Читать книгу Ausgewählte Reden - Gregor von Nyssa - Страница 20
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ОглавлениеDas Leben der tugendbeflissenen Menschen, die vernunftgemäß zu leben bestrebt sind, ist nach guten Gesetzen und Geboten eingerichtet. In diesen nun sieht man die Absicht des Gesetzgebers im Allgemeinen auf zwei Ziele gerichtet, eines, das die Untersagung der verbotenen Dinge in sich schließt, und ein zweites, das zur Ausübung des Guten anspornt. Denn man kann nicht anders ein wohl geregeltes und enthaltsames Leben führen, als daß man nach Kräften vor dem Laster flieht und so sehr als möglich nach Tugend strebt. Da wir uns also auch heute versammelt haben, um die Gebote Gottes zu vernehmen, so hörten wir auch den Propheten, wie er die schlimmen Kinder des ausgeliehenen Geldes, die Zinsen, tödtet und das Ausleihen des Geldes auf Gewinn aus der Welt schafft. Wollen wir nun folgsam die Ermahnung annehmen, damit wir nicht jener Felsgrund sind, auf den der Same fiel und trocken und ohne Frucht blieb,30 und damit nicht auch an uns die Worte ergehen, wie einst an das widerspenstige Israel: „Ihr werdet mit dem Gehöre hören und es nicht verstehen, und sehend sehen und es nicht wahrnehmen.“31
Ich bitte aber Die, welche mich hören werden, mich keineswegs der Vermessenheit oder des Wahnsinns zu beschuldigen, wenn, nachdem ein gelehrter Mann und berühmter Philosoph, der in aller Wissenschaft gründlich gebildet war, in dem nämlichen Gegenstand sich Beifall erworben und eine Rede gegen die Wucherer als einen Schatz in der Welt zurückgelassen hat, auch ich den nämlichen Kampfplatz betreten habe, indem ich mich eines Gespannes von Eseln oder Ochsen gegen sieggekrönte Pferde32 bediene. Denn es zeigt sich stets das Kleine neben dem Großen, der Schimmer des Mondes, wenn die Sonne scheint, und wenn das schwere Lastschiff dahinsegelt und durch das heftige Wehen der Winde fortbewegt wird, folgt hintennach der kleine Nachen, der über die nämliche Tiefe setzt, und wenn ferner Männer nach den Kampfregeln einen Wettkampf kämpfen, so ringen in der nämlichen Weise auch die Kinder. Das möge also meinem Unterfangen zur Entschuldigung dienen.
Du aber, an den die Rede gerichtet ist, wer du immer sein magst, verabscheue als Mensch den Krämergeist, liebe die Menschen und nicht das Geld, setze jetzt einmal der Sünde ein Ziel. Sprich zu den dir bisher so lieben Zinsen die Worte Johannes des Täufers: „Ihr Schlangenbrut, weichet von mir.“33 Ihr seid das Verderben Derer, die euch besitzen und in Empfang nehmen. Ihr ergötzet auf kurze Zeit, aber in späterer Zeit wird das euch entspringende Gift ein bitteres Verderben für die Seele. Ihr versperret den Weg des Lebens, verschließet die Thüren des Reiches, und nachdem ihr kurze Zeit die Augen ergötzt und die Ohren mit euerm Klange umtönt habt, bereitet ihr ewigen Schmerz. Mit diesen Worten nimm Abschied von Wucher und Zinsen, schließe dich der Liebe zu dem Armen an und wende dich von Dem nicht ab, der entlehnen will. Aus Armuth fleht er zu dir und belagert deine Thüren, in der Noth flüchtet er sich zu deinem Reichthum, damit du seinem Bedürfniß steuerst. Du aber thust das Gegentheil und wirst statt eines Helfers ihm zum Feinde, denn du hilfst ihm nicht, so daß er einerseits aus dem Drang der Noth gerettet und er dir anderseits das volle Kapital zurückzahlen würde. Vielmehr stürzest du den Bedrängten in Leiden, indem du den Nackten noch mehr ausziehest, dem Verwundeten weitere Wunden schlägst, Sorgen zu seinen Sorgen häufest und Schmerzen zu seinem Schmerze. Denn wer Geld auf Zinsen nimmt, empfängt ein Unterpfand der Armuth unter dem Scheine einer Wohlthat und bringt Verderben in sein Haus. Wie nämlich Der, welcher dem Fieberkranken, der vor Hitze brennt und vom heftigsten Durste gepeinigt wird, und nothgedrungen um Trank bittet, allerdings aus Menschlichkeit Wein reicht, auf kurze Zeit, da er den Becher schlürft, ihn wohl erfreut, nach Verlauf einiger Zeit aber dem Kranken ein zehnmal heftigeres Fieber zuzieht, in gleicher Weise hilft auch Der, welcher dem Armen von Armuth strotzendes Gold bietet, seiner Noth nicht ab, sondern vergrößert sein Unglück.
