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Sonntagmittag, 24. Oktober

Als Bella und Bodo auf dem Autozug in Richtung Niebüll fuhren, schmiedeten die zwei die nächsten Pläne. Frisch verliebt, neu motiviert und scheinbar voller gegenseitigem Interesse. Natürlich überließ Bodo auch hier nichts dem Zufall. Wie gut, dass er Bella schon vor ein paar Wochen in einem Nebensatz, an den sie sich auch sofort erinnerte, erzählt hatte, dass er gerne aus Frankfurt wegziehen und in einer kleineren Stadt im weiteren Umkreis ein Haus kaufen wolle. Vor kurzem, so sagte er ihr, hätte er eine Maklerin beauftragt, ihm was Geeignetes rauszusuchen. Sie hätte ihm ein Spitzenangebot in Wetzlar gemacht, das er aber habe ausschlagen wollen, weil es für ihn zu groß sei. Aber wenn sie nun gemeinsam … Bella war sofort Feuer und Flamme. Und Bodo zog, noch auf dem Autozug, das entsprechende Exposee, welches angeblich so ganz zufällig in seiner Aktentasche schlummerte, heraus.

„Bella, schau mal, das ist eigentlich ein Traumhaus. Es steht im wunderschönen Kirschenwäldchen in Wetzlar, eine traumhafte Kulisse voller blühender Kirschbäume im Frühjahr.“

„Wow, eine Goethestadt. Bodo, das klingt ja super. Du weißt, wie sehr ich mich für Goethe und die anderen alten Literaten interessiere. Ich wollte schon immer mal eine Reise auf Goethes Spuren unternehmen. Aber mir fehlte ja die Zeit dazu …“ Bella sah sich die traumhafte Ansicht des Hauses auf den ausgedruckten Fotos an. „Wunderschön! Das sieht ja herrlich aus!“

Fröhlich griff Bodo ihre Begeisterung auf: „Es ist eine herrliche Gegend. Auf der einen Seite bist du sofort in der Stadt Wetzlar mit wunderschöner historischer Altstadt, dem imposanten, geschichtsträchtigen Dom, den Parks an der Lahn, hast viele Einkaufsmöglichkeiten, Ärzte, Krankenhaus, also eine gute Infrastruktur, und auf der anderen Seite hat man attraktive Wander- und Ausflugsmöglichkeiten in das Lahntal, den Stoppelberg usw. Das Kirschenwäldchen liegt quasi im Herzen von Wetzlar und doch auch wieder ganz naturnah.“

„Das klingt super. Erfahrungen mit Wäldern fehlen mir noch in meiner Lebensgeschichte. Irgendwie reizt mich das total. Wieviel Einwohner hat Wetzlar in etwa?“

„Ungefähr 50 000. Und bald vielleicht zwei mehr“, grinste Bodo und fügte mit Kennermiene sein Wissen, das er im Internet erworben hatte, was er aber natürlich nicht erwähnte, hinzu: „Das Kirschenwäldchen ist um 1800 quasi durch einen einzigen Mann entstanden, den Johannes Lich. Der wollte Erz schürfen, hat sich dort niedergelassen und hat dort total viele Kirschbäume angepflanzt und die reifen Kirschen später dann verkauft. Daher hat dieser Stadtteil seinen Namen bekommen.“

„Das klingt total gut. Das totale Gegenstück zu Sylt. Dort kann ich garantiert einen Neuanfang starten, äh, ich meine natürlich, wir können dort einen gemeinsamen Neuanfang starten, mein Schatz“, fügte Bella schnellstens hinzu.

Wie recht du hast, dachte Bodo, du wirst noch dein blaues Wunder erleben. Laut sagte er hingegen voller Verständnis: „Ja, meine Süße, dort wartet ein ganz neues, überraschendes Leben.“

„An deiner Seite“, säuselte Bella und schmiegte sich an Bodo, um sich kurz darauf wieder hinzusetzen. „Und jetzt schauen wir uns die Beschreibung des Hauses an.“

Das Exposee, welches laut den Unterlagen von der Maklerin Franka Bosch erstellt worden war, klang sehr verheißungsvoll und begann mit den verführerischen Worten:

Stern-Stunde - ein Haus im Grünen mit Blick in die Ferne, 35578 Wetzlar / Kirschenwäldchen

Terrasse, Gäste WC, Einbauküche, Zentralheizung, 5 Zimmer, 231 m2 Wohnfläche, Einfamilienhaus, 811 m2 Grundstücksfläche, Baujahr 2001, gehoben, gepflegt, mit offener Küche, Einbauküche, …

Viele attraktive Beschreibungen folgten und alles endete mit den reizvollen Worten: mit Wellness - Swimming-Pool und dem Kaufpreis von 970.000 €.

