Читать книгу Ausgewählte Reden - Gregor von Nyssa - Страница 21
3.
ОглавлениеBefremdet dich aber die auffallende Rede, so steht mir ein Zeugniß zu Gebote, daß Denen, die gottesfürchtiger Weise Aufwand machen und Wohlthaten spenden, Gott es vielfach wieder erstattet. Als nämlich Petrus ihn fragte und sprach: „Sieh, wir haben Alles verlassen und sind dir nachgefolgt. Was wird uns also zu Theil werden?“35 sagte er: „Wahrlich, ich sage euch, Jeder, der Häuser oder Brüder oder Schwestern oder Vater oder Mutter oder Weib oder Kinder oder Äcker verläßt, wird es hundertfach erhalten und das ewige Leben erben.“36 Siehst du die Freigebigkeit? Siehst du die Güte? Der gar schamlose Geldausleiher bemüht sich, das Kapital zu verdoppeln, Gott aber gibt aus eigenem Entschluß Dem, der seinen Bruder nicht drückt, das Hundertfache. Folge also dem Rathe Gottes, und du wirst Zinsen ohne Sünde empfangen. Warum doch quälst du dich mit Sorgen und sündigst, während du die Tage zählst, die Monate aufzeichnest, an das Kapital denkst, von der Zunahme träumst, den Termin mit Furcht erwartest, er möchte dir keinen Gewinn eintragen wie ein Schauerjahr. Es kümmert sich der Geldausleiher um Das, was der Schuldner treibt, um seine Reisen, seine Bewegungen, die Veränderungen seines Aufenthalts, seine Handelsgeschäfte, und wenn ihm irgend ein schlimmes Gerücht zu Ohren kommt, daß irgend Einer unter Räuber gefallen ist oder daß durch irgend einen Zufall seine Wohlhabenheit sich in Armuth umgewandelt hat, so sitzt er mit verschlungenen Händen da, seufzt unaufhörlich und vergießt viele Thränen, er entrollt die Handschrift, beweint in der Schrift das Gold, zieht den Kontrakt an sich wie das Kleid eines gestorbenen Sohnes. Mit diesem regt er das Leiden noch heftiger auf. Ist aber das Geld auf Schiffe ausgeliehen, so sitzt er an den Küsten, ist sorgenerfüllt wegen der Bewegungen der Winde, fragt beständig die Landenden, ob man nirgends von einem Schiffbruche vernommen habe, ob Niemand auf der See in Gefahr gerathen. Seine Seele verhärtet durch die Nachwirkungen der täglichen Sorge. So einem Menschen muß man nun sagen: Laß ab, o Mensch, von der gefährlichen Sorge, gib auf die verzehrende Hoffnung, damit du nicht, indem du dir Zinsen zu verschaffen suchst, das Kapital verlierst. Bei einem Armen suchst du Zinsen und Mehrung des Reichthums, und machst es ungefähr so, wie wenn Einer von einem Lande, das von der heissesten Dürre ausgetrocknet ist, einen großen Haufen Getreide gewinnen wollte, oder eine Menge Trauben von einem Weinstock nach einem Hagelwetter, oder die Geburt von Kindern aus einem unfruchtbaren Leibe, oder nährende Milch von Frauen, die nicht geboren haben. Niemand unternimmt etwas Naturwidriges und Unmögliches, denn ausserdem, daß er Nichts zuwege bringt, erntet er auch noch Spott. Der allmächtige Gott allein ist es, der aus verzweiflungsvollen Lagen Auswege findet und das Unverhoffte und Unerwartete ausführt, indem er jetzt aus einem Felsen eine Quelle fließen, dann wieder am Himmel ein ungewöhnliches ausserordentliches Brod regnen läßt, ferner das bittere Mara durch die Berührung des Holzes süß macht,37 den Leib der unfruchtbaren Elisabeth fruchtbar macht, der Anna den Samuel schenkt und der Maria den Erstgebornen in der Jungfrauschaft. Diese Thaten kann nur die allmächtige Hand verrichten.