Führe also nicht ein menschenfeindliches Leben unter dem Scheine der Menschlichkeit, und sei nicht ein Arzt, der Menschen tödtet, indem du mit deinem Reichthum dir den Schein gibst, ihn zu retten, wie Jener mit seiner Kunst, und deine Lebensstellung zum Verderben Desjenigen ausnützest, der sich dir anvertraut hat. Unthätig und habsüchtig ist das Leben des Wucherers. Er kennt nicht die Mühe des Landbaues, nicht die Sorgen des Kaufmanns, an einer und derselben Stelle bleibt er ruhig sitzen und pflegt Bestien an seinem Herde. Er will, daß ihm Alles wachse, ohne daß er säet und pflügt. Pflug ist ihm die Feder, Ackerland das Papier, Same die Tinte, Regen die Zeit, die ihm im Stillen die Früchte des Geldes mehrt, Sichel ist ihm die Forderung, Tenne das Haus, in welchem er das Vermögen der Bedrängten kleiner machte. Er kümmert sich um die besonderen Verhältnisse Aller und wünscht den Menschen Noth und Unglück, damit sie zu ihm kommen müssen. Er haßt Die, welche selbst genug besitzen, und hält Die für Feinde, welche Nichts zu leihen nehmen. Er lauert vor den Gerichtshöfen, um den Bedrängten zu finden. Er folgt den Mahnern und Schuldeintreibern auf dem Fuße, gleich wie die Geier den Kriegsheeren und Schlachten. Er führt den Geldsack bei sich und zeigt Denen, welchen das Wasser an den Mund reicht, die Lockspeise, um sie zu fangen, damit sie, weil sie in Noth sind, aus Begierde nach derselben zugleich den Angelhacken der Verzinsung verschlingen. Täglich berechnet er den Gewinn und sein Verlangen bleibt unbefriedigt. Er ist ungehalten wegen des Geldes, das er zu Hause hinterlegt hat, weil es müßig und ohne Frucht da liegt. Er gleicht den Landbauern, die von den Getreidehaufen immer den Samen nehmen. Er läßt das armselige Gold nicht ruhen, sondern läßt es von Hand zu Hand wandern. Du siehst daher oft, daß der reiche und wohlhabende Mann nicht ein einziges gemünztes Geldstück in seinem Hause hat, sondern seine Hoffnungen in Papieren, sein Vermögen in Verträgen besitzt, so daß er Nichts hat und Alles besitzt, indem er ganz in verkehrter Weise nach der apostolischen Schriftstelle34 sein Leben einrichtet, Alles Denen gibt, welche bitten, nicht aus menschlicher Gesinnung, sondern aus Habsucht. Denn er wählt die vorübergehende Armuth, damit das Gold wie ein geplagter Sklave arbeite und mit Gewinn wieder zurückkehre. Du siehst, wie die Hoffnung auf die Zukunft das Haus leer macht und auf einige Zeit den Besitz des vielen Goldes entzieht? Was ist aber daran Schuld? Das beschriebene Papier, das Versprechen des Bedrängten: Ich werde es zurückgeben mit Gewinn, ich werde es zurückerstatten mit Zuwachs. Da rufe ich dir nun zu: Dem Schuldner, der unbemittelt ist, wird wegen des Schuldscheines Vertrauen geschenkt, aber der reiche Gott wird mit seiner Verheissung nicht gehört: Gib, und ich werde erstatten. Diesen lauten Ruf erhebt er und hat in den Evangelien ihn schriftlich niedergelegt, in einer dem Erdkreis gehörigen öffentlichen Handschrift, die von vier Evangelisten geschrieben wurde, statt von einem einzigen Kontraktschreiber, wofür alle Christen seit der Zeit des Heiles Zeugniß geben. Du hast zum Unterpfande das Paradies, eine Versicherung, die Zutrauen verdient. Suchst du aber auch hier Etwas, so ist die ganze Welt ein Besitzthum des rechtschaffenen Schuldners. Erkundige dich genau um die Wohlhabenheit Desjenigen, der die Wohlthat sucht, und du wirst seinen Reichthum wahrnehmen. Denn jede Goldgrube ist Besitzthum dieses Schuldners. Jedes Bergwerk von Silber und Erz und den übrigen Stoffen ist ein Theil seines Machtgebietes. Sieh nach dem großen Himmel, betrachte das unermeßliche Meer, erwäge die Ausdehnung der Erde, zähle die Thiere, die auf ihr leben. Das sind lauter Sklaven und Besitzungen Desjenigen, den Du, wie wenn er arm wäre, gering achtest. Sei vernünftig, o Mensch, verhöhne Gott nicht und halte ihn nicht einer geringeren Ehre würdig als die Geldwechsler, denen du gegen geleistete Bürgschaft unbedenklich Zutrauen schenkest. Gib einen Bürgen, der nicht stirbt. Traue einer unsichtbaren Handschrift, die sich nicht zerreissen läßt, frage nicht nach dem Gewinne, sondern spende die Wohlthat, ohne sie durch Mäcklerkünste zu entwerthen, und du wirst sehen, daß Gott sie dir reichlich erstatten wird.