius Burrus krank wurde und dann qualvoll starb: mors Burri infregit Senecae potentiam (Tac. 14,52,1 zum J. 62; Griffin, Nero 81).

§ 47 Tacitus berichtet, wie Seneca jetzt um seinen „Abschied“ einkam (14,53–6), zumal mancherlei Leute gegen ihn hetzten: er wolle mit des Kaisers Pracht konkurrieren, mit seinem Dichten, bemühe sich um Popularität. Die letztgenannte Verleumdung hatte wohl einen realen Grund: Senecas notorische Freigebigkeit (s. dazu § 8; Griffin 292). Dieses Hetzen und die zunehmende Willkür des Monarchen waren es, die den alten Mann „müde“ werden ließen (Tac. 14,54,2; s. § 42). Schönrednerisch, doch auch politisch klug einen Eklat vermeidend (Griffin 149) lehnte Nero ab, Seneca dankte – Kaiseraudienzen enden immer mit einem Dank (ira 2,33,2 Ende) – und verbat sich hinfort alle Besuche. Er zeigte sich, wenn in Rom, von nun an ohne großes Gefolge: alle sollten sehen, daß er hinfort Privatmann sei: perculsus Seneca.59

§ 48 Dann brannte Rom. In der Nacht zum 19. Juli 64 wurde ein großer Teil der Stadt eingeäschert, Nero scheint an den Ort des Verderbens geeilt zu sein, scheint sinnvolle Maßnahmen angeordnet, dann aber auch befohlen zu haben, Tempel im Ausland auszuplündern, um die Mittel für den Wiederaufbau der Hauptstadt zu gewinnen (Tac. 15,45,3). Die Christensekte gab den erwünschten Sündenbock ab, Petrus und Paulus starben in diesen Tagen (RE Suppl. 3,382,22ff.; 383,17f.). Seneca erneuerte sein Abschiedsgesuch, erneut lehnte Nero ab, aber der Greis schützte nun Kraftlosigkeit vor – oder besser: er berief sich auf sie, und verließ seine Zimmer für eine längere Zeit nicht mehr (Griffin 93f.). Aeger nervis war er (ep. 122,6), nicht an einer „Neuralgie“ erkrankt (so Köstermann zu Tac. 15,45,3), sondern geschwächt an Muskeln und Sehnen (beides ist in nervus enthalten), wollte er für immer auf dem Land bleiben, oder doch wenigstens eine „lange Zeit“ (Tac. a. O. § 3 Anf.). Nero erlaubte ihm nicht, sich zu entfernen. So wohnte der alte Mann in seinen Zimmern, lebte von einer natürlichen, schmalen Diät – und schrieb ein großes Werk nach dem anderen. Er rang sie dem geschwächten Körper mit unerhörter Energie und Selbstüberwindung ab: „Es ist mir nicht verborgen, wie großer Dinge Fundamente ich lege, und dies als Greis, wenn ich beschließe, das All zu durchwandern, seine geheimnisvollen Wirkungen zu ergründen und das alles auch anderen zur Kenntnis zu bringen … Jetzt bin ich zu einem ernsten, schweren, unermeßlichen Tun aufgebrochen, und dies schon nach den Stunden des Mittags“ (n.q. 3, praef. 1 und 3). Sieben Bücher Naturkunde, mindestens zweiundzwanzig Bücher Briefe, und im Geiste konzipiert der Greis ein systematisches Werk über die „Moralphilosophie“. Alles Äußerliche fiel nun ab, der Körper begann sich zu versagen, der Geist blühte, endlich frei geworden, auf zu seiner letzten, zu seiner reichsten Tracht.

§ 49 Sollte Seneca Kaiser werden? Eine nicht geringe Anzahl hochgestellter Personen, Männer und Frauen, hatten beschlossen, den Wahnsinnigen fortzuräumen (Tac. 14,65,1). Das Haupt der Verschwörung war C. Calpurnius Piso (RE 3,1377,50ff.; Nr. 65), man wollte ihn zum Prinzeps erheben, einige aber dachten an Seneca (Tac. 15,65). Als man am 19.4.65 losschlagen wollte (RE 3,1378,36), befand Seneca sich „wissentlich oder zufällig“60 auf einem seiner Landgüter nur 6 km vor der Stadt, von einer Reise heimgekommen. Und seine Antwort auf Pisos Ersuchen, ihn sprechen zu dürfen, muß man bei aller vorsichtigen Rätselhaftigkeit – „Fällst du, falle ich auch“ ist ihr Sinn (Tac. 15,60,3) – doch wohl als Bescheidwissen auslegen. Diese Antwort wurde dem Kaiser hinterbracht, der ließ durch einen Tribunen bei Seneca nachfragen, Seneca gab unerschüttert zu, sie erteilt zu haben, und als der Tyrann erfuhr, daß sein ehemaliger amicus principis keinerlei Anstalten traf, sich selbst zu töten, fühlte er sich provoziert und hieß den Tribunen, Seneca die Selbstentleibung zu befehlen im Namen des Kaisers. Das alles war Nero ja hochwillkommen (Tac. 60,2). Der Tribun aber, womöglich schämte er sich, gehörte er doch selber zu den Mitwissern (s. Anm. 13), der schickte einen Zenturio. Später nahm er sich das Leben (Tac. 15,71,2), Köstermann (S. 300 unt.) wertet dies, vielleicht zu Recht, als einen Rest von Ehrgefühl.