Bella schaute Bodo fasziniert an: „Dass du daran gedacht hast, mein Schatz. Ein eigener Swimmingpool! Dann kann ich sogar täglich ein paar Runden drehen. Auf Sylt komme ich oft gar nicht dazu oder bin total müde nach der Arbeit. Dabei schwimme ich für mein Leben gerne.“ Wieder grinste sie und ergänzte: „Na ja, oft ist es auch schon rabenschwarze Nacht, wenn ich frei habe. Bodo, das klingt alles unglaublich gut. Auch die technischen Daten sind ok, der Energieausweis ist ok … “

„Ja, das habe ich auch gedacht und wir können auch irgendwann ganz auf erneuerbare Energien umsatteln, wenn wir das wollen. Es klingt gut, nicht wahr?“ Was Bella beifällig bestätigte. Mittlerweile waren sie in Niebüll angekommen und Bodo fuhr vom Autozug hinunter in Richtung Bahnhofsparkplatz.

„Bella, das Exposee habe ich schon etliche Tage. Ich weiß nicht wirklich, ob das Haus noch zu haben ist. Soll ich Franka Bosch direkt jetzt anrufen und fragen?

„Gerne. Aber denkst du, sie ist am Sonntag erreichbar?“

„Sie schuldet mir noch einen Gefallen. Franka kenne ich noch von der Uni her. Ich rufe sie mal an und kläre das. Magst du derweil fahren?“

Natürlich übernahm Bella das Steuer. Schließlich war es ja ihr eigener Wagen. Sie hatte sich sowieso gewundert, dass Bodo ganz selbstverständlich am Steuer Platz genommen hatte, aber gerade heute wollte sie keine Diskussion über solche Feinheiten und Kinkerlitzchen. Während Bella im Navi die Daten für Greetsiel in der Krummhörn, wo sie das Hotelzimmer gebucht hatten, eingab, telefonierte Bodo schon mit Franka Bosch. Aus den Bruchstücken, die sie verstehen konnte, nahm sie wahr, dass das Haus noch zu haben war, aber es einen konkreten Mitbewerber gab, der nur die Anzahlung noch nicht geleistet hatte, was vom jetzigen Besitzer aber als Vorbedingung galt. Bodos Miene wechselte stetig und kontinuierlich, mal strahlte er, dann wiederum sah er sehr nachdenklich aus und dann so ziemlich zum Schluss des Gesprächs rieb er sich zerstreut die Stirn und verabschiedete sich mit den Worten: „Ich muss das mit meiner Frau besprechen. Aber ich melde mich gleich noch wieder bei dir. Danke, Franka. Auch für dein Entgegenkommen.“ Und legte dann seufzend auf.

Bella, die voll auf den Verkehr konzentriert war, hatte nur wenig, aber doch so viel mitbekommen, dass ihr klar war, dass sich der Kauf schwieriger gestaltete als erhofft. Und Bodo schwieg zunächst, sah aus dem Beifahrerfenster und seufzte mehrmals, was ihm selbst anscheinend gar nicht bewusst war. Bella ließ ihn gewähren und wartete geduldig. Irgendwann würde er ja sicherlich etwas sagen. Und so kam es dann auch …

„Franka sagte, dass der Besitzer schon von Betrügern reingelegt worden ist. Jetzt will er, bevor er irgendjemandem das Haus zeigt, die Anzahlung auf ein Notaranderkonto überwiesen haben. Ich …“ Bodo machte eine Pause, in die Bella auch prompt einstieg: „Ist das normal?“

„Nicht in so einem frühen Stadium. Eigentlich erst direkt nach der Kaufeinwilligung. Aber Franka sagte, dass sie ihn verstehen würde. Er sei derbe übers Ohr gehauen worden. Einbrecher hätten bereits zweimal Objekte von ihm, als Kaufinteressenten getarnt, besichtigt und dann anschließend ausgeraubt und verwüstet. Seitdem geht er auf Nummer sicher.“

