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ОглавлениеWie nun? Ist Das alles genug, um nicht gegen das Gesetz der Natur zu sündigen, daß man nämlich bloß eine ergreifende Schilderung der Leiden der Natur macht und die Krankheit in der Rede ausschmückt und bei der Erinnerung seinem Schmerze Ausdruck gibt? Oder ist auch irgend ein Werk nothwendig, das gegen diese unser Mitgefühl und unsere gegenseitige Liebe kundgibt? Fürwahr, was die Zeichnungen den wirklichen Gegenständen gegenüber sind, das sind die Reden in ihrer Trennung von den Werken. Denn der Herr sagt, daß die Rettung nicht im Reden liege, sondern darin, daß man die Werke der Rettung vollbringe.18 Wir müssen daher das Gebot in Betreff Dieser erfüllen. Denn es möge ja Niemand Dieß sagen, daß es genügt, irgendwo fern von unserm Leben in der Zurückgezogenheit in irgend einem entfernten Winkel ihnen die Nahrung zu reichen. Denn eine solche Ansicht trägt nicht das Gepräge von irgend welchem Mitleid und Erbarmen an sich, sondern es ist ein beschönigender Vorwand, um die Menschen ganz aus unserem Umgang zu verbannen. Schämen wir uns dann nicht unseres Lebens, die wir Schweine und Hunde unter unser Dach nehmen? Selbst das Lager theilt der Jäger oft mit seinem Hunde. Selbst mit einem Kuß pflegt der Landmann das Kalb zu liebkosen. Ja, das will noch nicht viel sagen, sogar mit seinen eigenen Händen wäscht der Wanderer die Füße des Esels und legt Hand an und schafft den Unrath fort und trägt Sorge für das Lager, und Den, der mit uns gleichen Geschlechtes und Stammes ist, sollten wir weniger ehren als selbst die unvernünftigen Thiere? Nicht doch, Brüder, nicht doch, nicht soll dieser Urtheilsspruch über die Menschen seine Bestätigung finden! Wir dürfen nicht vergessen, wer wir sind, und über wen wir zu Rathe gehen, über Menschen als Menschen, die wir ausser der gemeinsamen Natur nichts Besonderes haben.* Einen* Eingang in’s Leben gibt es für Alle,* eine* Weise des Lebens für Alle, Speise und Trank; die Lebensthätigkeit ist gleichartig, die Einrichtung der Leiber ist ein und dieselbe und ein und derselbe der Ausgang aus dem Leben.
Alles Zusammengesetzte fällt der Auflösung anheim. Alles, was sich durch Zusammensetzung gebildet hat, geht der Auflösung entgegen. Wenn unser Leib den Geist kurze Zeit umschlossen hat, dann erlöschen wir wie eine Wasserblase und lassen keine Spur dieses vorübergehenden aufgeblasenen Dunstes im Leben zurück. Säulen, Steine und Inschriften erhalten unser Andenken, und auch diese dauern nicht ewig. Wenn du also Dieß in Betreff deiner Person bedenkest, so sei nicht hohen Sinnes, sondern fürchte dich,19 wie der Apostel sagt. Es ist ungewiß, ob du nicht gegen dich selbst Hartherzigkeit vorschreibst. Du fliehest, nicht wahr, vor dem Kranken? Was kannst du ihm vorwerfen? Daß die Feuchtigkeit in ihm verdorben und ein gewisser eiternder Saft in das Blut gemischt ist, weil die schwarze Galle sich in die Feuchtigkeit ausgegossen hat? Denn so kann man die Ärzte sich äussern hören, welche die Natur der Krankheiten erklären. Was für ein Unrecht begeht also der Mensch, wenn die Natur eine schwankende und unbeständige Substanz ist und in diese Gattung der Krankheit fällt? Siehst du nicht auch an den gesunden Körpern, daß, wer im Übrigen sich wohl befindet, von einer Entzündung oder einem Geschwüre oder einem ähnlichen Leiden ergriffen wird, indem an einem Theile die Feuchtigkeit über Gebühr sich erhitzt und deßhalb Entzündung, Röthe und eiternde Fäulniß eintritt? Wie nun? Führen wir etwa Krieg mit dem kranken Theile des Fleisches? Gerade im Gegentheil wenden wir Alles, was am Körper gesund ist, zur Heilung des kranken Theiles an. Die Krankheit ist also nicht zu verabscheuen. Denn es würde sonst auch an uns selbst, wenn ein Theil krank ist, der gesunde Theil vor der Pflege des kranken zurückschrecken. Was ist aber die Ursache, die uns von solchen Menschen zurückhält? Was ist es? Daß wir die Drohung Desjenigen nicht fürchten, welcher sagt: „Weichet von mir in’s ewige Feuer;20 denn Alles, was ihr Einem aus Diesen nicht gethan habt, das habt ihr auch mir nicht gethan.“21 Denn wenn sie glauben würden, daß sich Das so verhalte, so hätten sie gegen die Kranken keine solche Gesinnung, daß sie dieselben von sich stoßen und die Sorge für die Unglücklichen für eine Befleckung ihres Lebens halten.