§ 50 Seneca muß derlei seit langem vorausgesehen haben, denn seit längerer Zeit führte er Schierling bei sich (Tac. 15,64,3). Als dann der Zenturio seinen Auftrag sagte, wollte Seneca sein Testament holen lassen, um es zugunsten der zwei anwesenden Freunde durch Zusätze zu erweitern (Tac. 62,1; Köstermann 301), der Zenturio aber verwehrte dies. Köstermann vermutet, daß der Mann um des Kaisers Finanznöte wußte und darum vermeiden wollte, daß Geld der kaiserlichen Kasse entginge – doch wohl eine Überforderung des Zenturionenhorizontes, falls er nicht (wie ebenfalls Köstermann erwog) Instruktionen hatte; oder wollte der Mann nur Zeit sparen? Oder war Seneca die freie Wahl der Todesart verwehrt worden (zu ihr R. Hirzel, Der Selbstmord [1908], Darmstadt 1967, 34)? Kurzum, es blieb dem Philosophen nur das den Freunden zu vermachen, was er sein jetzt einziges, aber auch schönstes Besitztum nannte, „das Bild seines Lebens“.61 Er verwehrt ihnen die Tränen, weist velut in commune (63,1) auf Neros saevitia, von der solches ja zu erwarten gewesen, und wendet sich nun zu seiner Frau Paulina.62 Sie möge nicht zu lange trauern, vielmehr sich seines Lebens erinnernd daraus den rechten Trost schöpfen. Paulina aber will mit ihm zusammen sterben, und er akzeptiert: sie werde Ruhm ernten, wenn sie ohne Not, nur aus Treue stürbe; auch dachte er in fürsorglicher Liebe (amore, Tac.) an mögliche Repressalien auch nach seinem Ableben. So rühmte er das decus ihres Entschlusses, der den seinen (unumgänglichen) an claritudo übertreffe. Darauf „öffnen sie die Arme in demselben Augenblick“ (Tac. 63,2 Ende; d.h., sie lassen sich die Adern öffnen, vgl. percussor 63,1: vielleicht ein berufsmäßiger Aderschneider oder irgendeiner, der ihnen diesen Dienst erwies, vielleicht der Freund: 64,3).

Senecas Blutverlust ist zu gering, ist er doch alt und durch allzu spärliche Ernährung entkräftet. So öffnet er sich Adern in Kniekehlen und Unterschenkeln bzw. läßt sie sich aufschneiden (63,3; vgl. 14,64,2). Die Schmerzen sind groß, er will der Frau den Anblick ersparen, schickt sie in ein Nebengemach, das einsamere Sterben beginnt. Nach ihrer „Aristie“ nun die seine. Er ruft, obschon vom Schmerz gepeinigt, Schreiber, seine Eloquenz läßt ihn nicht einmal jetzt im Stich (so Tacitus), hält eine längere Ansprache, die zur Zeit des Tacitus noch zu lesen war (63,3 Ende; Cass. Dio a.O. 25,2; Lausberg ANRW 36,3; 1950ff.). Man fühlt sich an Sokrates erinnert (s. Anm. 11f.).