Du nun suche keine Frucht von Erz und Gold, Stoffen, die nicht gebären, und zwinge nicht die Armuth, zu thun, was den Reichen zukommt, und nicht Den, der um das Kapital bittet, dein Geld zu vermehren. Oder weißt du etwa nicht, daß die Bewerbung um ein Anlehen eine verschämte Bitte um Barmherzigkeit ist. Deßwegen untersagt auch das Gesetz, die in die Frömmigkeit einleitende Schrift,38 überall die Zinsen. Wenn du deinem Bruder Geld leihest, so wirst du ihn nicht bedrücken. Die Gnade,39 die von der Quelle der Güte überströmt, schreibt die Nachlassung der Schulden vor, wo sie sich milde zeigt und sagt: „Und wenn ihr Denen leihet, von welchen ihr es wieder zu erhalten hoffet,“40 und anderswo, wo sie über den unbarmherzigen Knecht eine schwere Strafe verhängt, der von seinem Mitknechte, der ihm zu Füßen fiel, sich nicht erweichen ließ und ihm die geringe Schuld von hundert Zehnern nicht nachließ, da ihm doch zehntausend Talente waren nachgelassen worden. Unser Heiland und Lehrer in der Frömmigkeit aber, der seine Jünger eine einfache Gebetsformel lehrte, hat unter Anderm unter den Worten des Gebetes als Etwas, was Gott vorzugsweise zur Erhörung bewegen müsse und vor Allem ihn dazu vermöge, auch Folgendes angebracht: „Und vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.“ Wie wirst du nun beten, Zinsenhascher! Mit welchem Bewußtsein wirst du Gott um eine gute Gabe anflehen, der du Alles empfängst und Nichts zu geben weißt? Oder merkst du nicht, daß dein Gebet eine Erinnerung an deinen Menschenhaß ist? Was hast du verziehen, daß du um Verzeihung bittest? Gegen wen hast du Barmherzigkeit geübt, daß du den Barmherzigen anrufest? Oder wenn du auch Almosen gibst von deinen unmenschlichen Erpressungen, ist das in Folge fremden Unglücks nicht voll Thränen und Seufzern? Wüßte der Arme, aus welcher Quelle du ihm das Almosen spendest, er würde es nicht annehmen, weil er glauben würde, das Fleisch seiner Kameraden und das Blut seiner Kameraden zu genießen. Er würde an dich Worte voll weiser Freimüthigkeit richten: Nähre mich nicht, o Mensch, von den Thränen meiner Mitbrüder. Gib einem Armen nicht Brod, das von den Seufzern der Bettler kommt. Ersetze deinem Stammgenossen, was du von ihm ungerecht erpreßt hast, und ich werde dir dankbar sein. Welchen Nutzen gewährst du, wenn du Viele arm machst, einen Einzigen tröstest? Gäbe es nicht viele Wucherer, so gäbe es nicht viele Arme. Hebe deine Zunft auf und wir werden alle zur Genüge haben. Alle erheben Klage gegen die Wucherer und es gibt keine Heilung des Leidens, Gesetz, Propheten, Evangelisten. So spricht z. B. der göttliche Amos: „Höret, die ihr in der Frühe den Armen quälet und die Bettler auf der Erde drücket, die ihr saget: Wann wird der Monat zu Ende gehen und wir werden einkaufen?“41 Denn nicht haben die Väter eine solche Freude über die Geburt der Kinder, als sich die Wucherer freuen am Ende der Monate.
Sie geben der Sünde schöne Namen und nennen den Gewinn eine menschenfreundliche Handlung, wobei sie dem Beispiel der Hellenen folgen, die gewisse menschenfeindliche mordgierige Göttinnen statt mit dem wahren Namen Eumeniden nennen. Ja wohl, menschenfreundlich ist der Gewinn! Vernichtet denn die Zahlung der Zinsen nicht Häuser, zehrt den Reichthum auf und bewirkt, daß die angesehenen Leute schlechter als die Sklaven leben, indem das Entlehnte auf kurze Zeit im Anfang sie ergötzt und das spätere Leben ihnen verbittert? Wie sich nämlich die Vögel freuen, denen die Vogelsteller nachstellen, wenn ihnen Samenkörner ausgestreut werden, und wie sie an jenen Plätzen gerne und gewöhnlich sich aufhalten, an denen sie reichliche Nahrung bekommen, bald nachher aber in den Netzen gefangen werden und umkommen, ebenso verlieren Die, welche Geld auf Zinsen nehmen, nachdem sie kurze Zeit sich wohl befunden haben, später sogar ihren väterlichen Herd. Barmherzigkeit aber ist aus den gottlosen und habsüchtigen Seelen verbannt, und wenn sie selbst das Haus des Schuldners zum Kaufe ausgeboten sehen, lassen sie sich nicht erweichen, sondern suchen vielmehr den Verkauf zu beschleunigen, damit sie das Geld eher bekommen und einen andern Unglücklichen in die Fesseln des geliehenen Kapitals schlagen, gleichwie die eifrigen und unersättlichen Jäger, wenn sie ein Thal mit ihren Netzen umringt und alle Thiere in demselben gefangen haben, ihre Stangen wieder in der benachbarten Vertiefung aufstellen, und nach dieser wieder in einer andern, und zwar so lange, bis sie das Gebirge vom Wilde leer gemacht haben. Mit welchen Augen schaust du bei einem solchen Verhalten zum Himmel? Wie kannst du um Vergebung der Sünde beten? Oder sprichst du etwa aus Gedankenlosigkeit auch jene Bitte aus, die uns der Heiland gelehrt hat: Vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern? Wie Viele haben sich wegen der Zinsen erhängt und sich in die Flüsse gestürzt und haben den Tod für leichter erachtet als den Wucherer, und haben Kinder als Waisen hinterlassen, welche die Armuth als böse Stiefmutter hatten? Aber die trefflichen Zinsenhascher schonen nicht einmal das verödete Haus und schleppen die Erben fort, die vielleicht einen Strick zum Hängen geerbt haben, und fordern Geld von Denen, die ihr Brod durch milde Beiträge finden. Werden aber, wie es natürlich ist, wegen des Todes des Schuldners ihnen Vorwürfe gemacht, und redet Jemand zu ihrer Beschämung vom Strick, so schlagen sie wegen des Vorfalles die Augen nicht nieder, noch lassen sie sich erschüttern, sondern harten Sinnes führen sie unverschämte Reden: Ist Das wohl unserem Verhalten aufzubürden, wenn dieser Unglückliche und Unverständige, der unter einer unglücklichen Constellation geboren war, durch das unvermeidliche Verhängniß in den gewaltsamen Tod getrieben wurde? Denn die Zinsenhascher sind auch Philosophen und machen sich zu Jüngern der ägyptischen Sterndeuter, wenn sie wegen ihrer fluchwürdigen Handlungen und Mordthaten sich vertheidigen sollen.