„Ok. Ungewöhnlich, aber irgendwie kann man ihn ja auch verstehen.“ Bella konnte sich gut in diesen Mann hineindenken. Auch sie waren in ihren Stores schon über den Tisch gezogen worden und die angewendeten Mittel waren trügerisch und raffiniert gewesen. Zum Glück hatte Raik damals seinen alten Schulfreund Ole, der beim Landeskriminalamt in Hamburg arbeitete, angerufen und ihn um Rat gefragt. So war Schlimmeres verhindert worden. Grübelnd fuhr Bella fort: „Und was hat Franka zum Haus gesagt?“

„Das ist total gut in Schuss. Fast neuwertig, hat sie gemeint. Gerade in den letzten Jahren ist vieles modernisiert worden. Es sei das Geld in jedem Fall wert, hat sie gemeint, das Haus sein wie ein Sechser im Lotto. Der Eigentümer hat eine neue Stelle in Frankreich. Daher auch der Verkauf.“ „Ach ja“, fügte er nach einer kurzen Pause noch hinzu, „sie hat sich gewundert, dass ich mich nun doch interessiere und von meiner Frau sprach, von der sie noch nie etwas gehört hätte.“

Bella lachte und strahlte. „Und was ist jetzt das eigentliche Problem?“

Bodo sah wieder zuerst zum Fenster hinaus, bevor er stöhnend erwiderte: „Die sofortige Anzahlung, und zwar möglichst vor dem Mitbewerber. Ganz nach dem Motto: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Die ist echt happig. 250.000 €.“

Auch Bella schnappte nach Luft: „250 Mille? Und das, bevor man das Haus gesehen hat? Na, der ist ja mutig.“

„Na ja, dafür liegt das Geld dann auf einem Notaranderkonto. Erst wenn der Verkauf notariell beglaubigt ist, geht der Betrag an den ursprünglichen Hauseigentümer über. Tritt man vom Kauf zurück, überweist der Notar, in diesem Fall würde ich Klaus Mack aus Wetzlar wählen, einen ehemaligen Kommilitonen von mir, das Geld sofort an uns zurück.“ Wieder machte Bodo eine Pause, und zwar dieses Mal eine längere.

„Und wo liegt dann das Problem, Bodo? Wir können doch einen Kredit aufnehmen. Du als Anwalt einer Bank wirst doch genauso gut einen bekommen können wie ich auch.“

„Das Geld hätte ich sogar auf der hohen Kante, Bella. Aber ich habe es fest angelegt. So schnell komme ich nicht aus dem Vertrag heraus. Ich müsste erst, lass mich mal nachdenken …“, ein weiteres Mal baute Bodo geschickt Pausen ein, „wenn ich …“ Bodo schwieg erneut und seine rechte Hand wanderte abermals in Richtung Stirn, die er sich rieb, so, als wenn er in Gedanken abwägen würde, welche nächsten Schritte er unternehmen könne, um möglichst schnell an sein fest angelegtes Geld zu kommen.

Bodo spielte seine Rolle gut, das wusste er. Liebend gerne wäre er Schauspieler geworden. Aber war er das nicht eigentlich auch? Bevor sie in ihrer Firma quasi das Arbeitsfeld ins Internet verlegt hatten, war er das beste Pferd im Stall gewesen. Die Moneten waren förmlich reingeströmt, reihenweise waren die Frauen auf ihn hereingefallen. Bodo grinste, als er daran dachte. So weit wie bei Bella, mit Hochzeit und so, war er allerdings noch nie gegangen, aber gerade das war das Neue an der Situation und es bereitete ihm enormen Spaß und Nervenkitzel. Bislang war er vorher immer abgesprungen, wenn es brenzlig wurde, das Geld hatte er schon vorher „erfleht“ und selbstverständlich bekommen. Bella war, was das betraf, aber auch eine besonders kritische Frau, Geschäftsfrau eben. Mit allen Wassern gewaschen. Genau das hatte ihn auch besonders an ihr gereizt. Es war ein Spiel für ihn. Und es würde nur einen Gewinner geben. Und das würde er sein. Das stand in Stein gemeißelt. Fast hatte er es auch bei ihr geschafft. Fast. Bodo verstand sein Handwerk, zu dem jeder weitere Schritt strategische Planung voraussetzte. Auch jetzt war alles bis ins Kleinste von ihm geplant, nichts dem Zufall überlassen. Und Bella zappelte wie ein Fisch an der Angel. Fast hätte er laut gelacht, aber seine Professionalität setzte ihm natürlich eine berechnende Grenze.