§ 51 Nero, auf dem laufenden gehalten (das Sterben geschah also unter Beobachtung, der Zenturio war zugegen und hatte Melder zur Verfügung), verhindert Paulinas Tod; Seneca aber konnte nicht sterben, und so ließ er den „seit längerem vorbereiteten“ Schierling kommen, „mittels dessen in Athen die Verurteilten getötet werden“ (64,3; Griffin 369) – umsonst, sein Körper war „zu kalt“ und nahm das Gift nicht auf. So trat er denn in eine Warmwasserwanne, um die Blutzirkulation anzuregen, und benetzte dabei (Part. Praes.) die „ihm nächsten der Sklaven“ (kaum nur räumlich zu verstehen), wobei er eine vox (kurzer Ausruf, zu mehr war er nicht mehr fähig) „hinzutat“: er weihe das Naß dem Juppiter liberator, dem „Befreier“.63 Tacitus beschreibt die Leiden dessen, der da den raschen Tod suchte und nicht fand, nun nicht weiter, er sagt nur in kurzen, gehetzten Worten, er sei ins Bad gebracht und mit dem Brasen (vapor; vgl. 14,64,3; 15,69,3) getötet worden. Bisher erzählt Tacitus so, daß er Seneca aktive Verba gab; hier aber steht das Passiv: „er wurde ins Bad gebracht und getötet“ – war den Schergen die Zeit zu lang geworden? Hatte ihm das lebenslang nicht von ihm gewichene Asthma am Ende noch einen letzten Dienst erwiesen, indem es die Erstickung beschleunigte? „Das Begräbnis war bescheiden“, so endet der Bericht des Tacitus.

§ 52 Man hat immer schon die Parallele zu Sokrates’ Sterben, wie Plato es im ›Phaedo‹ berichtet, bemüht.64 Der Schierling, die Rede vor dem Tode, das Opfer – aber da ist denn doch ein schweres Bedenken: wollte Seneca sterben wie Sokrates, warum begann er dann mit der Öffnung von Adern? Also ganz anders als Sokrates? Wäre dies voll gelungen, wäre keine Gelegenheit mehr für den Gifttrunk gewesen. Dieses, zuvor m. W. allein von Döring 39 geäußerte (aber nicht behobene) Bedenken würde verschwinden, wenn man annähme, Nero habe Seneca wie einen bereits Verurteilten behandelt und die Todesart selber befohlen, d.h., Seneca habe nicht die Gelegenheit zu einem sanfteren Sterben (zum Gifttod RE Suppl. 8,707,27ff.) gehabt; und am Ende scheint man keine Geduld mehr gehabt zu haben: als die Warmwasserwanne nicht half, wurde Seneca wie ein Stück Vieh abgeschleppt und umgebracht (ich erinnere an die Passiva, alle von mir konsultierten Kommentare und Übersetzungen lassen dies auf Senecas Anordnung hin geschehen). Kurzum: die Ansicht ist zumindest nicht unwahrscheinlich, daß Seneca ein rascher und möglichst sicherer Tod (vgl. Tac. ann. 16,17,5) befohlen ward und daß er, als dieser nicht gelingen wollte, den Schierling kommen ließ als Nachhilfsmittel, zur Beschleunigung und um das Grausamste sich zu ersparen, den Schwertstreich oder das Ersticktwerden. Und doch sollte ihm auch dies nicht erlassen werden. So wurde aus seinem Sterben kein sanfter Tod, sondern ein catonisch grausames Schlachten.

§ 53 Sollte nicht aber in jedem Falle Seneca nur nach des Schriftstellers Willen viel grausamer, also auch viel tapferer sterben als der Grieche? Wie es wirklich war, dürfte nicht mehr erkennbar sein, wenn man nicht sagt: Tacitus konnte, da seine Quelle(n) ja noch lesbar waren, kaum die Szene sehr stark verändert haben; also starb Seneca so oder doch fast so, wie Tacitus es berichtet. Sehr klar erkennbar aber ist Tacitus’ Ziel: Vorbilder zu beschreiben, Beispiele tapfersten Sterbens, hier wie im Falle Thraseas (auch dort ist ja die Rede von exempla: 15,63,1); und zugleich bittere Anklage zu erheben gegen die Blutherrschaft des Kaisers: sequitur caedes (!) Annaei Senecae, laetissima principi, Tac. ann. 15,60,2.

57 F. Vittinghoff, RE 22,384,28ff.; 385,47ff.; das Zitat 387,35ff.

58 Zu Claudia Poppea s. RE 22, 85, 87ff. Sie war in erster Ehe mit Otho (dem späteren Kaiser) verheiratet, im J. 58 wurde sie Neros Geliebte, im J. 62 seine Frau, nachdem er seine erste Frau Octavia hatte töten lassen. Poppea starb 63, als der Kaiser ihr, hochschwanger, so heftig in den Leib trat, daß sie eine tödliche Fehlgeburt erlitt.

59 Tac. 14,57,1; Griffin 95 macht zu Recht darauf aufmerksam, daß Seneca, hätte er noch Einfluß gehabt, niemals einen Tigellin hätte so hoch kommen lassen.