Wenn wir also Den, der Das angekündigt hat, für glaubwürdig halten, so müssen wir wohl die Gebote erfüllen, ohne welche unsere Hoffnungen nicht befriedigt werden können. Fremd und nackt und nahrungsbedürftig, krank und gefangen und Alles ist er dir, was im Evangelium ausgesprochen ist. Irrend und nackt geht er umher, nackt und am Nöthigen Mangel leidend wegen der mit der Krankheit verbundenen Armuth. Denn wer weder von Hause aus Etwas hat noch um Lohn dienen kann, dem muß es notwendig an den Mitteln zum Leben fehlen, indem ihn wie einen Gefangenen die Krankheit fesselt. Du kannst also die ganze Fülle der Gebote an Diesem erfüllen, und der Herr aller Dinge selbst wird dein Schuldner, wenn du Diesem einen Liebesdienst erweisest. Warum bist du also eifersüchtig auf dein eigenes Leben? Denn den Gott aller Dinge nicht zum Genossen haben wollen, heißt nichts Anderes, als in gewisser Weise gegen sich selbst sich hart zeigen. Wie er nämlich durch das Gebot in unsere Wohnung eingeführt wird, so wird er durch Hartherzigkeit abgestoßen. „Nehmet mein Joch,“ sagt er, „auf euch!“22 Joch aber nennt er die Erfüllung der Gebote. Wollen wir dem Befehle gehorchen und ein Lastthier Christi werden, indem wir mit den Riemen der Liebe uns an’s Joch binden. Wollen wir dieses Joch nicht abschütteln, es ist süß, es ist leicht.23 Es drückt nicht den Nacken Desjenigen, der es auf sich nimmt, sondern berührt ihn sanft. „Laßt uns in Segnungen säen,“ sagt Paulus, „damit wir auch in Segnungen ernten.“24 Eine reiche Ähre wird aus dieser Saat emporsprossen. Groß ist das Saatfeld der Gebote des Herrn, hoch sind die Gewächse seines Segens.
Willst du erfahren, bis zu welcher Höhe die Gewächse zunehmen und emporwachsen? Sie reichen bis zur himmlischen Höhe selbst. Denn Alles, was du diesen thust, hinterlegst du als Frucht in die himmlischen Schatzkammern. Mißtraue den Aussprüchen nicht, halte die Freundschaft solcher Menschen nicht für geringfügig. Die Hand ist abgehauen, aber nicht, wenn sie helfen sollen; der Fuß ist gelähmt, aber es hindert ihn Nichts, zu Gott zu laufen. Das Auge ist verschwunden, aber durch die Seele sieht er die unsichtbaren Güter. Beachte also nicht die Mißgestalt des Körpers! Warte ein wenig, und du wirst sehen, was unglaublicher als irgend ein Wunder ist. Denn nicht Alles, was an der hinfälligen Natur geschehen ist, bleibt auch immer, sondern wenn die Seele von der Verbindung mit dem Vergänglichen und Irdischen sich losgemacht hat, dann glänzt sie in ihrer eigenen Schönheit. Ein Beweis hievon ist, daß nach diesem Leben jener üppige Reiche vor der Hand des Bettlers keinen Abscheu hatte, sondern bat, es möchte der damals in Verwesung übergegangene Finger des Bettlers ihm einen Tropfen Wasser zuführen, und daß er sich sogar sehnte, mit der Zunge die Feuchtigkeit am Finger des Bettlers abzulecken, wornach er sich gewiß nicht gesehnt haben würde, wenn er das Abstoßende des Körpers auch am Ausdruck der Seele wahrgenommen hätte. Wie viel wird wohl der Reiche bei der Veränderung des Lebens umsonst zurückgenommen, wie sehr wird er wohl den Armen wegen des Unglücks in diesem Leben selig gepriesen, wie sehr über sein Lebensloos sich beschwert haben, weil es zum Nachtheil der Seele mit Reichthum ausgestattet worden sei! Und wenn nun der Reiche von Neuem wieder hätte in’s Leben treten können, unter welchen Umständen würde er wieder gerne in’s Dasein getreten sein? In den glücklichen oder unglücklichen Verhältnissen dieses Lebens? Aber es tritt deutlich hervor, daß er das Loos der Unglücklichen vorgezogen hätte. Denn er bittet, daß Einer von den Todten seinen Brüdern Botschaft bringe, damit nicht auch sie, durch den Prunk des Reichthums geblendet, in der Verweichlichung des Fleisches in den nämlichen Abgrund der Hölle stürzen, wenn sie wegen der schlüpfrigen Lust ausgleiten.