Es war Zeit für einen weiteren Dolchstoß. Bodo konnte den nächsten Abschnitt seiner Planung einläuten. Er hatte sich bewusst in Westerland ans Steuer gesetzt, um dann in Niebüll, falls sich die Szene mit dem Haus positiv entwickelte, Bella fahren lassen. Auch das hatte Bodo im Voraus gut durchdacht, es wirkte einfach authentischer. Dadurch konnte Bella weder an ihrem Smartphone recherchieren noch das Ganze, was er ihr erzählte, an irgendjemanden per Handy weiterleiten. Bella war gut mit einem Rechtsanwalt bekannt, mit dem sie und Raik geschäftlich zu tun hatten, das hatte sie ihm bei irgendeiner Begegnung erzählt. Und wer weiß, welche Kontakte sie sonst noch hatte und ob sie diese gegebenenfalls mobilisieren würde. Es war wichtig, dass Bella ihm ihr ganzes Vertrauen schenkte, privat wie beruflich. Mit dem starken Verkehr beschäftigt, hatte Bella keine Möglichkeit, irgendetwas zu unternehmen, und so war sie außerdem nur mit einem Teil ihrer Aufmerksamkeit bei dem, was Bodo ihr Schritt für Schritt erläuterte. Bodo musste Bella unbedingt noch auf der Fahrt dazu bringen, dass sie von sich aus vorschlug, das Geld von ihrem Konto auf das Notaranderkonto zu überweisen.

So erzählte er ihr dann ausführlich, dass Klaus, der Notar, das Geld treuhänderisch verwalten würde, so dass beide Parteien - Käufer und Verkäufer - finanztechnisch auf der sicheren Seite wären und wenn ihnen das Haus wider Erwarten nicht gefallen würde, könnte er, Klaus, die Anzahlung, um wenige Gebühren gemindert, wieder an sie beide auszahlen. Bodo lobte das System in den höchsten Tönen. Dass es allerdings neue gesetzliche Regelungen zu dieser Form des Treuhandkontos gab, verschwieg er selbstverständlich. Das durfte Bella auf keinen Fall herausfinden. Zumindest nicht, bevor sie bezahlt hatte und er, Bodo, aus Ostfriesland wieder abgereist war. War das Geld erst einmal auf dem von Bodo genannten Konto, war es in den sicheren Händen der Firma, die Bodo und seinen Kompagnons gehörte.

Bodo spielte seine Rolle perfekt. Und noch bevor sie die Fähre bei Glückstadt erreichten, hatte Bella sich angeboten die komplette Summe von ihrem Geschäftskonto zu überweisen. Bodo hatte zunächst zögerlich, dann aber, nachdem sie nicht locker gelassen hatte, ernst zugestimmt. Und versprochen, dass er sich direkt nach ihrer Hochzeit darum kümmern würde, seine Anlagen zu kündigen und die komplette Summe zu ersetzen. Das wiederum hatte Bella nicht gefallen, sie wollte, auch wenn sie verheiratet wären, ihren finanziellen Beitrag leisten. Die Hälfte, so hatte Bella dann bestimmt, was Bodo als Gentleman selbstverständlich ablehnte. Ihm sei es schon mit dieser unumgehbaren Lösung sehr peinlich, hatte er noch gemeint. Aber Bella hatte ihn beruhigt. Ehe Raik etwas bemerken würde, wäre das Geschäftskonto schon wieder ausgeglichen, weil sie ohnehin fast alle Überweisungen an die Lieferfirmen tätigte. Raik hatte einfach keinen Nerv dazu, meinte sie noch lapidar. Und ihr Privatvermögen, das ginge Raik schließlich gar nichts an. Allerdings, und dieses Anliegen war ihr nun wiederum total peinlich, würde sie gerne auf einem Ehevertrag bestehen.

Bodo zeigte totales Verständnis und machte den Vorschlag, dass ja sein ehemaliger Kommilitone Klaus ihr ehelicher gemeinsamer Anwalt und Notar werden könnte. Dann würden sie sowohl den Kaufvertrag als auch den Ehevertrag in Kürze in seiner Praxis besiegeln.

Glückselig und hingerissen von Bodos Verständnis und Souveränität fuhr Bella auf die Fähre in Glückstadt, um so den Verkehrsstau im Hamburger Elbtunnel zu umfahren. Bella liebte es, übers Land zu fahren und die schönen Gegenden Deutschlands in ihrer Vielfalt zu genießen. Und der berechnende Bodo stimmte ihr entspannt und überaus fröhlich in allem zu. Für Bella fühlte es sich an wie der Himmel auf Erden.

Im Schatten des Betrügers

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