60 Tac. 15,60,4; daß Seneca gar Rädelsführer gewesen, wie Cassius Dio 62,24,1 behauptet, ist unwahrscheinlich: P. Grimal, Seneca, 169; K. Abel, Seneca, (ANRW) 3,2; 698; Griffin, Seneca 367. Des Tacitus Bericht von Senecas Tod habe ich genau untersucht im „Gymnasium“ 1990.

61 Vgl. oben § 1. – Der Text 15,62,1 ist nicht eindeutig überliefert; Seneca verhieß den Freunden gemäß der Überlieferung bonarum artium famam tam constantis amicitiae laturos, was nicht richtig sein kann, auch wenn es zuweilen mit dem Hinweis darauf verteidigt wird, daß laturos in absoluter Verwendung „Frucht tragen“ heißen könne (Köstermann 301 unten), denn die Freunde tragen ja nicht „Frucht“. Man dachte an bonarum artium famam, tum (im Sinne von „dann auch“, preaterea, wie Muretus vorschlug) constantis amicitiae („Ruhm gesitteter Lebensführung und auch einer unerschütterlichen Freundschaft“). Zu Senecas Auffassung von der Selbsttötung m. W. zuletzt N. Tadic-Gilloteaux, L’Antiqu. Class. 32, 1963, 541ff.; zum Tacitus-Kapitel auch R. Fabbri, Atti Ist. Ven. Sc. 137, 1978/9, 409ff.

62 Plin. n. h. 33,143; R. Syme [Anm.1] 536,542. Was Seneca ihr rät, deckt sich mit seinen Gedanken in der Trostschrift ad Marciam 23,3ff. Tacitus kannte Senecas Schriften gut: M. Zimmermann, De Tacito Senecae Philosophi Imitatore, Diss. Breslau 1889, z.B. 38.

63 Wörtlich gleich Thrasea Paetus bei Tac. ann. 16,35,2. – Augustus hatte den Tempel für Juppiter Liber auf dem Aventin restauriert (RE 10,1132,15ff.; G. Radke, Zur Entwicklung der Gottesvorstellung und Gottesverehrung in Rom, 1987, 221f.), doch auch Juppiter Liberator ist ein bezeugter Name (Nero-Münzen, einmal inschriftlich: Köstermann 308), wenn auch offenbar nicht der geläufige; gleich, ob Tacitus eine (sinnvolle) Namensvariation in Senecas Mund legt oder ob er liberator gleichsam klein gedruckt als Angabe dessen verwendet, was der Leidende sich erhoffte – der Gedanke ist klar und einfach (zu Juppiter Liber s. F. Bömer, Untersuchungen über die Religion der Sklaven in Griechenland und Rom, Bd. l [Mainz 1957], 110ff., 117ff., bes. in der 2. Aufl. 217 über Juppiter Libertas); Bömer äußerte in einem Gespräch die Ansicht, man könne gewiß auch an eine Doppeldeutigkeit denken, daß nämlich Seneca sich die Befreiung vom Leiden erhoffe, den „ihm nächsten“ (liebsten) Sklaven zugleich die Freiheit schenke. Dann wäre im Tode die Gleichheit der Menschen vor dem Geschicke sichtbar geworden (vgl. Senecas ep. 47). Denn warum sonst hätte er die, und gerade diese Sklaven besprengt? Nur erwähnt, nicht kommentiert sei, dass Boccaccio (der Seneca naturgemäß für einen verkappten Christen hielt: G. M. Ross in: Seneca, ed. C.D.N. Costa, London 1974, 142, Anm. 151) den Befreier Juppiter als eine Anspielung auf Christus auffaßte.

64 Sokrates hieß die Freunde, dem Heilgott Asklepios einen Hahn opfern (Phdo. 118 a); Tacitus läßt Seneca zugleich eine Liebestat vollbringen, und zwar, seiner Epistel 47 gemäß, an den Sklaven (s. Anm. 63). Daß Sokrates dem Gotte der Gesundheit opfern ließ, erklärt sich daraus, daß er unentwegt von der „Gesundheit der Seele“ sprach (H.-D. Voigtländer, Rh. Mus. 132, 1989, 39, Anm. 58). Zum exemplum Socratis allgemein s. Sherwin-White zu Plin. ep. 1,10,2; K. Döring, Hermes Einzelschr. 42, 1979; I. Opelt, in: Der Mensch in Grenzsituationen, Stuttgart 1984, 29ff. Die Parallelität kannte noch das 2. Jh. nach Chr., wie die Doppelherme in Berlin bezeugt; sie war der Renaissance geläufig: G. Manetti, Vita Socratis et Senecae (1450); G. Sommariva, Quad. Foggia 4, 1984, 23/31.

Seneca

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