Читать книгу Ausgewählte Reden - Gregor von Nyssa - Страница 15
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ОглавлениеDenn wenn wir in ihm leben und uns bewegen und sind, wie der Apostel sagt,14 so ist es nicht möglich, von Dem, der Alles umfaßt, Die örtlich zu trennen, welche von ihm umfaßt werden, so daß er entweder jetzt bei Denen nicht ist, die er umfaßt, oder man erwarten müßte, daß er später einmal bei ihnen sein werde. Zudem, was für einen Sitz hat das Körperlose und wie erscheint das Unsichtbare und was für eine Gestalt hat das Formlose? Und wie kann, der nicht umfaßt werden kann, auf dem Throne in Grenzen eingeschlossen werden? Alles Derartige will ich, als für den gegenwärtigen Augenblick zu schwierig, übergehen. Ich will vielmehr nach Kräften meine Rede auf Das richten, was dem gemeinsamen Nutzen dient, daß wir nämlich nicht unter die Verworfenen verstoßen werden. Denn gar sehr, o Brüder, gar sehr bin ich von der Drohung erschüttert, und ich stelle den aufgeregten Zustand meiner Seele nicht in Abrede. Ich wünschte aber, daß auch ihr der Furcht euch nicht entschlagen möchtet. Denn selig ist, wer bedächtig Alles fürchtet.15 Wer aber eine Sache gering achtet, wird von ihr gering geachtet werden,16 sagt irgendwo das Wort der Weisheit. Wollen wir also, bevor wir von den Übeln getroffen werden, Sorge tragen, daß uns nichts Trauriges begegnet. Wie aber werden wir vom Schrecklichen befreit? Indem wir einen solchen Lebensweg einschlagen, wie ihn uns soeben das Wort gezeigt hat, der in der That neu ist und lebt (Hebr. 10, 20).
Und was ist das für ein Weg? „Ich war hungrig, ich war durstig, ich war fremd, ich war nackt und krank und im Gefängniß. Alles, was ihr Einem von diesen Kleinsten gethan habt, habt ihr mir gethan.“17 Und deßhalb sagt er: „Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters!“ Was lernen wir daraus? Daß die sorgfältige Beobachtung der Gebote Segen ist, Fluch aber die Vernachläßigung der Gebote. Wollen wir nach dem Segen suchen, vor dem Fluche fliehen! Denn es steht in unserer Macht, nach Belieben das Eine oder Andere zu wählen oder nicht zu wählen. Denn wohin unser Wille neigt, da werden wir sein. Also wollen wir den Herrn des Segens, der, was wir den Armen thun, auf sich bezieht, gewinnen und zumeist jetzt, da im gegenwärtigen Leben sich für das Gebot viel Stoff darbietet und Vielen das Nothwendige, Vielen sogar der Körper selbst mangelt, da sie durch eine bösartige Krankheit aufgerieben worden sind.
Wir wollen also, indem wir Diesen beispringen, der guten Verheissung uns theilhaftig machen. Ich kann damit offenbar nur Die im Auge haben, welche von einer schweren Krankheit hart mitgenommen worden sind. Je größer nämlich ihre Krankheit ist, um so größer ist offenbar der Segen für Die, welche das mühevolle Gebot erfüllen. Was sollen wir also thun? Der Anordnung des Geistes nicht widerstreben. Diese besteht darin, daß wir uns gegen Die, welche an unserer Natur Antheil haben, nicht fremd zeigen und es nicht wie Jene machen, die im Evangelium getadelt werden, nämlich wie der Priester und Levit, die ohne Mitleid an Dem vorübereilen, welcher der Barmherzigkeit bedarf, von dem erzählt wird, daß die Räuber ihn halbtodt liegen ließen. Denn wenn Jene als schuldbeladen erscheinen, weil sie sich um die Wunden nicht kümmern, die am nackten Körper aufschwellen, wie sind wir der Rechenschaft überhoben, wenn wir die Schuldbeladenen nachahmen? Und bot etwa, der unter die Räuber fiel, ein so schlimmes Schauspiel, als wir es an Denen wahrnehmen, die von einer Krankheit ergriffen sind? Du siehst einen Menschen in Folge bösartiger Krankheit in die Gestalt eines vierfüßigen Thieres umgewandelt, indem er als Klauen und Krallen Holzstücke mit den Händen erfaßt und eine ungewöhnliche Spur in die menschlichen Wege eindrückt. Wer könnte aus der Spur erkennen, daß ein Mensch solche Figuren in den Weg eindrückte? Ein Mensch von aufrechter Gestalt, der zum Himmel emporschaut, der die Hände von der Natur besitzt, um damit zu arbeiten, beugt sich zur Erde nieder und wird vierfüßig und wird beinah zum unvernünftigen Wesen. Mit schwerem und keuchendem Athem stöhnt er mit Anstrengung aus dem Innern seines Herzens hervor, und er ist dabei, wenn man sich kühn ausdrücken soll, selbst elender als die unvernünftigen Thiere. Denn diese bewahren gewöhnlich von ihrer Geburt an durch das ganze Leben ihren eigenthümlichen Zustand, und keines von ihnen wird durch irgend ein ähnliches Mißgeschick in irgend einen andern Zustand umgeschaffen. Dieser aber erscheint, wie wenn sich seine Natur umgewandelt hätte, als etwas Anderes und nicht als das gewöhnliche lebende Wesen.
Die Hände versehen ihm den Dienst der Füße, die Kniee vertreten die Stelle der Fußsohlen. Die natürlichen Fußsohlen aber und die Knöchel sind entweder ganz verschwunden oder sind wie Schleppschiffe lose angebunden und werden, wie es gerade trifft, mit fortgezogen. Wenn du nun den Menschen in solcher Lage siehst, rührt die Verwandtschaft des Geschlechtes nicht dein Herz? Hast du kein Erbarmen mit dem Stammgenossen? Hast du einen Abscheu vor dem Mißgeschick, und ist dir der Flehende zuwider, und vermeidest du seine Nähe wie den Angriff eines wilden Thieres? Aber du solltest doch vernünftiger Weise überlegen, daß mit dir, der du ein Mensch bist, ein Engel in Berührung tritt und, obschon er ohne Leib und Materie ist, dich, der du aus Fleisch und Blut gemischt bist, nicht verabscheut. Was rede ich aber von den Engeln? Der Herr der Engel selbst, der König der himmlischen Seligkeit, ist deinetwegen Mensch geworden und hat dieses übelriechende und schmutzige Fleisch mit der in ihm eingeschlossenen Seele angezogen, um deine krankhaften Zustände durch seine Berührung zu heilen. Du aber bist der Natur nach der Nämliche wie der Kranke und fliehst vor Dem, der mit dir gleichen Geschlechtes ist. Nicht, o Bruder, nicht sollst du einen bösen Entschluß fassen. Erkenne, wer du bist, und über wen du dich entschließest, über einen Menschen als Mensch, der du ausser der gemeinsamen Natur in dir nichts Besonderes besitzest. Greif der Zukunft nicht vor! Denn indem du das Leiden verurtheilst, das bisher in einem fremden Körper erschien, sprichst du dich ohne Unterschied gegen die ganze Natur aus. Aber auch du nimmst wie Alle Antheil an der Natur. Es soll daher wie von einer gemeinsamen Sache die Rede sein.